Vater Staat zahlt alles
von Elke Bartz
Es ist Sommer, ein wunderschöner milder Abend. Die Biergärten
sind überfüllt von Menschen, die den Tagesabschluss genießen
wollen. Unter ihnen befinden sich auch Jana und Lars Brückner (Namen
geändert). Die beiden unterscheiden sich von den anderen Gästen
dadurch, dass sie körperbehindert sind. Jana benutzt zur Fortbewegung
einen Elektrorollstuhl, Lars einen Selbstfahrer. Da Lars berufstätig
ist und am anderen Morgen früh raus muss, wollen sie nicht zu spät
nach Hause. Lars hat sein Handbike (eine Art handbetriebenes Fahrrad,
das vor den Rollstuhl gespannt wird, Anm. der Redaktion) am Rand des
Biergartens geparkt. Als er es holt und vor seinen Rollstuhl montiert,
hört er wie ein Gast zu seiner weiblichen Begleitung sagt: „Vater
Staat bezahlt aber auch alles." Er ist im ersten Moment so schockiert,
dass ihm keine passende Entgegnung einfällt und er wortlos den
Heimweg antritt.
Lars Brückner empfindet Entsetzen, aber auch Wut über die
unqualifizierte Äußerung des Biergartenbesuchers. Zum einen
kann er nicht nachvollziehen, dass ihm ein Nichtbehinderter ein Hilfsmittel
missgönnt. Zum anderen ist er wütend, denn er musste das Handbike
aus eigenem Geldbeutel finanzieren. Weder die Krankenkasse und erst
recht nicht „Vater Staat" haben auch nur einen einzigen
Cent dazugetan. Dabei dient das Bike durchaus nicht nur der Fortbewegung
und dem Spaß, sondern stärkt die Muskulatur und unterstützt
die Funktionsfähigkeit der Organe. Es ist also ein auch ein therapeutisches
Hilfsmittel, das seine Gesundheit und seine Arbeitsfähigkeit erhalten
hilft.
„Wegen meiner Behinderung kann ich kein normales Fahrrad benutzen",
meint Lars Brückner. „Ich bin zwangsläufig auf das Handbike
angewiesen. Das kostet aber rund doppelt bis dreimal so viel wie ein
gutes Fahrrad. Bei meiner Krankenkasse habe ich die Erstattung des Differenzbetrages
zwischen Rad und Bike als behinderungsbedingten Mehraufwand beantragt.
Das wurde jedoch abgelehnt, und ich musste die rund 2500 Euro für
das Bike selbst bezahlen. Wenn man dann auch noch mit solchen Aussagen
konfrontiert wird, überkommt einen schlichtweg die Übelkeit".
Der Biergartenbesucher hat ausgesprochen, was vermutlich viele Bürgerinnen
und Bürger denken, sich nur nicht getrauen in Anwesenheit behinderter
Menschen laut auszusprechen: „Den Behinderten geht es doch gut,
für die tut der Staat alles". Und nicht wenige hängen
den Zusatz dran: „… und wir müssen das bezahlen".
Meinungen, Vorurteile und Klischees sind die eine, die Realität
häufig die andere Seite der Medaille. Doch wie leben Menschen mit
Behinderungen tatsächlich im Jahr 2004, dem Nachfolgejahr des Europäischen
Jahres der Menschen mit Behinderungen in Deutschland und wie ist es
dahin gekommen?
Bessere Bedingungen in den vergangenen Jahrzehnten
Die Lebensbedingungen sind unleugbar besser geworden als sie noch vor
wenigen Jahrzehnten waren. Mit Ende des Dritten Reiches, seiner menschenverachtenden
„Rassehygiene" und der daraus folgenden Vernichtung von
als lebensunwert deklarierten Lebens, verbesserte sich die Lebenssituation
behinderter Menschen. Aus Schuldgefühlen heraus und mit der Meinung,
Behinderte fühlen sich unter Behinderten am Wohlsten, wurden große
Sondereinrichtungen geschaffen. Damit wollte man behinderten Menschen
die Konfrontation mit der nicht behinderten Gesellschaft (oder umgekehrt?)
