Persönliche Budgets in der Behindertenpolitik
Prof. Dr. Leonhard Hajen
Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Leonhard Hajen
und des Nachrichtendienstes des Deutschen Vereines für öffentliche
und private Fürsorge
Im SGB IX sollen die Regelungen für die Rehabilitation und gesellschaftliche
Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zusammengefasst werden.
Die Bundestagsfraktionen der SPD und der Grünen haben sich in einem
„Eckpunktepapier" vom 28. Dezember 1999 darauf verständigt,
in dem neuen Gesetz die individuellen Wahlmöglichkeiten auszudehnen
und in Anlehnung an Modelle in England, den Niederlanden und Rheinland-Pfalz
Persönliche Budgets zu ermöglichen. Der Referentenentwurf
zum SGB IX vom Oktober 2000 setzt diese Zielvorgabe in den §§
9 und 17 um, indem er bei Leistungen, die eigentlich als Sachleistungen
zu erbringen sind, eine Wahlmöglichkeit für Geldleistungen
einräumt, wenn sie entsprechend effizient und zumindest gleich
wirtschaftlich sind.
Persönliche Budgets sind dadurch gekennzeichnet, dass die individuellen
Bedarfe eines Menschen mit Behinderungen, die durch ambulante Versorgung
befriedigt werden können, ermittelt werden und der entsprechende
Geldbetrag zur persönlichen Verwendung ausgezahlt wird. Der Empfänger
beschäftigt selber Personen für seine persönliche Assistenz
(Arbeitgebermodell) oder nimmt Agenturen als Dienstleister in Anspruch.
Er begründet direkte Ver???u??tragsbeziehungen zu Leistungsanbietern.
Sozialversicherungsträger oder Kommunen als diejenigen, die das
Persönliche Budget finanzieren, treten also gegenüber den
Leistungserbringern nicht mehr als Vertragspartner auf. Mit Persönlichen
Budgets werden drei Ziele verfolgt:
- Mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen
- Höhere Effizienz der Behindertenpolitik
- Größere Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen.
Das Bundessozialhilfegesetz kennt bis auf die im Gesetz ausdrücklich
genannten Pauschalen nur individuell festgestellte Leistungen, die bis
auf die Unterhaltssicherung in der Regel als Sachleistungen erbracht
werden. Aber es schließt Persönliche Budgets als Eingliederungshilfen
nicht aus, wenn das Prinzip der individuellen Bedarfsermittlung gewahrt
bleibt. Die praktische Wahrnehmung ist aber sehr gering. Sie wird von
Bartz/Eisermann auf bundesweit 500 bis 1000 Fälle geschätzt.
Die offizielle Sozialstatistik macht dazu keine Angaben
Die folgende Untersuchung analysiert das Für und Wider von Persönlichen
Budgets für Menschen mit Behinderungen. Ob Persönliche Budgets
schon einen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik einleiten, wie
teilweise formuliert wird, oder ob sie eher eine sinnvolle Ergänzung
bestehender Fördermöglichkeiten darstellen, bei denen Vor-
und Nachteile sorgfältig abzuwägen sind, soll untersucht werden.
Dazu sollen Persönliche Budgets in verschiedenen Begründungszusammenhängen
analysiert werden, und zwar
- in ihrer Bedeutung für die Selbstbestimmung von Menschen mit
Behinderungen,
- in ihrer Funktion in einem System de???u??r Marktsteuerung,
- als Teil des Neuen Steuerungsmodells in der Öffentlichen Verwaltung
und
- in ihrer Anreizwirkung in einem System föderal organisierter
Gebietskörperschaften.
Danach will ich Erfahrungen aus England , den Niederlanden und Rheinland-Pfalz
auswerten, die seit einigen Jahren Erfahrungen mit Persönlichen
Budgets gesammelt haben. Daraus werde ich Schlussfolgerungen für
die Einführung von Persönlichen Budgets in Deutschland ableiten.
Gründe für die Einführung Persönlicher Budgets
Persönliche Budgets als Instrument der Selbstbestimmung
In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien haben Verbände,
in denen behinderte Menschen ihre eigenen Interessen vertreten, eine
sehr viel längere Tradition und größere Verbreitung
als in Deutschland. Deshalb überrascht es nicht, dass die Forderung
nach Persönlichen Budgets in diesen Staaten entstanden ist. Sie
ist Ausdruck des Wunsches behinderter Menschen nach Selbstbestimmung
über ihre Angelegenheiten. Sie fordern damit ein, was jedem Bürger
ohne Behinderung selbstverständlich ist. Durch ihre körperliche,
geistige oder seelische Beeinträchtigung benötigen sie Hilfe,
um die funktionalen Defizite auszugleichen. Das bezieht sich zum einen
auf Unterstützung bei Tätigkeiten, die Behinderte nicht selbständig
ausführen können, wie in Bereichen der Pflege oder Haushaltsführung,
zum anderen auf Hilfen bei der Integration in das soziale Leben, also
die Herstellung von so viel Normalität wie irgend möglich.
Wenn das Ziel Normalität heißt, dann ist jede Form von
Sonderbetreuung in ode???u??r durch Institutionen ein ungeeignetes Mittel,
denn dadurch werden Barrieren gegenüber der Gesellschaft errichtet,
die es gerade zu vermeiden gilt. Die „Indepent-Living-Bewegung"
bzw. im deutschen Bereich die Zusammenschlüsse für „Selbstbestimmtes
Leben" fordern für behinderte Menschen, dass sie in gleicher
Weise wie alle Menschen Anspruch auf Selbstbestimmung in den Bereichen
Wohnen, Partnerwahl, Arbeit oder Freizeit haben. Dazu benötigen
sie persönliche Assistenz, um die bestehenden Defizite auszugleichen.
Der Begriff Assistenz statt Hilfe oder Pflege wird bewusst gewählt,
weil damit ausgedrückt werden soll, dass es nicht um familiäre
oder ehrenamtliche Hilfe geht, sondern um die Möglichkeit der eigenen
Entscheidung, von wem man zu welcher Zeit Unterstützung in Anspruch
nimmt. Die notwendigen Dienstleistungen werden gekauft, wobei die finanziellen
Mittel aus einem Persönlichen Budget kommen, das vom Staat oder
der Kommune refinanziert wird.
Im April 1989 fand in Straßburg ein erstes Treffen eines Netzwerkes
für Independent Living mit Teilnehmern aus europäischen Staaten
statt, das die Ziele dieser Selbstorganisation behinderter Menschen
formulierte:
- Behinderte Menschen sind die besten Experten in eigener Sache.
- Behinderte Menschen fordern die gleichberechtigte Teilnahme am
Leben als Teil ihrer Menschen- und Bürgerrechte ein.
- Persönliche Assistenz ist Teil der Menschen- und Bürgerrechte
und ist für alle Arten von Behinderungen und für alle behinderte
Menschen unabhängig von ihrem Einkommen und Vermögen zu
gewähren.
- Der behinderte Mensch soll üb???u??er seine Lebensbedingungen
und über die Verwendung der Geldmittel für persönlichen
Assistenz entscheiden. Er soll über die Leistungen bestimmen,
nicht die Leistungsanbieter über ihn.
- Das Leben in einer eigenen Wohnung hat Vorrang vor allen anderen
Formen der Versorgung.
Das Persönliche Budget muss so ausgestattet sein, dass wettbewerbsfähige
Löhne und gesetzliche Sozialleistungen für Assistenten gezahlt
werden können und auch die Kosten für eine angemessene Ausbildung
und Verwaltung gedeckt sind.
Das zentrale Mittel zur Realisierung der genannten Ziele ist ein eigenes
Budget, aus dem der Mensch mit Behinderungen die Aufwendungen bezahlt,
die er für notwendig hält. Er ist nicht mehr Empfänger
von Sachleistungen durch ambulante Dienste, in Heimen oder in anderen
Formen der stationären Versorgung, sondern Käufer auf dem
Markt. Davon erwarten die Befürworter eines Persönlichen Budgets,
dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr gezwungen sind, ihre Bedürfnisse
den Dienstplänen von Institutionen der Behindertenhilfe unterordnen
müssen, sondern dass sie darüber entscheiden, welche Person
ihres Vertrauens zu dem von ihnen gewünschten Zeitpunkt eine Dienstleistung
erbringt. Die Hoffnung ist, dass die Freiheit, über Alternativen
selber zu entscheiden und auf dem Markt einzukaufen, Selbstbestimmung
und Flexibilität fördert und gleichzeitig die Ziele der Behindertenpolitik
zu in der Regel geringeren Kosten erreicht werden.
Die Verfügung über Geld und die neue Rolle als Arbeitgeber
gegenüber den Menschen, die Dienstleistungen für ihn erbringen,
führt in die Beziehung die Normalität des Marktes ein. Über
Geld wird Macht und Einfluss verteilt und damit drehen sich die bisherigen
Verhältnisse um: Der behinderte Mensch ist nicht mehr Empfänger
von Leistungen und Objekt von Entscheidungen, sondern er wird zum Subjekt
der Entscheidungen über sein eigenes Leben. Er hat die Möglichkeit
der eigenen Wahl und übernimmt damit Verantwortung für sich.
Diese Form des „Empowerment", also die Stärkung der
Fähigkeit, für sich Wahlentscheidungen treffen zu können,
ist der Kern der „Philosophie" des selbstbestimmten Lebens.
Die erste Voraussetzung für ein Persönliches
Budget ist, dass der Betroffene diese Form der Finanzierung will. Deshalb
kann es nur auf freiwilliger Basis vereinbart werden und eine Rückkehr
zu Sachleistungen sollte möglich sein. Schwierig wird es, wenn
eine geistige oder seelische Behinderung vorliegt, die keine klare Willenserklärung
ermöglicht oder zu besorgen ist, dass der Mensch mit Behinderungen
Entscheidungen trifft, die ihm schaden. Ein Ausweg kann die stellvertretende
Entscheidung der Sorgeberechtigten oder der gesetzlichen Betreuer sein.
Aber auch in diesem Fall möchte die „Independent-Living-Bewegung"
eine Beteiligung der Selbstorganisation von Behinderten, um in einem
Beratungs- und Verhandlungsprozess sicherzustellen, dass dem Anspruch
auf Selbstbestimmung so weit wie möglich Rechnung getragen wird.
Gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden mit Behinderungen können
Eltern der Gefahr erliegen, ihre Kinder in einer Weise zu behüten,
die ihnen den Weg in größere Selbständigkeit verbaut.
Die zweite Voraussetzung ist, dass der Mensch mit Behinderungen
auch in der Lage ist, das Persönliche Budget zu verwalten. Das
ist nicht einfach, denn die neue Rolle als Arbeitgeber verlangt, dass
Arbeitskräfte selber gefunden und angeleitet werden müssen.
Die Regeln des Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrechtes müssen
eingehalten und über die Verwendung der Mittel muss ein Nachweis
geführt werden. In der Regel wird eine professionelle Hilfe notwendig
sein, die ebenfalls aus dem Persönlichen Budget zu finanzieren
ist. Persönliche Budgets erfordern, das zeigen die bisherigen Erfahrungen,
ein Netzwerk zur Unterstützung, in dem sich vorzugsweise behinderte
Menschen untereinander helfen, weil sie Bedarfe und Probleme am ehesten
beurteilen können. In England und den USA hat deshalb die Beratung
durch „Peers", das sind Betreuer von gleichartiger Betroffenheit
und durch Zentren für „Independent Living" eine große
Bedeutung. Sie stellen eine ergänzende Beratungsebene dar, wenn
die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Nutzers eines personenbezogenen
Budgets eingeschränkt ist.
Die dritte Voraussetzung für ein Persönliches
Budget ist eine Refinanzierung aus öffentlichen Kassen oder durch
Träger der Sozialversicherung, denn die wenigsten Betroffenen sind
aufgrund ihrer Behinderung in der Lage, die Assistenzleistungen aus
eigenem Einkommen oder Vermögen zu finanzieren. In diesem Fall
steht der Anspruch auf Selbstbestimmung in einem Konflikt zu der Notwendigkeit,
dass die Institutionen, die aus Beiträgen der Versicherten oder
aus Steuermitteln Zahlungen leisten, über die Verwendung Rechenschaft
ablegen und zwischen konkur???u??rierenden Ansprüchen auf knappe
Haushaltsmittel Entscheidungen treffen müssen. Deshalb muss in
einem gesetzlich geregelten Verfahren entschieden werden, welche Ansprüche
behinderter Menschen sozialrechtlich anerkannt werden und zu Leistungen
führen sollen.
Wenn die Voraussetzung „Wille und Fähigkeit" erfüllt
ist, spricht zunächst einmal einiges dafür, die Leistungsprozesse
über den Markt zu organisieren, also über ein Persönliches
Budget Kaufkraft zuzuteilen und die Verwendungsentscheidungen den Nutzern
des Budgets zu überlassen. Der Markt hat sich bei privaten Konsumgütern
als das überlegene Regulierungsinstrument erwiesen, um die Wünsche
von Verbrauchern und Produzenten zu koordinieren. Beide sind für
die Folgen ihres Handelns selber verantwortlich und deshalb wird durch
den Wettbewerb Druck ausgeübt, effiziente Lösungen zu realisieren.
Unter den Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs würden Angebot und
Nachfrage über den Preis gesteuert und es würde sich ein Preis
einstellen, bei dem die Wünsche der Konsumenten mit den Plänen
der Produzenten übereinstimmen.
