kobinet-nachrichten vom 20.9.02
Heime in der Kritik
„Heime in der Kritik - Gibt es bessere Lösungen?", so lautete
der Titel einer mit 200 TeilnehmerInnen äußerst gut besuchten Veranstaltung
im Körperbehindertenzentrum in Würzburg-Heuchelhof, die am 19. September
2000 stattfand und bei der zuweilen kräftig die Fetzen flogen.
Würzburg (kobinet) Der Arbeitskreis unterfränkischer Behinderteneinrichtungen
und die Robert-Kümmert-Akademie Eisingen hatten für die Veranstaltung
„Heime in der Kritik - gibt es bessere Lösungen?",
die am 19. September 2002 im Körperbehindertenzentrum in Würzburg-Heuchelhof
stattfand, bewusst PodiumsteilnehmerInnen ausgewählt, die eine
kontroverse Diskussion versprechen. Dass es zuweilen äußerst
emotional herging, spricht dabei eher für als gegen die Veranstaltung
und dafür, dass sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren
einiges tun könnte.
Nachdem Prof. Theunissen aus Halle die historischen Wurzeln der heutigen Einrichtungen
und Behindertenpolitik beschrieb und zum Ausdruck brachte, dass „Heime"
heute nicht mehr gebraucht werden und ins Museum gehören, bekräftigten
Christian Judith von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland
- ISL e.V. - und Elke Bartz vom Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen
- ForseA e.V. - diese Forderungen anhand ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Leben
in stationären Einrichtungen. Sie forderten den Ausbau von Alternativen. Claus
Fussek machte die Unsinnigkeit und die Missstände der bisherigen Verwahrung
von behinderten und alten Menschen anhand einer Reihe von konkreten Menschenrechtsverletzungen
und unsinnigem Verwaltungshandeln deutlich und erntete damit nicht immer den Beifall
der ca. 200 ZuhörerInnen, die sich zu weiten Teilen aus MitarbeiterInnen von
Einrichtungen zusammen setzten. Er verwies vor allem auf Mindestanforderungen, die
auch für behinderte und alte Menschen in Einrichtungen gelten müssen,
wie das Recht darauf zur Toilette zu können, wenn man muss und die Mahlzeiten
im eigenen Tempo und nicht nach einem Fütterplan essen zu können.
Dr. Ulrich Spielmann präsentierte sich als progressiven Heimleiter des St.-Josefs-Stift
in Eisingen, der durchaus anerkennt, dass in den Einrichtungen eine Vielzahl von
Reformen nötig und machbar sind, aber darauf verwies, dass solange es nicht
genügend Alternativen gibt, die Heime noch nötig sind. Zwischenzeitlich
müssten Barrieren in den Einrichtungen auch in kommunikativer Hinsicht abgebaut
und die Bedürfnisse der Betroffenen besser geachtet werden. Klaus Jakob vom
Haus St. Vinzenz von Paul aus Kleinostheim warb dafür, dass die stationären
Strukturen durch eine ambulante und teilstationäre Versorgungskette möglichst
überflüssig machen müssen.
Im Laufe der Diskussion wurde schnell deutlich, dass dies zwar ein interessanter
Bereich ist, über den viel diskutiert werden kann, dass es hierbei aber eine
Vielzahl von Eitelkeiten, Empfindlichkeiten und handfesten finanziellen Interessen
gibt. Die zum Teil heftigen Reaktionen der DiskutantInnen und TeilnehmerInnen machten
die Brisanz des Themas, aber auch die Chancen für Reformen deutlich, die in
den anglo-sächsischen und skandinavischen Ländern längst viel weiter
sind. Prof. Theunissen führte zum Beispiel aus, dass in den USA 78% der Menschen
mit geistiger Behinderung in Einrichtungen leben, die weniger als 16 Plätze
und meist sogar weniger als 6 Plätze haben, während das Verhältnis
hierzulande genau umgekehrt ist, so dass 78 % der Menschen mit einer sog. geistigen
Behinderung in Einrichtungen mit 40 und mehr Plätzen leben. Schuld an dieser
äußerst langsamen Entwicklung zur Deinstitutionalisierung sei hierzulande
vor allem der hohe Anteil an kirchlichen Einrichtungen, die sich Reformbemühungen
meist entziehen.
„Während einige der TeilnehmerInnen, denen die Diskussion nicht passte,
einfach den Saal verlassen konnten, können wir behinderte Menschen, die auf
Hilfen angewiesen sind und vor allem diejenigen, die in Anstalten leben, nicht so
einfach aus ihrer Lebenssituation weg laufen. Daher wird es wohl an uns selbst sein,
den nötigen Druck zu entfalten, dass unsere Argumente gehört werden und
die Einrichtungen vielleicht nicht morgen oder übermorgen, aber dann wenigstens
nächste Woche geschlossen und durch menschengerechte Alternativen ersetzt werden",
erklärte Elke Bartz nach der Veranstaltung.
Claus Fussek machte die Brisanz der Lage dahingehend deutlich, dass wir alle früher
oder später mit der Frage eines Lebens im Heim konfrontiert sein werden, wenn
wir nicht mehr so können, wie wir wollen und evtl. in einem „Heim"
landen. „Seid also nett zu euren Kindern, denn sie wählen für euch
später mal das Altenheim aus", resümierte er daher die Situation
in der wir uns befinden und kritisierte die parteiübergreifende Lethargie in
diesem Bereich heftig. omp