„ersparen", sie angeblich ihre „Defizite" nicht
spüren lassen. Die behinderten Menschen hatten dem zu diesem Zeitpunkt
nichts entgegenzusetzen. Der Euthanasie knapp entronnen, nie nach ihren
Meinungen gefragt, hatten sie kein Selbstbewusstsein entwickeln können
und nicht gelernt, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Träume
zu formulieren, geschweige denn durchzusetzen.
Das änderte sich erst ab den 70er und 80er Jahren. Behinderte
Menschen entwickelten langsam ein normales Selbstwertgefühl mit
der Folge, dass sie begannen, sich gegen die ihnen aufgezwungenen institutionellen
Strukturen, gegen Diskriminierungen und Ausgrenzungen aufzulehnen. Mit
der typischen „Krüppelkarriere", die sich vom Sonderkindergarten
und der Sonderschule, über die Ausbildung in Berufsbildungswerken
mit angeschlossenem Internat erstreckte und viel zu oft in der Werkstätte
nebst Wohnheim endete, wollten sich immer weniger behinderte Menschen
abfinden.
Glücklich, wer auf personelle Hilfen angewiesen war und auf ein
festes Familiengefüge zurückgreifen konnte, in dem notwendige
Hilfen wie die Pflege wie selbstverständlich übernommen wurden.
Dass die gegenseitige Abhängigkeit oft zu großen Konflikten
und Überforderung der nichtbehinderten Familienangehörigen
führte und zur Unterdrückung von Wünschen und Bedürfnissen
seitens der behinderten Menschen führte, war bekannt. Doch als
Alternative stand, mangels ambulanter Strukturen, nur die Drohung Heim
im Raum.
Selbst wer zur Körperpflege etc. nicht auf (umfangreiche) Hilfen
angewiesen war, konnte nicht so ohne weiteres am Leben in der Gemeinschaft
teilhaben. Barrierefreiheit war ein Fremdwort, zugängliche Geschäfte,
Arztpraxen, Ausbildungsstätten und Arbeitsplätze sowie öffentliche
Verkehrsmittel die große Ausnahme.
Selbstbestimmung statt Fürsorge
1981 war das UNO-Jahr der Behinderten, wobei der Titel falsch gewählt
war. Richtiger wäre gewesen es als Jahr der Behinderer zu bezeichnen,
denn Nichtbehinderte feierten sich und ihre „Wohltaten".
Menschen mit Behinderungen dienten bestenfalls als Staffage. Allerdings
machten die Behinderer die Rechnung ohne die behinderten „Wirte".
Die „Krüppelbewegung" wuchs, Selbsthilfeverbände
gründeten sich. Sie lernten ihre früheren Bitten in Forderungen
zu wandeln. Selbstbestimmung statt Fürsorge, Teilhabe statt Aussonderung
waren und sind bis heute die Maximen.
Auf Druck der behinderten Menschen wurden über Jahrzehnte hinweg
gesetzliche Regelungen eingeführt, die von Nichtbehinderten häufig
als Vergünstigungen bezeichnet werden, die jedoch tatsächlich
lediglich als Nachteilsausgleiche dienen und ein Stück Chancengleichheit
gewähren sollen.
Dazu gehören zum Beispiel höhere Steuerfreibeträge,
da der Gesetzgeber erkannt hat, dass behinderte Menschen höhere
Lebenshaltungskosten haben. Die Rundfunkgebührenbefreiung sollte
als kleiner Ausgleich dazu dienen, dass die Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft – wie zum Beispiel Kino- und Theaterbesuche –
mangels barrierefreier Veranstaltungsorte nur sehr eingeschränkt
möglich war. Ermäßigte Telfongebühren gab es, weil
viele behinderte Menschen (ebenfalls mangels Barrierefreiheit) gezwungen
sind, etliche zwischenmenschliche Kontakte durch Telefonate herzustellen.
(Zentrale) Behindertenparkplätze wurden geschaffen, da viele Menschen
mit Gehbehinderungen weitaus größere Mühen beim Zurücklegen
von Entfernungen haben als Nichtbehinderte. KFZ-Steuerbefreiungen sollen
die Fahrzeughaltung finanziell erleichtern, denn öffentliche Verkehrsmittel
können nur völlig unzureichend und in vielen Gegenden gar
nicht genutzt werden.
