kobinet-nachrichten vom 29.07.2003
Die Zeit des Handelns ist gekommen
Kommentar von Ottmar Miles-Paul
Bremen (kobinet) Der Worte wurden nun während der unterschiedlichsten
Veranstaltungen zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen
genug gewechselt. Die zweite Hälfte dieses von der Europäischen
Union ausgerufenen und auch von Deutschland unterstützten Jahres
hat nun begonnen, so dass ab jetzt nicht mehr die schönen Worte,
sondern die Taten zählen.
Fakt ist, dass wir zur Zeit mit Brigitte Zypries eine Bundesjustizministerin
haben, die sich vehement weigert, behinderte Menschen in das zu schaffende
Antidiskriminierungsgesetz mit aufzunehmen. Damit geht sie weit hinter
das zurück, was ihre Vorgängerin noch für nötig
hielt und stellt sich mit ihrem Nichtstun und ihrer platten Verhinderungstaktik
eindeutig auf die Seite der Diskriminierer behinderter Menschen. Wie
sollen wir es sonst deuten, wenn es einerseits unumstritten ist, dass
ein Antidiskriminierungsgesetz für Benachteiligungen aufgrund der
Rasse und Herkunft nötig ist, dies aber aufgrund einer Behinderung
oder der sexuellen Orientierung nicht nötig sein soll. Die beschämenden
und entwürdigenden Äußerungen aus dem Ministerium, dass
noch mehr Fälle geliefert und untersucht werden müssten, in
denen behinderte Menschen im Zivilrecht benachteiligt werden, ist dabei
eine Zumutung, blanker Hohn und eine nur allzu durchschaubare Frechheit,
mit der die Belange behinderter Menschen in diesem Bereich auf Jahre
hinweg an den Rand gedrängt werden sollen. Unsere Welt hat sich
seit dem Entwurf für das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz
des selben Ministeriums vom Dezember 2001, das jetzt plötzlich
noch große Verzögerungsuntersuchungen anstellen will und
damals behinderte Menschen mit aufgenommen hatte, nicht wesentlich zum
Besseren gewandelt. Was sich gewandelt hat, ist der politische Wille,
in ein solches Gesetz auch die Belange behinderter Menschen aufzunehmen.
Die Schlussfolgerung, dass eine Diskriminierung behinderter Menschen
oder Homosexueller nicht so schlimm ist, wie aufgrund der Rasse oder
Herkunft, kann aus einer solchen Politik der Spaltung leicht gezogen
werden.
Dabei übersieht die Regierungskoalition und die Bundesregierung
aber, dass sich die politische Stimmung unter der Masse der behinderten
Menschen und deren Angehörigen langsam aber sicher auch gewandelt
hat. Diese sind nämlich nicht mehr länger bereit, sich, wie
es der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung treffend formuliert
hat, von „theoriebesessenen Bürokraten" ihre Lebenswirklichkeit
schwindelig reden zu lassen. Und dies erst recht nicht von einer Justizministerin,
die aus dem sozialen Bereich kommt und den Bonus des es nicht besser
Wissens nicht für sich geltend machen kann - ganz im Gegenteil
Frau Zypries.
Die „Zuschauerrolle" ist jetzt vorbei, wie es Heinz Preis
bei der Gleichstellungstagung in Bremen so treffend sagte, jetzt ist
die Zeit des Handelns gekommen. Die Regierungskoalition hat es zum Glück
aufgrund interner Auseinandersetzungen über den Inhalt des aufgrund
einer EU-Richtlinie zu schaffenden Antidiskriminierungsgesetzes nicht
geschafft, dieses Gesetz fristgerecht vor der Sommerpause zu verabschieden.
Dies ist unsere Chance, denn nun haben wir noch bis September oder Oktober
Zeit, der Justizministerin, dem Bundeskanzler und den Abgeordneten des
Deutschen Bundestages bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit
deutlich zu machen, dass diese Missachtung unseres Anspruches auf Gleichstellung
auch im zivilrechtlichen Bereich nicht von uns hingenommen wird. Wir
haben noch Zeit, deutlich zu machen, dass wir uns nicht an der Nase
herumführen lassen und dass gemachte Versprechen, wie die Aufnahme
Behinderter in das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz für
uns etwas gelten. Wir haben die Regierung schon einmal unter dem Motto
„Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen" zur
Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes getrieben.
Denn, wenn wir uns in dieser Frage von einer realitätsfernen
und unwilligen Justizministerin und einknickenden Bundestagsabgeordneten
vorführen lassen, ist das nur der Anfang für weitere Niederlagen
wie zum Beispiel bei der Assistenzsicherung. Dieses Thema ist jetzt
also heiß, so dass wir uns hoffentlich bald alle bei den zahlreichen
Protestaktionen gegen diese Politik der Versprechensbrecher treffen.
Bühnen gibt es dafür überall wo die Abgeordneten und
Minister in den nächsten Monaten auftreten, genug. Denn es ist
unser Recht, dass jede und jeder Einzelne zu dieser für behinderte
Menschen und ihre Angehörigen wichtigen Frage Farbe bekennt.