Nachstehenden Text haben wir von unserem Mitgliedsverein Zugvogel
e.V. aus Freiburg erhalten. Ein altes Thema wird mal aus einem anderen
Blickwinkel geschildert. Diese Zeilen eignen sich hervorragend für
lokale Aktionen, um bei Passanten Betroffenheit zu erzeugen. Die Erfahrungen
haben ja gezeigt, dass der Eingang in das Bewusstsein anderer Leute
nur durch Betroffenheit gelingt. Dies gilt auch bei Politikern und Medien.
In Freiburg wurde damit eine Unterschriftensammlung verknüpft,
mit der gegen die menschenverachtende Praxis der Pflegeversicherung
Protest erhoben wird. Falls Sie sich in Freiburg direkt beteiligen wollen,
nehmen Sie bitte direkt Kontakt auf.
ARBEITSKREIS - BEHINDERTE - NICHTBEHINDERTE - AKBN
Träger: Zugvogel - Förderverein für Selbsthilfeprojekte
von Menschen mit und ohne Behinderung e.V. Egonstr. 54, 79106 Freiburg
Telefon: 0761/27 64 76, Fax: 0761/27 64 82, e-mail: Hilfsdienst-AKBN@gmx.de
PFLEGEVERSICHERUNG - "DA WERDEN SIE GEHOLFEN"
Sie zahlen doch nicht umsonst monatlich in die Pflegeversicherung und
opfern den Buß - und Bettag ? Dafür wollen Sie doch auch
etwas haben !
Stellen Sie sich dann mal vor:
Sie geraten unter die Räder, leisten sich nun notwendigerweise
einen fahrbaren Untersatz (Rollstuhl) und kommen endlich in den "Genuss"
der Pflegeversicherung.
Ein reichhaltiges Angebot von 18 Leistungspaketen (Modulen) erwartet
Sie.
Leistungspakete im Rahmen der ambulanten Pflegeleistungen nach §
36 SGB XI
Die Leistungsbeschreibungen sind abschließend, es können
auch Teile in Anspruch genommen werden.
Modul Nr. 1 Große Toilette / Bad / Dusche
An-/Auskleiden, Hautpflege, Kämmen, Mundpflege, Zahnpflege, Rasieren,
Waschen / Duschen / Baden inclusive Haarwäsche, Transfer, Bett
machen
Modul Nr. 2 Kleine Toilette
An-/Auskleiden, Hautpflege, Mundpflege, Zahnpflege, Teilwäsche
( im Bett oder am Waschbecken ), Transfer, Bett machen
Modul Nr. 3 Transfer / An- / Auskleiden
Transfer aus dem Bett / ins Bett, An-/ Auskleiden, Bett machen/richten,
nicht abrechenbar gleichzeitig mit Leistungspaketen Nr. 1,2,5
Modul Nr. 4 Hilfe bei Ausscheidungen
Leistungen, die nur von der Pflegefachkraft durchgeführt werden
dürfen, wie Instillation, Blasenspülung, Katheterwechsel und
Stomaversorgung und einfache Hilfen bei Ausscheidungen
Modul Nr. 5 Einfache Hilfen bei Ausscheidungen
An-/ Auskleiden, Hilfe beim Gang zur Toilette, Hilfe bei der Entsorgung
von Erbrochenen, Teilwaschen, Hilfe und Pflege bei der Blasen- und/oder
Darmentleerung
Modul Nr. 6 Spezielles Lagern
Bett machen/ richten, Lagern, Dekubitusprophylaxe ggf. mit Hautpflege
Modul Nr. 7 Mobilisation
Vorbeugen von Gelenkversteifungen durch mehrmaliges Bewegen gefährdeter
Gelenke, Vorbeugen von Lungenentzündungen durch gezielte Atemübungen
Modul Nr. 8 Einfache Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
Aufrichten im Bett, bzw. an den Tisch setzen, Mundgerechtes Portonieren,
Zubereitung eines Warm- bzw. Kaltgetränkes
Modul Nr. 9 Umfangreiche Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
Aufrichten im Bett, bzw. an den Tisch setzen, mundgerechtes Portionieren,
Zubereitung eines Warm- bzw. Kaltgetränkes, Essen und Trinken geben,
Mundpflege bzw. Prothesenpflege, Teilwaschen
Modul Nr. 10 Verabreichung von Sondennahrung
wird nur von der Pflegefachkraft durchgeführt
Modul Nr. 11 Hilfestellung beim Verlassen und Wiederaufsuchen der
Wohnung ( keine Spaziergänge, nicht zu kulturellen Veranstaltungen
)
An-/ Auskleiden im Zusammenhang mit dem Verlassen/Wiederaufsuchen der
Wohnung, Treppensteigen, Begleitung zu Behörden, Ärzten, Einkauf,
Abrechnung pro angefangene 1/4 Std.
