Widerspruch gegen "richtige" Einstufung
in die Pflegeversicherung
Was sich beim ersten Hinsehen als paradox darstellt, macht dennoch
Sinn. Wer überprüft schon das Gutachten des Medizinischen
Dienstes der Krankenkassen (MDK), wenn die Einstufung in die richtige
Pflegestufe erfolgte und man, frau natürlich auch, durchaus zufrieden
ist? Vordergründig besteht also nicht der geringste Anlass, das
Gutachten genau durchzusehen und trotz richtiger Einstufung Widerspruch
einzulegen. Mehr Leistungen gibt es ja sowieso nicht. Stimmt, die Pflegeversicherung
zahlt bekanntermaßen nur Leistungen der Pflegestufen I, II und
II (sowie bei der III+ die höheren Sachleistungen).
Es kann sich jedoch als fatal erweisen, keinen Widerspruch einzulegen
und Zeiten korrigieren zu lassen, wenn sich ohnehin an der Pflegestufe
nichts ändert. Für diejenigen, die ergänzende Leistungen
durch die Träger der Sozialhilfe benötigen, macht ein Widerspruch
dennoch Sinn. Die Pflegestufe I beginnt zwar schon bei einem Hilfebedarf
von 90 Minuten, endet aber erst bei 179 Minuten. Die Pflegestufe II
beginnt bei 180 und endet bei 299 Minuten, die Pflegestufe III beginnt
bei 300 Minuten und kann (theoretisch) bei 1440 Minuten enden, wo ab
420 Minuten in der Regel die Härteklausel der Pflegestufe 3+ gilt.
Die Träger der Sozialhilfe verweisen zunehmend auf die Bindungswirkung
zur Pflegeversicherung und erkennen als Pflegebedarf oft nur die vom
MDK anerkannten Zeiten an. Richtig ist, dass dieser anerkannte Bedarf
lediglich den Mindestbedarf festlegt. Da die Leistungen der Pflegeversicherung
nach Art (und natürlich auch nach Zeit) der Hilfen gedeckelt sind,
müssen vom MDK auch nur die entsprechenden Hilfen im Gutachten
berücksichtigt werden.
Die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) werden jedoch
nach dem Bedarfsdeckungsprinzip gewährt. Das heißt, jeder
tatsächlich vorhandene Bedarf muss gedeckt (finanziert) werden.
Die Träger der Sozialhilfe dürfen also nicht unter dem vom
MDK ermittelten Bedarf bescheiden. Darüber ist das jederzeit möglich,
sofern der Bedarf besteht.
Alles klar? Nein?
Warum ein Widerspruch trotzdem Sinn machen kann, soll folgendes Fallbeispiel
verdeutlichen:
Frau Meier wurde vom MDK in die Pflegestufe II eingestuft. Der MDK
anerkannte einen Grundpflegebedarf von 130 Minuten täglich und
einen Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung von 70 Minuten täglich
(wohlgemerkt nur dem engen Leistungskatalog der Pflegeversicherung gemäß)
also 200 Minuten insgesamt. Frau Meier benötigt jedoch weiter gehende
Hilfen, die sowohl den Leistungen der Pflegeversicherung entsprechen,
als auch solche, die in den Bereich der Eingliederungshilfen fallen.
Mit den vom MDK anerkannten 70 Minuten für die hauswirtschaftliche
Versorgung kann sie nicht den kompletten Haushalt (Einkaufen, Kochen,
Spülen, Putzen, Wäsche wachern, Bügeln usw.) organisieren.
Als Teilkaskoversicherung deckt die Pflegeversicherung ja stets nur
einen Teil der anerkannten Hilfen. Sofern keine ehrenamtlichen Hilfen
zur Verfügung stehen, müssen die restlichen Kosten anderweitig
finanziert werden!
Da sie nachts keinen Hilfebedarf – und damit keine Chance auf
die Pflegestufe III hat – legt sie keinen Widerspruch gegen die
Einstufung in die Pflegestufe II ein. Die nicht von der Pflegeversicherung
gedeckten Kosten will sie beim Sozialhilfeträger geltend machen.
Dieser wiederum beruft sich auf das Gutachten des MDK und will nur die
Kosten übernehmen, die im Rahmen der von der Pflegeversicherung
anerkannten, jedoch nicht gedeckten Kosten entstehen. Frau Meier macht
geltend, dass sie einen täglichen Bedarf von 210 Minuten im Bereich
der Grundpflege hat und einen Bedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen
Versorgung von 120 Minuten, insgesamt also von 330 Minuten. Da sie jedoch
keinen Widerspruch gegen den Bescheid der Pflegeversicherung eingelegt
hat, anerkannte sie nach Meinung des Sozialhilfeträgers die Einstufung
bzw. die Anerkennung von lediglich 200 Minuten täglich. Folglich
meint dieser (der Sozialhilfeträger) auch nur bis zu dieser Grenze
(ohne Eingliederungshilfe und ohne sonstige Leistungen, die nicht im
Leistungskatalog der Pflegeversicherung anerkannt sind) leisten zu müssen.
Hätte Frau Meier Widerspruch gegen das Gutachten des MDKs eingelegt
und einen höheren Bedarf anerkannt bekommen, hätte dies zwar
nichts an der Pflegestufe geändert, den höheren Bedarf jedoch
schon dort manifestiert.
Nicht immer hat es negative Auswirkungen, keinen Widerspruch einzulegen,
wenn die Pflegestufe ansonsten stimmt. Die Praxis beweist jedoch zunehmend,
dass sich die Träger der Sozialhilfe derart eng an den Bedarfen,
die der MDK anerkannt hat, orientieren, dass ein Widerspruch langwierigen
Verhandlungen und Streiterei mit den Sozialhilfeträgern vorbeugen
kann.
Wer Fragen zum obigen Text hat, kann sich gerne mit ForseA
in Verbindung setzen. Eigene Erfahrungen, die wir (auch anonym) im INFORUM
veröffentlichen können, interessieren uns sehr!