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04.05.2016 Ein schändlicher Entwurf!

Ein schändlicher Entwurf!

Vor einer Woche ist der Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz an das Tageslicht gestolpert. Während die breite Öffentlichkeit mit Schlagzeilen wie "Mehr Geld und Rechte für behinderte Menschen" desinformiert wird, herrscht in der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung blankes Entsetzen. Dort wurden zahlreiche Menschen eingelullt. Und zwar mit dem Gedanken, dass deren Ansichten gefragt und ernst genommen werden. Dies ging sogar soweit, dass im Ringen um die Gunst der Regierenden Streitigkeiten offen ausgetragen wurden.

Umso größer die Ernüchterung, als man nun feststellen musste, dass kaum eine unserer Vorstellungen Eingang in den Referentenentwurf gefunden hat. Stattdessen wurden diese geradezu invers abgebildet. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unter der sozialdemokratischen Ministerin Andrea Nahles tut gerade so, als ob es die Behindertenrechtskonvention nicht gäbe, als ob diese nicht bereits seit 2009 in Deutschland geltendes Recht wäre. Auch das Benachteiligungsverbot im Artikel 3 unseres Grundgesetzes scheint in den Augen des BMAS gerade zum Einwickeln der Pausenstulle geeignet zu sein. Dass das Bundesverfassungsgericht seit Jahren eine konkrete Definition des Benachteiligungsverbotes abliefert, scheint dort entgangen zu sein. Ein Fehler, denn Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes haben Gesetzescharakter und sind für alle drei Staatsgewalten bindend!

Macht die Bundesregierung nun Behindertenpolitik für oder gegen Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen?

Eindeutig gegen diese. Denn sie liefert diese nach wie vor Behörden aus, die nur eines im Sinne haben: ihren Haushalt zu schonen. Und sie verschlimmert diese Situation auch noch, indem eine Regionalisierung der Sozialgesetzgebung die Türen geöffnet werden sollen. Dann kann jedes Bundesland eigene Regeln kreieren, wie die behinderte Bevölkerung am besten benachteiligt werden kann.

Aber auch die sogenannte Behindertenbewegung ist nicht unschuldig an diesem Desaster. Statt sich wie hinter einem Speer zu sammeln und mit dessen scharfer Spitze für die nötige Aufmerksamkeit in der Politik zu sorgen, ließ man sich auseinanderdividieren. Drei Problemgruppen sind auf Anhieb auszumachen.

  1. Behinderte Menschen mit 24-Stunden-Bedarf, deren einziges Bestreben war, Einkommen und Vermögen behalten zu können, nicht wegen des Nachteilsausgleiches enteignet zu werden.
  2. Mehrfachbehinderte Menschen, die von ihren Eltern in Anstalten untergebracht wurden. Diese Gruppe ist in der Politik bestens vernetzt und kommt in dem Referentenentwurf am wenigsten schlecht weg.
  3. Mehrfachbehinderte Menschen, die noch bei ihren Eltern wohnen. Diese haben der ungeheuren Sogwirkung der Anstalten widerstanden und möchten ihre Kinder vor diesen bewahren. Sie bezahlen jedoch einen viel zu hohen Preis dafür. Die Kostenträger lassen sie mit ihren Nöten alleine, statt ihnen zu helfen. So opfern die Eltern ihre Lebenszeit, ihre Unversehrtheit dafür, dass sie dem Gemeinwesen zwangsweise viel Geld sparen. Und Eltern, die es geschafft haben, für diese Kinder eine ambulante Assistenz sicherzustellen, müssen ständig zittern, ob der Kostenträger bei den stetig wiederkehrenden Überprüfungen nicht doch noch zur Ansicht kommt, dass eine Verwahranstalt zumutbar wäre.

Zwischen diesen drei Gruppen befindet sich der Rest der behinderten Menschen mit Assistenzbedarf. Sie bedürfen nicht nur der Solidarität der nichtbehinderten Gesellschaft, sondern auch die der ersten Gruppe. Gleichzeitig erhofft sich die dritte Gruppe auch derer Solidarität. Denn ohne diese werden sie von der Entwicklung abgekoppelt.

