01. Januar 2000
Die Feiertage vergehen sehr schnell, die Assistentinnen arbeiten sich
gut ein. Ob wir die richtige Wahl getroffen haben, wird sich ja zeigen.
Die ersten 2 Wochen liefen gut.
Ab heute haben wir zeitweise 2 Assistentinnen am Tag hier. Unsere Mutter zieht
sich endgültig in ihre noch fast leere Wohnung zurück und kommt nur noch
zu Besuch. Sie betrachtet das Ganze immer noch mit gemischten Gefühlen und
weiß nicht, was das neue Jahr bringen wird.
05. Januar 2000
Vor Beginn unseres Arbeitgebermodells haben wir uns bei der Stadtverwaltung
durchgefragt, wer denn überhaupt für die Unfallversicherung
für Beschäftigte im Privathaushalt zuständig ist. Wir
wurden weiter verwiesen nach Meißen an die Unfallkasse Sachsen.
Telefonisch erhielten wir die Auskunft, dass wir nur 2 Versicherungen
abschließen brauchen, wenn täglich nur 2 Assistentinnen bei
uns beschäftigt sind und die anderen frei haben. Auf den Erfassungsbögen,
die wir daraufhin erhielten, sollten wir aber unsere Beschäftigten
namentlich angeben. Die Unfallkasse Sachsen schickt uns deshalb noch
4 weitere Formulare für die Unfallversicherung unserer Assistentinnen.
Wir sollen alle Assistentinnen mit ihren gesamten Daten eintragen und
auch noch eine Kopie des jeweiligen Arbeitsvertrages einreichen. Wir
verstehen das nicht und fragen nach. Wir als Arbeitgeber sind doch bei
der Unfallkasse gemeldet. Einen Unfall melden wir der Kasse und den
Namen der betroffenen Assistentin. Also ist es nicht nötig, von
vornherein alle Daten der Assistentinnen anzugeben. Unser Berater Gerhard
Bartz empfiehlt uns einen Bogen auszufüllen und die Kopie eines
Arbeitsvertrages einzureichen.
24. Januar 2000
Da wir bis jetzt immer noch keine Steuernummer vom Finanzamt haben,
frage ich nach. Die Beamtin will wissen, seit wann unser Betrieb läuft.
Als ich ihr sage, seit 15. Dezember, will sie sofort wissen, wie ich
denn die Steuern für Dezember angemeldet habe ohne Nummer? Um die
Steueranmeldung hieb- und stichfest abzusichern, hat Gerhard Bartz mir
geraten, mit der ersten Meldung eine Einzugsermächtigung zu erteilen.
Damit sind wir unserer Pflicht nachgekommen und der Handlungsbedarf
liegt beim Finanzamt. - Die Beamtin will mich bezüglich unserer
Steuernummer zurückrufen.
26. Januar 2000
Das Finanzamt meldet sich und teilt mit, dass unser Vorgang derzeit
bearbeitet wird. Wir erhalten Post von unserem Anwalt mit einem Schreiben
vom Verwaltungsgericht. Die Verhandlung zu unserer Klage soll am 10.02.00
um 13:00 h stattfinden. Wir sind gleich total aufgeregt.
Unsere Gedanken überschlagen sich und ich rufe unseren Anwalt an.
Ich weiß nicht, was uns da erwartet und will wissen, wie so etwas
abläuft. Er wundert sich, dass die erste Verhandlung so schnell
stattfindet. Ich brauche nichts weiter vorzubereiten, nur einen durchschnittlichen
Tagesablauf erstellen.
1. Februar 2000
Vorsichtshalber frage ich beim Verwaltungsgericht nach, ob das Gebäude
für Rollstühle zugänglich ist. Ich werde hin und her
verbunden und lande schließlich bei der Präsidentin. Die
Präsidentin kennt sich mit Rollstühlen aus (ihr Sohn sitzt
auch im Rollstuhl, er war schon öfter in dem Gerichtsgebäude!).
Sie will wissen, ob ich die Pflegeperson bin, als ich das verneine,
denkt sie, ich bin die Mutter. Ich sage ihr, dass ich die Betroffene
selbst bin. Das erstaunt sie. Ob ich keine anwaltliche Vertretung habe,
weil ich selbst an der Verhandlung teilnehmen will. Natürlich wollen
wir persönlich an der Verhandlung teilnehmen. Sie will sich erkundigen,
ob eine Rampe zur Verfügung steht (der Eingang hat 3 Stufen) oder
die Verhandlung in ein Nebengebäude verlegt werden muss und mich
deshalb zurückrufen.
3. Februar 2000
Die Präsidentin des Verwaltungsgerichtes teilt uns mit, dass der
Hausmeister beauftragt wurde, uns den Zugang zu einem Nebengebäude
zu ermöglichen. Die Verhandlung findet wie festgelegt am 10.02.00
um 13:00 Uhr statt. Unser Anwalt kommt dafür extra von Bad Mergentheim
nach Leipzig.
10. Februar 2000
Um 13:00 Uhr beginnt die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Leipzig.
Die Richterin will zu Anfang von den Vertreterinnen der Stadt Leipzig
wissen, welche Möglichkeiten sie für unsere Versorgung sehen.
Die beiden Vertreterinnen des Sozialamtes müssen einräumen,
dass sie in ganz Leipzig keinen Pflegedienst finden konnten, der unseren
Tages- und Nachtbedarf decken kann. Auf gezielte Anfragen hat sich keiner
gemeldet bzw. keiner kann die erforderliche Nachtversorgung organisieren.
Sie bieten nur Notrufsysteme mit einer Wartezeit von mindestens einer
halben Stunde. Das Problem liege darin, dass es in ganz Leipzig bisher
noch niemanden gab, der einen 24-h-Hilfebedarf angemeldet hat. Die Richterin
ist erstaunt und kann nicht glauben, dass wir die einzigen in der Stadt
sein sollen, die so einen großen Hilfebedarf haben. Die Vertreterin
des Sozialamtes erklärt, dass es so jemanden schon geben kann,
aber dem Sozialamt ist ein gleich gelagerter Fall nicht bekannt. (Kann
ja auch nicht, wir sind die ersten hier, die mit dem Arbeitgebermodell
ihre Assistenz sichern!) Die Richterin denkt ganz anders: Wenn es in
der ganzen Stadt niemanden sonst gibt, kann es bei uns auch nicht sein.
Fazit: Sie bezweifelt unseren Rund-um-die-Uhr-Bedarf.
Unser Anwalt weist auf die Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse
hin, der mit Pflegestufe III einen Rund-um-die-Uhr-Bedarf mit außergewöhnlich
hohem Pflegeaufwand festgestellt hat. Die Richter müssen unsere
Gutachten in den Akten suchen und lesen diese offensichtlich während
der Verhandlung zum ersten Mal!
Die Richterin will prüfen, ob rund um die Uhr auch 24 Stunden bedeutet.
Unser Anwalt wirft ein, dass rund um die Uhr genau das bedeutet: 24
Stunden. Das will die Richterin erst prüfen lassen. Sie will ein
neues Gutachten, sie wird keine Entscheidung treffen ohne neues Gutachten.
Wir sind schockiert, haben wir doch schon alle erforderlichen Dokumente
eingereicht, auch eidesstattliche Versicherungen. Die Richter sind der
Meinung, was vor dem 15. Dezember ging, müsse auch nach dem 15.
Dezember gehen. Unser Anwalt weist daraufhin, dass bis 15. Dezember
unsere Mutter den größten Teil des Hilfebedarfs abgedeckt
hat und seit dem 15. Dezember nicht mehr zur Verfügung steht. Egal,
was unser Anwalt anbringt: die Richterin will erst prüfen, ob unser
Bedarf gerechtfertigt ist.