Die Bereitstellung einer Leistung durch den Staat oder die Kommune kann
nicht mit gleicher Effizienz wie im Marktmodell gewährleistet werden,
weil der pauschalierte Bedarf und die Art und Höhe seiner Befriedigung
durch Institutionen festgelegt werden. Bezogen auf ein Individuum kann
es im Vergleich zu einer Marktlösung eine Über- oder eine
Unterversorgung geben, was unter Effizienzgesichtspunkten schlecht ist.
Beispielweise kann ein Mensch mit Behinderungen zu hohen Kosten in einem
Heim untergebracht sein, obwohl er eine Betreuung rund um die U???u??hr
nicht benötigt. Eine eigene Wohnung setzt aber voraus, dass ihm
Assistenzleistungen zur Verfügung stehen, um die Dinge zu erledigen,
die er nicht selbstständig leisten kann. Die a-priori Überlegenheit
einer Marktlösung und damit Persönliche Budgets als das bessere
Instrument bei der Finanzierung von Leistungen für behinderte Menschen
gilt aber nur dann, wenn auch die Voraussetzungen für Wettbewerbsmärkte
erfüllt sind und der Preis seine Steuerungsfunktion wahrnehmen
kann. Ob das zutrifft, soll im nächsten Abschnitt diskutiert werden.
Höhere Effizienz durch Marktsteuerung
Die Vorstellung, dass der Markt ein Entscheidungsverfahren ist, in
dem über Preise letztlich durch die Wünschen der Konsumenten,
in unserem Fall also der Nutzer eines Persönlichen Budgets, das
Angebot gelenkt wird, ist verführerisch. Damit wäre neben
der individuellen Bedürfnisbefriedigung unter Wettbewerbsbedingungen
auch gewährleistet, dass die Leistungen zu den geringsten Kosten
produziert werden. Bei der Vergabe eines Persönlichen Budgets müsste
sich der Zuwendungsgeber um den effizienten Einsatz der Mittel keine
Gedanken machen, weil sie durch den Markt gesichert wäre. Nur:
Die Wirklichkeit der Märkte weicht von dem theoretischen Referenzmodell
ab, so dass die Attraktivität des Modells eines Persönlichen
Budgets eingeschränkt wird. Die Zuwendungsgeber müssen also
weiterhin nicht nur über die Höhe des Budgets entscheiden,
sondern auch, ob die Verwendung den sozialpolitischen Ziele entspricht
und nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit gehandelt wird.
Die neoklassischen Marktmodelle unterstellen ausnahmslos, dass ???u??bei
den Käufen und Verkäufen auf Märkten keine Transaktionskosten
auftreten, d.h. die Kosten der Information über Angebot und Nachfrage,
die Kosten der Vertragsanbahnung und des Vertragsabschlusses, die Kontrolle
der vertragsgerechten Leistung und die Durchsetzung von Sanktionen bei
Vertragsabweichungen sollen Null sein. Diese Annahmen sind auch auf
normalen Märkten fragwürdig und bekommen von Ökonomen
gerne das Etikett „heroisch", aber sie sind offensichtlich
falsch für einen Markt für persönliche Assistenzleistungen.
Tauschprozesse auf Märkten sind ein Lernprozess, bei dem Käufer
und Verkäufer immer wieder neu erproben, ob ein Gut zu dem vorherrschenden
Preis ihren Erwartungen entspricht. Wettbewerb funktioniert dann, wenn
es viele Anbieter und viele Nachfrager gibt und eine Vielzahl von Transaktionen
getätigt werden, so dass sich als Ergebnis ein Gleichgewichtspreis
herausbildet. Persönliche Assistenzleistungen sind aber keine „Erfahrungsgüter"
in dem Sinne, dass innerhalb relativ kurzer Frist viele Käufe bei
verschiedenen Anbietern getätigt werden, wobei ein Urteil über
die Qualität gewonnen wird, sondern die Besonderheiten dieser speziellen
Dienstleistungen bei intimen Aufgaben in der sensiblen Umgebung der
eigenen Wohnung erfordern ein besonderes Vertrauensverhältnis,
das unter den Bedingungen des Marktes bestenfalls unvollkommen erreicht
werden kann.
Die Informationskosten, welche Anbieter die gewünschten Leistungen
erbringen und die Kosten der Rekrutierung entsprechender Arbeitskräfte,
sind in der Regel hoch. Die fehlende Transparenz des Angebotes könnte
dadurch gemildert werden, dass Zertifizierungsv???u??erfahren für
Anbieter eingeführt werden, die damit ein Gütesiegel für
die Qualität wichtiger Strukturmerkmale bekommen, aber das wären
Formen des regulierten Marktzugangs und staatlicher Intervention, die
sowohl dem Idealbild des Wettbewerbs widersprechen als auch dem Selbstverständnis
der „Indepent-Living-Bewegung", die die Betroffenen als
die besten Experten in eigener Sache sieht. Die Höhe der Transaktionskosten,
d.h. der Aufwand an Geld und Zeit, um zu einem Vertragsabschluss zu
kommen, wird viele potentielle Nutzer eines personenbezogenen Budgets
von dieser Form der Finanzierung abhalten. Die Nutzung eines institutionellen
Angebotes, was nicht mit stationärer Pflege gleichzusetzen ist,
sondern auch ambulante Dienste umfasst, kann im Zweifelsfall höhere
Versorgungssicherheit mit geringeren Transaktionskosten verbinden.
Angebot und Nachfrage gleichen sich nur dann bei einem bestimmten Preis
aus, wenn sie sich in der Nähe eines Gleichgewichtes befinden.
Wenn z. B. wegen des beschränkten Einkommens, aus dem die Nachfrage
finanziert werden muss, nur ein Preis realisiert werden kann, der unter
dem Mindestpreis liegt, zu dem ein Anbieter überhaupt bereit ist,
ein Gut herzustellen, kommt es zu keinem Angebot und die Nachfrage bleibt
unbefriedigt. Der gleiche Effekt kann eintreten, wenn das Angebot an
Gütern nicht beliebig teilbar ist und eine Mindestgröße
der Produktion erreicht sein muss, bevor auf dem Markt angeboten wird.
Genau diese Eigenschaften sind aber typische Merkmale eines Marktes
für Assistenzleistungen, der sich durch Professionalität der
Anbieter und durch große Flexibilität in der Verfügbarkeit
auszeichnen soll. Wenn man unterstellt???u??, dass die Anbieter von
Assistenz nicht weniger verdienen wollen als Arbeitnehmer in Pflegeberufen,
dann müssen sie entweder bei mehreren Personen Assistenzleistungen
erbringen, was der Flexibilität Grenzen setzt, weil wie bei einem
Angebot durch Institutionen verbindliche Zeitpläne vereinbart werden
müssen, oder die hohe Zeitverfügbarkeit muss im Stundenpreis
entgolten werden, was die Leistung teuer macht. Für Assistenzleistungen
ist der Markt zudem regional begrenzt, weil die Dienstleistung nur am
Wohnort des behinderten Menschen erbracht werden kann, so dass sich
in ländlichen Regionen zusätzliche Probleme ergeben, Angebot
und Nachfrage in Ãœbereinstimmung zu bringen. Neben den hohen Transaktionskosten
dürfte bei einem Arbeitgebermodell im Rahmen des Personengebundenen
Budgets der kritische Punkt sein, ob überhaupt ein Angebotsmarkt
entsteht, der den Nachfragern Wahlmöglichkeiten bietet, oder ob
die Abhängigkeit von institutionellen Anbietern durch neue Abhängigkeiten
von einem oder wenigen Anbietern persönlicher Assistenzleistungen
ersetzt wird.
Für den „Markt" für persönliche Assistenzleistungen
gilt wie für alle pflegerischen Dienstleistungen, dass sie weniger
durch ein Marktmodell beschrieben werden können, als durch eine
Prinzipal-Agent-Beziehung, in der es darauf ankommt, den Auftragnehmer
auf die Interessen des Auftraggebers zu verpflichten. Der Markt funktioniert
in der Regel nicht wie im Lehrbuch, sondern neben den oben diskutierten
Transaktionskosten führen strukturelle Faktoren wie Marktzugang,
Zahl der Anbieter und das Problem, Qualität und Outcome zu beurteilen,
zu Abweichungen vom Marktmodell. Zusätzlich gibt ???u??es Informationsasymmetrien,
d.h. Finanzierer können schwer beurteilen, ob Leistungen notwendig
sind und tatsächlich erbracht werden. Ein Ausweg ist dann, auf
Sachleistungen zurückzugreifen, die von Institutionen erbracht
werden, zu den eine Vertrauensbeziehung besteht. Zumindest kann hier
der Output, wenn schon nicht der Outcome, besser bewertet werden. Soweit
es sich um Anbieter aus dem Non-Profit-Bereich handelt, besteht auch
ein gewisser Vertrauensvorschuss, der nicht berechtigt sein muss, aber
erklären kann, warum die Sachleistung gegenüber der Geldleistung
bei staatlichen oder kommunalen Trägern eine Präferenz genießt.
Bei Wohlfahrtsverbänden, Stiftungen oder anderen gemeinnützigen
oder kirchlichen Trägern, die nicht gezwungen sind, auf eingesetztes,
privates Kapital eine Rendite zu erwirtschaften, wird eher vermutet,
dass sie ihre Leistungen so erbringen, dass die Empfänger den größten
Nutzen daraus haben.
Neue Steuerungsmodelle in der öffentlichen Verwaltung und Persönliche
Budgets
Steuerung über den Haushalt
Der Markt ist aus den oben diskutierten Gründen ungeeignet, persönliche
Assistenz wirtschaftlich und effektiv zur Verfügung zu stellen.
Aber auch staatliche Bereitstellung ist kein Königsweg zu Effektivität
und Wirtschaftlichkeit, weil Staatsversagen an die Stelle von Marktversagen
treten kann. Öffentliche Versorgung heißt zunächst nichts
anderes, als dass an die Stelle von marktlichem Wettbewerb und Steuerung
über Preise ein politisches Verfahren tritt, in dem über Bedarfe
und ihre Finanzierung entschieden wird. Ãœber das Ergebnis ist damit
nichts gesagt.
Traditionelles ???u??staatliches Handeln ist konditionale Lenkung durch
Gesetze und Verordnungen. Der Entscheidungsprozess ist von oben nach
unten hierarchisch strukturiert, die Regierung ist als Spitze der Verwaltung
durch Wahlen demokratisch legitimiert. Die Verwaltung ist entlang der
unterschiedlichen Leistungsgesetze gegliedert. Der Vorteil dieses Systems
ist, dass Ansprüche klar definiert und durch Gesetz und Verordnung
festgelegt sind. Es begrenzt Willkür und ermöglicht eine Kontrolle
von oben nach unten, ob die Mittel für die beschlossenen Zwecke
ausgegeben wurden. Der Nachteil „bürokratischer Herrschaft"
besteht darin, dass sie auf die Vielzahl von individuellen Problemen
nicht reagieren kann, sondern zu schematischen Lösungen greifen
muss, so dass kreative Lösungen nicht gefördert werden, weil
die „gesetzestreue" Aufgabenerledigung Vorrang hat. Die
Kommunikation findet nicht horizontal statt, also zwischen den dezentralen
Verwaltungseinheiten, die zur Problemlösung beitragen sollen, sondern
in der Regel vertikal über Vorgesetzte, so dass abgestimmtes Handeln
bezogen auf den Einzelfall zum Problem werden kann. Wenn Leistungsansprüche
für behinderte Menschen in unterschiedlichen Gesetzen geregelt
sind, wie z. B. in Deutschland im Pflegegesetz und im Bundessozialhilfegesetz,
bedeutet das auch getrennte Sachbearbeitung und verschiedene Verantwortlichkeit.
Der Verwaltungsprozess ist nicht so strukturiert, dass er einheitlich
auf die Bedarfe eines Klienten ausgerichtet ist, der auch nur einen
Ansprechpartner hat, sondern er ist arbeitsteilig nach der Gliederung
der Leistungsgesetze aufgebaut.
Das Entscheidungskriterium bei traditioneller Steuerung ist im Zweifelsfall
nicht, ob eine Aufgabe so er???u??ledigt wird, dass sie die vorab definierten
Ziele erfüllt, sondern ob die Mittel rechtmäßig ausgegeben
werden. Der Prozess ist input- und kontrollorientiert, nicht outputorientiert,
d. h. es wird kontrolliert, ob das Geld bestimmungsgemäß
verwendet wird, nicht ob die verfolgten Ziele erreicht werden.
Für Max Weber ist bürokratische Herrschaft nicht die empirische
Beschreibung eines Ist-Zustandes, sondern ein Ideal, das sich von vordemokratischen
Formen der Herrschaft abgrenzt. Diese „ideale" Herrschaft
besteht darin, dass Rechte und Pflichten Ergebnisse eines politischen
Prozesses sind und die Verwaltung diese Beschlüsse frei von Eigeninteresse
und ohne Ansehen der Person quasi mechanisch umsetzt.
Das Ideal scheitert an der Wirklichkeit, weil die sozialen Beziehungen
so komplex sind, dass es nicht gelingt, alle Probleme im Sinne einer
konditionalen Steuerung vorwegzunehmen und in Regeln zu gießen.
