Menschen mit Behinderungen
von Elke Bartz
Objekte zur Sicherung und Finanzierung der sogenannten Wohlfahrtsverbände.
Kostenfaktoren, Manipuliermasse? Oder, ab in die Anstalt, raus aus der
Gesellschaft, Kostensparen!
Peter Straub, Isolde und Elke Hauschild, Erika Michels: Namen von Menschen
und Synonyme für Menschenrechtsverletzungen. Doch dazu später.
Es geschieht zur Zeit etwas in Deutschland, das viele Menschen, die
nicht direkt betroffen sind, gar nicht mitbekommen. Die es aber auch
nicht glauben können, wenn darüber berichtet wird. Und sicher
gibt es auch etliche, die diesen Trend begrüßen, wenn sie
ihn kennen, bzw. begrüßen würden, wenn sie davon wüssten.
Letztere sind die Erhabenen, welche die ewige Gesundheit gepachtet zu
haben glauben, die als vermeintliche Privilegierte, sich wohl als "wertvollere"
Menschen dazu berechtigt fühlen, auf andere herabzusehen, ihnen
Lebensqualität und Bürgerrechte absprechen.
Mag sein, dass diese Einleitung bitter oder zynisch klingt. Bitter vielleicht,
aber nicht verbittert. Und schon bittere Speisen haben bei mir immer
ein Übelkeitsgefühl hervorgerufen, eben genau wie die "neuesten
Trends im Assistenz- bzw. Pflegebereich". Gepaart ist dieses Gefühl
jedoch auch mit Wut, Unverständnis und dem Willen, den Entwicklungen
mit aller Kraft entgegenzutreten. Diese breite, negative Gefühlspalette
resultiert aus meiner Beratungstätigkeit in den letzten Monaten,
dem Besuch diverser Tagungen, Werkstattgespräche und vielen anderen
Veranstaltungen, ergänzt durch das Lesen der sich in Vorbereitung
befindenden Texte vom SGB IX, Gleichstellungsgesetz, Änderung des
Schwerbehindertengesetzes etc.
Neue Gesetze kommen
Wir fordern schon lange, dass sich in der Behindertenpolitik etwas
tun muss, damit unsere Bürgerrechte und Gleichstellung gesichert
und bedarfsdeckende Nachteilsausgleiche zur Verfügung gestellt
werden. Und es geschieht jetzt auch einiges, häufig unter dem Deckmantel,
etwas Gutes für uns tun zu wollen und unsere Selbstbestimmung zu
fördern. Und manche Ansätze klingen auch tatsächlich
nicht schlecht. Doch wer genau hinsieht, merkt sehr schnell, dass insbesondere
assistenznehmende Menschen - und hier besonders auch diejenigen mit
hohem Assistenzbedarf - auf der Strecke bleiben.
So sieht das künftige SGB IX keinerlei einkommens- und vermögensunabhängige
Absicherung der Assistenz im Privatbereich aus. Arbeitsassistenz wird
vermutlich insoweit zur Verfügung gestellt, dass der behinderte
Mensch gerade soviel verdienen kann, dass er den Sozialhilfeträgern
nicht zur Last fällt. Es muss sich halt rechnen!
Arbeitgebermodell als sinnvolle Alternative
Dabei wäre es so einfach - und vor allem kostenneutral oder gar
kostensenkend - wenn die Hilfeleistungen, die tatsächlich benötigt
werden, effektiv zur Verfügung gestellt würden. So ist das
Arbeitgebermodell selbst bei Zahlung von Tariflöhnen wesentlich
kostengünstiger als alle anderen Möglichkeiten der Assistenznahme,
es sei denn, es stehen ausreichend ehrenamtliche Helferinnen zur Verfügung.