Das Sozialamt hat Leistungskomplexe nach SGB XI zusammengestellt, die
unseren Bedarf decken sollen, aber völlig unzureichend sind. Diese
Komplexe umfassen auch die Nacht, aber einen Pflegedienst haben sie
dafür nicht finden können. Die Richterin schlägt daraufhin
vor, den Tagesbedarf mit einem Pflegedienst und den Nachtbedarf mit
dem Arbeitgebermodell zu organisieren. Vorher muss aber geprüft
werden, ob nachts überhaupt jemand vor Ort sein muss. Ansonsten
könnte man ja so verfahren, dass alle 3 Stunden jemand vom Pflegedienst
kommt und nachsieht, ob ein Bedarf besteht. Oder es muss herausgefunden
werden, zu welchen Zeiten ein Bedarf besteht und ob es ausreicht, wenn
der Pflegedienst z. B. das letzte Mal um 22:00 h kommt und dann wieder
4:00 h.
Ich flüstere unserem Anwalt zu, dass der Pflegedienst tagsüber
auch nicht vor Ort bleibt, sondern kommt und geht. Er wirft ein, dass
wir die Hilfe bei Bedarf benötigen und deshalb ständig jemand
vor Ort sein muss. Die Richterin findet den Pflegedienst ausreichend.
Räumt aber ein: „Wenn er bei der vorigen Patientin eine Stunde
länger braucht, kommt er eben eine Stunde später". Ich
sage, dass mir das nichts nützt. Ich kann nicht warten, wenn ich
auf die Toilette muss. „Eine Stunde warten ist zumutbar"
meint die Richterin. Wir sind fassungslos. Sie will wissen, wie wir
unsere Assistentinnen einteilen. Ich erkläre ihr, dass immer eine
rund um die Uhr da ist und eine zweite stundenweise am Tag dazu kommt.
Das versteht sie nicht. „Zwei Assistentinnen. Wieso denn?"
Ich antworte ihr: „Ganz einfach, weil wir zwei Schwerbehinderte
sind, die zu bestimmten Zeiten am Tag gleichzeitig eine Versorgung benötigen
und deshalb sind zeitweise zwei Assistentinnen vor Ort." Sie versteht
das immer noch nicht. Also erkläre ich ihr, dass wir zum Beispiel
morgens, wenn die große Körperpflege erledigt wird, jede
eine Assistentin zur Verfügung haben müssen. Sie sieht das
allerdings anders: „Die Grundpflege kann nacheinander erledigt
werden". Ich sage, dass wir dann erst gegen Mittag fertig sind
und noch nicht mal gefrühstückt haben. „Es ist zumutbar,
dass die Grundpflege nacheinander erledigt wird." Außerdem
sind für die Grundpflege 40 Minuten vorgesehen. Ich sage, dass
das nicht ausreichend ist. „Wenn 40 Minuten vorgesehen sind, sind
Sie auch in 40 Minuten fertig." Sie weiß das, weil sie oft
bei Pflegeleistungen dabei ist.
Andererseits unternehmen wir nicht alle Dinge gemeinsam, da benötigt
dann auch jede ihre eigene Assistentin. Nach den Vorstellungen des Sozialamtes
dürfen wir einmal pro Woche für Unternehmungen die Wohnung
verlassen. Das ist völlig ausreichend, wir können dann ja
ins Kino gehen. Irgendwann zwischendurch will die Richterin wissen,
ob wir „mit Gehhilfen laufen können". In dem Moment
wissen wir, dass sie völlig unvorbereitet in die Verhandlung gekommen
ist und unsere Akten nicht gelesen hat. Eine Beisitzerin will wissen,
ob wir überhaupt einen Schwerbehindertenausweis haben und ein „B"
(mit Begleitperson) vorn drauf ist. Ich antworte: „Ja und wir
haben das Merkzeichen H wie HILFLOS!" Sie will einen Ausweis sehen.
Wir sind sprachlos und können eigentlich nur noch den Kopf schütteln.
Einmal werde ich sogar von der Richterin direkt angesprochen, um mir
anzuhören: „Sie müssen Rücksicht auf die Allgemeinheit
nehmen, denn die Allgemeinheit muss für die Kosten aufkommen."
Das was wir wollen, können wir nicht verlangen.
Da die Richterin auf ein neues Gutachten besteht und wirklich jedes
Argument damit zurückweist, dass der Umfang unseres Hilfebedarfs
erst geprüft werden muss, verlangt unser Anwalt nur noch eine Klärung
zu unserer Finanzierung. Das Sozialamt hat anhand der Leistungskomplexe
nach SGB XI einen Betrag errechnet, den es für angemessen hält
und bereit ist, monatlich als Lohnkosten für unsere Assistentinnen
plus die Arbeitgeberanteile für die Sozialversicherung zu überweisen.
Die Lohnkosten übersteigen diesen Betrag aber erheblich, so dass
uns monatlich mehrere Tausend DM für die Bezahlung unserer Assistentinnen
fehlen. Aber auch diese Klärung wies die Richterin mit den Worten
zurück, dass sie heute keine Entscheidung trifft, sondern erst
ein neues Gutachten erstellen lassen will. Das bedeutet für uns,
dass wir in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil wir keine Möglichkeit
haben, die Differenz mit eigenen Mitteln auszugleichen. Wenn wir unsere
Assistentinnen nicht voll bezahlen können, besteht aber die Gefahr,
dass sie sich anderweitig um Arbeit kümmern und uns verlassen.
Das bedeutet wiederum, dass wir plötzlich ohne Versorgung dastehen
würden, denn nachweislich kann kein ambulanter Pflegedienst unseren
Hilfebedarf abdecken.
Während der gesamten Verhandlung ging es nicht um die umfassende
Sicherstellung unseres Hilfebedarfs. Es ging nicht um ein menschenwürdiges,
selbstbestimmtes Leben, sondern nur darum, was „ausreichend"
und „zumutbar" in den Augen der Richter ist. Sie gestehen
uns zu, in unserer Wohnung bleiben zu dürfen. Aber das mit einer
Unterversorgung unter „arrestähnlichen" Bedingungen.
Alles andere wäre zuviel verlangt!
10. Februar 2000
Nach der Verhandlung haben wir noch kurz mit unserem Anwalt gesprochen.
Wir wollen so schnell wie möglich erneut eine einstweilige Anordnung
beantragen, da die Kostenübernahme bis 31.03.2000 befristet ist.
Unser Anwalt rät uns, den Antrag noch im Februar zu stellen, damit
der März berücksichtigt werden kann. Bekanntlich überweist
uns das Sozialamt jeden Monat einen in deren Augen angemessenen Betrag,
die tatsächlichen Lohnkosten sind aber höher. Um unseren Rund-um-die-Uhr-Hilfebedarf
zu verdeutlichen, sollen wir unsere Tagesabläufe detailliert und
minutiös von mindestens einer Woche notieren.
11. Februar 2000
Ich habe noch einmal telefonisch das weitere Vorgehen mit unserem Anwalt
besprochen. Wir müssen außer den Tagesabläufen auch
ein Gutachten von unserer behandelnden Ärztin beibringen. Ich rufe
unsere Hausärztin gleich an und bitte sie um einen Hausbesuch.
Wir berichten von der Verhandlung und sie reagiert fassungslos. Sie
wird uns in kürzester Zeit ein Gutachten schreiben, das unseren
körperlichen Zustand genau beschreibt.
Für die Tagesabläufe notieren wir jeden Handgriff, den unsere
Assistentinnen für uns erbringen müssen, mit Uhrzeit: was
erledigt wird, beschreiben genau, wie es erledigt wird und wie lange
es im Einzelnen dauert. Wir fühlen uns wie „öffentliche
Personen", wenn wir daran denken, wer diese Aufstellungen lesen
wird.
Außerdem wäre es ratsam, wenn unsere Assistentinnen eidesstattlich
versichern, dass unser Hilfebedarf 24 Stunden anfällt.
14. Februar 2000
Wir schreiben an unseren Tagesabläufen. Für die genaue Auflistung
aller erfolgten Handgriffe benötigen wir pro Tag ungefähr 3
- 4 Stunden. Jede Hilfeleistung, erscheint sie uns auch noch so banal,
muss notiert werden.
16. Februar 2000
Unsere Assistentinnen unterschreiben eidesstattliche Versicherungen,
in denen ausdrücklich auf den hohen Zeitaufwand für unsere
Versorgung hingewiesen wird.
19. Februar 2000
Wir erhalten die Kopie eines Telefaxes vom Rechtsamt der Stadt Leipzig.