In einem politischen Prozess werden Ziele nur ausnahmsweise so operationalisiert,
dass sie Entscheidungen steuern und die Ergebnisse kontrolliert werden
können. Politische Entscheidungen sind vielmehr ein permanenter
Aushandlungsprozess über die Finanzierung und die Verwendung von
öffentlichen Ausgaben, der ungemein erleichtert wird, wenn die
verfolgten Ziele allgemein formuliert werden. Das beschworene Prinzip
der Steuerung von oben nach unten und der Kontrolle von Einzelmaßnahmen
über die dafür eingesetzten Haushaltsmittel ist dann allerdings
nicht länger durchführbar. Für die öffentliche Verwaltung
müssen deshalb neue Steuerungsmodelle entwickelt werden, die eine
Kontrolle der öffentlichen Finanzen durch die Parlamente ermöglichen,
aber ohne die traditionelle Form der kleinteiligen Ausgabenkontrolle.
Beispielsweise ist das Ziel der Integration behinderter Menschen in
die Gesellschaft so allgemein formuliert, dass dem von keiner gesellschaftlich
relevanten Gruppierung widersprochen würde. Auf der Handlungsebene
ist es aber nichtssagend, denn der Streit entsteht über die Höhe
und die Art der Verwendung von öffentlichen Mitteln für Integrationsmaßnahmen.
Dabei sind zwei extreme Entscheidungsalternativen denkbar: Entweder
staatliche Institutionen nehmen für sich in Anspruch, am besten
zu wissen, wie behinderte Menschen in die Gesellschaft integriert werden
können und stellen entsprechende Mittel für ambulante und
stationäre Hilfen zur Verfügung, oder die behinderten Menschen
bzw. ihre Vertreter definieren selber, was sie zur Integration in die
Gesellschaft brauchen. Der Staat stellt dann die finanziellen Mittel
in Form eines Persönlichen Budgets zur Verfügung, über
dessen Verwendung für den Einkauf von Assistenz die Menschen mit
Behinderungen selber entscheiden.
In der Realität wird die Lösung zwischen den beiden Extremen
zu suchen sein. Der Staat wird bei seinen Entscheidungen die Wünsche
von Menschen mit Behinderungen, ihrer Verbände und anderen professionellen
Rat einbeziehen, aber er wird umgekehrt nicht darauf verzichten wollen,
über die Höhe der Ausgaben und ihre wirtschaftliche Verwendung
selber zu entscheiden, weil eine Politik zum Ausgleich von Behinderungen
in Konkurrenz zu anderen Ansprüchen an den öffentlichen Haushalt
steht und Teil des politischen Aushandlungsprozesses ist. Im folgenden
soll untersucht werden, ob Reformen des öffentli???u??chen Sektors,
die unter den Ãœberschriften Neues Steuerungsmodell, Leistungsbezogene
Budgets oder New Public Management in Deutschland und vielen anderen
Ländern vorangetrieben werden, mit der Einführung von Personengebundenen
Budgets für Menschen mit Behinderungen vereinbar sind, oder sie
sogar fördern können.
In allen europäischen Ländern und vielen anderen Staaten dieser
Erde ist in den letzten zehn Jahren ein Prozess der Verwaltungsmodernisierung
begonnen worden, der die traditionelle, inputorientierte Steuerung durch
eine Ergebnissteuerung ersetzen will. Dabei ist das Ziel, die angestrebten
Wirkungen von staatlichen Maßnahmen messbar und politisch bewertbar
zu machen, um so zu rationaleren Entscheidungen zu kommen. Rational
heißt hier, dass nicht kontrolliert werden soll, ob dass Geld
wie beschlossen ausgegeben wurde, sondern ob die formulierten Ziele
erreicht wurden. Bei der politischen Entscheidung soll Ressourcenaufwand
und der erzielte Ertrag in Beziehung gesetzt werden, um die Maßnahme
auszuwählen, die bei gleichem Zielerreichungsgrad mit geringsten
Kosten zu realisieren ist. Die Leistungen im öffentlichen Sektor
sind allerdings schwer zu messen, wenn es sich nicht um leicht quantifizierbare
Größen wie der entsorgte Müll gemessen in Tonnen handelt,
also Güter, die heute überwiegend von kommunalen Versorgungsbetrieben
angeboten werden.
Erfolg oder Misserfolg einer Maßnahme ist auch nicht immer eindeutig
zurechenbar und erfordert gerade bei Dienstleistungen im Bildungs- und
Sozialbereich die aktive Mitwirkung der Betroffenen, wenn das erwünschte
Ergebnis erreicht werden soll. Deshalb wird pragmatisch richtig aber
theoretisch wenig überzeugend als Leistungsgröße nicht
der Outcome, also die Wirkung, sondern der Output, also die Leistung
der Verwaltungseinheit gewählt, die sie alleine beeinflussen und
kontrollieren kann. Indikator für den Outcome bei dem Ziel Integration
behinderten Menschen ist beispielsweise die Zahl der Sozialkontakte
außerhalb der eigenen Wohnung oder des Heimes. Leichter zu messen
und zu beeinflussen ist hingegen der Output gemessen in Stunden, die
für Pflege oder Betreuung aufgewendet werden. Der Unterschied zwischen
Output und Outcome ist vor allem dann wichtig und kann zu gänzlich
anderen Entscheidungen führen, wenn es um Kostenvergleiche geht,
weil ein Vergleich nur dann sinnvoll ist, wenn auch im Hinblick auf
das gleiche Ziel verglichen wird.
Die Neuen Steuerungsmodelle haben in allen Ländern im Kern ein
vergleichbares Bündel von Instrumenten. Sie unterscheiden sich
nach der jeweiligen Verwaltungstradition und der Bedeutung wohlfahrtsstaatlicher
Versorgung und vor allem dadurch, ob sie ausschließlich oder überwiegend
auf die Binnenmodernisierung des staatlichen Sektors gerichtet sind,
oder ob auch das Verhältnis zwischen Staat und Bürger durch
ergänzende Formen der Partizipation neu begründet werden soll.
Binnenmodernisierung
Binnenmodernisierung zielt auf größere Effektivität
und Effizienz, indem statt der bisherigen inputorientierten Haushaltsplanung
und -beschlussfassung produktorientierte Budgets aufgestellt werden,
die eine Transparenz der Leistungen ermöglichen sollen. Nicht mehr
die Bindung der Mittel für einzelne Zwecke dominiert, sondern die
aufgabenbezogenen Teilbudgets werden „globalisiert", wodurch
???u??eine weitgehende Freiheit in der Verwendung der Mittel eingeräumt
wird. Die Legislative verzichtet auf die Detailsteuerung über einzelne
Haushaltstitel und räumt der Exekutive eine sehr viel größere
Entscheidungsfreiheit ein, die die Autonomie der Verwaltung von politischen
Einzelentscheidungen erhöht.
Das zweite Element des Neuen Steuerungsmodells ist die Dezentralisierung
von Aufgaben, so dass die Aufgabe, die Kompetenz für den Ressourceneinsatz
und die Verantwortung für das Globalbudget in einer Hand liegen
(AKV-Prinzip). Outputorientierung und Globalisierung von Budgets wirft
für Parlamente die Frage auf, wie sie kontrollieren, ob die gewünschten
Ziele erreicht werden. In vergleichbarer Weise stellt sich für
die Verwaltungsspitze das Problem. Sie muss kontrollieren, dass die
dezentralen Einheiten, die in der Tendenz dazu neigen, eigene Interessen
zu entwickeln, die zentralen und damit politisch definierten Vorgaben
einhalten. Die Lösung ist ein intensives Controlling und Berichtspflichten.
Für die Einführung von Persönlichen Budgets bedeutet
ein Wechsel des Steuerungsmodells, dass in einem Produktbudget idealerweise
alle Leistungen für behinderte Menschen enthalten sind und in Form
von Leistungsbeschreibungen die Ziele der Behindertenpolitik so operational
beschrieben werden, dass sie Verwaltungshandeln steuern und die Zielerreichung
überprüfbar ist. Das Persönliche Budget ist dann lediglich
ein Instrument unter vielen, dass seinen Erfolg beweisen muss. Wenn
die zugrundeliegenden Leistungsgesetze direkte Zahlungen in Form Persönlichen
Budgets zulassen, dann besteht zumindest haushaltsrechtlich im Neuen
Steuerungsmodell kein Hindernis für eine Einführung, was den
Prozess beschleunigen kann. Tatsächlich kann es Widerstand geben,
weil die Reform der öffentlichen Verwaltung ein langwieriger Prozess
ist, der ein radikales Umdenken sowohl in der Legislative als auch in
der Exekutive erfordert. Das Neue Steuerungsmodell verteilt Handlungsmacht
um: Innerhalb der Verwaltung von der zentralen zur dezentralen Ebene,
zwischen Politik und Verwaltung von der Politik zur Verwaltung. In dem
Maße, wie Controlling und eine transparente Kosten- und Leistungsrechnung
nicht ausreichend entwickelt sind, wird es auch starke Kräfte geben,
die die Instrumente der traditionellen Steuerung verteidigen, weil man
nicht auf vermeintlich bewährte Kontrollinstrumente verzichten
will, solange die neuen nicht vorhanden sind.
Das dritte Element der Neuen Steuerungsmodelle ist eine Kosten- und
Leistungsrechnung auf der Basis der kaufmännischen Buchführung.
Outputorientierte Globalbudgets und ein Verwaltungscontrolling können
auch ohne eine Kosten- und Leistungsrechnung eingeführt werden,
aber die Verwaltungsmodernisierung bleibt dann ein Torso, weil zu einer
rationalen Entscheidung über Ausgabenprogramme auch das Wissen
gehört, wie viel eine Leistung kostet. Traditionelle Kameralistik
erfasst nur die jährlichen Ausgaben, die im Budget veranschlagt
werden und ignoriert, welcher Aufwand in der Rechnungsperiode zusätzlich
entsteht. Dazu gehören zumindest die Abschreibungen auf Investitionen,
kalkulatorische Mieten und Rückstellungen für künftige
Risiken wie die Altersversorgung der Beschäftigten. Dabei muss
kein Perfektionismus betrieben werden, weil auch die Kosten des Rechnungswesens
in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutz???u??en stehen müssen,
aber die Wirtschaftlichkeit einer Alternative wie stationäre versus
ambulante Versorgung kann nur beurteilt werden, wenn den Leistungen
die Kosten gegenübergestellt werden.
Gerade wenn neue Instrumente wie ein Persönliches Budget erprobt
werden sollen, wird eine rationale Entscheidung durch den Vergleich
von Kosten und Leistungen erleichtert. Sie zwingt Befürworter und
Gegner dieses neuen Instrumentes, ihre Argumente empirisch überprüfbar
zu machen. Ein Zahlenvergleich kann Entscheidungen nicht ersetzen, sondern
nur unterstützen, denn gerade bei Serviceleistungen für Menschen
mit Behinderungen ist immer zu bedenken, dass nicht alles, was wichtig
ist, auch quantifizierbar und messbar ist. Bei jeder Gegenüberstellung
von Kosten und Leistungen besteht aber die Gefahr, dass nur erfasst
wird, was sich in Geld ausdrücken lässt.
Viertens soll im Neuen Steuerungsmodell der Wettbewerb als ein kreatives
Verfahren genutzt werden, um Effektivität und Effizienz zu verbessern.
Besonders in angelsächsischen Ländern ist das mit einer klaren
Trennung zwischen der Finanzierung einer öffentlichen Aufgabe und
der Leistungserstellung im öffentlichen Sektor verbunden. Der Staat
soll dafür sorgen, dass eine Aufgabe wahrgenommen und finanziert
wird, aber er soll die Produktion der Leistung dem Wettbewerb des Marktes
überlassen. Das kann heißen, dass
- Versorgungseinrichtungen materiell privatisiert werden, also ein
privater an die Stelle des öffentlichen Eigentümers tritt,
- formell privatisiert wird, d. h. es wird eine private Rechtsform
für ein Unternehmen im öffentlichen Eigentum gewählt,
- eine Mischung aus privaten und öffentlichen Anbietern gewählt
wird, die sich aber dem Wettbewerb stellen müssen, z. B. durch
die Ausschreibung von Versorgungsleistungen.
Das Neue Steuerungsmodell will den Wettbewerb der Anbieter um Aufträge
nutzen, um zu besseren Lösungen zu kommen. Die angestrebte Trennung
zwischen Käufer und Anbieter wird bei einem Persönlichen Budget
gewährleistet, so dass in dieser Hinsicht die Anforderung des Reformmodells
voll erfüllt wird. Der Nutzer des Persönlichen Budgets entscheidet,
was er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse auf dem Markt einkauft.
Damit gelten aber auch die Einschränkungen zu den Kosten des Entscheidungsprozesses,
die im vorhergehenden Abschnitt im Zusammenhang mit Marktentscheidungen
diskutiert wurden.
Das Neue Steuerungsmodell beschränkt sich schließlich nicht
auf eine Neuorganisation des Haushaltsverfahrens, sondern konsequent
zu Ende gedacht muss die Organisation der Verwaltung dem neuen Denkansatz
angepasst werden, weil nicht mehr die Transparenz der Institution und
die Kontrolle der Haushaltsmittel den Steuerungsprozess prägen,
sondern die Verwaltungsprozesse sollen so gesteuert werden, dass sie
die „Kundenwünsche" in den Mittelpunkt stellen und
die Struktur der Verwaltung dieser Neuorientierung des Ablaufprozesses
anzupassen ist.
