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Urteil 076 C

VERWALTUNGSGERICHT

SIGMARINGEN

Az.: 1 K 2268/04

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

XXXXX,

-Antragsteller -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte Schöppler u. KoIl., Mittlerer Graben 54, 97980 Bad Mergentheim, Az: LS/K

gegen

Stadt Ulm, vertreten durch den Oberbürgermeister, dieser vertreten durch die Zentrale Rechtsabteilung (ZR), Kornhausplatz 4, 89073 Ulm,

 -Antragsgegnerin-
prozessbevoIImächtigt: Rechtsanwälte Wurst u. KoIl., Hafenbad 33, 89073 Ulm, Az: 3-V-05/00011 beigeladen: Paul Wilhelm von Keppler-Stiftung, Clarissenstraße 11, 89077 Ulm,

prozessbevoIlmächtigt: Rechtsanwälte Kasper und Kollegen, Werfmershalde 22, 70190 Stuttgart, Az: 801/05Q01/pa

wegen

Sozialhilfe; hier: Antrag gemäß § 123 VwGO

hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Bitzer den Richter am Verwaltungsgericht Wohlrath die Richterin Gulde am 06. Juni 2005 beschlossen:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege über die ihm bereits von ihr zugestandenen Leistungen hinaus auf der Basis der Abrechnung der Paul-Willhelm-von-Keppler-Stiftung Ulm/ ISB-Dienst, auf der Grundlage von 17 Stunden Betreuungsleistungen an Arbeitstagen und 24 Stunden Betreuungsleistungen an sonstigen Tagen für den Monat Dezember 2004 abzüglich bewilligter Leistungen anderer Träger für die Zeit vom 16. bis 31. Dezember 2004 zu leisten.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

Der Antrag ist zulässig und begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO, dass ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch) und dass die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin aufgrund seiner schweren körperlichen Behinderung einen Anspruch auf Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 8 BSHG) und der Hilfe zur Pflege. Darüber sind sich die Beteiligten auch einig.

Streitig ist zwischen den Beteiligten auf welcher Basis dem Antragsteller Leistungen durch die Antragsgegnerin zu bewilligen sind.

Die Kammer geht aufgrund der Aktenlage in diesem Verfahren und im Klageverfahren 1 K 851/04 sowie des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung im Klageverfahren vom 06.06.2005 davon aus, dass der Antragsteller dem Beigeladenen aufgrund seines mit ihm geschlossenen Vertrages vom 19.07.2001 und aufgrund des Erhöhungsverlangens der Beigeladenen ab März 2003 für seine Betreuung eine Pauschale von 9.434,07 EUR nebst der Investitionskostenpauschale schuldet. Dieser Pauschale liegt ein Betreuungsaufwand von 17 Stunden an den Tagen, an denen der Antragsteller arbeitet, und von 24 Stunden an den übrigen Tagen sowie ein Einsatz von 3 hauptamtlichen Arbeitskräften und von "1/2" Zivildienstleistenden zugrunde. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass die Arbeitsstunden, die der Kalkulation zugrunde liegen, im Laufe eines Jahres für die Betreuung des Antragstellers aufgewendet werden und für eine angemessene Betreuung des Antragstellers erforderlich sind. Diese vertragliche Vereinbarung des Antragstellers mit der Beigeladenen ist der Ausgangspunkt für die Bewilligung der Sozialhilfe an den Antragsteller.

Die Betreuungsleistungen, die dem Antragsteller von dem ambulanten ISB-Dienst des Beigeladenen erbracht werden, sind Leistungen einer Einrichtung im Sinne des § 93 BSHG. Ein Vertrag nach § 92 Abs. 2 BSHG zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen liegt nicht vor. Die Vereinbarung einer Pauschale mit dem früheren Träger des ISB-Dienstes, der Caritas, erfüllt die Voraussetzungen an eine Vereinbarung nach § 92 Abs. 2 BSHG nicht. Zum einen entspricht die Vereinbarung nicht dem Mindestinhalt dieser Vorschrift, da nur eine Vereinbarung über die Höhe einer Pauschale getroffen wurde. Zum anderen fehlt die für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, um einen solchen handelt es sich bei einer Vereinbarung nach § 92 Abs. 2 BSHG, erforderliche Schriftform. Ein Vertragsangebot der Beigeladenen nach § 92 Abs. 3 BSHG liegt nicht vor. Die Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung im Klageverfahren nur bestätigt, dass Verhandlungen über eine Vereinbarung nach § 92 Abs. 2 BSHG schwebten.

Die Voraussetzungen des § 93 Abs. 7 Satz 1 BSHG liegen ebenfalls nicht vor. Zwar hat auch der ISB-Dienst der Beigeladenen eine Zulassung nach § 72 SGB XI, wie der Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung im Klageverfahren erklärte. Die Antragsgegnerin hat aber ihr Einvernehmen mit der Kostenvereinbarung des ISB-Dienstes der Beigeladenen nach § 89 SGB XI nicht erklärt. Der Kammer liegt zwar nur die Kostenvereinbarung nach § 89 SGB XI der Sozialstation der Beigeladenen in Ulm vor. Der Vertreter der Beigeladenen hat aber in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Vereinbarung für den ISB-Dienst mit Ausnahme einer Regelung für die Fahrkosten den gleichen Inhalt habe. Die Antragsgegnerin räumte in der mündlichen Verhandlung ein, dass sie der Kostenvereinbarung nicht beigetreten sei, dass sie diese aber regelmäßig ihren Entscheidungen zugrunde lege.