Darin wird mitgeteilt, dass die zeitlichen Einheiten (Zeitmodule), die
für die Leistungskomplexe nach SGB XI gelten, von Pflegekasse zu
Pflegekasse unterschiedlich festgelegt werden. Das würde bedeuten,
dass die Pflegekassen selbst entscheiden können, wie lange für
eine Pflegemaßnahme Zeit zur Verfügung gestellt wird. Das
stimmt so nicht! Ich weiß, dass die Zeitmodule für alle Pflegekassen
gleich gelten, da sie vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen festgelegt
worden. Trotzdem erkundige ich mich bei unserer Pflegekasse der AOK.
Die Mitarbeiterin bestätigt, dass die Zeitmodule für alle
Pflegekassen gleich sind und schickt mir eine Liste der Leistungskomplexe.
Weiterhin teilt das Rechtsamt mit, dass das Sozialamt die Personalkosten
für unsere Assistentinnen nicht in vollem Umfang übernehmen
wird, auch nicht für die Übergangszeit, bis das von der Richterin
verlangte Gutachten vorliegt. Ich hoffe nicht, dass sie uns absichtlich
ruinieren und so zum Nachgeben zwingen wollen.
Wir haben unsere Tagesabläufe von einer ganzen Woche komplett und
als eidesstattliche Versicherungen formuliert. Für jede von uns
ergeben diese Tagesabläufe ca. 40 computergeschriebene Seiten.
Wir schicken unsere Tagesabläufe, die eidesstattlichen Versicherungen
unserer Assistentinnen und die Gutachten unserer Hausärztin an
unseren Anwalt.
22. Februar 2000
Wir erhalten eine Kopie des Schreibens vom Verwaltungsgericht, in dem
der Gutachter bestellt wird. Es ist der Leiter der Neurologischen Abteilung
der Uniklinik Leipzig. Er soll unseren genauen Pflegebedarf ermitteln.
Vor allem geht es darum, ob für unsere Nachtversorgung die ständige
Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist, oder ob die nächtliche
Rufbereitschaft eines Pflegedienstes ausreichend ist, auch wenn bis
zum Eintreffen 30 min. vergehen können. Erfahrungsgemäß
vergeht viel mehr Zeit, wenn überhaupt jemand erscheint. Wir wissen
konkret von einem Pflegedienst, dass das Handy nachts ausgeschaltet
wurde. Am nächsten Tag hieß es dann, es war kaputt.
Außerdem soll er prüfen, ob es gerechtfertigt ist, dass wir
zeitweise 2 Assistentinnen benötigen.
Der Gutachter wird vom Gericht ausdrücklich gebeten, die Begutachtung
zeitnah durchzuführen, da unsere Situation durch die ungeklärte
Finanzierungsfrage dringlich ist.
24. Februar 2000
Nach einem Telefonat mit unserem Anwalt setzen wir eine ergänzende
eidesstattliche Versicherung auf, in der wir darlegen, dass wir weder
ein hohes Einkommen noch Vermögen besitzen, um die monatlich auftretende
Differenz zwischen den Lohnkosten und dem Betrag, den uns das Sozialamt
überweist, auszugleichen. Eine Assistentin überlegt schon,
sich anderweitig nach Arbeit umzusehen, wenn die Finanzierung nicht
klar ist. Sie selbst möchte abwarten, aber ihr Mann drängt
sie. Wir befürchten, dass sie mit ihren Zweifeln die anderen Assistentinnen
verunsichert.
Ich rufe den Geschäftsführer des Behindertenverbandes Leipzig
an, um in Erfahrung zu bringen, ob er in Leipzig noch jemanden kennt,
der seinen Hilfebedarf mit persönlicher Assistenz absichert. Seines
Wissens gibt es derzeit niemanden außer uns. Vor einigen Jahren
hatte ein junger Mann Zivi’s eingestellt. Aber leider ist der
Mann inzwischen verstorben. Der Geschäftsführer ist daran
interessiert, dass wir das Arbeitgebermodell in der Geschäftsstelle
vorstellen und will sich mit der Mitarbeiterin, die solche Nachmittage
organisiert, beraten.
26. Februar 2000
Unsere neue einstweilige Anordnung wurde am 24.02.2000 beim Verwaltungsgericht
Leipzig beantragt. Wir haben viel Material eingereicht und ich habe
keine Zweifel, dass schnell eine Entscheidung getroffen wird. Trotzdem
heißt es jetzt abwarten.
29. Februar 2000
Eine Mitarbeiterin vom Behindertenverband Leipzig meldet sich telefonisch
bei uns und lädt uns für den 15. März zu einem Themennachmittag
„Persönliche Assistenz" ein. Es wird auch ein Pflegedienst
da sein, der neuerdings für Behinderte persönliche Assistenz
organisieren will und so wäre das eine gute Gelegenheit, beide
Seiten zu hören. Da der Behindertenverband einen eigenen Fahrdienst
hat, kümmert sich die Mitarbeiterin um unsere Abholung.
02. März 2000
Von der Pflegekasse der AOK erhalte ich eine Aufstellung aller Leistungskomplexe
nach SGB XI. Weil ich aber anhand der Liste keine Zeitmodule, sondern
nur eine Punktbewertung erkenne, rufe ich die Leiterin unseres damaligen
Pflegedienstes an. Sie erklärt mir, dass die Punktzahl die Zeit
vorgibt. Wenn für die große Morgentoilette (Grundpflege)
450 Punkte angegeben sind, bedeutet das 45 min. Zeitvorgabe.
Das Sozialamt hat für uns in ihren Bescheiden vom 11.01.2000 eine
Anzahl Leistungskomplexe zusammengestellt, die sie für unseren
Hilfebedarf als angemessen betrachtet. Ich rechne die Zeiten dafür
zusammen und komme pro Person auf täglich abgesicherte 4 h für
Pflegemaßnahmen und Essenszubereitung, wöchentlich 36 Minuten
für Wäsche wechseln und waschen und 30 Minuten für Einkäufe.
In den täglich zuerkannten Leistungskomplexen sind für das
Reinigen der Wohnung 9 Minuten vorgesehen. Für die Darm-/bzw. Blasenentleerung
dürfen wir 6x täglich 10 Minuten benötigen!
Jetzt wird mir wieder bewusst, auf was wir, trotz unseres vom Medizinischen
Dienst der Krankenkassen anerkannten 24-h-Hilfebedarfs, reduziert werden
sollen. Es ist einfach unglaublich!
06. März 2000
Ich schicke die Aufstellung der Leistungskomplexe mit Angabe der Zeitvorgaben
an unseren Anwalt.
07. März 2000
Das Sozialamt überweist uns für den Lohnmonat Februar 9.121,42
DM, obwohl die Lohnabrechnung abzüglich der Pflegegelder der Pflegekasse
10.575,12 DM beträgt. Im Februar haben 2 neue Assistentinnen bei
uns angefangen. Während der Einarbeitungszeit wird halber Lohn
gezahlt, deshalb sind in diesem Monat die Lohnkosten niedriger. Zum
Glück können wir die Differenz durch eine Nachzahlung von
Pflegegeld ausgleichen.
9. März 2000
Nach langer Bearbeitungszeit erhalten wir den Beitragsbescheid für
die Unfallversicherung. Sie haben nun alles geprüft und benötigen
keine persönlichen Daten unserer Assistentinnen.
10. März 2000
Unser Anwalt reicht eine Ergänzung zur einstweiligen Anordnung
nach. In der weist er darauf hin, dass laut einer statistischen Erhebung,
der Münchner Tabelle, wöchentlich über 48 Stunden notwendig
sind, um einen 2-Personen-Haushalt zu versorgen. Die Tabelle wurde vor
Jahren erarbeitet, um zu dokumentieren, welchen Zeitaufwand Hausfrauen
haben.
15. März 2000
Endlich haben wir eine „eigene" Steuernummer! Das Finanzamt
hat uns gleich genügend Formulare für die Steueranmeldung
mitgeschickt.