Wenn die Kosten in einer Anstalt geringer sind als die des Arbeitgebermodells,
kann das nur daran liegen, dass dort nicht annähernd der gleiche
Leistungsumfang zur Verfügung steht. Dies wiederum kann nur mit
Einschränkungen der Selbstbestimmung und damit verbunden dem Verlust
der Lebensqualität der AnstaltsbewohnerInnen einhergehen. Ein ganz
einfaches Rechenbeispiel beweist diese Tatsache: Die Pflegestunde in
einer Anstalt kostet durchschnittlich rund 50 DM, die Assistenzstunde
beim Arbeitgebermodell weniger als 30 DM.
Zivildienst auf dem Abstellgleis
Der Bereich Zivildienst kann/muss in diesem Zusammenhang außer
Acht gelassen werden, da durch die Kürzung der Zivildienstzeit
und der Abbau von zunächst 30.000 Zivildienstplätzen, mit
den Zivis keine Kontinuität in der Assistenz mehr gewährleistet
ist.
Die Kürzungen im Zivildienstbereich bedeuten für viele assistenznehmende
Menschen, auf andere Art und Weise ihren Bedarf decken zu müssen
(siehe auch Pressemitteilung zum Zivildienst auf Seite 56). Für
viele bietet sich dazu das Arbeitgebermodell an. Andere, welche die
damit verbundenen Eigenverantwortung nicht übernehmen können
oder wollen, werden auch künftig auf professionelle Anbieter angewiesen
sein. Daher gilt es auch, nicht dogmatisch auf eine bestimmte Art der
Bedarfsdeckung zu verweisen.
Gegner des Arbeitgebermodells
Doch je mehr behinderte Menschen das Arbeitgebermodell favorisieren
und umsetzen wollen, desto größer wird die Schar derer, die
es ihnen verweigern wollen. Dabei folgt niemand mehr als behinderte
ArbeitgeberInnen den Gesetzestexten, die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung
fordern.
Auch arbeitsmarktpolitisch bietet das Arbeitgebermodell große
Chancen. Es werden Arbeitsplätze geschaffen (häufig mit individuellen
Arbeitszeiten für Menschen, die während der sonst üblichen
Arbeitszeiten nicht arbeiten können), dadurch die Arbeitslosenquote
reduziert, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in die jeweiligen
Kassen gezahlt, anstatt diese zu belasten. Eine von uns erstellte Berechnung
hat ergeben, dass von den Kosten des Arbeitgebermodells gut 50% direkt
wieder der Gesellschaft zugute kommt. Die erhöhte Kaufkraft der
AssistentInnen ist dabei noch nicht berücksichtigt.
Doch die Gegner des Arbeitgebermodells stehen an verschiedenen Fronten.
Zum einen sind es die Kostenträger, die am liebsten gar nichts
bezahlen würden. Sie verweisen unter vollkommener Ignoranz der
Lebensqualität und der Individualität des Einzelnen häufig
auf die billigste Art der Versorgung. Und wenn - wie im Artikel von
Isolde und Elke Hauschild nachzulesen – das Arbeitgebermodell
die einzig mögliche Art der Assistenzsicherung ist, zweifelt flugs
eine Richterin am seit Jahren bestehenden und anerkannten Hilfebedarf,
will sogar den häuslichen Bedarf im Rahmen eines stationären
Aufenthalts in einer neurologischen Klinik ermitteln lassen. Eine äußerst
konkrete Auflistungen der Hilfeleistungen durch die Schwestern zweifelt
sie trotz eidesstattlicher Erklärung kurzum an. Schließlich
leben assistenznehmende Menschen zu Lasten der Gesellschaft, verlangen
stets mehr, als sie benötigen und ihnen nach Meinung der Richterin
zusteht und sollen sich gefälligst bescheiden.
