Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung mit
Assistenz
16.-00-18.00 Uhr im Gemeindezentrum St. Michael, Kurze
Straße 13, Göttingen
Veranstalter: Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen
Kontakt: Anette Werner, Tel. 0551-54733-12
Veranstaltungsbericht
Das Thema "Selbstbestimmtes Leben mit Assistenz" lockte 21 Interessierte
ins St. Michael Gemeindehaus. Kooperationspartnerin des ForseA war bei dieser
Veranstaltung der "Assistenztour" die Selbsthilfe Körperbehinderter (SHK)
Göttingen.
Nach einer kurzen Begrüßung und einigen Erläuterungen zu
den Inhalten der Assistenztour, stellte Elke Bartz den Anwesenden das
Arbeitgebermodell vor. Sie berichtete, dass bei diesem Modell der behinderte
Mensch Arbeitgeber für seine HelferInnen (AssistentInnen) ist. Er kann
sich diese auf dem freien Arbeitsmarkt suchen und die entsprechenden
Arbeitsverträge mit ihnen selbst abschließen. Er weist die
AssistentInnen ebenso selbst in die notwenigen Hilfeleistungen ein und
verfügt dem zu Folge nach einer gewissen Einarbeitungszeit über,
für seine eigenen Bedürfnisse, spezialisiertes Personal.
Außerdem gibt er selbst - in Absprache mit den Assistentinnen - die
Dienstpläne vor. Damit wird ein großes Maß an Selbstbestimmung
und freier Gestaltung des Alltagslebens möglich. Allerdings bringt das
Arbeitgebermodell auch Eigenverantwortung und Verpflichtungen wie die
Erstellung von korrekten Lohnabrechnungen mit sich. Doch können mit den
Lohnabrechnungen auch Steuerbüros oder Servicestellen wie das Zentrum
für Selbstbestimmtes Leben in Mainz, der Verbund behinderter
ArbeitgeberInnen in München oder die Vereinigung
Integrationsförderung in München beauftragt werden.
Da die SHK einen sehr guten ambulanten Dienst unterhält, hat es
seither keinen großen bzw. bekannten Bedarf an Alternativen wie dem
Arbeitgebermodell in Göttingen gegeben. Dieser Dienst versucht so weit als
möglich, seinen KundInnen Freiheit bei der Auswahl der HelferInnen zu
gewähren. Dadurch kann die Hilfe für die meisten zufriedenstellend
gesichert werden. Als Hilfeleistende werden neben festangestellten und
studentischen HelferInnen Zivildienstleistende eingesetzt.
Als Folge der Zivildienstzeitverkürzung und der Streichung von
Zivildienstplätzen stehen statt der früheren rund 60 Zivis derzeit
nur noch rund 20 zur Verfügung. Diese eklatante Lücke in der
Versorgung musste die SHK mit hauptamtlichen Kräften "auffüllen", was
zwangsläufig mit steigenden Kosten verbunden ist. Kein Wunder, dass nach
finanzierbaren Alternativen gesucht wird, insbesondere, wenn künftig noch
weniger Zivis zur Verfügung stehen.
Hier kann das Arbeitgebermodell sehr wichtig werden. Gudrun Freijer,
selbst Assistenznehmerin und bei der Stadt Göttingen beschäftigt,
meinte, es sei ungeheuer wichtig, behinderte Menschen über diese
Möglichkeit zu informieren, damit Verweisungen auf Heime gegen den Willen
der Betroffenen vermieden werden. Die SHK kann sich ihrerseits vorstellen,
langfristig als Servicestelle behinderte Menschen bei der Umsetzung des
Arbeitgebermodells zu unterstützen und ebenfalls den Service der
Lohnabrechnungen zu leisten. Der ambulante Dienst kann sich dann auf diejenigen
konzentrieren, die das Arbeitgebermodell nicht praktizieren können oder
wollen.