Wir haben einen Termin beim Behindertenverband und sollen unser Arbeitgebermodell
vorstellen. Der Fahrdienst ist bestellt, ich habe vorsichtshalber noch
einmal angerufen. Elke Bartz hat uns Informationsmaterial geschickt,
das können wir an Interessenten verteilen. Gegen 13:30 Uhr soll
der Fahrdienst kommen, die Veranstaltung beginnt 14:00 Uhr, also ist
ausreichend Zeit. Wir warten und warten, gegen 14:00 Uhr rufe ich beim
Behindertenverband an, weil noch kein Fahrzeug gekommen ist. Alle Fahrzeuge
sind unterwegs, also kann es nicht mehr lange dauern. Gegen halb 4 geben
wir total enttäuscht und wütend auf, der Fahrdienst ist bis
jetzt nicht gekommen.
Dem Behindertenverband müsste ja auffallen, dass wir fehlen, es
kommt keine Nachfrage.
16. März 2000
Natürlich will ich wissen, woran es lag. Der Fahrdienst vom Behindertenverband
hat unsere Fahrt wegen mangelnder Kapazitäten weitergegeben. Bei
dem anderen Fahrdienst wurde der Auftrag nicht weiter geleitet und dadurch
vergessen. So etwas passiert natürlich ganz, ganz selten! Uns hat
es gleich bei unserer 2. Fahrt getroffen.
Ich frage beim Geschäftsführer des Behindertenverbandes nach,
ob sie uns nicht vermisst haben. Das haben sie wohl, haben sich aber
gedacht, dass etwas mit dem Fahrdienst nicht geklappt hat und damit
war das Thema erledigt. Es ist ärgerlich und enttäuschend,
wenn wir uns nicht auf sie verlassen können. In Zukunft wollen
sie sich unseren Namen merken und unsere Fahrten nicht an einen anderen
Fahrdienst geben.
17. März 2000
Wir erhalten die Stellungnahme des Sozialamtes zu unserem Antrag auf
einstweilige Anordnung. Unser tatsächlicher Hilfebedarf wird weiterhin
bezweifelt. Desweiteren sind sie der Ansicht, dass 12,- DM Stundenlohn
für ungelernte Kräfte in den neuen Bundesländern ausreichend
sind.
Sie sehen nicht ein, warum wir 6 Assistentinnen beschäftigen müssen.
Unsere 40seitigen Tagesabläufe, die als eidesstattliche Versicherung
eingereicht wurden, sind kein Beweis in deren Augen.
Bis heute haben wir weder eine Mitteilung noch einen Termin vom Gutachter
erhalten.
19. März 2000
Auf die Stellungnahme des Sozialamtes antwortet unser Anwalt, dass
die Hilfeleistungen nach BSHG bedarfsorientiert und weitergehender als
die Leistungen nach SGB XI sind.
12,- DM Stundenlohn für ungelernte Pflegekräfte in den neuen
Bundesländern sind illusorisch, da nach den Abzügen ja nur
6,- bis 8,- DM pro Stunde bleiben würden.
Er erläutert außerdem, dass für eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung
mehrere Arbeitskräfte durch die Arbeitszeitregelung notwendig sind.
22. März 2000
Unsere Hausärztin schreibt ein zusätzliches Gutachten. Elke
hatte vor einiger Zeit starke allergische Reaktionen mit Atemnot. Ein
Allergienachweis ist bisher nicht gelungen. Es besteht aber der Verdacht,
dass Farbstoffzusätze die Auslöser sein könnten.
27. März 2000
Wir erhalten die Bescheide für das Pauschale Pflegegeld nach §
69a BSHG. Die Zahlungen sind ebenfalls bis 31.03.2000 befristet. Für
die Monate Januar - März erhalten wir eine Nachzahlung.
01. April 2000
Wir beantragen das Pauschale Pflegegeld nach § 69a BSHG neu.
Der April beginnt, wir haben für diesen Monat keine Finanzierung.
Unser Arbeitgebermodell war befristet bis gestern. Natürlich haben
wir unsere Assistentinnen so eingeteilt wie immer. Wir erwarten jeden
Tag den Gerichtsbeschluss. Weiter trauen wir uns nicht zu denken!
04. April 2000
Unser Anwalt schickt erneut ein Schreiben an das Verwaltungsgericht
Leipzig. Er weist darauf hin, dass möglichst bald eine Entscheidung
gefällt werden muss. Es ist nicht die Zeit, um auf das Vorliegen
eines Sachverständigengutachten zu warten.
Das ist ein Punkt, den ich nicht verstehe. Obwohl das neue Gutachten
für das Klageverfahren verlangt wird, will das Verwaltungsgericht
offensichtlich das Gutachten ebenfalls für ihre Entscheidung auf
einstweilige Anordnung abwarten. Eine einstweilige Anordnung ist aber
ein Eilantrag und unsere Beantragung liegt nun schon 6 Wochen zurück,
ohne das bisher irgendetwas geschehen ist.
Der Gutachter hat sich noch nicht mit uns in Verbindung gesetzt. Er
weiß jetzt seit 7 Wochen, dass er das Gutachten erstellen soll
und er weiß auch, dass unsere Situation dringlich ist.
05. April 2000
Der Gutachter meldet sich endlich bei uns. Um unseren „häuslichen"
Pflegeumfang ermitteln zu können, schlägt er einen „stationären"
Aufenthalt in seiner Klinik vor. Nur so kann er zu einer differenzierten
Darstellung kommen. Er übersieht, dass er unseren Hilfebedarf unter
alltäglichen Bedingungen ermitteln soll. In einer Klinik herrschen
völlig andere Bedingungen und Abläufe. Wir haben mit allem
Möglichen gerechnet, aber nicht mit so einem Vorschlag. Wir wissen
nicht, wie wir darauf reagieren sollen, damit das Sozialamt uns nicht
als unkooperativ hinstellt.
Wir sprechen mit unserem Anwalt. Er setzt sich mit dem Gutachter in
Verbindung und schickt ihm Kopien unserer Tagesabläufe und der
Gutachten unserer behandelnden Ärztin mit. Wir sind sogar dazu
bereit, dass der Gutachter sich bei uns einquartiert.
12. April 2000
Wir erhalten in dem Schreiben des Sozialamtes zur Lohnkostenübernahme
für März die Mitteilung, dass die Frist der Hilfegewährung
bis 31.05.2000 verlängert wird. Das trifft auch für das Pauschale
Pflegegeld zu. Uns fällt ein Stein vom Herzen! Die Probleme sind
dadurch aber nicht gelöst, sondern verschieben sich nur um 2 Monate.
Und es bleibt trotzdem jeden Monat die Differenz!
Ich informiere unseren Anwalt von der Verlängerung der Hilfegewährung
und frage, ob er inzwischen Neues von der einstweiligen Anordnung weiß.
Bis heute ist nichts gekommen, obwohl er schon mehrfach, auch telefonisch,
Druck gemacht hat.
Die Richterin reagiert nicht darauf und ist telefonisch nicht zu sprechen.
13. April 2000
Wir beschließen nun endgültig die Öffentlichkeit einzuschalten.
Offensichtlich passiert in unserer Angelegenheit nichts und wir fühlen
uns einmal mehr hingehalten.
Wir beraten uns mit Elke Bartz. Wir können nicht länger warten
und sie hilft uns dabei, Kontakt zu den Medien herzustellen. Schon am
Nachmittag meldet sich ein Journalist von der Stuttgarter Zeitung und
wir vereinbaren einen Termin für morgen nachmittag.
Außerdem schreiben wir verschiedene Persönlichkeiten an,
um sie auf unsere jetzige Situation aufmerksam zu machen. Wir haben
uns für die Frau des Ministerpräsidenten von Sachsen, Frau
Biedenkopf, entschieden, die sehr engagiert ist und ein eigenes Büro
besitzt, und den Behindertenbeauftragten der Stadt Leipzig. Wir schicken
ein INFORUM mit und beschreiben genau den Ablauf der Verhandlung vor
dem Verwaltungsgericht im Februar.
14. April 2000
Unser Anwalt schickt einen Nachtrag an das Verwaltungsgericht mit dem
Gutachten unserer behandelnden Ärztin. Unser Anwalt äußert
darin den Verdacht, dass die Allergie eine Reaktion auf das derzeitige
Verfahren sein könnte.
Gleichzeitig weist er wiederholt auf unsere dringliche Situation hin.