Zuschüsse zur Einrichtung eines Arbeitsplatzes (in der Regel an
die Arbeitgeber) ermöglichen häufig erst, dass diese bereit
sind, einen behinderten Mitarbeiter einzustellen. Und nur wenn der Arbeitsplatz
auf die individuellen Bedürfnisse angepasst ist, kann der behinderte
Arbeitnehmer die bestmögliche Arbeitsleistung erbringen.
Auf permanenten Druck behinderter Menschen und durch ständige
Öffentlichkeitsarbeit ist es im Laufe der Jahrzehnte gelungen,
etliche Bordsteine abzusenken, barrierefreie Toiletten zu installieren,
Hotels zu bewegen, für Rollstuhlbenutzer geeignete Zimmer bereitzustellen,
öffentliche Verkehrsmittel barrierefrei zu gestalten usw.
Was in wenigen Sätzen und durchaus nicht den Anspruch auf Vollständigkeit
erhebend, zusammengefasst wurde, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe
um Chancengleichheit.
Neue Gesetze in den vergangenen zehn Jahren
Als 1994 der Zusatz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt
werden" in das Grundgesetz aufgenommen wurde, haben viele behinderte
Menschen gehofft, am Ziel das Gleichstellung lautet, angekommen zu sein.
Groß war die Enttäuschung, als sie feststellten, wie wenig
dieser Satz im Alltagsleben tatsächlich bewirkt. Also wurde weiter
gekämpft.
Am 1. April 1995 startete die Pflegeversicherung mit ihren Leistungen.
Auf Pflege angewiesene Menschen erhofften sich mit ihr Hilfeleistungen
einkaufen zu können und unabhängig von der einkommens- und
vermögensabhängigen Sozialhilfe zu werden. Die Pflegeversicherung
stellte sich in vielen Bereichen als kontraproduktiv dar. Als „Teilkaskoversicherung"
konzipiert, lässt sich mit ihr auch nur ein Teil der notwendigen
Hilfen bezahlen. Der restliche Hilfebedarf muss weiterhin ehrenamtlich
organisiert werden, oder, wenn das eigene Einkommen nicht reicht, über
den Sozialhilfeträger finanziert werden. Genauso schlimm war, dass
mit Einführung der Pflegeversicherung Behinderung wieder unter
medizinisch defizitären Gesichtspunkten betrachtet wurde. Die sozialen
Aspekte gingen völlig verloren.
Mit dem SGB IX, dem Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe, das am
1. Juli 2001 in Kraft trat, war die Hoffnung auf ein Leistungsgesetz,
das behinderungsbedingte Nachteile ausgleicht, verknüpft. Auch
diese Hoffnungen wurden enttäuscht, denn das SGB IX stellt kein
Leistungsgesetz dar, sondern ist – vereinfacht ausgedrückt
– ein „Dachgesetz", das lediglich Auswirkungen auf
die anderen Sozialgesetzbücher und das Bundessozialhilfegesetz
(BSHG) hat. Dennoch kann es, richtig angewandt, die Lebensbedingungen
behinderter Menschen verbessern helfen. Die Selbstbestimmung und Wahlfreiheit
wird verstärkt, der Weg zu Leistungen vereinfacht und beschleunigt.
Erstmals werden die Belange behinderter Frauen, die in vielen Bereichen
sowohl als Frauen wie auch als Behinderte doppelt benachteiligt sind,
berücksichtigt.
Dem SGB IX folgte am 1. Mai 2002 das Bundesgleichstellungsgesetz (BGG).
Es zeigte sich schnell, wie eng die Grenzen dieses Gesetzes sind. Das
BGG kann ausschließlich im Bereich des Bundesrechtes regeln. Dennoch
war es wichtig, ein möglichst „gutes" Bundesgleichstellungsgesetz
zu bekommen, da sich an ihm die Landesgleichstellungsgesetze orientieren
(werden). Die meisten wichtigen Bereiche, in denen sich das Leben abspielt,
fallen in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Dazu zählen
Bauordnungen, der öffentliche Personennahverkehr und das Bildungsrecht.