Kundenorientierung kann nicht schlicht vom privaten auf den öffentlichen
Sektor übertragen werden, denn der Bürger ist nicht nur Kunde,
sondern er muss auch hoheitliche Eingriffe hinnehmen, was schlecht mit
dem Begriff des Kunden und der Konsumentensouveränität zusammenpasst.
Der Bürger ist auch Steuerzahler, woraus sich eine vollkommen andere
Interessenlage als in seiner Rolle als Leistungsempfänger ergeben
kann. Eben deshalb ist der politische Prozess ein Verhandlungsprozess,
der durch andere Kriterien gekennzeichnet ist, als die Beziehung zwischen
Käufer und Verkäufer auf dem Markt. Richtig bleibt an der
Überlegung, dass der Bürger und seine durchaus unterschiedlichen
Bedürfnisse und Ansprüche an die Verwaltung der Maßstab
sein muss, ob Aufgaben gut oder schlecht erledigt werden. Verwaltung
sollte so organisiert sein, dass behinderte Menschen einen Ort in der
Leistungsverwaltung haben, wo ihre Angelegenheiten erledigt werden.
Angesichts der zersplitterten Aufgabenverteilung in der Behindertenpolitik
auf Träger der gesetzlichen Sozialversicherung und staatliche sowie
kommunale Institutionen ist das für die Verhältnisse der Bundesrepublik
Deutschland eine fast utopische Forderung. Das neue SGB IX will zumindest
eine integrierte Beratungsinstanz auf regionaler Ebene schaffen, was
schon ehrgeizig ist, weil es entsprechende Beratungskompetenz voraussetzt.
Aber das Ziel des Neuen Steuerungsmodells ist vernünftig, Verwaltungsprozesse
auf den Kunden auszurichten und den Verwaltungsaufbau entsprechend zu
gestalten, und zwar unabhängig davon, ob dies mit Persönlichen
Budgets verbunden wird. Persönliche Budgets liegen aber voll in
der Logik der Verwaltungsmodernisierung.
Mehr Partizipation
Die Binnenmodernisierung des öffentlichen Sektors ist ein wichtiger
Schritt der Verwaltungsreform, aber sie lässt zwei Probleme ungelöst,
die auch im Zusammenhang der Einführung Persönlicher Budgets
relevant sind. Der Staat hat nicht nur ein Effizienzproblem, sondern
er ???u?? hat auch ein Legitimationsproblem, das sich in allen entwickelten
Ländern an sinkenden Wahlbeteiligungen und geringerem Engagement
in politischen Parteien ablesen lässt. Das kann gerade für
Sozialpolitik, die Schwachen helfen will und auf Umverteilung angewiesen
ist, zu erheblichen Konsequenzen führen, weil einer allgemeinen
Staatskritik nicht selten die Kürzung von Sozialleistungen folgt.
Zum zweiten erweist sich eine demokratische Kontrolle von oben nach
unten sowohl bei traditioneller Steuerung als auch beim Neuen Steuerungsmodell
als schwierig. Eine Antwort auf beide Probleme ist eine Strategie, den
Bürger mehr an Entscheidungen zu beteiligen und ihm Wahlmöglichkeiten
- über Wahlen zu Parlamenten und Gemeindevertretungen hinaus -
einzuräumen. Das können Formen der Volksgesetzgebung wie Bürgerbefragungen
oder Volksentscheide sein, das können aber auch konkrete Auswahlmöglichkeiten
bei der Inanspruchnahme staatlichen Leistungen sein. Dazu muss es eine
Angebotsstruktur geben, die eine Auswahl tatsächlich ermöglicht
und damit zu einem Wettbewerb unter den Leistungsanbietern führt.
Der Bürger als Kunde der Verwaltung muss teilweise durch gezielte
Maßnahmen wie Beratung oder andere Formen der Unterstützung
in die Lage versetzt werden, die Wahlmöglichkeiten tatsächlich
zu erkennen und zu nutzen. Diese Strategien des „Empowerment",
also die stärkere Partizipation des Bürgers in öffentlichen
Angelegenheiten, um seine individuellen Wahlmöglichkeiten zu erhöhen
und dadurch die Legitimation staatlicher und kommunaler Politik zu verbessern,
wird vor allem in skandinavischen Ländern erfolgreich erprobt.
Wenn der Prozess des Empowerment der Bürger erfolgreich ist, kann
darüber auch das Kontrollproblem besser gelöst werden, weil
die Zielerreichung nicht mehr nur durch das Verwaltungscontrolling überprüft
wird, sondern der Leistungsempfänger kontrolliert Quantität
und Qualität und sanktioniert schlechte Leistungen dadurch, dass
er den Anbieter wechselt. Persönliche Budgets entsprechen dem Ansatz,
den Bürger stärker zu beteiligen und ihm Wahlmöglichkeiten
zu geben. Hier wie dort ist Empowerment aber auch mit Kosten der Entscheidungsfindung
und Ãœberwachung des Leistungsgeschehens verbunden. Diese Kosten
entfallen nicht deshalb, weil sie nicht mehr beim Staat anfallen, sondern
sie werden vom Bürger getragen und sind in ihrer Höhe von
seiner Fähigkeit bestimmt, die eigenen Angelegenheiten zu organisieren.
Auf jeden Fall müssen diese Kosten in die Abwägung einbezogen
werden, wenn traditionelle Steuerungsverfahren durch Formen des Empowerment
ersetzt oder ergänzt werden sollen.
Empowerment ist Teil einer umfassenderen Strategie zur Modernisierung
des Staates, die nicht in der neoliberalen Tradition steht, die staatliche
Tätigkeit zugunsten von Marktsteuerung verringern will, sondern
danach fragt, wie die gesellschaftlichen Aufgaben am besten erledigt
werden können. Das kann der Markt und individuelle Verantwortung
sein, das kann Versorgung auf unterschiedlichen Ebenen des Staates von
der Kommune über Regionen, dem Nationalstaat oder supra-nationale
Organisationen sein, dass können aber auch Versorgungsformen im
Non-Profit-Sektor oder ehrenamtliche Arbeit sein.
In der angelsächsischen Diskussion hat sich für den Prozess
der Verlager???u??ung von Kompetenzen auf andere Verantwortungsbereiche
der Begriff „Devolution" durchgesetzt, der häufig in
die deutsche Sprache übernommen wird, weil Übersetzungen noch
mehr Verwirrung stiften. Er beinhaltet mehr als eine Dezentralisierung
von Entscheidungen, weil er auch die Abgabe von Kompetenzen „nach
oben" an supra-staatliche Organisationen als Antwort auf zunehmende
Globalisierung umfasst, aber er meint auch eine Stärkung der Zivilgesellschaft,
die Aufgaben weder durch den Markt noch durch den Staat erledigen will,
sondern durch einen dritten Sektor zwischen Markt und Staat. Devolution
kann auch bedeuten, dass Aufgaben unmittelbar in die Verantwortung der
Bürger (zurück-)gegeben werden. Wenn der Begriff für
die Verlagerung von Aufgaben auf andere Staatsebenen oder Kommunen verwendet
wird, ist damit inhaltlich gemeint, dass dezentral erledigt werden soll,
was dezentral erledigt werden kann, also das Subsidiaritätsprinzip,
das in Deutschland eine der tragenden Säulen der Sozialpolitik
ist. Das Prinzip gilt auch für die unterschiedlichen Ebenen der
Gebietskörperschaften, wo jeweils die Aufgaben der Ebene zugeschrieben
werden, die sie alleine lösen kann.
Persönliche Budgets können Teil einer umfassenderen Strategie
sein, die zivilgesellschaftliche Organisation in der Behindertenpolitik
zu stärken, indem den Menschen mit Behinderungen größere
Verantwortung für ihr eigenes Leben gegeben wird und die ehrenamtliche
Unterstützung und Beratung bei Beantragung und Verwaltung des Budgets
mobilisiert wird. Wie jede Politik, die den Staat und insbesondere den
Sozialstaat neu definieren will, setzt sich eine Strategie der Devolution
dem Vorwur???u??f aus, sie wolle unter dem Mantel von Reformen lediglich
die Ausgaben kürzen. Die Absicht ist jedenfalls sehr viel grundsätzlicher:
Staatliches Handeln soll neu legitimiert und der Bürger mehr in
die Verantwortung genommen werden.
Persönliche Budgets sind nicht geeignet, auf kurzfristige Haushaltsprobleme
zu reagieren. Dennoch ist der zeitliche Zusammenhang von Verwaltungsreformen
und Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor nicht zu übersehen.
Es gibt viele Stimmen, die Reformen überhaupt nur unter dem Druck
von Finanzierungsdefiziten für durchsetzbar halten. Die Beispiele
von gelungenen Reformen in relativ reichen Kommunen sollten aber davor
bewahren, dies zu einem unumstößlichen Prinzip zu erklären.
Beispiele sinnvoller Reformbemühungen, die gescheitert sind, weil
gleichzeitig der Spardruck die Motivation der Betroffenen zerstört
hat, dürften auch nicht gering sein. Jedenfalls ist die finanzielle
Lage von Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträgern
eine wichtige Rahmenbedingung für die Realisierungschancen von
Persönlichen Budgets. Die Aussicht auf Einsparungen kann den Reformprozess
in Richtung Persönlicher Budgets beschleunigen, auch wenn Einsparungen
nicht das Hauptmotiv für Veränderungen sind. Umgekehrt sollte
die Perspektive von Sparbeiträgen nicht zur Diffamierung des Instrumentes
als Sparmaßnahme führen, weil es für Menschen mit Behinderungen
auch neue Handlungsspielräume erschließen kann.
Persönliche Budgets und öffentliche Haushalte
Mit wenigen Ausnahmen haben alle entwickelten Staaten im letzten Jahrzehnt
das Problem wachsender Finanzierungsdefizite der öffentlichen Haushalt???u??e
gehabt und eine Politik der Haushaltskonsolidierung betrieben. Zeitlich
fiel das mit der Einführung des Neuen Steuerungsmodells zusammen,
auch wenn kein unmittelbarer Sachzusammenhang besteht. Effizienz- und
Legitimationsprobleme sind auch dann zu lösen, wenn die öffentlichen
Kassen gut gefüllt sind. Die Globalisierung von Budgets und die
Dezentralisierung von Verantwortung sind vernünftige Reformen,
und zwar unabhängig von der Kassenlage, weil sie zu einer besseren
Aufgabenerfüllung führen.
Gleichzeitig sind globalisierte Haushalte aber auch ein sehr viel wirksameres
Instrument, auf zentraler Ebene beschlossene Haushaltskürzungen
effektiv durchzusetzen. Das muss kein Sparen nach dem „Rasenmäherprinzip"
sein, wo alle Budgetansätze um den gleichen Prozentsatz gekürzt
werden, sondern die Festlegung von Prioritäten und Posterioritäten
kann durch differenzierte prozentuale Kürzungen erfolgen. Welche
konkrete Leistung gekürzt wird, kann dann dezentral entschieden
werden, wo auch die größere Sachkenntnis zu vermuten ist,
an welcher Stelle mit den geringsten Auswirkungen auf die vorgegebenen
Ziele gespart werden kann. Persönliche Budgets folgen der gleichen
Logik und können ein Instrument der Konsolidierungspolitik sein,
da bei notwendigen Kürzungen die Betroffenen am ehesten entscheiden
können, was verzichtbar ist. Diese instrumentelle Seite von Globalbudgets
und Persönlichen Budgets führt bei Betroffen nicht selten
zu Ablehnung des Steuerungsinstrumentes, weil man Sparmaßnahmen
zu Lasten von z.B. Menschen mit Behinderungen nicht Vorschub leisten
will. Das verwechselt allerdings Ursache und Wirkung, denn das Ausgabenniveau
wird dadurch bestimmt, wie viel Geld eine Gesellschaft für z. B.
Integrationsmaßnahmen zur Verfügung stellen will. Der Weg
der Verwendung dürfte diese Prioritätensetzung wenig beeinflussen.
Das Neue Steuerungsmodell formuliert Ziele und stellt den Verwaltungseinheiten
in Form von Globalbudgets finanzielle Ressourcen zur Verfügung.
Mit welchen Maßnahmen die Ziele erreicht werden, soll - zumindest
in der Theorie, tatsächlich gibt es eine Politikverflechtung -
der Verwaltung überlassen bleiben. Das Persönliche Budget
ist dann ein Instrument, das unter den Bedingungen begrenzter Haushaltsmittel
nur dann zum Einsatz kommt, wenn es den Rahmen der bisherigen Etatansätze
nicht übersteigt. Das muss nicht für den Einzelfall gelten,
denn die Feststellung eines individuellen Bedarfs sollte unverändert
der Ausgangspunkt für die Bemessung eines Persönlichen Budgets
sein. Aber es ist politisch wenig aussichtsreich, eine neue Finanzierungsform
anzustreben, wenn bei gleichem oder ähnlichem Zielerreichungsgrad
mehr Geld ausgegeben wird. Deshalb ist eine aussagefähige Kosten-
und Leistungsrechnung hilfreich, um rational über alternative Maßnahmen
zu entscheiden. Am ehesten kann eine Ersparnis erwartet werden, wenn
Persönliche Budgets eine stationäre Versorgung vermeiden helfen.
In der Bundesrepublik ist der Vorrang der ambulanten Versorgung in §3a
BSHG gesetzlich vorgegeben, so dass die relevante Abwägung zwischen
Leistungen nach dem Sachleistungsprinzip oder Persönlichen Budgets
stattfindet.