Dreh- und Angelpunkt ist die Zumutbarkeit. Ohne diese könnten die Anstalten dichtmachen. Sie leben von der Zwangsbefüllung durch die Kostenträger. Dabei könnten sie das Leben der behinderten Menschen in den Anstalten auch so gestalten, dass dieses eine wirkliche Alternative zum ambulanten Leben draußen darstellen würde. Dies jedoch würde die Anstalten jedoch so teuer machen, dass die Bürokratie ihre Fördermaßnahmen einstellt. Denn sie machen nur dann Sinn, wenn dadurch die Kosten der ambulanten Versorgung gedrückt werden. Ergo "zahlen" die Anstaltsinsassen ihren Aufenthalt dort durch den Verlust vieler Freiheiten und ihrer Selbstbestimmung selbst.

Aber auch das Leben außerhalb von Anstalten ist von Sozialkonzernen bedroht. Diese stricken Konstrukte, die eine Billigstversorgung ermöglichen. Es werden Menschen aus Billiglohnländern herangekarrt, die behinderten Menschen einfach so in deren Wohnungen geschickt werden. Die Unterkunft und Verpflegung und der en Kosten werden dem behinderten Menschen aufs Auge gedrückt. Dass die Grundlage derlei Arbeitsverhältnisse in den Räumlichkeiten der behinderten Menschen Vertrauen ist, dass kulturelle Differenzen bis hin zu abweichenden Essgewohnheiten oder mangelnden Sprachkenntnissen dieses Zusammenleben sehr schwierig machen kann, das wird ignoriert. Solche Billig-Dienste veranlassen Kostenträger dazu zu versuchen, Arbeitgebermodelle durch Verweigerung der Kostenübernahme zu sprengen. Besonders pikant: Recherchen in Firmenregistern haben schon mehrfach ergeben, dass diese Billiganbieter Töchter großer Sozialkonzerne sind, die durch dies Neugründungen unter anderem Tarifverträge unterlaufen wollen.

Alles das ist längst bekannt. Alles wurde in Anhörungen und Stellungnahmen unzählige Male thematisiert. Umso schändlicher, dass als Ergebnis dieser Ermittlungen ein derartiger Referentenentwurf entstehen konnte. Er könnte auch als Synonym dafür herhalten, dass sich die Kluft zwischen Regierenden und Regierten immer weiter öffnet. Dieser Eindruck, der sich an anderer Stelle mit der Gründung "alternativer" Parteien verfestigt, führt seltsamerweise im Bereich der Behindertenpolitik nur bei den davon betroffenen behinderten Menschen zur Entrüstung. Der Rest der Gesellschaft schaut ohnehin weg, wenn es um die Probleme behinderter Menschen geht. Das hat nach den Exzessen des sogenannten "Dritten Reiches" Tradition. Unsere Regierenden wollen ihren Nutzen daraus ziehen, sie glauben, die aussondernde Politik der Nachkriegszeit auch in die Zeit der Behindertenrechtskonvention retten zu können. Aber sie werden sich irren.

Unser Bundespräsident wird einem derart verfassungsverletzenden Gesetz nicht zustimmen. Selbst wenn doch, dann hoffe ich, dass die Opposition ihre 20 Prozent noch für eine Normenkontrollklage ausbauen kann. Denn irgendwo werden ja noch 5 % christliche und soziale Abgeordnete zu finden sein.

Wenn sich heute in Berlin viele Menschen einfinden, um gegen diesen Entwurf zu protestieren, dann wird dieses Signal hoffentlich auch von der Politik, den Medien und damit auch von der Gesellschaft vernommen.

Menschen mit Behinderungen erwarten von unserer Regierung eine faire Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Davon ist der vorgelegte Referentenentwurf Lichtjahre entfernt. Wir brauchen zwingende, kurze Bearbeitungsfristen, die uns erlauben, schneller den Rechtsweg beschreiten zu können. Wir brauchen eine Antragstellung, bei der nicht der Kostenträger in unser Leben hineindirigieren kann. Derartige Übergriffe rauben uns unsere Freiheit, unsere Selbstbestimmung und unsere Würde!

Gerhard Bartz
Vorsitzender ForseA e.V.
04. Mai 2016

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