Die anwesende Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes zeigte sich ebenfalls
von den Chancen und Möglichkeiten des Arbeitgebermodells stark
beeindruckt. Wie schon in Buchholz waren auch hier die Eltern eines durch
Unfall schwerstbehinderten Sohnes anwesend. Sie berichteten, kaum glauben zu
können, welche Möglichkeiten es auch für sehr schwer behinderte
Menschen gibt. Ihr Sohn lebt schon seit acht Jahren in einem Heim. Bei allen
Stellen, bei denen sie sich nach dem Unfall ihres Sohnes informierte,
hieß es. "Für jemanden mit einer solch schweren Behinderung gibt es
nichts anderes. Sowohl Gudrun Freijer als auch die anwesenden Mitarbeiter der
SHK sagten sofort ihre künftige Unterstützung zu.
Die Anwesenden bekräftigten übereinstimmend die Notwendigkeit
von Informationen, an denen es nach wie vor stark mangelt. Ebenso gefordert
wurde eine Gesetzgebung, welche die Teilhabe behinderter Menschen mit
Assistenzbedarf grundlegend sichert. Darum wurde die Wichtigkeit der
Assistenztour nochmals hervorgehoben und der Wunsch nach weiteren
Veranstaltungen laut.
Göttinger Tagblatt 07.04.2001
ZU GAST IN GÖTTINGEN / ForseA-Vorsitzende Elke Bartz
"Wie der Sturz in ein tiefes Loch"
Weil sie von Pflegeeinrichtungen unabhängig sein wollte,
beschäftigt die querschnittsgelähmte Elke Bartz seit zehn Jahren
Pflegeassistenten. Zur Zeit tourt die Vorsitzende des Bundesverbandes
Selbsthilfe Körperbehinderter durch Deutschland - um Menschen in
ähnlicher Lage über die Möglichkeiten des Arbeitgebermodells zu
informieren.
VON KATHARINA KLOCKE
Göttingen. Vor 25 Jahren hätte Elke Bartz ihre
Selbstständigkeit beinahe verloren: Ein Autounfall fesselte die damals
20-Jährige an den Rollstuhl. Sie landete in einer stationären
Pflegeeinrichtung. Mit einem Leben, in dem fremde Menschen über ihre
Tagespläne, Essenzeiten und finanziellen Mittel verfügten, wollte sie
nach fünf Jahren nicht mehr abfinden. In der Einrichtung lernte sie ihren
zweiten Ehemann kennen.
Gemeinsam baute das Paar ein Haus in Mulfingen, Baden-Württemberg,
und zog dort 1981 ein. Unterstützung erhielt Bartz im Zuge der
Schwerstbehindertenbetreuung von Zivildienstleistenden. Als deren Dienstzeit
1990 verkürzt wurde, brach das Hilfesystem zusammen. "Das war wie der
Sturz in ein tiefes Loch", erinnert sich die 45-Jährige. Der Ehemann,
selbst behindert, konnte ihr nur bedingt beistehen. Mit familiärer
Unterstützung und Hilfeleistungen, die sie "stückchenweise
zusammenkaufte", überstand sie die Wochen, bis wieder ein
Zivildienstleistender zur Verfügung stand.
Rechtsstreit
Erst die Möglichkeit, Pflegekräfte als
Assistenten einzustellen, eröffnete ihr größtmögliche
Selbstbestimmtheit. Probleme bereiteten die Finanzen: Der
Sozialhilfeträger verweigerte seinen Anteil mit dem Hinweis, sie möge
ob der geringeren Kosten aus der Ehegemeinschaft ausziehen und sich in eine
Pflegeeinrichtung begeben. Ãœber das Verwaltungsgericht erstritt sich Bartz
1994 das Recht, schwerbehinderte Arbeitgeberin zu werden. Die im Verfahren
erworbenen Kenntnisse setzt sie heute als Vorsitzende des Forums
selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA) ein, um anderen
Betroffenen zu helfen.
Auch auf der von ForseA organisierten Tour durch mehr als 20 deutsche
Städte will Bartz informieren. "Das ist total spannend", beschreibt sie
die Rundreise im eigenen Auto. In Göttingen war die 45-Jährige zu
Gast bei der Selbsthilfe Körperbehinderter. Dort können sich
Behinderte aus der Region und deren Angehörige unter Telefon 0551/54 73 30
über ein "selbstbestimmtes Leben mit Assistenz" beraten lassen.