Eine wichtige Ursache unwirtschaftlichen Handelns kann die Verteilung
von Aufgaben- und Finanzierungsverantwortungen auf unterschiedliche
Gebietskörperschaften oder Träger der Sozialversicherung sein.
Wenn die Art einer Maßnahme, beispielsweise ob ein Mensch mit
Behinderungen stationäre oder ambulante Versorgung in Anspruch
nimmt, zu unterschiedlichen Finanzierungsfolgen führt, besteht
ein starker Anreiz, die eigene Zahlungspflicht abzuwälzen und Leistungsansprüche
so zu definieren, dass andere Institutionen die Versorgung sicherstellen
müssen, auch wenn das nur zu höheren Kosten möglich ist.
Ein Beispiel ist die Zuständigkeit der überregionalen Träger
der Sozialhilfe für die stationäre Unterbringung, was es aus
der Sicht einer einzelnen Kommune im Hinblick auf den eigenen Haushalt
attraktiv macht, bei einem Antragsteller zugunsten einer stationären
Unterbringung statt ambulanter Versorgung zu entscheiden, um so die
Kosten zu verlagern. Die Verteilung von Zuständigkeiten und Finanzverantwortungen
sollte dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz folgen, d. h. dass
Entscheidung und Finanzierung in der gleichen Hand liegen, um keine
falschen Anreize zugunsten eines unwirtschaftlichen Versorgungsangebotes
zu setzen. Persönliche Budgets können dann eine Lösung
sein, wenn die Bedarfe und die Höhe des Budgets unabhängig
von Trägerinteressen festgestellt werden und eine Refinanzierung
der individuellen Budgets anteilig durch die unterschiedlichen Träger
erfolgt. Die bessere Lösung wäre, die institutionelle Verantwortung
so zu ordnen, dass „Verschiebebahnhöfe" vermieden werden,
aber das ist im Vergleich zum Persönlichen Budget der schwierigere
Weg, weil Eigeninteressen der betroffenen Organisationen Innovationen
in diese Richtung behindern.
Zus???u??ammenfassend ist festzuhalten, dass Persönliche Budgets
ein sinnvolles Teilelement des Neuen Steuerungsmodells im öffentlichen
Sektor sind. Sie können Rationalisierungsreserven erschließen
und dazu beitragen, Effektivität und Effizienz der Behindertenpolitik
zu verbessern, aber sie stärken auch die Rolle des Bürgers,
indem sie ihm Wahlmöglichkeiten einräumen und vom reinen Leistungsempfänger
zum Subjekt von Entscheidungen machen. Persönliche Budgets können
auch die Wirtschaftlichkeit erhöhen, wenn die Verteilung von Aufgaben-
und Finanzverantwortung auf unterschiedliche Körperschaften die
falschen Anreize setzt. Persönliche Budgets setzen aber voraus,
dass potentielle Nutzer diese Form der Finanzierung freiwillig wählen
und in der Lage sind, das Budget selber zu verwalten, was auch mit Kosten
verbunden ist, die gegen die Kosten der traditionellen Steuerung abzuwägen
sind. An Beispielen aus England, Holland und Rheinland-Pfalz sollen
im folgenden Abschnitt Erfahrungen mit Persönlichen Budgets analysiert
werden.
Erfahrungen mit Persönlichen Budgets
In England, den Niederlanden und in Rheinland-Pfalz gibt es seit wenigen
Jahren Erfahrungen mit Persönlichen Budgets, die bei allen Unterschieden
in den gesetzlichen und materiellen Rahmenbedingungen doch einige Schlussfolgerungen
erlauben, was bei der weiteren Entwicklung von Persönlichen Budgets
in Deutschland berücksichtigt werden sollte.
England
Leistungsanspruch
In England gibt es mit dem „Community Care (Direct Payments)
Act 1996" für die Kommunen eine gesetzliche Ermächtigung
(keine Verpflichtung!), im Falle einer anerkannten Behinderung direkte
Geldleistungen (Direct Payments) an die Leistungsempfänger zu zahlen,
die die bisherigen ambulanten Leistungen der Gemeinde ganz oder teilweise
ersetzen. Vor diesem Zeitpunkt waren Persönliche Budgets nicht
zulässig, wobei eine Reihe der kommunalen Gebietskörperschaften
einen Weg am Rande des gesetzlich Zulässigen beschritten hatten,
indem sie Zahlungen an unabhängige Träger geleistet haben,
die ihrerseits die Zuwendungen an die Hilfeempfänger in Form individueller
Budgets weitergeleitet haben (Third Party Payments). Direct Payments
ersetzen keine Einkommenstransfers für den Lebensunterhalt oder
Leistungen des staatlichen Gesundheitsdienstes, sondern sie treten ganz
oder teilweise an die Stelle kommunale Integrationshilfen für behinderte
Menschen, sind also vergleichbar mit unseren Eingliederungshilfen nach
Bundessozialhilfegesetz. Die Zahlung erfolgt in Abhängigkeit von
den persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen
und kann zu Zuzahlungen oder Abschlägen führen.
Die neue Form der Hilfeleistung fügt sich ein in die englische
Diskussion einer Verwaltungsmodernisierung, die in der Thatcher-Ära
begonnen hat und den Staat auf seine Kernaufgaben zurückführen
will. Dazu gehörte eine weitgehende Trennung der Gewährleistung
und Finanzierung staatlicher Aufgaben auf der einen Seite und der Produktion
der dazu notwendigen Güter und Dienstleistungen auf der anderen
Seite, die im Wettbewerb in Form von verbindlichen Ausschreibungen privaten
oder öffentlichen Anbietern übertragen werden. Die staatlichen
Aufgaben sollen dezentralisiert werden und damit den Bürgern mehr
Möglichkeiten eingeräumt werden, über alternative Angebote
zu entsc???u??heiden. Gleichzeitig forderten Verbände der Behinderten
für ihre Mitglieder, dass über Persönliche Budgets eine
größere Freiheit eingeräumt wird, ihr eigenes Leben
autonom zu gestalten. Bei der Regierung verband sich mit der Einführung
von Personengebundenen Budgets die Erwartung, dass eine stationäre
Versorgung vermieden wird und auf diese Weise Kosten eingespart werden
können. Wenn auch mit unterschiedlichen Motiven, so gab es doch
ein gleichgerichtetes Interesse nach einer Reform der Leistungsfinanzierung
für behinderte Menschen. Das staatliche Interesse ist wiederum
nicht identisch mit den Interessen der Kommunen, die das „operative
Geschäft" betreiben und die bisher für Leistungserstellung
und Qualitätskontrolle verantwortlich waren. Für die Kommunen
können Persönliche Budgets zu Einsparungen im Etat führen,
aber andererseits auch mit Kompetenzverlust und Stellenabbau verbunden
sein.
Das 1996 beschlossene Gesetz, das seit April 1997 umgesetzt wird, definiert
„Direct Payments" als Zahlungen kommunaler Gebietskörperschaften
an Individuen, für die ein Hilfebedarf nach den gesetzlichen Vorschriften
für „Community Care" anerkannt wurde („assessed
as needing community care"). Die Art der Behinderung spielt in
dem verabschiedeten Gesetz keine Rolle und der Hilfebedarf ist individuell
festzustellen. Ursprünglich waren nur Menschen zwischen 18 und
65 Jahren antragsberechtigt, mittlerweile sind auch die Senioren einbezogen.
Ausgeschlossen sind weiterhin unter 18jährige, für die auch
die Eltern nicht als Antragsteller auftreten können. Diskutiert
wird, die Antragsberechtigung auf 16-18???u??jährige und Eltern
behinderter Kinder zu erweitern.
Ziel des Gesetzes ist, Menschen mit Behinderungen ein Höchstmaß
an Wahlmöglichkeiten zu geben, damit sie ihr Leben selbstbestimmt
gestalten können. Die Kommune stellt in einem „Assessment-Verfahren"
den individuellen Bedarf an Hilfeleistungen fest. Sie muss insbesondere
beurteilen, ob der Antragsteller den Willen hat und in der Lage ist,
ein Budget verantwortlich zu verwalten. Die kommunale Sozialdienststelle
trifft darüber mit dem Empfänger eine Zielvereinbarung. Der
Zweck des Gesetzes ist die Stärkung der Selbstbestimmung, deshalb
kommt es nicht darauf an, ob von dem behinderten Menschen jede mit dem
Budget verbundene Aktivität selbst ausgeführt werden kann,
z.B. Vertragsabschlüsse oder Kostennachweise, oder ob er dafür
Hilfe benötigt. Ausschlaggebend ist, ob eine eigenständige
Wahl getroffen werden kann. Der Mensch mit Behinderungen kann dann über
den Geldbetrag verfügen, indem er entweder selbst als Arbeitgeber
auftritt und die notwendigen Dienstleistungen einkauft, oder indem er
einen oder mehrere Verträge mit Agenturen abschließt. Die
Bezahlung von Verwandten oder Partnern aus Mittel des Budgets ist dabei
ausgeschlossen, um keine neuen Abhängigkeiten zu begründen.
Das Budget kann für Zwecke verwandt werden, die dem Budgetempfänger
ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, also für Hilfen im
Haushalt ebenso wie für Unterstützung im Beruf, in der Ausbildung
oder der Freizeit („Personal and domestic tasks inside and outside
the home") . Ausdrücklich ausgeschlossen sind Zahlungen für
eine stationäre Unterbringung, die länger al???u??s vier Wochen
dauert, weil das Gesetz Alternativen zur Heimunterbringung fördern
will. Es muss ein Verwendungsnachweis der Geldmittel geführt werden,
aber ansonsten ist der Zahlungsempfänger für die Verwaltung
der Mittel voll verantwortlich und muss auch selber dafür sorgen,
dass die vereinbarten Leistungen mit der notwendigen Qualität erbracht
werden.
Auf ein Persönliches Budget besteht kein Rechtsanspruch, sondern
es ist eine Ermessensleistung der Kommunen, die sie im Rahmen ihrer
finanziellen Möglichkeiten realisieren. Das bisherige Budget für
Maßnahmen der Behindertenpolitik bildet dabei eine faktische Obergrenze,
wobei bei der individuellen Budgetzumessung durchaus von den vergleichbaren,
individuellen Kosten einer stationären Unterbringung abgewichen
werden kann. Das Gesetz formuliert, dass in einem Vergleich Effektivität
und Kosten betrachtet werden müssen, also die Ziele einer Integrationsmaßnahme
ausdrücklich Teil der Abwägung sind, nicht nur ein Kostenvergleich
zwischen ambulanter und stationärer Unterbringung (Best Value).
Die Kommunen haben die gesetzliche Ermächtigung, Persönliche
Budgets einzuführen, heute fast flächendeckend genutzt.
In einer Befragung des Londoner Policy Studies Institute aus dem Jahr
1997 gaben noch 52% der kommunalen Gebietskörperschaften an, dass
sie über keinerlei Direktzahlungen verfügen, immerhin 31%
wählten den Weg von „Third Party Payments", also den
Umweg über zwischengeschaltete Institutionen und lediglich 6% hatten
ein Verfahren von „Direct Payments", also Persönliche
Budgets in dem hier verwendeten Sinn. Auf der Basis einer Befragung
der kom???u??munalen „Social Service Departments" aus dem
Sommer 2000 wird berichtet, dass 80% der Gebietskörperschaften
Persönliche Budgets (Direct Payments) anbieten, wobei auch die
Kommunen ohne Budgets eine Einführung planen, so dass in Kürze
ein fast vollständiges Angebot bestehen wird. Insgesamt verfügten
in England 3 612 Personen über ein Persönliches Budget (Basis
ist hier noch das alte Gesetz, so dass nur die 18-65jährigen erfasst
sind). Hinter diesen Zahlen verbergen sich regionale Unterschiede im
Hinblick auf die Zahl der Empfänger (beispielweise bildet Hampshire
mit 400 Personen die Spitze, in North Yorkshire sind es hingegen nur
98), aber auch im Hinblick auf die Art der Behinderung (so haben 22
von den insgesamt 171 Gebietskörperschaften Menschen mit geistigen
Behinderungen ausgeschlossen).
Erfahrungen
1997 hat das Institut for Policy Studies Gebietskörperschaften
und Behindertenorganisationen über die Erfahrungen mit „Direct
Payments" befragt, um daraus Empfehlungen für die Einführung
und effizientes Management von Personengebundenen Budgets abzuleiten.
Die Hauptkritikpunkte bezogen sich dabei auf Finanzierung, die Qualitätskontrolle,
das Assessment-Verfahren und die Beratung der Antragsteller.
Finanzierung
Es gibt Probleme der richtigen Kostenbemessung und der Kostenkontrolle
im Sinne einer haushaltsrechtlichen Prüfung, ob die Mittel für
die vorgesehenen Zwecke verwendet wurden. Maßstab für die
Bestimmung der Höhe des Persönlichen Budgets sind die notwendigen
Kosten, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die
Kosten werden ermittelt, indem der Zeitaufwand für die Hilfen best???u??immt
wird und mit dem durchschnittlichen, regionalen Lohnsatz für vergleichbare
Tätigkeiten oder mit den Stundensätzen anderer Versorgungsformen
multipliziert wird. Die Obergrenze des individuellen Budgets wird durch
die vergleichbaren Kosten einer anderen Versorgungsform, z.B. der Kosten
für „Community Care" bestimmt. Die Ermittlung dieser
Kosten wirft keine neue methodischen Probleme auf. Schwierig ist es
hingegen, die Höhe der Zusatzkosten für Personalrekrutierung,
Urlaubsvertretungen, Sozialbeiträge, Versorgung bei Notfällen,
Fahrtkosten und für Managementkosten angemessen zu ermitteln. Es
besteht Einigkeit, dass diese „Overhead-Kosten" in einem
Persönlichen Budget mit veranschlagt werden müssen, aber es
werden in den Kommunen sehr unterschiedliche Wege beschritten.