Bei einer "strengen" Anwendung des § 93 BSHG könnte dem Antragsteller keine Sozialhilfe zugesprochen werden, weil die nach dieser Vorschrift erforderlichen Vereinbarungen fehlen. Da aber auch keine andere Einrichtung zur Betreuung des Antragstellers zur Verfügung steht, die die erforderlichen Vereinbarungen angeschlossen hätte, kann dieser Mangel nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. Der Antragsteller hat nach § 3 BSHG einen Anspruch auf die erforderliche Hilfe. Dies wird im Ergebnis auch von der Antragsgegnerin so gesehen, die seit vielen Jahren den größten Teil der Betreuung des Antragstellers bereits finanziert.

Die Leistungen, die der Antragsteller erhält, sind in ihrem zeitlichen Umfang und in ihrer Höhe angemessen. Die Kammer legt auch unter Berücksichtigung des Gutachtens des Gesundheitsamtes des Landeskreises Alb-Donau-Kreis vom 07.08.2003 und 08.09.2003 den Stundenumfang aus der Kalkulation der Beigeladenen seiner Entscheidung zugrunde.

Die Kammer sieht keinen Ansatzpunkt dafür, Abstriche bei der Qualifikation des eingesetzten Personals zu machen. Unter dem Gesichtspunkt der Bedarfsdeckung ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller einer Erwerbstätigkeit nachgeht und er Betreuungspersonal benötigt, das ihn auf eine Art und Weise versorgt, dass er seine Arbeit auch in Zukunft ausüben kann. Das setzt eine größere Kontinuität in der Betreuung voraus und setzt dem Einsatz von Zivildienstleistenden engere Grenzen, als dies in anderen Fällen notwendig sein mag. Der Rahmenvertrag über die ambulante und pflegerische Versorgung gemäß § 75 SGB XI für das Land Baden-Württemberg vom 28.02.2003 ist nach § 68 Abs. 6 BSHG auf die Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz entsprechend anwendbar. Aus dem Rahmenvertrag folgt hier, was den Einsatz von Zivildienstleistenden angeht, nichts anderes. Es ist schon fraglich, ob die Vereinbarung in § 17 Abs. 7 des Rahmenvertrags auf die Beigeladene anwendbar ist, da ihr ISB-Dienst auch eine Zulassung im Bereich Pflegeversicherung hat und solche Leistungen erbringt. § 17 Abs. 8 des Rahmenvertrages, der sich mit solchen Diensten befasst, spricht den Einsatz von Zivildienstleistenden nicht an. Aus einer Regelung über die personelle Mindestausstattung dürfte sich aber nichts dafür ableiten lassen, welches vom Dienst beschäftigte Personal im Einzelfall bei einer bestimmten zu betreuenden Person einzusetzen ist. Zumal dann, wenn wie hier der zu Betreuende einen höheren Bedarf an kontinuierlicher Betreuung durch eine begrenzte Anzahl von Personen geltend machen kann.

Die Höhe der von der Beigeladenen geltend gemachten Stundensätze ist nicht zu beanstanden. Sie ist bei ihrer Kalkulation im Rahmen der Stundensätze geblieben, die sich aus der Kostenvereinbarung nach § 89 SGB XI für Zivildienstleistende und ergänzende Hilfen ableiten lassen. Der Anordnungsgrund folgt daraus, dass dem Antragsteller nicht das Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann, da er darauf angewiesen ist, die ihm erbrachten und zustehenden Leistungen ohne Gefährdung seiner Betreuung bezahlen zu können.

Die Entscheidung der Kammer ist begrenzt durch den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags beim Verwaltungsgericht. Wegen der ab dem 01.01.2005 bestehenden Zuständigkeit der Sozialgerichte für die Angelegenheit der Sozialhilfe begrenzt die Kammer den Zeitraum ihrer Entscheidung auf den 31.12.2004 (§ 123 VwGO, § 938 ZPO).

Die dem Antragsteller für die Zeit vom 16. bis 31.12.2004 zu leistende weitere Hilfe ist wie folgt zu berechnen: Auszugehen ist von 16/31 der von der Beigeladenen in Rechnung gestellten Pauschale. Davon sind je 16/31 der von der Antragsgegnerin bereits bewilligten Pauschale, sowie 16/31 der Sachleistungen der Pflegeversicherung und 16/31 der Leistungen des Landeswohlfahrtsverbandes für die Arbeitsassistenz für den Monat Dezember 2004 sowie 16/31 für diesen Monat und diesen Bedarf eventuell bewilligter anderer Leistungen abzuziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3), da es nicht der Billigkeit entspricht, diese der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung beim Verwaltungsgericht Sigmaringen schriftlich Beschwerde eingelegt werden. Die Rechtsmittelschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist bei Gericht eingehen.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Enscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Hausanschrift: Schubertstrasse 11, 68165 Mannheim; Postanschrift: Postfach 103264, 68032 Mannheim) einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde unzulässig. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg prüft nur die dargelegten Gründe.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit der Befähigung zum Richteramt vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit der Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen Spitzenverbandes, dem sie als Mitglied angehören, vertreten lassen. In Angelegenheiten der ¬Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten des Sozialhilferechts sind vor dem Verwaltungsgerichtshof als Prozessbevollmächtigte auch Mitglieder und Angestellte von Verbänden im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes und von Gewerkschaften zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind. In Abgabenangelegenheiten sind vor dem Verwaltungsgerichtshof auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugelassen. In Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 VwGO betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 Arbeitsgerichtsgesetz stehen einschließlich Prüfungsangelegenheiten sind vor dem Verwaltungsgerichthof als Prozessbevollmächtigte auch Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind.

Anschriften des Verwaltungsgerichts:

Hausanschrift: Verwaltungsgericht Sigmaringen, Karlstraße 13, 72488 Sigmaringen
Postanschrift: Verwaltungsgericht Sigmaringen, Postfach 1652,72486 Sigmaringen

gez. Bitzer
gez. Wohlrath
gez. Gulde

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