Modul Nr. 12 Zubereitung einer einfachen Mahlzeit
Vorbereitung und Zubereitung einer kalten Mahlzeit oder Erwärmen
einer vorbereiteten Mahlzeit, Anrichten, Tisch decken, Aufräumen,
Spülen bezogen auf die Mahlzeit
Modul Nr. 13 Essen auf Rädern/stationärer Mittagstisch
Modul Nr. 14 Zubereitung einer (i.d.R. warmen ) Mahlzeit in der Häuslichkeit
des Pflegebedürftigen
Kochen, spülen, Geschirr aufräumen, Reinigen des Arbeitsbereiches
Modul Nr. 15 Einkauf / Besorgungen
Erstellung eines Einkaufs-/Speiseplans, Einkaufen von Lebensmitteln
und sonst. notwendigen Bedarfsgegenständen der Hygiene und der
hauswirtschaftlichen Versorgung, Besorgungen (Apotheke, Post, Reinigung),
Unterbringung der eingekauften Gegenstände in der Wohnung, Abrechnung
je angefangene 1/4 Std.
Modul Nr. 16 Waschen, Bügeln, Putzen
Die gesamte Pflege der Wäsche und Kleidung ( auch Ausbessern ),
Bügeln und Einräumen der Wäsche, Fensterputzen, Vorhänge
abnehmen, waschen und wieder aufhängen, Reinigen und Abtauen des
Kühlschrankes oder Gefrierschrankes, Reinigen des Haustierkäfiges
Trennung und Entsorgung des Abfalls, Reinigung des Bades,Toilette, Küche,
Staubsaugen, Nassreinigen, Spülen, Staubwischen, Reinigung des
Treppenhauses, Abrechnung je angefangene 1/4 Std.
Modul Nr. 17 Vollständiges Ab- und Beziehen eines Bettes
Modul Nr. 18 Beheizen
Beschaffung und Entsorgung des Heizmaterials, Heizmaterial aufschichten/
einfüllen, anzünden, Asche leeren, Ofen säubern Voraussetzung:
Befeuerung mit Holz, Kohle oder Öl
(gültig ab 01.07.2000)
Von heute auf morgen stehen Sie im Mittelpunkt eines Pflegedienstes.
Sie brauchen sich um nichts mehr zu kümmern, sie werden qualitativ
hochwertig gepflegt und gewartet. Vor Ãœberforderung werden Sie
geschützt; eine Pflegedienstleitung plant, standardisiert, optimiert
und kontrolliert nach der DIN - Norm ISO 2000 ihren Tagesablauf und
Ihr Wohlbefinden.
Na, auf den Geschmack gekommen? Vielleicht haben sie ja auch Glück
gehabt und konnten in ein Haus mit Pflegeangebot umziehen. Jetzt ein
Beispiel:
- 7:30 h Transfer aus dem Bett, Toilettengang, duschen, anziehen [Modul
Nr. 1 und 5] Wenn Sie Glück haben, kommt der Pflegedienst pünktlich.
Schnell aus dem Bett gezerrt und Sie sind sicher wieder im Zeitplan.