Alle Gebietskörperschaften verlangen, dass für das Persönliche
Budget ein gesondertes Bankkonto geführt wird, die meisten verlangen,
dass alle Geschäfte unbar abgewickelt werden, was die Kontrollmöglichkeiten
sehr erleichtert. Die Verwendungsnachweise werden von den „Case
Managern" in den Sozialdiensten der Kommunen, oder aber von speziellen
„Independent Living Managern" überprüft, so dass
eine Haushaltskontrolle gewährleistet ist. Die Kommunen erklären
ausnahmslos, bürokratischen Aufwand so gering wie möglich
halten zu wollen, von den betroffenen Leistungsempfängern wird
die Nachweispflicht aber häufig als zu aufwendig empfunden.
- Qualitätskontrolle
Die Kommune sollte sich nicht aus jeglicher Qualitätskontrolle
zurückziehen, sondern sie sollte auch nach einem Assessment-???u??Verfahren
regelmäßig überprüfen, ob die vereinbarten Leistungen
angemessen sind, oder ob sich der Hilfebedarf des Leistungsempfängers
verändert hat. Ebenso sollte sich die Kommune davon überzeugen,
dass Qualitätsstandards eingehalten werden.
- Assessment-Verfahren
Wenn eine Kommune ein Assessment-Verfahren wegen eines Antrages auf
„Community Care" durchführt, sollte immer gleichzeitig
geprüft werden, ob die Voraussetzungen für ein Persönliches
Budget gegeben sind. Der Antragsteller sollte darüber aufgeklärt
werden und ihm sollte Beratung angeboten werden. Die größten
Probleme bestehen bei der Bedarfsfeststellung, wie die Fähigkeit
beurteilt wird, eigenständig zu entscheiden und ein Budget zu
verwalten. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die größten
Schwierigkeiten nicht darin liegen, ein Budget zu „managen",
denn dafür kann man auch Hilfe in Anspruch nehmen, sondern die
Funktion als Arbeitgeber auszufüllen und die konkrete Arbeit
anzuleiten. Gerade bei Menschen mit geistigen Behinderungen ist Fähigkeit
und Wille zur Nutzung eines Persönlichen Budgets keine statische
Größe, sondern sie hängen in starkem Maße von
den Unterstützungsangeboten ab.
- Beratung
Beratung und Unterstützung sind wichtige Einflussfaktoren, die
über die Wahl eines Persönlichen Budgets entscheiden. Beratung
durch von der Verwaltung unabhängige Personen, z.B. durch Vertreter
von Behindertenorganisationen oder „Peers", also Personen
in vergleichbarer Lebenslage, sollte schon in der Pha???u??se der
Antragstellung erfolgen und das Assessment und den Einigungsprozess
über die Höhe des Budgets begleiten. Es gibt in den Kommunen
in der Regel kein formalisiertes Verfahren, aber die Beratung wird
als wichtig angesehen, wobei die Kommunen mit eigener Erfahrung mit
Persönlichen Budgets diesen Punkt doppelt so häufig als
einen Problempunkt nennen wie Kommunen ohne eigene Erfahrung, was
ein Hinweis ist, der Unterstützungsstruktur besondere Aufmerksamkeit
zu widmen. Es überrascht nicht, dass die Vielfalt der bestehenden
Unterstützungsangebote in einer Region mit der Zahl der Empfänger
eines Personengebundenen Budgets steigt.
Von den befragten Kommunen wurde auch als ein Problem benannt, dass
es durch Persönliche Budgets zu Ungerechtigkeiten gegenüber
den Beziehern von kommunalen Leistungen kommen kann, weil sie aus ihrem
Budget Leistungen finanzieren können, die „Community Care"
nicht ermöglicht. Das Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit
und Flexibilität sollten aber nicht zu Lasten der Flexibilität
gelöst werden, sondern eher Ansporn sein, dass kommunale Angebot
aufzufächern. Zu den Befürchtungen gehört auch, dass
die finanziellen Anforderungen an die Kommunen steigen. Einerseits könnte
aus den individuellen Assessment-Verfahren die Summe der Ansprüche
größer sein als aus dem begrenzten Kommunaletat finanzierbar,
andererseits haben die Kommunen Angst, eine Doppelstruktur finanzieren
zu müssen, weil Einrichtungen der „Community Care"
vorhanden sind oder vorgehalten werden müssen, aber künftig
weniger ausgelastet werden, aber gleichzeitig neue Leistungsanbieter
zu bezahlen sind. Dies???u??e Bedenken können die anfängliche
Zurückhaltung der Kommunen bei der Einführung von Persönlichen
Budgets erklären. Sie dürften auch für die deutsche Kommunen
gelten, die sich allerdings in einer anderen Situation befinden, weil
sie sehr viel weniger selber Anbieter von Leistungen sind, sondern überwiegend
in der Rolle als Zuwendungsgeber für private oder gemeinnützige
Träger. Das nach drei Jahren der Praxis nahezu flächendeckende
Angebot von Persönlichen Budgets in England ist aber ein Indikator,
dass vorhandene Zweifel kein Grund sind, auf ein Angebot zu verzichten.
Dazu beigetragen hat sicher auch, dass die Zahl der Empfänger von
Personenbezogenen Budgets gering ist und von den Kommunen über
ihre Assessment-Verfahren gesteuert werden kann, weil die Kommunen über
die Vergabekriterien entscheiden.
Die Betroffenen selber äußern sich überwiegend positiv,
wenn man die Ergebnisse einer schriftlichen Umfrage unter 122 Personen
in Essex, die eine hohe Rücklaufquote von 70% hatte, als Maßstab
nimmt. Danach ergab sich eine hohe Zufriedenheit, weil es größere
Wahlmöglichkeiten gab und das eigene Leben flexibler nach den eigenen
Wünschen gestaltet werden konnte. Kritik wurde an den Verwendungsnachweisen
und dem damit verbundenen bürokratischen Aufwand geübt.
Niederlande
Leistungsanspruch
In den Niederlanden können behinderte Menschen seit 1995 ein
Persönliches Budget beantragen. Es gibt keine besondere Pflegeversicherung,
sondern die Alternativen sind Sachleistungen der Krankenversicherung
oder der kommunalen Fürsorge. Es gibt drei unterschiedliche Formen
für ein Pers&oum???u??l;nliches Budget:
- Pflege und Versorgung (häusliche Pflege)
- Pflege geistig Behinderter
- Psychische Begleitung (zur Zeit drei Modellprojekte).
Das Persönliches Budget soll behinderten Menschen eine gleichwertige
Teilnahme am Leben eröffnen und ihnen Wahlmöglichkeiten einräumen,
um die Hilfen eigenverantwortlich den individuellen Bedürfnissen
optimal anzupassen. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung von
Persönlichen Budgets gleichzeitig die Erwartung verbunden, dass
eine ambulante Versorgung um 20% kostengünstiger ist als eine sonst
notwendige Heimunterbringung.
Einen Antrag auf ein Persönliches Budget können alle Menschen
mit Behinderungen stellen, die mehr als drei Monate Pflegeleistungen
benötigen. Eltern können für ihre Kinder Ansprüche
geltend machen. Das Verfahren ist kompliziert, weil unterschiedliche
Institutionen beteiligt sind. Die Finanzierung der Persönlichen
Budgets erfolgt aus dem nationalen Staatshaushalt (1997 standen 245
Mio. Gulden zur Verfügung) und wird den Regionen zugeteilt. Das
jährlich zugewiesene, regionalisierte Budget bildet die Höchstgrenze
und wird von den regionalen Krankenkassen verwaltet. Wenn die Summe
der Anträge die Summe der verfügbaren Mittel übersteigt,
was regelmäßig der Fall war, wird eine Warteliste gebildet.
Die Menschen mit Behinderungen beantragen ihre Hilfeleistungen bei der
zuständigen Kommunalbehörde, die in einem Begutachtungsverfahren,
das alle fünf Jahre wiederholt wird, die notwendigen Hilfen feststellt
und die Antragsteller je nach dem anerkannten Leistungsumfang in acht
Kategorien klassifiziert,die zwischen 5000 und 75000 Gulden im Jahr
liegen. Danach kann sich der Antragsteller entscheiden, ob er Sachleistungen
in Anspruch nehmen möchte, oder ob er bei der zuständigen
Krankenversicherung einen Antrag auf ein Persönliches Budget stellt,
die darüber im Umfang ihrer finanziellen Möglichkeiten entscheidet.
Das Persönliches Budget setzt sich in Abhängigkeit vom Einkommen
aus einem Eigenanteil, einem Pauschalbetrag von zur Zeit 200 Gulden
im Monat, die der Empfänger ohne Verwendungsnachweis ausgeben kann,
und den sogenannten „Ziehungsrechten" zusammen. Letztere
dienen nicht dem Lebensunterhalt, sondern sollen persönliche Assistenzleistungen
finanzieren, die die Nachteile der Behinderung ausgleichen. Sie entsprechen
den Eingliederungshilfen nach dem deutschen Bundessozialhilfegesetz.
Aus dem Personengebundenen Budget sollen Dienstleistungsagenturen bezahlt
werden, oder der Empfänger kann selber als Arbeitgeber auftreten
und individuelle Arbeitsverträge abschließen. In beiden Fällen
erfolgt die Abwicklung der Zahlungen einschließlich der anfallenden
Steuern und Sozialversicherungsbeiträge über eine neu geschaffene
Institution, nämlich die Sociale Verzekeringsbank. Der Vorteil
ist, dass die Zahlungsabwicklung besser kontrolliert werden kann und
der Leistungsempfänger von dieser Aufgabe entlastet wird, der Nachteil
ist der hohe bürokratische Aufwand und die damit verbundenen Kosten.
Erfahrungen
1999 nahmen 8 500 Personen ein Persönliches Budget in Anspruch.
Dabei wählten 80% der körperbehinderten Menschen ein Arbeitgebermodell,
wohingegen sich 80% der geistig Behinderten für ein Einkaufsmodell
entschieden, also Dienstleister in Anspruch nahmen. Wie in England wird
auch in den Niederlanden eine funktionsfähige, von den Betroffenen
getragene Beratungsstruktur als wichtig für den Erfolg des Modells
angesehen.
Sie sollte auch in der Region vertreten sein, um persönliche Gespräche
führen zu können und die Interessen behinderter Menschen bei
der Beantragung und Verwaltung ihres Budgets unterstützen zu können.
Die Universität Nijmegen hat in einer Studie im Auftrag des Ministeriums
für Volksgesundheit, Sozialwesen und Sport zwischen 1996 und 1997
das Programm des Persönlichen Budgets in einer Studie evaluiert.
Danach sind die Leistungsempfänger zufrieden, weil sie bedarfsgerechter
Hilfe in Anspruch nehmen können. Die Qualität der Hilfe wird
gut beurteilt. Auch das befragte Pflegepersonal kommt zu einer positiven
Bewertung. Dazu mag auch beigetragen haben, dass die Verfahrensabwicklung
zwar kompliziert ist, aber den Arbeitnehmern eher eine zuverlässige
Zahlung und die übliche soziale Sicherung gewährleistet. Die
Interessenorganisation PerSaldo, in der 2600 Budgetempfänger organisiert
sind, tritt auch ausdrücklich für den Abschluss von Tarifverträgen
ein, weil sie nur bei tarifvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen
gesichert sieht, dass die Serviceleistenden die notwendige Qualifikation
für die Arbeit haben. Kritisch beurteilen die Betroffenen den bürokratischen
Aufwand, der durch die Nachweispflicht der Ausgaben (abgesehen der Pauschalen)
und durch die Verwaltung des Zahlungsverkehrs durch eine gesonderte
Institution erforderlich ist. Das Arbeitgebermodell wird von vielen
in seinen Anforderungen als zu komplex beurteilt, weil die Einhaltung
der Steuer- und Sozialgesetze erhebliches Wissen voraussetzt, was normalerweise
bei den Betroffenen nicht vorhanden ist.
Durch die Aufspaltung in eine die Finanzmittel bewilligende Institution
und eine andere Stelle, die die Auszahlungen abwickelt, kommt es auch
zu schlechter Information, wie viel Mittel noch zur Verfügung stehen.
Im Ergebnis hat das dazu geführt, dass trotz bestehender Wartelisten
der vorgesehene Rahmen des Gesamtbudgets nicht ausgeschöpft wurde.
Abhilfe könnte durch eine Erhöhung der Pauschalen oder durch
eine Neuverteilung der Zuständigkeiten getroffen werden. Auf einer
anderen Ebene liegt die Kritik, dass es keinen Rechtsanspruch auf ein
Persönliches Budget gibt, die Kriterien der Budgetbemessung zu
wenig transparent sind und insgesamt die Aufklärung über die
Möglichkeiten des Personengebundenen Budgets nicht ausreichend
sind. Die Träger von Einrichtungen für behinderte Menschen
sind teilweise skeptisch gegenüber einem Personengebundenen Budget,
weil sie eine geringere Auslastung ihrer Kapazitäten fürchten,
der mittel- und langfristig zu einem Abbau von Stellen oder ganzen Heimen
führen kann.