Er fordert eine baldmögliche Entscheidung, da eine ausreichende
Bezahlung für unsere Assistentinnen nicht länger möglich
ist.
Der Journalist von der Stuttgarter Zeitung kommt am Nachmittag. Wir
führen ein langes Gespräch, erklären ihm unser Arbeitgebermodell
und speziell unsere Probleme. Er hat Kontakte zur Leipziger Volkszeitung
(LVZ) und zur Mitteldeutschen Zeitung, die in Halle erscheint.
Als er sich verabschiedet, lässt er uns seine Karte da. Ich kann
ihn bei Bedarf wieder anrufen.
17. April 2000
Wir informieren den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Herrn
Tiefensee, ebenfalls schriftlich über unsere Situation und schicken
ihm, wie schon Frau Biedenkopf und dem Behindertenbeauftragten, ein
INFORUM mit.
19. April 2000
Ãœber das Internet haben wir uns die Adressen von Report Mainz,
MDR Fakt und MDR selbstbestimmt! herausgesucht und schicken ebenfalls
eine Beschreibung unserer derzeitigen Situation.
21. April 2000
Wir erhalten vom Verwaltungsgericht Bescheid, dass über unseren
Antrag demnächst entschieden wird.
20. April 2000
Elke Bartz setzt sich mit Report Mainz in Verbindung. Da in der letzten
Sendung schon ein Beitrag über die Pflegeversicherung gesendet
wurde, ist Report nicht daran interessiert.
25. April 2000
Der Redakteur von Report Mainz meldet sich auf unser Schreiben. Er
hat es gerade auf seinen Tisch bekommen, gleich gelesen und ist nun
doch sehr interessiert. Versprechungen kann er nicht machen, er muss
erst die gesamte Redaktion überzeugen, einen Beitrag darüber
zu machen. Er ist sich bewusst, dass unsere Angelegenheit nichts mit
der Pflegeversicherung zu tun hat. Er möchte vorher mit unserem
Anwalt sprechen.
26. April 2000
Ich schaue jeden Tag in den Internet-Seiten der Stuttgarter Zeitung
nach. Bis heute ist der Artikel nicht erschienen. Um Näheres zu
erfahren, schicke ich dem Journalisten eine eMail und frage nach.
28. April 2000
Der Journalist der Stuttgarter Zeitung teilt uns mit, dass der Artikel
längst fertig ist und seit ungefähr 1 Woche bei der Zeitung
liegt. Seit 3-4 Tagen ist der auch bei der Leipziger Volkszeitung und
der Mitteldeutschen Zeitung (Halle).
Am Abend ruft der Behindertenbeauftragte der Stadt Leipzig an, um
mir zu beteuern, dass wir auf dem richtigen Weg sind und durchhalten
sollen. Aber leider kann er uns nicht helfen, da er selbst bei der Stadt
angestellt ist. Wozu brauchen wir dann einen Behindertenbeauftragten?
29. April 2000
Ein Beigeordneter vom Dezernat Gesundheit und Soziales antwortet auf
unser Schreiben an den Oberbürgermeister. Er hat die Rechtslage
geprüft und festgestellt, dass die Hilfegewährung bis Ende
Mai verlängert wurde. Daher betrachtet er unser Anliegen als erledigt.
Er geht weder auf die demütigenden Äußerungen der Richterin
während der Verhandlung ein, noch auf die unzureichende Finanzierung
durch das Sozialamt. Außerdem haben wir das Schreiben persönlich
an den Oberbürgermeister gerichtet und adressiert. Daher erwarte
ich, dass er auch darauf antwortet.
03. Mai 2000
Ãœberraschend ruft uns am Vormittag ein Mitarbeiter des MDR Fernsehen
an. Er hat den Artikel über uns in der Mitteldeutschen Zeitung
gelesen und fragt, ob wir einverstanden sind, wenn der MDR einen Beitrag
über uns bringt. Ich sage zu und er wird sich wieder bei uns melden.
Durch ihn wissen wir, dass der Artikel nun erschienen ist.
04. Mai 2000
Es meldet sich ein Mitarbeiter einer Produktionsgesellschaft, die für
ARD, ZDF und MDR Beiträge erarbeitet. Wir führen ein langes
Telefonat. Er will eine Aufstellung machen, die den Sendern anbieten
und sich dann wieder mit mir in Verbindung setzen.
05. Mai 2000
Eine Mitarbeiterin von MDR Info, dem regionalen Nachrichtenradio, vereinbart
mit uns einen Termin. Sie möchte sich länger bei uns aufhalten,
um eine Einblick zu bekommen, wie das Arbeitgebermodell in der Praxis
funktioniert. Sie hat sehr großes Interesse.
08. Mai 2000
Die Mitarbeiterin von MDR Info sagt den Termin wegen Krankheit ab.
Versichert mir aber, dass sie sich wieder meldet, sobald sie gesund
ist.
09. Mai 2000
Wir reagieren auf das Schreiben vom Behindertenbeauftragten der Stadt
Leipzig und möchten Antwort auf die Frage: Warum hat die Stadt
einen Beauftragten für die Belange behinderter Menschen, wenn sich
dieser nicht für deren Belange einsetzt?
Des weiteren schreiben wir an den Beigeordneten, der statt des von uns
angeschriebenen Oberbürgermeisters geantwortet hat. Eine Kopie
schicken wir auch an den Oberbürgermeister.
Das MDR Fernsehen meldet sich wieder bei uns und will einen Beitrag
über uns machen. Sie kommen noch in dieser Woche. Außerdem
habe ich eine Mail von dem Behindertenmagazin „selbstbestimmt!"
des MDR erhalten. Um uns helfen zu können, benötigt die Redakteurin
mehr Informationen.
10. Mai 2000
Ich rufe den Redakteur von Report Mainz an und teile ihm mit, dass
unser Anwalt wieder aus dem Urlaub zurück ist. Gleichzeitig möchte
ich wissen, wie es weitergeht, da er sich eine zeitlang nicht bei uns
gemeldet hat. Ich erfahre, dass weder in der Sendung im Mai noch im
Juni etwas über uns geplant ist. Er kann da gar nichts machen,
muß sich erst mal um andere Sachen kümmern. Er bleibt weiterhin
sehr interessiert und hofft auf die Sendung im Juli. Das nützt
uns aber nichts!
11. Mai 2000
Ich telefoniere mit unserem Anwalt. Es sind zwei Schreiben vom Gericht
an uns unterwegs, wenn wir die erhalten haben, werden wir weiteres besprechen.
Die Post kommt noch am selben Tag. Es handelt sich einerseits um ein
Schreiben die einstweilige Anordnung betreffend: Wir sollen noch einmal
ausführlich Stellung dazu nehmen, warum uns die Anwesenheit von
zwei Pflegekräften notwendig „erscheint". Sie danken
uns für die Erstellung unserer Tagesabläufe, erkennen darin
aber, das wir „möglicherweise im Wesentlichen mit einer Pflegekraft
sicherstellen ließe". Sie übersehen, dass wir im Wesentlichen
jetzt auch nur eine Pflegeperson haben, da 17 Stunden täglich eine
Assistentin allein für uns beide zuständig ist. Für sieben
Stunden sind die Assistentinnen zu zweit.
Das zweite Schreiben betrifft den Gutachtertermin. Offensichtlich hat
sich der Gutachter bei Gericht beschwert, weil unser Anwalt sich mit
ihm in Verbindung gesetzt hat, ohne übers Gericht zu gehen. Das
Verwaltungsgericht sieht darin eine „Verfehlung" unsererseits.
Allerdings hat der Gutachter uns zuerst direkt angeschrieben, ohne das
Gericht oder unseren Anwalt zu informieren. Weiterhin teilt das Gericht
mit, es liegt einzig und allein im sachverständigem Ermessen des
Gutachters, wo und wie die erforderlichen Untersuchungen durchgeführt
werden sollen. Wir sollen unverzüglich mitteilen, ob wir zu einer
stationären Aufnahme bereit sind. So, wie das Schreiben formuliert
ist, haben wir keine andere Wahl, als der stationären Begutachtung
zuzustimmen. Ansonsten müssen wir annehmen, dass weder unser Antrag
auf einstweilige Anordnung noch das Klageverfahren zu unserem Gunsten
ausgeht, weil wir unserer „Mitwirkungspflicht" nicht nachkommen.