- 8:00 h die Pflegefachkraft bereitet das Frühstück [Modul
Nr. 12]
- Schminken Sie sich Ihre Morgenzeitung ab, ein Modul dafür gibt
es nicht....
- 8:15 h frühstücken
- 8:40 h Transfer ins Auto für Fahrt zur Arbeit [kein Modul,
d.h. die Leistung kann nicht über die Pflegeversicherung abgerechnet
werden, muss aber trotzdem bezahlt werden]
Ein netter Nachbar hilft vielleicht, aber nur manchmal, ...., hat der
Zivi heute kein Rückenproblem ?.....
- 9:00 h Transfer aus dem Auto [kein Modul]
Der Arbeitskollege hat es leider heute vergessen.... Sie rufen mit
dem Handy den Pförtner oder Hausmeister.....
Der Arbeitsplatz ist vom Arbeitsamt behindertengerecht eingerichtet.
Mit einigen Anträgen und vielen Beratungsgesprächen und
ganz viel Zeit war das Thema durch......
- 13:00 h Feierabend; Transfer und Rückfahrt [kein Modul]
- 13:30 h Transfer aus dem Auto [kein Modul]
Der Zivi der heute Nachmittagsdienst hat, der ist klasse! Aber wer
kommt, wenn es wie geplant bald keine Zivis mehr geben wird.....?
- 15:00 h Sie müssen mal, Sie wissen schon wohin. Nachdem Sie
den Notruf gedrückt haben, kommt ungefähr innerhalb einer
halben Stunde eine Hilfe, wenn sie Glück haben [Modul Nr. 5]
· Körperbeherrschung sollten Sie inzwischen trainiert
haben, oder vielleicht trinken Sie einfach weniger......
- etc. ..........
Das Leben von Menschen ist mehr als Pflege nach Modulen. Ein Mensch
mit Behinderung oder im Alter ist keine defekte Maschine, die mit Servicemodulen
in Funktion gehalten werden kann. Die Pflegeversicherung geht von einem
standardisierten Tagesablauf aus, den es im Alltag nicht gibt. Die vorhandenen
Module (siehe Anhang) sind nicht auf die Bedürfnisse der jeweiligen
Person zuschneidbar und zum anderen muss die Person dauernd darauf achten,
nicht zu viele Leistungen in Anspruch zu nehmen, da der Finanzrahmen
sonst nicht ausreicht.
Die gängige politische Antwort auf Kritik an der Pflegeversicherung
lautet, dass diese nur als Teilleistung verstanden werden darf. Dies
führt dazu, dass die Pflegeversicherung für die Grundpflege
und hauswirtschaftliche Versorgung zuständig ist, die Krankenversicherung
für die medizinische Versorgung, das Sozialamt für die gesellschaftliche
Integration (Spaziergänge, Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen
etc.) und das Arbeitsamt für die berufliche Integration. Das ist
alles für den Betroffenen nicht einfach zu organisieren.
Der Grundsatz: ambulant vor stationär wird ausgehöhlt. Nicht
der individuelle Bedarf wird zugrundegelegt, sondern allein die Kosten
entscheiden über den Bedarf und diese dürfen - nach der irrigen
Meinung einiger Kostenträger - nicht die Pflegeheimkosten übersteigen.
Wir brauchen ein einfaches pauschaliertes Abrechnungssystem, ähnlich
dem, das schon vor Einführung der Pflegeversicherung im ambulanten
Bereich bestanden hat. Unser Hauptanliegen ist es, mit geringem bürokratischem
Aufwand eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.
Wir möchten eine Änderung der Ausführungsbestimmungen
des Pflegeversicherungsgesetzes erreichen. Das zur Zeit gültige
System ist diskriminierend. Dazu muss das Thema öffentlich gemacht
werden.
Vielen Dank für Ihr Interesse und Engagement. Für Rückfragen
stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Für den Vorstand
Heike Sabine Braun