Das niederländische Parlament bewertet die Persönlichen Budgets
so positiv, dass eine Aufstockung der Mittel in Höhe von 10% des
jährlichen Zuwachses der Pflegeausgaben geplant ist. Auch die Regierung
sieht sich durch die Evaluierung bestätigt, dass Persönliche
Budgets ein richtiger Ansatz sind, aber in der Durchführung des
Programms Mängel liegen, die beseitigt werden müssen. Auch
in den Niederlanden wird das Persönliche Budget neben seiner Funktion,
die Selbstbestimmung behinderter Menschen zu erhöhen, als eine
Möglichkeit gesehen, stationäre durch ambulante Leistungen
zu ersetzen und damit Kosten zu ersparen. Das Ministerium schätzt
die Zahl der Menschen mit ernsthaften Behinderungen auf ca. eine halbe
Million Menschen. Daran gemessen ist der Kreis der Empfänger von
Direktzahlungen noch gering und das Instrument ist in einer Phase der
Erprobung. Auf die deutschen Verhältnisse ist es nicht unmittelbar
übertragbar, weil die institutionellen Voraussetzungen zu unterschiedlich
sind. Aber es lässt sich doch lernen, dass die Verwaltungsabläufe
nicht zu kompliziert sein dürfen, um nicht den Gewinn an Selbstbestimmung
durch überflüssige Bürokratie zu verzehren. Auch die
niederländischen Erfahrungen zeigen, dass Aufklärung und von
den kommunalen Trägern unabhängige Beratung ein wichtiges
Element für den Erfolg Persönlicher Budgets ist.
Rheinland-Pfalz
Leistungsanspruch
Rheinland-Pfalz hat als einziges Land der Bundesrepublik Deutschland
seit September 1998 einen Modellversuch in zwei Städten und zwei
Landkreisen zu Persönlichen Budgets. Am Anfang standen zwei Diskussionen:
Einerseits folgte die Behindertenpolitik seit Anfang der 90er Jahre
einer anderen Konzeption, die nicht die Rehabilitation und die Defizite
behinderter Menschen in den Vordergrund stellte, sondern ihre Fähigkeiten
und die Stärkung der Selbstbestimmung. Andererseits wuchsen die
Ausgaben der Gebietskörperschaften für Eingliederungshilfen
und stationäre Unterbringung so stark, dass nach neuen Wegen der
Steuerung und wirtschaftlicheren Formen der Versorgung gesucht wurde.
Im „Landesplan für behinderte Menschen 1998" erfolgte
die Ankündigung eines Modellversuchs, der ein neues Anreizsystem
erproben soll, um Effizienz und Sparsamkeit bei Leistungserbringern
und -empfängern zu fördern. Die Menschen mit Behinderungen
werden als die besten Experten in eigener Sache angesehen und durch
ein Persönliches Budget sollen die Hilfemaßnahme auf die
individuellen Bedürfnisse zugeschnitten werden. Das Budget kann
von Menschen mit geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderungen
in Anspruch genommen werden, um eine stationäre oder teilstationäre
Versorgung zu vermeiden. Gleichgestellt sind Menschen, bei denen eine
Heimunterbringung oder teilstationäre Versorgung droht. Das Persönliche
Budget ist ein Instrument, um die teuren, stationären Versorgungsformen
zu reduzieren, aber es hat gleichzeitig das Ziel, die Fremdbestimmung
des Lebens zu verringern und Menschen mit Behinderungen mehr Verantwortung
zu geben. Soweit ein selbständiges oder betreutes Wohnen nicht
möglich ist, erfordert ein Persönliches Budget ein leistungsfähiges
soziales Umfeld von Familie, Nachbarn oder Freunden.
Das Persönliche Budget kann von behinderten Menschen in den Modellversuchsregionen
(die Städte Koblenz und Ludwigshafen, die Landkreise Ludwigshafen
und Neuwied) beantragt werden. Der Anspruch wird in einem individuellen
Begutachtungsverfahren geprüft, in das folgende Stellungnahmen
eingehen: des Betroffenen, des Sozialdienstes der zuständigen Kommune,
des Heimes, in dem der behinderte Mensch lebt oder aufgenommen werden
soll und ein medizinisches Gutachten des Landesamtes für Soziales,
Jugend und Versorgung. Die Entscheidung treffen der örtliche und
überörtliche Sozialhilfeträger gemeinsam, wobei in einer
Abschlussbesprechung alle Betroffenen beteiligt werden. Die Höhe
der Geldleistung wird in Anlehnung an das Pflegegeld des SGB XI in drei
Stufen als Pauschale festgelegt, und zwar in einem Korridor in
- Stufe I: von 400 bis 600 DM monatlich
- Stufe II: von 800 bis 1000 DM monatlich
- Stufe III: von 1300 bis 1500 DM monatlich.
Die Leistungen erfolgen als Eingliederungshilfen nach § 40 BSHG,
es ist also der individuelle Bedarf zu prüfen und die Hilfe wird
nur gewährt, wenn auch die Bedürftigkeit bejaht wird. Allerdings
werden erst über einem Einkommen von monatlich 1500 DM und einem
Vermögen über 4500 DM die individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse
geprüft, was eine deutliche Vereinfachung darstellt. Die Bandbreiten
bei den Pauschalen gab es in der ursprünglichen Konzeption nicht.
Sie sind ein Zugeständnis an den Grundsatz des Sozialhilferechts,
dass der individuelle Bedarf zu prüfen ist. Über die Verwendung
der gezahlten Pauschalen ist kein Nachweis zu führen, aber in Anlehnung
an das Kontrollsystem der Pflegeversicherung wird der Leistungsempfänger
ein- bis zweimal im Jahr besucht. Damit kann der Sozialhilfeträger
kontrollieren, ob die Ziele des Persönlichen Budgets erreicht werden
und die Steuergelder zweckentsprechend verwendet werden. Das Verfahren
in Rheinland-Pfalz vermeidet so einen bürokratischen Aufwand bei
der Verwaltung des Persönlichen Budgets und beschränkt sich
auf eine Überprüfung der Ergebnisse. Ansprüche auf andere
Sachleistungen zum Ausgleich von Behinderungen wie Kindergärten,
Schulen oder Werkstätten für Behinderte bleiben durch das
P???u??ersönliche Budget unberührt. Werden gleichzeitig Sachleistungen
wie betreutes Wohnen in Anspruch genommen, wird das Persönliche
Budget anteilig gekürzt.
Regionalisierte Budgets
Gleichzeitig mit dem Personengebundenen Budget ist in den Modellregionen
jeweils ein regionalisiertes Budget eingeführt worden, in dem folgende
Mittel für ambulante, stationäre und vollstationäre Hilfen
nach BSHG aufgenommen werden:
- ambulante, teil- und vollstationäre Eingliederungshilfen,
- ambulante, teil- und vollstationäre Hilfen zur Pflege,
- ambulante Blindenhilfe,
- sonstige Hilfen in besonderen Lebenslagen, z. B. betreutes Wohnen,
- ergänzende Hilfen im Sinne des § 39,
- Leistungen für das Personenbezogene Budget.
Aus diesem Gesamtbudget sind alle Kosten zu decken, was den kommunalen
Trägern eine größere Flexibilität einräumt,
die Kosten aber auch in der Höhe deckelt. Vor allem wird damit
erreicht, dass es keinen finanziellen Anreiz mehr für den kommunalen
Sozialhilfeträger gibt, Menschen mit Behinderungen in eine vollstationäre
Einrichtung zu bringen, weil diese Kosten nach dem BSHG von den überörtlichen
Trägern der Sozialhilfe getragen werden. Der Anreiz ist in Rheinland-Pfalz
zwar gebremst, weil die Kommunen durch Landesgesetz verpflichtet sind,
sich zu 50% an den Kosten der Heimunterbringung beteiligen. Aber im
Vergleich zu den Kosten der ambulanten Versorgung, die vollständig
bei den Kommunen liegen, könnten immer noch fiskalische Erwägungen
den Vorrang vor dem Wohl der behinderten Mensch haben, auch wenn das
empirisch schwer nachweisbar ist. Die rheinland-pfälzische Landesregierung
hat erklärt, dass sie die im stationären Bereich durch Persönliche
Budgets eingesparten Mittel in den regionalen Budgets belässt und
sich so an der Finanzierung ambulanter Maßnahmen auf kommunaler
Ebene beteiligt. Aus den regionalen Budgets können auch Maßnahmen
finanziert werden, um eine ambulante Infrastruktur aufzubauen.
Die fiskalische Äquivalenz, also das Zusammenführen von Aufgaben-
und Ausgabenverantwortung, dürfte eine effektivere Kostenbegrenzung
als das bisherige System ermöglichen. Aus der Sicht der einzelnen
Kommune ist es unter fiskalischen Gesichtspunkten rational, eine stationäre
Versorgung anzustreben, wenn die 50prozentige Kostenbeteiligung unter
den Kosten der ambulanten Versorgung liegt. Bei einem gemeinsamen Budget,
das in der Höhe begrenzt ist, gibt es hingegen einen Anreiz, die
Versorgungsform zu wählen, die das angestrebte Ziel mit den geringsten
Kosten verwirklicht. Dabei sind in der Regel ambulante oder teilstationäre
Formen überlegen.
Erfahrungen
Der Modellversuch begann in den vier Regionen im September 1998 und
ist nach einem Jahr im Auftrag des zuständigen Ministeriums einer
ersten Bewertung durch das Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik
an der Universität Mainz unterworfen worden. Da erst im zweiten
Halbjahr 1999 eine relevante Zahl von Bewilligungen vorlag, ist es zu
früh, die Ergebnisse zu bewerten, sondern es können nur einige
Strukturdaten kommentiert werden. Insbesondere ist erst im Jahr 2000
eine Befragung der Empfänger von Personengebundenen Budgets vorgesehen
und sinnvoll, um die Zufriedenheit der Nutzer zu erheben.
Im November 1999 gab es in den Modellkommunen 128 von den Sozialdiensten
begutachtete Antragsteller für Hilfeleistungen, von denen 56% seelisch-,
30% geistig- und 13% körperbehindert waren; 23% waren mehrfach
behindert. 70% der Antragsteller wohnten in privaten Haushalten, davon
über die Hälfte bei ihren Eltern. Bemerkenswert ist, dass
sich 23% aller Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung in einem
Krankenhaus befanden und über 80% der Personen, die zum Zeitpunkt
der Antragstellung in privaten Haushalten lebten, einen Antrag auf Förderung
in stationären Einrichtungen stellten. Von der Gesamtgruppe der
128 Begutachteten stellten 63% einen Antrag auf Förderung in Einrichtungen
und 23% einen Antrag auf Persönliches Budget. In dieser ersten
Phase des Modellversuchs sind also vor allem Menschen mit Behinderungen
erfasst worden, die sich in einer Übergangsphase in stationäre
Einrichtungen befanden. Dabei dürfte ein wichtiger Grund sein,
dass Eltern wegen ihres Alters oder eigener Krankheit nicht mehr in
der Lage sind, für ihre Kinder zu sorgen. Von den 128 Personen
erfüllten 26 alle Voraussetzungen für ein Persönliches
Budget, von denen es bis auf zwei wegen fehlender Einwilligung der gesetzlichen
Betreuer auch alle erhielten. In den Fällen, wo die Voraussetzungen
für ein Budget verneint wurden, waren in 74% aller Fälle weder
die intellektuellen Fähigkeiten noch ein geeignetes Unterstützerumfeld
vorhanden, in 14% der Fälle gab es kein geeignetes Unterstützerumfeld
und in 5% der Fälle gab es keinen Grund zu einer Förderung.
Für 15 der 24 Budgetempfänger sind die Jahreskosten des Personengebundenen
Budgets alternativ zu e???u??iner stationären Versorgung kalkuliert
worden. Bis auf einen Fall lagen die Kosten des Personengebundenen Budgets
unter den Kosten der stationären Versorgung, und zwar konnten rund
62% der Kosten der hypothetischen Heimunterbringung vermieden werden.
In absoluten Beträgen wurden monatlich im Durchschnitt Kosten von
2800 DM pro Fall eingespart, wobei ein Maximalwert von 5800 und ein
Minimalwert von 1200 erreicht wurde. Die Einzelheiten der Kalkulation
werden im Zwischenbericht nicht dargestellt und die hohe Spanne ist
überraschend, aber dennoch ist das durchschnittliche Einsparpotential
pro Fall plausibel, weil schon die ersparten Investitionskosten bei
ambulanter Versorgung ein relevanter Betrag sind. Die absolute Zahl
der Budgetempfänger (26 Personen von 4600 Hilfeempfängern,
die insgesamt aus den vier regionalisierten Budgets finanziert werden)
lässt aber auch erkennen, dass hier nicht der Königsweg zur
Sanierung der öffentlichen Sozialhaushalte zu finden ist.