Das wir einen derartigen Umgang mit unseren Personen als diskriminierend
und entwürdigend finden, interessiert natürlich niemanden
von behördlicher Seite. Es geht nur noch darum, unseren Grundpflegebedarf
zu ermitteln und der kann überall ermittelt werden.
Wir wissen auch nicht, wie unser Aufenthalt sich dort gestalten soll.
Hat das Krankenhaus überhaupt geeignete Hilfsmittel, die uns etwas
nützen? Wie lange soll unser Aufenthalt dauern? Was ist mit dem
Essen? Elke ist allergisch auf Konservierungs- und Farbstoffzusätze.
Wie will das Personal überhaupt unsere Versorgung organisieren,
nach Krankenhausrhythmus? Wir haben ganz große Bedenken. Wie sollen
wir reagieren, wenn sie uns unwürdig behandeln?
Morgen kommt ein Team vom MDR Fernsehen und will einen Beitrag über
uns drehen. Wir sind sehr aufgeregt!
Ich schicke eine Mail an den Journalisten der Stuttgarter Zeitung, weil
sein Artikel zwar inzwischen in der Mitteldeutschen Zeitung in Halle,
aber bis jetzt weder in der Stuttgarter noch in der Leipziger Volkszeitung
erschienen ist.
12. Mai 2000
Ich bespreche all die auftretenden Fragen mit unserem Anwalt und bitte
um Bedenkzeit übers Wochenende. Wir wissen, dass die Zeit drängt
und wir uns entscheiden müssen. Das Klügste wäre wahrscheinlich
zuzustimmen, aber wir müssen trotzdem unsere Bedenken dem Gericht
mitteilen.
Wir haben große Angst, wie wir dort behandelt werden und das wir
körperlichen Schaden nehmen könnten. Vor allem wissen wir
nicht, ob medizinische Untersuchungen durchgeführt werden, obwohl
während unseres Aufenthaltes nur der grundpflegerische Bedarf ermittelt
werden soll.
Punkt 11 Uhr kommt das Fernsehteam. Der Redakteur hat im Internet den
ersten Teil „Unser Weg zum Arbeitgebermodell" gelesen. Wir
besprechen zuerst die Dinge, die gefilmt werden sollen. Am Anfang machen
wir ein Interview. Wir sprechen über unsere Behinderung, unser
Leben bisher. Das wir immer innerhalb der Familie gelebt haben, immer
mobil und unternehmungslustig waren und auch heute sind. Wir erläutern,
wie unsere Situation nach dem Tod unseres Vaters war und wie wir auf
das Arbeitgebermodell gekommen sind. Wir schildern unsere derzeitigen
Probleme mit der Finanzierung, dem stationären Aufenthalt für
das Gutachten und unsere Gefühle dabei. Es werden pflegerische
Tätigkeiten gefilmt, wie der Dienstplan besprochen wird und auch
die Essenzubereitung. Das Team geht mit Elke und der Assistentin zum
Wochenendeinkauf. Der „Penny"- Markt hat nichts dagegen,
dass gedreht wird. Zum Abschluß werden wir noch beim Spazierengehen
aufgenommen, um zu zeigen, dass wir auch gern im Grünen sind. Während
der ganzen Zeit versucht der Redakteur einen Gesprächstermin mit
einem Mitarbeiter des Sozialamtes zu vereinbaren. Er erhält als
einzige Reaktion: Dazu gibt es nichts zu sagen! Auch mit dem Rechtsamt
der Stadt Leipzig ergeht es ihm genauso: Keiner will sich äußern!
Sie begründen ihre ablehnende Haltung nicht einmal.
Das Fernsehteam ist sehr nett und alles ist gut gelaufen.
Zwischendurch ruft der Journalist der Stuttgarter Zeitung an. Er hat
meine Mail erhalten und bei den Zeitungen nachgefragt. Er findet es
ärgerlich, dass der Artikel nach 3 Wochen immer noch nicht erschienen
sind. Aber die Redakteure können sich nur schwer durchsetzen, da
der Artikel etwas länger geworden ist. In allen Zeitungen steht
etwas über „Big Brother" und Zlatko oder wie der heißt,
aber für uns ist kein Platz!
13. Mai 2000
Zur stationären Aufnahme für die Begutachtung haben wir bisher
keine Entscheidung getroffen. Wir sind unschlüssig, die Zeit drängt
und Anfang nächste Woche müssen wir Bescheid geben, ob wir
zustimmen oder nicht ...
14. Mai 2000
Trotz aller Bedenken und schweren Herzens stimmen wir der Begutachtung
in der Universitätsklinik Leipzig zu.
Das Gericht ist bei der Bestellung des Gutachters noch von der Ermittlung
eines umfassenden Pflegebedarfs ausgegangen. Nach der Darlegung unserer
Bedenken dem Gutachter gegenüber, dass während eines Klinikaufenthaltes
nicht der Pflegebedarf im häuslichen Umfeld ermittelt werden kann,
hat das Gericht seine Meinung geändert und verlangt jetzt nur noch
die Ermittlung des Grundpflegebedarfs. Im letzten Schreiben ist sogar
von Untersuchungen die Rede und nicht nur von Begutachtung.
15. Mai 2000
Wir faxen unserem Anwalt unsere Zustimmung.
16. Mai 2000
Unser Anwalt leitet die Zustimmung zum stationären Aufenthalt
an das Verwaltungsgericht weiter. Wir haben nach wie vor große
Zweifel, ob die Ermittlung unseres Pflegebedarfs in einer Einrichtung
ein realitätsnahes Bild ergeben wird. Wir haben einige unserer
Bedenken schriftlich dargelegt, die dem Gericht mitgeteilt werden. Vor
allem über die Dauer müssen wir Bescheid wissen, damit wir
unsere Assistentinnen einplanen können. Wir können von ihnen
nicht verlangen, dass sie ihren Urlaub dafür opfern oder sie unbezahlt
freistellen. Wir möchten außerdem wissen, wie wir unseren
Verpflichtungen außerhalb der Klinik nachgehen können, wie
sich unser Aufenthalt gestalten soll (sollen wir den ganzen Tag im Bett
bleiben?) und teilen mit, dass wir kein männliches Krankenhauspersonal
akzeptieren. Alle anderen Bedenken wollen wir vor Ort klären.
19. Mai 2000
Durch eine Email erfahre ich, dass der Artikel über uns auch im
„Nordkurier" erschienen ist, einer Zeitung, die in Mecklenburg
- Vorpommern erscheint.
Der Gutachter hat dem Gericht mitgeteilt, dass er den Gutachterauftrag
nicht annimmt. Er schlägt die Reha-Klinik Bennewitz als adäquaten
Bearbeiter vor. Laut Verwaltungsgericht kann aber er nicht selbst entscheiden,
ob er ein Gutachten machen will oder nicht. Wenn er als Sachverständiger
vom Gericht beauftragt wird, muss er das Gutachten auch erstellen.
Wir schreiben für das Gericht eine zweiseitige Stellungnahme, warum
zeitweise die Anwesenheit einer 2. Assistentin unbedingt notwendig ist.
24. Mai 2000
Ich schicke an lange Mail jeweils an die ZDF-Redaktion „mit mir
nicht" und an „Panorama" vom NDR. Darin schildere
ich genau die bisherigen Ereignisse und bitte um Hilfe, da die Kostenübernahme
durch das Sozialamt bis 31. Mai 2000 befristet ist und wir bis heute
nicht wissen, wie wir unsere Assistentinnen ab 1. Juni bezahlen sollen.
26. Mai 2000
Wir erhalten die Kopie eines Gerichtsschreiben. Unsere Zweifel an der
Unterbringung in der Klinik werden vom Gericht nicht geteilt. Wir werden
dort genauso sachgerecht versorgt, wie alle anderen Patienten. „Einschränkungen
der persönlichen Freiheit" sind kurzzeitig zumutbar.
Der Gutachter schickt unserem Anwalt die gesamten Unterlagen zurück.
