Macht Arbeit frei?
oder
Die unendliche Geschichte des Peter Straub
Für alle „NeuleserInnen", die Peter Straubs Kampf
um ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit noch nicht kennen, vorab eine
Zusammenfassung:
Unser Mitglied, der 29jährige Peter Straub, wurde mit einer spastischen
Lähmung, verbunden mit Sprachproblemen und stark sehbehindert geboren.
Nach etlichen Jahren in einem Heim kämpfte er sich daraus frei.
Mit Zivis als Assistenten zog er in eine Mietwohnung in Sigmaringen.
Da er sich eine Ausbildung zum Bürokaufmann erkämpft und diese
erfolgreich absolviert hatte, arbeitete er eine zeitlang bei einem ambulanten
Dienst in seinem Beruf.
Mit den Assistenzleistungen der Zivis war er auf Dauer nicht zufrieden.
Manche erschienen zu spät, andere gar nicht zum Dienst. Außerdem
war die Nachfolge von Zivis nach Beendigung der jeweiligen Dienstzeiten
nicht kontinuierlich gesichert. Der verantwortliche ambulante Dienst
konnte nicht genug Zivis finden. Daher saß Peter mehrfach ohne
die dringend notwendigen Hilfeleistungen vollkommen unterversorgt allein
zu Hause.
Daher entschloss er sich, seinen Assistenzbedarf durch das Arbeitgebermodell
zu sichern. Als er vor knapp drei Jahren in eine, für ihn von seinen
Eltern barrierefrei umgebaute Eigentumswohnung nach Weingarten zog,
begannen seine Probleme: Das nun zuständige Sozialamt in Ravensburg
verweigerte die Kostenübernahme (ca. 11.000 DM monatlich) für
die Assistenten. Peter legte Widerspruch und nach Ablehnung schließlich
Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen ein.
Die einzelnen Schritte des Verfahrens, das mittlerweile durch acht Unterakten
zu einem riesigen Verwaltungsakt angewachsen ist zu schildern, würde
ein eigenes INFORUM füllen. Peter hangelt sich nun schon seit Monaten
von einstweiliger Anordnung zu einstweiliger Anordnung durch.
Nun zur gegenwärtigen Situation: Das Sozialamt Ravensburg ist der
Meinung, Peter sei das Leben in einer Anstalt und die Arbeit in einer
WfB gegen seinen Willen zuzumuten, wenn die ambulanten Assistenzkosten
unverhältnismäßig hoch gegenüber der Unterbringung
in einer Anstalt seien. Das Sozialamt kehrt dabei ein Urteil des VGH
Mannheim um, das besagt, wer einer Berufstätigkeit nachgehe, kann
regelmäßig nicht auf eine Anstalt verwiesen werden.
Nun hatte Peter die Aussicht auf einen Arbeitsplatz auf dem 1. Arbeitsmarkt
bei einem Integrationsfachdienst in Ulm nach einer vorhergehenden vierwöchigen
Probezeit. Dazu hätte er jedoch einen PC mit spezieller Software
benötigt. Das zuständige Arbeitsamt zog mit der Begründung,
gegen ein anderes Arbeitsamt sei noch ein Verfahren anhängig, die
mündliche Zusage für die notwendigen Hilfsmittel plötzlich
zurück.
Ebenso plötzlich erklärte der Intergrationsfachdienst, Peter
nur einstellen zu können, wenn er seinen Assistenten kündigen
würde. Der Fachdienst würde diese dann selbst für ihn
einstellen und ihm für rund 23.000 DM monatlich zur Verfügung
stellen. Das Sozialamt will schon die ca. 11.000 DM nicht zahlen. Eine
Ãœbernahme von 23.000 DM ist da vollkommen illusorisch.
Bei einer Gerichtsverhandlung im Juli in Sigmaringen machte das Gericht
Peter nochmals darauf aufmerksam, dass mit einer Berufstätigkeit
seine Probleme beseitigt seinen. Andernfalls „....müssen
Sie sich mit dem Gedanken anfreunden, Besitzstände aufzugeben..."
Gleichzeitig machte das Gericht dem Sozialamt zur Auflage, mindestens
baden-württembergweit (was laut Sozialhilferichtlinien Ba-Wue zu
§3 BSHG 3.01 mit Verweis auf ein Urteil des BverwG vom 22.1.87
[NDV 1987,295] rechtswidrig ist) nach einer geeigneten Anstalt mit adäquatem
Arbeitsplatz zu suchen.
Zunächst war die Behörde untätig, um dann sieben Anschriften
von Anstalten vorzuweisen. Peter bekam vom Gericht die Auflage, zu prüfen,
ob davon eine geeignet sei. Peter, der durch die ungeheure Belastung
des Verfahrens psychisch und physisch stark beeinträchtigt ist,
sollte also hunderte von Kilometern weit durchs Land reisen, um seine
eigene Aussonderungseinrichtung auszusuchen. Und schon bei schriftlichen
und mündlichen Recherchen seines Anwaltes stellte sich sehr schnell
heraus, dass die Behörde irgendwelche Anstalten ausgesucht hatte,
ohne dass jeweils – wie es der Gesetzgeber verlangt - ein konkreter
Platz zur Verfügung gestanden hätte.
Als „Alternative" forderte das Gericht Peter auf, sich innerhalb
von acht Wochen mit dem Gedanken an eine Wohngemeinschaft, bei der sich
mehrere behinderte Menschen die Assistenten teilen, vertraut zu machen,
sowie eine geeignete Wohnung und Mitbewohner zu suchen. Das ganze hätte
für Peter die weitgehende Aufgabe seines selbstbestimmten Lebens
bedeutet. Die WG könnte man mit dem Leben in einem Kleinstheim
vergleichen.
Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Peters Anwalt nun einen
Antrag auf Zulassung der Beschwerde beim VHG Mannheim gestellt. Für
Peter ist die ständige Angst um seine Zukunft unerträglich.
Dieses Leben von einer engbegrenzten Kostenzusage zur nächsten,
von einer einstweiligen Anordnung zur nächsten, hält kaum
ein Mensch aus.
Seine Situation konnte hier nur unvollkommen dargestellt werden. Besonders
erschreckend im „Fall Peter Straub" ist die Tatsache, dass
alleine die Berufstätigkeit für die Behörde ausschlaggebend
ist, Peters Leben in Freiheit zu ermöglichen. Sollte tatsächlich
nur Arbeit frei machen bzw. halten? Sollen alle, die nicht mehr arbeiten
können, sei es aufgrund persönlicher Umstände oder der
desolaten Arbeitsmarktssituation, künftig einfach gegen ihren erklärten
Willen aus der Gesellschaft entfernt und in eine Anstalt zwangseingewiesen
werden?