Die Zahl der Budgetempfänger ist noch zu klein, um aus der Untersuchung
statistisch gesicherte Erkenntnisse ableiten zu können, sondern
es können bestenfalls Tendenzen benannt werden, die künftig
besondere Aufmerksamkeit erfordern. Vorrangig dürfte die Information
der Betroffenen über das neue Instrument sein, um dann in gezielten
Gesprächen über die Möglichkeiten des Personengebundenen
Budgets aufzuklären. Dazu ist sinnvollerweise eine Unterstützerstruktur
aufzubauen oder mit bestehenden Organisationen behinderter Menschen
zu kooperieren, damit Menschen mit Behinderungen oder ihre Angehörigen
nicht mit weitreichenden Entscheidung alleingelassen werden. Wie in
England, wo gute Erfahrungen m???u??it Peer Counseling gemacht worden
sind, zeigt auch die Erfahrung in Ludwigshafen, wo eine Sozialarbeiterin,
die selber behindert ist, mit der Beratung betraut wurde, dass Betroffene
einen besseren Zugang zu Problemen von Menschen mit Behinderungen haben.
Die Erfahrungen in Rheinland-Pfalz sind nicht nur im Hinblick auf die
Weiterentwicklung Persönlicher Budgets von Interesse, sondern mindestens
ebenso wichtig ist die neue Institution eines gemeinsamen Budgets des
örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgers für
eine Aufgabe. Hier wird die Zukunft zeigen, ob der fehlende Anreiz für
die Kommunen, Leistungsempfänger in teurere Versorgungsformen zu
bringen, die sie aber nur teilweise finanzieren müssen, zu einer
geringeren Inanspruchnahme der Heimunterbringung führt.
Weiterentwicklung Persönlicher Budgets in Deutschland
In den drei betrachteten Ländern sind die Erfahrungen mit Persönlichen
Budgets noch zu kurz und die Zahl der Budgetempfänger zu klein,
um von empirisch gut abgesicherten Ergebnissen sprechen zu können.
Aber die bisherigen Erfahrungen erlauben doch die Aussage, dass der
begonnene Weg zum Erfolg führen kann. Ich halte es für falsch,
im Zusammenhang Persönlicher Budgets von einem Paradigmenwechsel
zu sprechen. Der ist schon früher erfolgt, als Behinderung nicht
mehr als Krankheit verstanden wurde, sondern als eine Einschränkung
der körperlichen, geistigen oder seelischen Fähigkeiten, die
durch materielle Hilfe kompensiert werden kann, um ein normales Leben
führen zu können. Aber Persönliche Budgets können
ein wirksames Instrument sein, um Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes
Leben zu ermöglichen. Das sozialpolitische Ziel, Menschen mit Behinderungen
durch Hilfen in Form von Sach- oder Geldleistungen eine Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, kann und muss allerdings
auch in stationären Einrichtungen und bei ambulanten Diensten verfolgt
werden. Insoweit ist ein Persönliches Budget ein ergänzendes
Instrument, um die Selbstbestimmung zu stärken.
Die untersuchten Beispiele in England und den Niederlanden haben jeweils
unterschiedliche, institutionelle Voraussetzungen, aber die dort gesammelten
Erfahrungen lassen sich auf Deutschland übertragen. In England
waren die „Direct Payments" einerseits Teil einer Verwaltungsmodernisierung,
die Aufgaben stärker dezentralisiert hat und den Bürgern mehr
in die Verantwortung nahm, eigene Auswahlentscheidungen zu treffen.
Finanzierung und Bereitstellung einer Leistung, die in der Regel zusammen
in der Hand des Staates oder der Kommunen lagen, wurden getrennt, um
so Wettbewerb zu erzeugen und den Bürgern die Möglichkeit
der Wahl zu geben. Andererseits waren die Persönlichen Budgets
Ergebnis von Forderungen der Behindertenorganisationen, die mehr Selbstbestimmung
für ihre Mitglieder durchsetzen wollten. In Deutschland ist mit
dem Subsidiaritätsprinzip, dass freien Trägern einen Anteil
bei der Versorgung mit soziale Dienstleistungen garantiert und zu einer
Angebotsvielfalt führt, eine größere Wahlmöglichkeit
gegeben. Aber auch hier kann das Interesse der Institution Vorrang vor
den Interessen von Menschen mit Behinderungen bekommen und so verhindern,
dass die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens genutzt werden.
In den Niederlanden ist versucht worden, den Budgetempfängern mehr
Wahlmöglichkeiten zu geben, aber gleichzeitig eine sehr enge Kontrolle
der Verwendung des Geldes zu sichern, indem eine neu gebildete Institution
die Verwaltung des Persönlichen Budgets abwickelt. Das hat zwar
eine Schutzfunktion für die in einem Arbeitgebermodell von den
Menschen mit Behinderungen beschäftigten Dienstleister, weil Sozialabgaben
und Steuern korrekt abgeführt werden, aber es führt zu einem
hohen bürokratischen Aufwand. Aus der Verteilung der Entscheidungskompetenz
über Persönliche Budgets auf unterschiedliche Verwaltungsebenen
resultiert Ineffizienz, die durch eine Neuverteilung von Aufgabe, Kompetenz
und Verantwortung vermieden werden kann.
In beiden Staaten werden behindertenpolitische Ziele verfolgt, aber
mindestens gleichgewichtig ist das Interesse, den Kostenanstieg in den
staatlichen oder kommunalen Budgets zu bremsen und zu wirtschaftlicheren
Versorgungsformen zu kommen, die insbesondere einen Heimaufenthalt überflüssig
machen. Die Erfahrungen zeigen, dass die Kosten der ambulanten Versorgung
deutlich geringer sind, weil die Investitionsausgaben entfallen und
die Personalkosten von wenigen Ausnahmen abgesehen deutlich niedriger
sind als bei einer Versorgung rund um die Uhr. Dem hat der deutsche
Gesetzgeber bereits mit dem Grundsatz Rechnung getragen, dass ambulante
Hilfen Vorrang vor stationäre Hilfen haben.
Gesetzesnorm und -wirklichkeit können allerdings auseinanderfallen,
wenn die Kosten eines stationären Aufenthaltes von einem anderen
Träger finanziert werden als die Kosten ambulanter Versorgung,
was in deutschen System der Trennung zwischen überörtlichen
und örtlichen Trägern der Sozialhilfe der Fall ist. Die Bildu???u??ng
eines trägerübergreifenden Regionalbudgets ist deshalb ein
innovativer Ansatz des Modellversuchs eines Persönlichen Budgets
in Rheinland-Pfalz. Ansonsten lehnt sich das Modell an das niederländische
Vorbild an, ohne den bürokratischen Aufwand zu übernehmen.
Vielmehr folgt es in der Durchführung den Regularien des Pflegegesetzes
nach SGB XI, was hinsichtlich der Stufung und der modifizierten Höhe
der Geldzahlungen nicht sehr überzeugend ist, weil das BSHG eine
individuelle Bedarfsprüfung verlangt, aber es ist sicher eine pragmatische
Lösung, die den Verwaltungsaufwand minimiert. Die Effizienzkontrolle
wird durch Besuche bei den Budgetempfängern vorgenommen, was eine
kluge Maßnahme ist, da sie kleinteilige Ausgabenkontrolle vermeidet
und davon ausgeht, dass die zugesprochenen Hilfen notwendig sind und
ihre Wirksamkeit am besten durch eine Überprüfung im häuslichen
Umfeld erfolgt. Das ist ganz im Sinne eines modernen Verwaltungsmanagements,
das nicht den Input überprüft, sondern den Outcome, also das
Ergebnis des Prozesses.
Aus den drei Beispielen kann man für eine Weiterentwicklung der
Persönlichen Budgets in Deutschland lernen, dass eine funktionsfähige
Beratungsstruktur für die tatsächlichen oder potentiellen
Budgetempfänger sehr wichtig ist. Mit einem Persönlichen Budget
ist Verwaltungsaufwand und arbeitsmarktspezifisches Know-how verbunden,
über das schon Menschen ohne jede Behinderung normalerweise nicht
verfügen. Um so wichtiger ist die Unterstützung durch Menschen
in gleicher Situation (Peers), oder durch Organisationen, die ausschließlich
die Interessen von Menschen mit Behinderungen vertreten und keine Eige???u??ninteressen
haben, weil sie stationäre oder ambulante Einrichtungen betreiben.
Wenn das Persönliche Budget eine auch quantitativ relevante Alternative
zu stationärer oder teilstationärer Versorgung werden soll,
dann muss viel Aufwand betrieben werden, um über dieses neue Instrument
aufzuklären und Beratung und Betreuung für Menschen mit Behinderungen
zu organisieren. Der Bewertungsprozess, in dem ein Persönliches
Budget zugesprochen wird, muss transparent sein und sollte neben dem
Antragsteller, den betroffenen Institutionen (Finanzierer, Betreuer)
auch unabhängige Berater einbeziehen. Will man nicht den Weg wie
in England gehen, Verwandte als „Dienstleister" generell
auszuschließen, sondern auch Eltern und Partner Empfänger
von Geldleistungen aus dem Budget sein können, ist ein Berater,
der nur den Interessen des Menschen mit einer Behinderung verbunden
ist, besonders wichtig. Es sollte vermieden werden, dass die Abhängigkeit
von einer pflegenden Institution durch eine Abhängigkeit von der
Familie ersetzt wird, die z.B. Heranwachsende in ihrer Entwicklung begrenzt.
Das Persönliche Budget wird auch nur dann ein Erfolg werden, wenn
es in seiner Höhe die anfallenden Zusatzkosten bei der Beschäftigung
von persönlichen Assistenten berücksichtigt, also Sozialabgaben
und Steuern, aber auch Kosten für Urlaubsvertretung oder Hilfen
in Notfällen. Risiko und Chance eines Persönliches Budgets
muss für einen Menschen mit Behinderungen kalkulierbar sein. Er
muss jederzeit die Möglichkeit haben, in andere Versorgungsformen
zu wechseln, wenn das Persönliche Budget seinen Bedarfen nicht
mehr entspricht.
Das Pers&o???u??uml;nliche Budget ist eine Chance, eigenverantwortliches
Handeln zu stärken, wobei dem nicht entgegensteht, dass professionelle
oder ehrenamtliche Hilfe bei der Verwaltung des Budgets in Anspruch
genommen wird. Je größer die Selbständigkeit, desto
geringer ist die Notwendigkeit einer stationären Versorgung. Gerade
bei jüngeren Menschen mit Behinderungen ist dies auch der sicherste
Weg, Kosten der Heimunterbringung in späteren Lebensabschnitten
zu vermeiden. Kostenvergleiche sollten deshalb die unterschiedlichen
Lebensabschnitte einbeziehen. Aus der Sicht eines Leistungsempfängers
wäre es gut, wenn er als Ansprechpartner jeweils einen „Fallmanager"
hätte, der seine Leistungsansprüche koordiniert und die Verwendung
des Geldes kontrolliert und so jenseits der aus den unterschiedlichen
Sozialgesetzen resultierenden Zuständigkeiten tätig werden
kann.
Durch eine Kostenträgerrechnung, die die Transparenz für den
einzelnen Leistungsfall herstellt, kann auch eine empirisch begründete
Aussage über die Belastungen der öffentlichen Budgets durch
alternative Versorgungsformen gemacht werden. Vieles spricht dafür,
dass Persönliche Budgets im Vergleich zu stationärer Versorgung
Kosten sparen, aber das Entscheidungskriterium, ob ein Persönliches
Budget zugesprochen wird, sollte die Entscheidungsfähigkeit und
der Zuwachs an Selbstbestimmung eines Menschen mit Behinderungen sein.
Geldleistungen und die damit verbundene Rolle als Arbeitgeber bedeuten
auch, dass die Verfügung über persönliche Dienstleistungen
den Prinzipien der Marktsteuerung unterworfen werden und bei begrenzten
Budgets nicht unbeschränkte Verfügbarkeit über???u??
Ressourcen zu erwarten ist. Zu einem verantwortlichen Bewertungsprozess,
ob ein beantragtes Persönliches Budget bewilligt wird, gehört
deshalb auch eine Beurteilung, ob die notwendigen Dienstleistungen zu
den vorgesehenen Geldbeträgen erbracht werden können und in
angemessenen Zeitabständen eine Kontrolle, ob vereinbarte Ziele
tatsächlich erreicht worden sind.
Persönliche Budgets, die der Referentenentwurf für ein SGB
IX vorsieht, die aber schon heute nach BSHG praktiziert werden können,
sind eine sinnvolle Ergänzung der Hilfe für Menschen mit Behinderungen,
aber sie sind kein flächendeckender Ersatz für Sachleistungen.
Zu viele Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn sie ein
Erfolg werden sollen. Deshalb ist es sinnvoll, aus den Erfahrungen in
England und den Niederlanden zu lernen und das in Rheinland-Pfalz begonnene
Modellprojekt auszudehnen. Persönliche Budgets sollten auch nicht
als ein Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik qualifiziert werden,
dazu wird die Zahl derjenigen, die diese Leistungsform in Anspruch nehmen
können, absehbar zu klein sein. Der Paradigmenwechsel ist mit der
Abkehr vom Fürsorgekonzept erfolgt und darf nicht nur dort zum
Tragen kommen, wo Sachleistungen durch Geldleistungen ersetzt werden.
Auch bei stationären und ambulanten Leistungen muss gelten, dass
sie die Interessen der Menschen mit Behinderungen an gleichberechtigter
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in den Mittelpunkt stellen und
die Möglichkeit einräumen, zwischen Alternativen zu entscheiden.
Prof. Dr. Leonhard Hajen,
Hochschule für Wirtschaft und Politik
Von-Melle-Park 9
20146 Hamburg
Leonhard.Hajen@hwp-hamburg.de