Er benötigt sie nicht mehr. Will er das Gutachten doch ablehnen?
Wir verstehen das Ganze nicht. Wir haben doch zugestimmt und er muss
das Gutachten machen.
Der Antrag zur zweiten einstweiligen Anordnung wurde bis heute nicht
entschieden. Trotz häufiger, auch telefonischer, Anfragen unseres
Anwalt beim Verwaltungsgericht, erfolgt von dieser Seite keine Reaktion.
30. Mai 2000
Schon am 11. Mai 2000 wandte ich mich an die MDR Redaktion „selbstbestimmt!",
um auf unsere Probleme bei der Durchsetzung des Arbeitgebermodells hier
in Leipzig aufmerksam zu machen. Die Redakteurin verlangte mehr Informationen,
hat sich aber seither nicht wieder bei uns gemeldet. Also schicke ich
ihr noch eine Mail. Es ist bald Juni und wir wissen nicht, wie es weitergehen
soll.
Außerdem will ich endlich von der Redaktion „Hier ab vier"
wissen, wann der Beitrag gesendet wird, der am 12. Mai 2000 gedreht wurde. Ursprünglich
sollte die Ausstrahlung unter dem Titel „Firma Pflege" am
16. Mai 2000 sein. Der Sendeleiter war der Meinung, dass der Beitrag
noch einmal überarbeitet werden muss und seitdem verschiebt sich
der Termin immer weiter. Telefonisch ist kaum jemand zu erreichen, da
gerade in Leipzig das neue Media Center eröffnet wird und viele
Redaktionen umziehen. Es ist ziemlich schwierig, überhaupt jemanden
zu erreichen, der etwas weiß. Also schicke ich auch dahin eine
Mail.
1. Juni 2000
Der Juni beginnt, wir haben weder eine Entscheidung auf unseren Antrag
auf einstweilige Anordnung, noch eine Ahnung, wie wir die Löhne
ab sofort bezahlen sollen.
4. Juni 2000
Wir wissen jetzt nicht mehr weiter. Von allen angeschriebenen Fernsehsendern
kommt keine Reaktion. Wir verstehen nicht, dass hier anscheinend kein
öffentliches Interesse besteht. Obwohl wir ausdrücklich auf
unsere Finanzierungsprobleme hinweisen und auf das endlose Warten auf
die Entscheidung unseres Antrags. Der Antrag wurde von uns am 24. Februar
2000 gestellt. Damals war ich noch der Meinung, die Entscheidung würde
schnell gehen, da wir wirklich viele Beweise eingereicht hatten.
Ich habe die Email-Adresse von dem Bundestagsabgeordneten Ilja Seifert
und wende mich nun an ihn. In der Hoffnung, damit irgendetwas zu bewirken.
5. Juni 2000
Kurzentschlossen will ich den Dezernenten für Soziales und Gesundheit
der Stadt Leipzig aufsuchen. In einem „Stadtwegweiser" finde
ich die Zimmernummer seines Büros. Ich melde mich nicht an, damit
ich nicht gleich eine Absage erhalte. Gegen elf bin ich mit meiner Assistentin
dort, stelle mich der Sekretärin vor und bitte um ein Gespräch
mit Dr. Zimmermann. Leider ist er gerade in einer bis in den Nachmittag
dauernden Besprechung. Ich bitte um einen Termin, so schnell es geht.
Ob der Sozialdezernent noch diese Woche etwas frei hat, weiß sie
nicht und ab nächste Woche ist er 4 Wochen im Urlaub. Doch es klappt,
ich bekomme einen Termin. Meine Assistentin freut sich, „das ist
doch was". Ich bin misstrauisch und werde Recht behalten. Kaum
sind wir zu Hause, ruft seine Sekretärin an, um den Termin abzusagen.
Der Dezernent hat sich mit dem Rechtsamt in Verbindung gesetzt und ist
nicht befugt mit uns sprechen. Begründung: Schwebendes Verfahren.
Eigentlich wollte ich eine Antwort auf mein Schreiben vom 8. Mai 2000,
das er unbeantwortet ließ.
Am Abend meldet sich Ilja Seifert telefonisch, er wird sich mit unserem
zuständigen Sozialamt in Verbindung setzen und um großzügige
Auslegung des BSHG bitten, damit die Finanzierung bis zur einstweiligen
Anordnung gewährleistet ist.
6. Juni 2000
Ãœberraschend kommt heute die Antwort vom Sozialdezernenten auf
mein Schreiben vom 8. Mai 2000. Es steht nichts drin, was ich nicht
schon weiß!
7. Juni 2000
Eine Redakteurin von MDR Info begleitet uns für mehrere Stunden,
um einen Einblick in unseren Alltag zu bekommen und vor allem, wie unser
Alltag mit den Assistentinnen funktioniert. Diese Redakteurin hatte
sich schon im April angemeldet und musste den Termin wegen Hexenschuss
absagen.
8. Juni 2000
Von der Redaktion „Hier ab vier" kam bisher keine Reaktion
auf meine Anfrage vom 30. Mai 2000. Ich maile wieder, diesmal ungeduldiger!
An den Sozialdezernenten schicke ich ein Fax, einen Brief hätte
er vor seinem Urlaub nicht mehr erhalten. Ich erkläre ihm mein
Unverständnis über sein Verhalten. Da er ein gewählter
Vertreter der Bürger der Stadt Leipzig ist, ist er auch für
deren Belange zuständig. Und wir gehören auch zu diesen Bürgern!
9. Juni 2000
Endlich meldet sich jemand von „Hier ab vier", es ist der
Sendeleiter. Sie haben große Probleme mit dem Beitrag. Da nur
2:30 Minuten Sendezeit zur Verfügung stehen, schaffen sie es nicht,
genügend Informationen in den Beitrag zu packen, damit die Zuschauer
das Projekt „Arbeitgebermodell" und unsere damit verbundenen
Probleme verstehen (?). Der Redakteur, der zum Drehtermin bei uns war,
soll den Beitrag nun noch einmal überarbeiten.
Ilja Seifert meldet sich wieder, liest mir am Telefon vor, was er an
unser zuständiges Sozialamt schreiben wird und schickt mir den
Text anschließend per Fax.
10. Juni 2000
Ich rufe oft unseren Anwalt an, vielleicht hat er den Bescheid schon.
Er weiß aber auch nichts Neues!
13. Juni 2000
Unsere Situation spitzt sich weiter zu. Die nervliche Anspannung ist
unerträglich. Ich schicke unserem Anwalt ein Fax, ich habe alle
unsere Befürchtungen aufgelistet. Er soll diese dem Gericht mitteilen
und fragen,
- ob es der Wille des Verwaltungsgerichts ist, dass unsere Assistentinnen
kündigen, weil wir den Lohn nicht mehr bezahlen können
- ob sie wissen, dass wir dadurch plötzlich ohne Versorgung sind,
- ob sie wissen, dass wir verkommen und verwahrlosen?
- ob sie wissen, was mangelnde Versorgung für unsere körperliche
Verfassung bedeutet?
- ob sie wissen, dass wir körperlichen Schaden nehmen?
Wir wissen immer noch nicht, was mit dem Gutachten werden soll.
Das Verwaltungsgericht teilte am 16. Mai 2000 mit, dass eine Entscheidung
deswegen nach 14 Tagen getroffen werden soll. Das wäre am 30. Mai
2000 gewesen, also sind sie 14 Tage überfällig!
Wir haben inzwischen alle in Frage kommenden Stellen informiert, vom
OB bis zum zuständigen Sozialamt und erhalten stets nur die eine
Antwort: Schwebendes Verfahren!
Unser Anwalt ruft wiederholt beim Gericht an, um anzufragen, wann eine
Entscheidung getroffen werden soll. Er erklärt, wie dringend es
ist. Einzige Antwort: Bald!
14. Juni 2000
Wir haben einen Termin mit einem Redakteur von „selbstbestimmt!".
Wir verbleiben, dass ich mich Ende Juni bei ihm melde. Wenn bis dahin
die Einstweilige Anordnung nicht vorliegt, wird gleich gedreht. Haben
wir bis dahin einen Beschluss, dann wird auch gedreht, aber später
und in Ruhe.
