Mein Leben mit Assistenz (als Arbeitgeber)
von Rainer Jastrow
Nach dem Tod meiner Mutter im Jahr 1985 gab es für mich nur die
Möglichkeit, in ein Alten- und Pflegeheim zu ziehen. Für mich
war das Leben in diesem Alten- und Pflegeheim nur eine Unterbringung,
ich habe es niemals als mein Zuhause akzeptiert.
So verging die Zeit bis zur Einführung der Pflegeversicherung.
Hier sah ich nun meine Chance, mein Leben endlich eigenständig
zu organisieren. Doch mit diesem geringen Betrag war es mir unmöglich,
wenigstens zwei Personen zu finanzieren. Deshalb wandte ich mich schon
damals schriftlich an das Sozialamt, mit der Bitte um Hilfe und Unterstützung.
Leider blieb sie mir vorenthalten.
Der Wunsch, wieder in einer eigenen Wohnung zu leben, besteht schon
seit Beginn meines Heimaufenthaltes. Ich möchte mein alltägliches
Leben in die eigenen Hände nehmen, selbst entscheiden, wann ich
was mache, wann ich einkaufe und vor allem, was ich einkaufe; wann ich
mal zum Essen in eine Gaststätte oder ins Kino/Theater gehe usw..
Eben diesen ganz normalen Alltag selbstbestimmt bewältigen und
nicht Tage bzw. Wochen vorher die Leitung anbetteln mit der schon vorher
kennenden Antwort im Hinterkopf „Dafür haben wir keine Zeit,
kein Personal und außerdem bekommen wir dafür kein Geld von
der Pflegekasse".
Nach 16 Jahren erfuhr ich durch die Medien, dass es nicht nur in den
alten Bundesländern möglich ist, sein Leben mit Assistenz
zu führen. Ich bemühte mich um eine Kontaktaufnahme mit verschiedenen
durchführenden Organisationen und begann mit der Antragstellung
beim Sozialamt. Natürlich musste ich dafür einen langen Prozess
(über 2 Jahre) auf mich nehmen, da ein solches Projekt ungewöhnlich
für das Sozialamt ist. Im September 2002 gewann ich diesen Prozess
in erster Instanz und bewohne seit dem 01. April 2003 eine Wohnung mit
vier Assistentinnen. Jedoch bin ich der Meinung, dass die Stadt Zerbst
mehr behindertengerechte Wohnungen zur Verfügung stellen sollte,
denn auch meine Wohnung ist nur teilweise behindertengerecht. Sie stellt
mich zum Teil immer noch vor Probleme.
Natürlich gab es anfängliche Schwierigkeiten bei der Auswahl
der Assistentinnen. Da ich auf diese Hilfe ganztägig angewiesen
bin, muss auch eine gegenseitige Sympathie gegeben sein. Die Assistentinnen
wurden mit einem Arbeitsvertrag durch mich angestellt und sind somit
auch voll sozial abgesichert. Die dafür notwendigen Gelder bekomme
ich vom Sozialamt.
Meine Assistentinnen arbeiten in einem 2-Schicht-System, da es so
zu einer besseren Organisierung meines Tagesablaufes kommt, den ich
jetzt auch selbst bestimmen kann. Durch das Leben mit Assistenz ist
es mir möglich, meinen Tagesablauf individuell nach meinen Wünschen
zu gestalten. Meine Bedürfnisse können durch diese Hilfe besser
erfüllt werden. Ich bestimme endlich selbst, wann ich geweckt werden
möchte, was ich wann essen möchte oder wann ich wo hingehen
will. Viele Kleinigkeiten des Alltags werden mir dadurch möglich
gemacht, die im Heim auf Grund der Anzahl der zu betreuenden Personen
nicht berücksichtigt werden konnten.
Die Assistentinnen übernehmen meine gesamte Körperhygiene,
sämtliche Aufgaben im Haushalt, aber auch die gesicherte Betreuung,
wenn ich unterwegs bin. Die Organisation meiner Termine sowie meinen
Schriftverkehr erledige ich größtenteils selbst am PC, wobei
auch dabei eine helfende Hand nötig ist, z. B. um das Papier in
den Drucker zu legen.
Diese Türen sind uns viel zu lang versperrt worden und ich hoffe,
dass dieses Leben bald für jeden zur Normalität wird, indem
ein Assistenzgesetz geschaffen wird.
Trotzdem gibt es Grund zur Kritik: Ich könnte jetzt an vielen
kulturellen Veranstaltungen teilnehmen, doch dabei sind die Möglichkeiten
für Behinderte stark eingeschränkt. In Kinos oder im Theater
ist die Ausstattung oftmals nicht behindertengerecht. Aber auch im alltäglichen
Leben in Zerbst ist es schwierig, einkaufen zu gehen oder einfach nur
mal einen Kaffee zu trinken. Haben die Leute vergessen, dass es auch
behinderte Menschen gibt? Ich hoffe aber, dass auch dieser Kritikpunkt
bald kein Thema sein wird.
Bis zum heutigen Tag habe ich es noch keine einzige Minute bereut,
diesen Weg gegangen zu sein.