Statement unseres Vorstandsmitgliedes Bianka Becker, Jülich
anlässlich der Podiumsdiskussion REHA-Care 2000
Qualitätssicherung in der Pflege
... ein Begriff, der z.Zt. und in der sozialen Entwicklung immer stärker
an Bedeutung gewinnt, insbesondere wenn wir über Strukturen in
den bestehenden ambulanten, teilstationären und stationären
Einrichtungen reden, reflektieren und über neue Perspektiven für
betroffene Menschen nachdenken.
Komplementäre Hilfen, Familienunterstützende Dienste, Netzwerke
verschiedener Unterstützungsdienste... etc. Begriffe, mit denen
Menschen mit Behinderung, Pflegebedürftige und deren Angehörige
in Beratungsstellen oft mundtot geredet werden. Was Menschen häufig
bleibt, ist, sich abzufinden mit dem Entzug von Bürgerrechten (GG),
eigenen Bedürfnissen, Wünschen, Interessen und Zielen.
Die bestehenden Standards, die Träger von Einrichtungen lt. Gesetz
erfüllen müssen, haben wenig gemein mit den o.g. Bedürfnissen
von Menschen, die auf Unterstützungsdienste und andere Hilfestellungen
angewiesen sind.
Menschen mit Behinderung (dazu zähle ich jetzt auch einmal die
Pflegebedürftigen mit ihren eigenen speziellen und sehr unterschiedlichen
Hilfebedarfen) sind in Ihrem Alltag in hohem Maße damit konfrontiert,
ihre umfassenden Beeinträchtigungen zu bewältigen. Das Unterstützungsangebot
bzw. Dienstleistungsangebot in unserer Gesellschaft ist jedoch nicht
bedarfsorientiert, d.h. an den individuellen Bedürfnissen, Wünschen,
Zielen und Fähigkeiten orientiert, sondern richtet sich vielmehr
und überwiegend an einem Menschenbild, das einem Produkt gleicht.
Der Mensch als Objekt wird zum Produkt, das vermarktet wird.
Iris Beck hat sehr eindringlich ausgedrückt: „Aufgabe derSozialpolitik
ist es, auf besondere benachteiligte Lebenslagen mit Hilfen zu reagieren,
dem individuellen Bedarf entsprechen und an den Folgen der Behinderung
für die Lebensführung orientiert sind. Über die Rahmenbedingungen
muss entsprechend mehr als eine reine Existenzsicherung erfolgen, nämlich
Interessensberücksichtigung, die Chance der gleichberechtigten
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Eröffnung von Bewältigungs-
und Gestaltungsmöglichkeiten, Selbsthilfeförderung."
Im Grunde ist dies in unserem Grundgesetz und anderen Sozialgesetzen
durchaus erkennbar, jedoch scheitert es an der Umsetzung, da sich die
Strukturen z.B. von Einrichtungen und ambulanten Diensten meist an einer
Bestimmung von Qualität der Angebote und Leistungen orientieren.
Dies kann aber nur dann sinnvoll und effektiv sein, wenn es im Sinne
des betroffenen behinderten oder pflegebedürftigen Menschen geschieht.
Angebote und Leistungen müssen daher bedarfsorientiert sein und
zur Konsequenz haben, dass sich der Betroffene in seinem Leben wohl
fühlt und seiner Selbstbestimmung nicht strukturell und systematisch
beraubt wird.
In meiner Arbeit in verschiedenen Gremien habe ich immer wieder die
Erfahrung machen müssen, dass die Diskussion um und über qualitative
Weiterentwicklung im Bereich Pflege einseitig interessenorientiert geführt
wird und zwar von Träger- und Finanzierungsseite. Obwohl zum Beispiel
das Landespflegegesetz NRW in § 1 (Ziel) ausdrücklich betont,
dass sich die Struktur an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen
orientieren und in kleinen, überschaubaren und stadtteilbezogenen
Formen unter Beachtung der Grundsätze der Qualitätssicherung
und der Wirtschaftlichkeit entwickeln soll, bleibt die Praxiserfahrung,
dass der Aspekt der Wirtschaftlichkeit einen enormen Diskussionsstellenwert
einnimmt, der umgesetzt wird. Einen Konsens zu erarbeiten und gemeinsam
zu vertreten, was die Bedürfnisse der Betroffenen ausmacht und
darstellt, ist bisher nur sehr unzureichend gelungen.
Obwohl die Medien „Pflegekonferenzen" delegiert sind, diese
Aufgabe wahrzunehmen, ist es nicht erkennbar, dass eine Interessenvertretung
im Sinne der Betroffenen erzielt bzw. angestrebt wird, auch wenn viele,
wenn nicht die meisten Mitglieder in diesen Gremien dies ausdrücklich
vertreten.
In § 2 Absatz 2 des Landespflegegesetzes NRW heißt es z.B.
ebenfalls: Aufgabe der Pflegekonferenzen ist die Mitwirkung bei der
Sicherung der qualitativen Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur
einschließlich der komplementären Hilfen. Dies setzt die
frühzeitige Information über Förderabsichten des örtlichen
oder überörtlichen Trägers der Sozialhilfe voraus.
Allgemeine Erfahrungsberichte der Heimaufsicht sind regelmäßig
in die Beratungen einzubeziehen.
Dies bedeutet, dass die Sozialhilfeträger mit ihren Interessen
im Vordergrund der Entwicklung stehen und nicht die Betroffenen! Stellt
man das Bundessozialhilferecht gegenüber, welches die Einzelfallentscheidung
zulässt, bleibt am Ende: Jeder Betroffene, ob Behinderter oder
Pflegebedürftiger muss sich seine Lebensqualität selbst erkämpfen,
notfalls vor Gericht! Der § 3 und § 3 a sind hier die ausschlaggebenden
Handlungs- und Entscheidungsgrundlagen der Sachbearbeiter und deren
Trägerinteresse.
Die anstehende Diskussion über Lebensqualität und deren zugebilligter
Lebensstandard bleibt wiederum in der Entscheidungsgewalt der Kostenträger.
In Pkt.1.6 in: Die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation,
herausgegeben durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
1998, wird u.a. bezug genommen auf das SGB I , nachdem in § 10
jeder, der körperlich, geistig oder seelisch behindert ist oder
dem eine solche Behinderung droht, unabhängig von der Ursache der
Behinderung ein „soziales Recht" auf die Hilfen zusteht,
die notwendig sind um verschiedene Zustände zu mildern, zu verhüten,
zu beseitigen oder zu verbessern.
Dieses „soziale Recht" ist in der Behindertenpolitik
der Bundesrepublik anerkannt, heißt es weiter in der o.ä.
Herausgabe......
Bleibt weiterhin zu diskutieren und einzufordern, dass dieses Recht
auch umgesetzt wird, vor allem als Zielperspektive in den entsprechenden
Gremien, Ausschüssen und anderen an der Gestaltung und Umsetzung
Beteiligter, die sich die Bedürfnisse und selbstgewählten
Lebensformen der Betroffenen als Maßstab ihrer Entscheidungsgrundlagen
und Entscheidungsrichtlinien zu eigen machen sollten.