Und da ist die Frau, die wegen einer Poliarthritis auf einen Rollstuhl
angewiesen ist. Bedingt durch einen beginnen Morbus Crohn, einer Entzündung
des Darmes, hat sie täglich mehrfach Durchfall. Der meldet sich,
wie das wohl typisch für Durchfälle ist, nicht Stunden vorher
an. Nun kann die Frau nicht alleine zur Toilette. Ihr seitheriger Helfer
ist selbst psychisch krank, kann und darf ihr eigentlich so gut wie
gar nicht mehr helfen. Doch das zuständige Sozialamt bewilligt
"großzügig" statt der beantragten 11 Stunden gerade
mal 7 Stunden nach dem Arbeitgebermodell. Das sei doch schon sehr viel,
meint die Amtsärztin.
Vorausgegangen ist eine vom Sozialhilfeträger im Rahmen der Mitwirkungspflicht
erzwungene Magen- und eine Darmspiegelung und eine Umstellung auf andere
Medikamente. Leider hat die Frau die neuen Medikamente nicht vertragen:
Sie musste sich tagelang übergeben, die Durchfälle wurden
häufiger und schlimmer, es ist Blut im Stuhl. Dazu der Kommentar
der Ärztin: Sie müssen sich nun mal gedulden. In einem Vierteljahr
müssen sie doch wieder zur Darmspiegelung, um zu sehen, ob sich
ihr Zustand geändert hat.
Vielleicht interessant: Das Gesundheitsamt stand, bevor es in den Zuständigkeitsbereich
des Landratsamtes fiel, dem Antrag auf das Arbeitgebermodell sehr positiv
gegenüber.
Und die Geschichte des 30jährigen Peter Straub, der seit rund drei
Jahren um sein selbstbestimmtes Leben in Freiheit kämpft, kennen
wohl die meisten LeserInnen des INFORUM. Peters Gerichtsverhandlung
vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim findet demnächst statt.
Peter, der sich nach jahrelangem Leben in einer Anstalt freikämpft
hat, der weiß, mit welchen Einschränkungen ein solches Leben
verbunden ist, soll bis zum Tod dorthin zurück? Humanität
und Menschenrechte im Jahre 2000 in Deutschland? In einem Deutschland
mit dem Hintergrund der zunehmend offenbarten Alten- und Pflegeheimskandale?
Der oft noch nicht einmal zur Verfügung gestellten Satt- und Sauberpflege?
Bei all diesen Negativbeispielen sollte nicht unerwähnt bleiben,
dass es auch in der jüngsten Vergangenheit mehrfach gelungen ist,
rund-um-die-Uhr-Assistenzen nach dem Arbeitgebermodell, sogar mit Zahlung
von Tariflöhnen, bewilligt zu bekommen. Die jeweiligen Kostenträger
haben schlicht und einfach die Lebensumstände, Bedürfnisse
und Wünsche der AntragstellerInnen anerkannt und den realen Bedarf
gedeckt.
Dem konträr stehen die Aussagen des Würzburger Sozialdezernenten
Dr. Motsch, der bei einer Podiumsdiskussion der WüSL am 4. Mai
erklärte, mehr als 10.000 DM Kosten (wohlgemerkt incl. Pflegeversicherungsleistungen)
würde die Stadt nicht übernehmen. Ansonsten würde –
auch unter Inkaufnahme der Aufgabe der Selbstbestimmung – auf
eine Anstalt oder das Betreute Wohnen verwiesen.
Behinderte Menschen wieder raus aus der Gesellschaft, ab in die Anstalten?
Es scheint so. Dem gegenüber steht der äußerst positive
Trend von Leistungsanbietern für Menschen mit sogenannten geistigen
Behinderungen. Ob Hephata in Mönchengladbach, die evangelische
Stiftung Alsterdorf in Hamburg oder die Caritas Diözese Augsburg:
Sie alle suchen nach Wegen der Deinstitutionalisierung, nach Wegen zur
Selbstbestimmung und Normalität für das Leben von Menschen
mit sogenannten geistigen Behinderungen. Hier scheint tatsächlich
ein Paradigmenwechsel in der Behindertenarbeit einzusetzen. Bleibt zu
hoffen, dass er nicht unterbunden, sondern sehr forciert wird.
Wohlfahrtsmafia ?