Doch bisher hat noch längst nicht jedes Bundesland Landesgleichstellungsgesetze
für behinderte Menschen konzipiert.
Die Ergänzung im Grundgesetz, das SGB IX, das Bundesgleichstellungsgesetz,
schon vorhandene und geplante Landesgleichstellungsgesetze, ergänzt
durch Steuererleichterungen, Verbesserungen im Strafrecht bei Delikten
gegenüber behinderten Menschen usw. haben die Lebenssituationen
behinderter Menschen zweifelsohne verbessert. Doch stellt sich die Frage:
Sind die Ziele von Chancengleichheit, Selbstbestimmung und
Teilhabe erreicht?
Nein!
Der Kampf muss weitergehen
Zwar war das Jahr 2003 das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen
(EJMB), bei dem diese Akteure und nicht mehr Staffage waren. Zwar wurden
unzählige Veranstaltungen von und mit behinderten Menschen durchgeführt.
Zwar wurden schöne Reden über Selbstbestimmung und Gleichstellung
geschwungen. Doch der Lebensalltag behinderter Menschen im Jahre 2004
in Deutschland sieht anders aus.
Noch immer ist Barrierefreiheit eher die Ausnahme als die Regel. Noch
immer kann nur ein Bruchteil der öffentlichen Verkehrsmittel ungehindert
benutzt werden. Noch immer ist Verreisen nur mit umfangreichen Vorausplanungen
möglich, da barrierefreie Unterkünfte nach wie vor in viel
zu geringem Umfang vorhanden sind. Noch immer können behinderte,
auf einen Rollstuhl angewiesene Menschen ihre Verwandten und Freunde
kaum besuchen, weil barrierefreies Bauen im privaten Wohnungsbau nicht
vorgeschrieben werden kann.
Noch immer müssen Eltern vielerorts darum kämpfen, dass ihre
behinderten Kinder die Regelkindergärten und –schulen besuchen
dürfen. Noch immer werden behinderte Kinder gezwungen, Sondereinrichtungen,
weit entfernt ihrer Heimatorte, zu besuchen und demzufolge aus ihren
Familien gerissen zu werden – und das in einem Alter, in dem das
niemand einem nichtbehinderten Kind zumuten würde.
Noch immer sind behinderte Menschen – trotz aller Sonderprogramme
und Förderungen – überproportional arbeitslos. Noch
immer leben viele behinderte Menschen von sehr geringen Einkommen. Noch
immer leben tausende behinderter Menschen ausschließlich aus Kostengründen
und gegen ihren Willen in (Groß-)Einrichtungen – häufig
in Zwangsgemeinschaften von Mehrbettzimmern.
Noch immer müssen behinderte Menschen um die schon vorhandenen
Rechte kämpfen – oft bis vor die Gerichte. Noch immer leben
behinderte Menschen in unwürdigen Verhältnissen mit drastischen
Einschränkungen in ihrer Lebensqualität, weil ihnen sachliche,
personelle oder finanzielle Hilfen, oft gegen geltendes Recht verweigert
werden.
Weil es nach wie vor kein Zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz
(ZAG) gibt, das den Schutz behinderter Menschen gegen Benachteiligung
und Diskriminierung in diesem Bereich einschließt, dürfen
Versicherungen Behinderte von Vertragsabschlüssen ausschließen.
Noch immer dürfen Gaststättenbetreiber behinderte Menschen
ausschließlich wegen deren Behinderung vom Besuch ihrer Gaststätte
ausschließen, ohne dafür belangt zu werden. Noch immer dürfen
Fluggesellschaften ohne Angst vor Sanktionen behinderten Reisenden die
Mitnahme verweigern. Noch immer haben wir eine Bundesjustizministerin,
die erst Beweise für die ihrer Meinung nach nicht stattfindenden
Diskriminierungen und Benachteiligungen fordert und sämtliche ihr
vorliegenden Beispiele geflissentlich ignoriert.
Noch immer werden Gerichtsurteile gesprochen, die die Anwesenheit behinderter
Menschen am Urlaubsort als entschädigungswürdigen Reisemangel
bewerten.
Noch immer müssen berufstätige behinderte Menschen einen
hohen Eigenanteil an ihren Assistenzkosten leisten und damit ihr Leben
auf Sozialhilfeniveau fristen.
