Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Tübingen (20. Februar 2001)

Assistenz für Menschen mit Behinderungen! Chance für ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft

19.30 Uhr, Podiumsdiskussion mit Corina Zolle in der Volkshochschule Tübingen, Katharinenstr. 18, LORETTO Saal - Veranstalter: AMSEL-Kontaktgruppe Tübingen, Club für Behinderte und ihre Freunde e.V. (CeBeeF), Koordinationstreffen Tübinger Behindertengruppen, Lebenshilfe für Menschen mit Behinderungen Tübingen e.V., Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. - Bereich Tübingen/Reutlingen, Volkshochschule Tübingen

Kontakt: Koordinationstreffen Tübinger Behindertengruppen
Tel.: 07071/26969
Fax: 07071-561778
E-mail: koordinationstreffen.tuebingen@t-online.de

Zusammenfassung der Veranstaltung vom 20. Februar 2001 in Tübingen

Am 20. Februar fand in Tübingen eine Podiumsdiskussion zum Thema "Assistenz für Menschen mit Behinderungen! Chance für ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft" statt.

Veranstalter war das Koordinationstreffen Tübinger Behindertengruppen, bestehend aus der AMSEL-Kontaktgruppe Tübingen, dem Club für Behinderte und ihre Freunde e.V. (CeBeeF), der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderungen Tübingen e.V., der Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. - Bereich Tübingen/Reutlingen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Tübingen. Für das ForseA nahm die stellvertretende Vorsitzende, Dr. Corina Zolle, teil.

Der Radiosender SWR 4 Studio Tübingen übertrug einen Teil der Veranstaltung im Rahmen der Reihe "Hörertag im Studio" in einem interessanten Zusammenschnitt.

Dr. Corina Zolle beschrieb sehr eindrucksvoll, was Assistenz sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privatleben für sie bedeutet. Sie ist rund um die Uhr selbst bei einfachen Verrichtungen auf Hilfeleistungen durch andere angewiesen. Ohne Assistenz hätte sie nicht studieren und als Molekularbiologin promovieren können. Für sie bedeutet die Assistenz die Basis für ein selbstbestimmtes Leben. Ihre AssistentInnen beschäftigt sie in regulären Arbeitsverhältnissen.

Anders dagegen der Tübinger Gotthilf Lorch. Er kann seinen Alltag mit sieben Stunden täglicher Hilfe für ihn einigermaßen zufriedenstellend organisieren. Er spricht vom "falschen Arbeitgebermodell", denn er kann die Hilfeleistungen nur über Honorare finanzieren. Die Kosten für reguläre Arbeitsverhältnisse, die die Kostenübernahme für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern ebenfalls decken, bekäme er im Raum Tübingen nicht erstattet, berichtet er. "Wenn ein Assistent krank ist, fällt er für mich aus. Finanziell abgesichert ist er nicht," erklärt er. Seine Ausführungen bekräftigen, dass die Behauptung, die öffentlichen Träger der Sozialhilfe würden zu den größten Finanziers von Schwarzarbeit zählen, vermutlich stimmt. Damit werden sowohl die behinderten Menschen als auch die AssistentInnen seitens der Behörden in die Illegalität gedrängt. Doch nicht die Behinderten und die AssistentInnen gehören verurteilt, sondern die Behörden. Die behinderten Menschen müssen ihre Assistenz sichern, da sie (über-)lebensnotwendig ist. Den AssistentInnen gebührt hingegen Hochachtung dafür, dass sie überhaupt bereit sind, gegen niedrige Entlohnung und ohne soziale Absicherung zu arbeiten.

Der Leiter des Fachdienstes für die Eingliederung Behinderter (FEB) aus Tübingen bewies mit seinen Erläuterungen, dass die Begriffe Arbeitsassistenz und Arbeitsplatzassistenz nach wie vor nicht bundesweit einheitlich definiert werden. Unter Arbeitsassistenz definiert die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung die permanente Assistenz am Arbeitsplatz, die nicht zeitlich begrenzt werden darf. Der Leiter des FEB Tübingen hingegen schildert die Arbeitsassistenz als die - zeitlich begrenzte - Unterstützung, die insbesondere lernbehinderte und sogenannte geistig behinderte Menschen benötigen, bis sie sich an ihrem neuen Arbeitsplatz etabliert haben. Natürlich sei auch die Arbeitsplatzassistenz notwendig und muss gefördert werden.

Jakob Hermann ist blind. Mit Unterstützung eines Zivildienstleistenden besucht er eine Regelschule. Dort fühlt er sich wesentlich wohler als in einer speziellen Schule für blinde Menschen. Er betont, dass er sich nicht vorstellen kann, den ganzen Tag einen Zivi zur Seite zu haben. In den Bereichen, in denen er ohne Helfer zurechtkommt, will er sich seine Selbständigkeit bewahren. Damit macht er ganz klar deutlich, dass er, wie fast alle behinderten Menschen, die für ihn notwendigen Hilfeleistungen beansprucht und nichts darüber hinaus. Wie schon Gotthilf Lorch zuvor erklärte, ist er froh, nicht den ganzen Tag Dritte in seiner Wohnung haben zu müssen. Ein Aspekt, der all denen zu denken geben müsste, die behinderten Menschen Versorgungsmentalität und die Neigung zu Überversorgung unterstellen.

Thomas Seifert vom LWV behauptet, die Assistenz im üblichen Sinne sei wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten der Kostenträger (Pflegeversicherung, LWV und örtliche Sozialhilfeträger) derzeit in Baden Württemberg nicht möglich. Aus Sicht behinderter Menschen eine geradezu abstruse und ignorante Behauptung. Etliche in Baden Württemberg mit Assistenz lebende behinderte Menschen beweisen das Gegenteil. Bundesweit sind es zwischen 1500 und 2000 Menschen.

Letztendlich ist nämlich schon heute die gesetzliche Grundlage für persönliche Assistenz verankert. Lediglich die Verwaltung verweigert häufig unter Kostenaspekten die Kostenübernahme. Größter Knackpunkt ist die Einkommens- und Vermögensabhängigkeit der Leistung, die Verweigerung der Anerkennung von Bedarfen seitens der Kostenträger und nicht zuletzt § 3a des Bundessozialhilfegesetzes, der die ambulante Versorgung nur dann bevorzugt, wenn diese nicht mit unverhältnismäßígen Mehrkosten gegenüber der stationären Versorgung verbunden ist.

Bei der Veranstaltung in Tübingen wurde sehr deutlich, wo dringender Handlungsbedarf beim Gesetzgebung aber auch den ausführenden Organen besteht. Unzureichende Leistungen als Nachteilsausgleiche verhindern die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen nach wie vor.

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