Die Bezeichnung Wohlfahrtsmafia hat sich in den vergangenen Jahren
als Begriff etabliert. Warum das so ist, zeigen die Erfahrungen behinderter
Menschen, die ihr Leben unabhängig der Anbieter von ambulanten
und stationären Leistungen eigenverantwortlich und selbstorganisiert
verbringen können und wollen. In den "sozialerfahrenen Ausschüssen",
die in Widerspruchsverfahren entscheiden sollen, ob eine Antragstellerin
die Assistenz selbst organisieren kann, sitzen häufig genau die
Anbieter der Leistungen. Hier wird also der sprichwörtliche Bock
zum Gärtner gemacht. Denn jeder Mensch, der seine Assistenz selbst
organisiert, ist ein gewinnbringender Kunde weniger. Doch statt sich
zu fragen, warum die AssistenznehmerInnen mit den bestehenden professionellen
Anbietern nicht zufrieden sind und lieber den enormen organisatorischen
Aufwand des Arbeitgebermodells auf sich nehmen, machen diese lieber
(politische) Stimmung dagegen. Diese Stimmungsmache bestätigte
der Bundesbeauftragte für die Belange der Behinderten, Karl-Hermann
Haack, unter anderem am 3. Mai dieses Jahres bei der 1. Behindertenkonferenz
des Kreises Düren. Er selbst stehe hinter dem Arbeitgebermodell,
betonte er. Doch in den Ministerien säßen nach wie vor die
gleichen Beamten wie schon in der vorigen Regierung. Und die seien genau
wie die Wohlfahrtsverbände strikt gegen das Arbeitgebermodell.
Außerdem seien sie allen vernünftigen Argumenten nicht zugänglich.
Der gesellschaftliche Nutzen (auch arbeitsmarktpolitisch) interessiere
sie nicht. Der Druck der Wohlfahrtsverbände sei zu stark.
Also doch Wohlfahrtsmafia? Wer so überzeugt von der Qualität
der eigenen Leistungserbringung ist, muss doch nicht befürchten,
KundInnen zu verlieren. Selbst wir wissen doch, dass diese Anbieter
wohl auch in Zukunft benötigt werden. Nur eben mit anderen, kundenorientierteren
Strukturen und vielleicht in nicht mehr so großer Anzahl.
Wenn es diesen Organisationen tatsächlich - wie sie stets behaupten
– ausschließlich um das Wohl der behinderten, chronisch
kranken und alten Menschen gehen würde, müssten sie deren
Bestrebungen nach Selbstbestimmung unterstützen. Da sie das nicht
tun, sondern im Gegenteil mit allen ihnen zur Verfügung stehenden
Mittel (teils erfolgreich) verhindern wollen, lässt sich nur der
Kehrschluss ziehen. Hier geht es nicht um das Wohl der auf Assistenz
angewiesenen Menschen. Hier geht es ausschließlich um die Sicherung
der eigenen Pfründe, um die eigenen Arbeitsplätze und um Vermögensvermehrung.
Sicher, es gibt immer wieder rühmliche Ausnahmen, wie auch bei
Hephata und Co. vorhergehend erwähnt. Dabei muss bei intelligenter
Betrachtungsweise gar nicht um die Arbeitsplätze der "Fachleute"
gefürchtet werden, denn der Assistenzbedarf verringert sich ja
nicht. Lediglich die Art der Assistenz und der Beratung unterliegt einem
Wandel.
Die Macht der Wohlfahrtverbände muss gebrochen werden. Sie darf
nicht gegen die eingesetzt werden für die sie eigentlich da sein
sollte. Die künftigen neuen Gesetze müssen die Bürgerrechte
und die Gleichstellung fördern nicht ausschließlich unter
dem Kostenaspekt konzipiert werden!
Selbsthilfeorganisationen sind noch stärker in die Gesetzgebungsverfahren
einzubeziehen! Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden,
auch nicht, wenn die Gleichstellung mit Kosten verbunden ist!