Und während sich behinderte Organisationen für ein Zivilrechtliches
Antidiskriminierungsgesetz einsetzen, während sie ein Assistenzgesetz
einfordern, das behinderte Menschen aus den Fängen der Sozialhilfe
befreit, während dessen strickt der Gesetzgeber an neuen Gesetzen,
die die Lebensbedingungen behinderter Menschen nicht verbessern, sondern
teilweise dramatisch verschlechtern werden.
Zur gleichen Zeit, als das EJMB mit allen seinen schönen Reden
stattfand, wurde die Gesundheitsreform „ausgeheckt", die
für behinderte Menschen überproportionale Belastungen mit
sich brachte. Jetzt wird um die Rücknahme oder Änderung jeder
einzelnen Regelung gekämpft, die behinderte Menschen in finanzielle
Nöte treibt. Und während hier viel Energie und Zeit eingesetzt
werden muss, arbeitet der Gesetzgeber am SGB XII, welches das Bundessozialhilfegesetz
ablösen soll.
Als das SGB IX und das Bundesgleichstellungsgesetz konzipiert wurden,
geschah das unter den Augen der Öffentlichkeit und der Beteiligung
der Behinderten(selbsthilfe)organisationen, denn es war klar, dass diese
Gesetze – wenn auch nicht im erhofften Umfang – Verbesserungen
bringen würden. Beim SGB XII sieht das völlig anders aus.
Wenige öffentliche Anhörungen zeigen, dass diesmal kein großer
Wert darauf gelegt wird, die Inhalte frühzeitig bekannt werden
zu lassen. Und das ist verständlich, denn dieses Gesetz wird drastische
Verschlechterungen für alle, besonders aber für behinderte
Menschen, mit sich bringen. Gleichzeitig trifft die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe behinderte Menschen mit ihren verminderten
Chancen auf dem Arbeitsmarkt besonders hart. Selbst für diejenigen,
die auf Assistenz angewiesen sind und dennoch seither ihren Lebensunterhalt
durch Erwerbstätigkeit selbst bestreiten konnten, wird es Verschlechterungen
durch das SGB XII geben. Dort sollen die Einkommensgrenzen drastisch
abgesenkt werden, mit der Folge, dass die Betroffenen künftig noch
weitaus mehr als seither von ihrem Einkommen für die Assistenzkosten
aufbringen müssen.
Derzeit ist die Reform der Pflegeversicherung im Gespräch. Das
fordern behinderte Menschen und ihre Organisationen schon lange. Sieht
man jedoch die Begründung, wird schnell deutlich, was mit Reform
gemeint ist: Ziel ist es die Betragshöhe stabil zu halten. Da die
Anzahl der Pflegebedürftigen seit Einführung der Pflegeversicherung
gestiegen ist, kann es eine Beitragsstabilität nur durch Leistungskürzungen
geben. Das Ganze wird dann unter dem Deckmantel „Stärkung
des ambulanten Bereichs", einer langjährigen Forderung der
Behindertenselbsthilfeorganisationen, verkauft. Verkauft – und
zwar als dumm – müssen sich die Organisationen dabei schon
vorkommen, denn es ist jedem, der auch nur etwas rechnen kann klar,
was eine solche „Reform" bringen wird.
Gerade in Zeiten, in der durch hohe Arbeitslosenquoten das soziale
Klima abkühlt, müsste der Gesetzgeber deutliche Zeichen zur
Chancengleichheit behinderter Menschen setzen. Dazu zählt unter
anderem das ZAG. Macht er das nicht, sehen sich diejenigen bestätigt,
die behinderte Menschen als „Schmarotzer der Gesellschaft"
beschimpfen, die ungerechtfertigte Bevorzugungen und Vergünstigungen
bekommen. Sieht der Staat keine Notwendigkeit darin, behinderte Menschen
als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger zu behandeln,
werden es viele Nichtbehinderte auch nicht tun.
Die Behindertenbewegung hat in den vergangenen Jahrzehnten hart gearbeitet
und gekämpft. Sie ist ein Stück weit vorangekommen. Doch das
Ziel ist noch weit.