21. Juni 2000
Unser Anwalt ruft wieder beim Gericht an, spricht mit einem der Richter
und erfährt, dass die einstweilige Anordnung fertiggestellt ist.
23. Juni 2000
Der Bundestagsabgeordnete Ilja Seifert ruft an. Er hat eine Antwort
auf sein Schreiben an den Amtsleiter unseres Sozialamts erhalten. Er
faxt es mir. Das Sozialamt wird bis zur gerichtlichen Entscheidung in
bisheriger Höhe weiter zahlen!
27. Juni 2000
Wirklich im letzten Moment erhalten wir den Beschluss vom Verwaltungsgericht
zu unserem Antrag auf einstweilige Anordnung vom 24.02.00. Das Sozialamt
der Stadt Leipzig wird darin zur Kostenübernahme für 22 volle
Stunden verpflichtet, rückwirkend vom 01.03.00 bis 31. August 2000.
Beantragt haben wir 27 volle Stunden. Danach ist es nach Auffassung
des Gerichts bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zumutbar und
ausreichend, wenn wir eine Assistentin rund um die Uhr und eine zweite
für 3 Stunden täglich (diese soll nur für getrennte Unternehmungen
eingesetzt werden) zur Verfügung haben.
Die Kostenübernahme ist zwar höher als bisher, aber trotzdem
nicht ausreichend, wenn wir unsere Assistentinnen wie bisher einteilen.
Wir erhalten eine Nachzahlung für März - Mai, mit der können
wir gerade die Differenz stopfen, die wir für Juni nicht mehr aufbringen
können. Es fehlt die Finanzierung für 5 Stunden täglich.
Die dadurch in den nächsten Monaten auftretende Differenz können
wir auch nicht ausgleichen. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben,
als die Stundenzahl unserer Assistentinnen entsprechend zu reduzieren.
Das bedeutet aber totale Einschränkung und wir wissen noch nicht,
was das letztlich für Auswirkungen haben wird.
Wir erhalten auch eine Kopie das Gutachten betreffend. Dem Gutachter
wurden vom Gericht die Akten geschickt und er muss gemäß
dem Beschluss vom 10.02.00 das Gutachten erstellen.
Wir sollen uns nun wegen der Terminabsprache mit ihm in Verbindung setzen.
28. Juni 2000
Ich rufe die Sekretärin vom Professor Wagner wegen einem Termin
für das Gutachten an. Er ist noch im Urlaub, aber ab Montag wieder
im Dienst.
Ich habe die ganze Zeit über die Stundenreduzierung nachgedacht.
Wenn eine Assistentin alle pflegerischen Tätigkeiten und den Haushalt
für uns beide allein erledigen soll, ist das zeitlich nicht zu
schaffen. Davon abgesehen brauchen wir auch 2 Assistentinnen beim Duschen
und nicht nur für „Unternehmungen". Wenn ich unter
der Dusche bin, kann die Assistentin nicht zur Elke gehen. Erstens würden
wir im Bad nicht hören, wenn Elke etwas benötigt und zweitens
kann die Assistentin mich nicht einen Moment allein unter der Dusche
„eingeschäumt" stehen lassen. Die Gefahr, abzurutschen
und dadurch aus dem Dusch-Rollstuhl zu fallen oder mit dem umzukippen,
ist viel zu groß. Das gilt umgekehrt genauso. Das Risiko können
und werden wir nicht eingehen. Auch, wenn das Gericht der Meinung ist,
die Assistentin könne diejenige im Duschstuhl „lagern",
bevor sie zu der anderen geht. Soll sie diejenige festbinden oder was?
Aber das Gericht kennt sich aus! Im Beschluss steht, Richterin und Richter
haben beide persönliche Erfahrungen in der Pflege und können
das beurteilen! Sie sind somit Experten für alle Behinderungen!
3. Juli 2000
Ich melde mich wieder bei der Sekretärin, der Professor wird
uns bis Ende der Woche Bescheid geben.
4. Juli 2000
Ich maile der „selbstbestimmt!"-Redaktion, dass die einstweilige
Anordnung vorliegt und wie die Finanzierung bis Ende August aussieht.
6. Juli 2000
Wir können die Stundenreduzierung nicht umgehen. Die fehlenden
5 Stunden täglich können wir nicht selbst finanzieren. Wir
haben für die Assistentinnen mit Hilfe unseres Beraters Gerhard
Bartz Änderungskündigungen aufgesetzt, werden diese Allen
vorlegen und hoffen, dass sie darauf eingehen können. Weniger gearbeitete
Stunden bedeutet auch weniger Verdienst.
11. Juli 2000
Alle Assistentinnen haben die Änderung akzeptiert. Ab 14. Juli
2000 gilt die neue Stundenzahl. Wir werden dann die 2. Assistentin nur
3 Stunden täglich einsetzen können.
Der Redakteur von „selbstbestimmt!" ruft an. Von meiner
Mail weiß er nichts und wollte sich erkundigen, wie es bei uns
weitergehen soll. Ich erzähle ihm von dem Beschluss und den (vorübergehenden)
Konsequenzen für uns. Anfang September wird uns ein Team einen
ganzen Tag begleiten und für einen längeren Beitrag drehen.
Die Sekretärin vom Gutachter hat eine Nachricht auf unserem Anrufbeantworter
hinterlassen. Sie schlagen uns den Zeitraum vom 17.07. - 20. oder 21.
Juli 2000 für die stationäre Aufnahme vor, „um die wir
gebeten haben". Sehr witzig!
Eine unserer Assistentinnen wird Mitglied im ForseA. Seitdem sie bei
uns angestellt ist, hat sie sich sehr interessiert gezeigt, hatte immer
viele Fragen und wollte auch das Inforum lesen. Nun überraschte
sie uns, sie möchte gern Mitglied werden. Wir freuen uns sehr über
ihre Entscheidung, zeigt es uns, dass sie voll hinter uns steht!"
12. Juli 2000
Da ich skeptisch bin und noch einige Fragen wegen der Begutachtung
habe, rufe ich die Sekretärin vom Professor an. Ich möchte
wissen, ob ein Konzertbesuch gewährleistet ist, für den ich
Karten habe, ob Hilfsmittel auf der Station vorhanden sind, wie sich
unser Aufenthalt dort überhaupt gestalten und wie lange er dauern
soll. Ich muss die genaue Dauer wissen, weil ich die Assistentinnen
einteilen muss. Sie kann mir nicht weiterhelfen, das wird mir auch der
Professor nicht sagen können, ich soll mit dem Stationsarzt darüber
sprechen. Zu den ersten beiden Fragen kann er mir auch keine Auskunft
geben, das weiß die Stationsschwester und Letzteres weiß
nur der Professor, da das seine Sache ist. Also rufe ich die Stationsschwester
an: Das Personal wird mich rechtzeitig zurechtmachen, damit ich ins
Konzert kann, Begleitung können sie mir natürlich nicht mitgeben,
da sie noch 28 andere Patienten haben. Das war mir von vornherein klar.
Hilfsmittel haben sie nicht, außer einem Duschstuhl für die
ganze Station. Sie schlägt uns vor, eigene Hilfsmittel mitzubringen,
vor allem das Hebegerät wäre nicht schlecht. Das wäre
ja auch leichter für die Schwestern. Allerdings muss erst die Rechtslage
geklärt werden. Darf ein Hebegerät benutzt werden, welches
nicht der Station gehört und was passiert, wenn eine Schwester
es kaputt macht? Sie erkundigt sich und ich soll später zurückrufen.
Meinen Rückruf verbindet sie ohne viele Worte direkt zur Sekretärin,
die außer sich ist. Sie seien nicht vom Gericht informiert worden,
dass wir so viele Hilfsmittel brauchen und nun muss sie noch einmal
mit dem Professor sprechen, was aus dem Gutachten werden soll. Sie werden
sich wieder mit uns in Verbindung setzen, ob der Termin verschoben oder
was überhaupt wird.
Ich vermute gleich das Schlimmste: dass der Professor das Gutachten
ablehnt, weil wir auf die Hilfsmittel bestehen, dabei habe ich nur danach
gefragt! Ich frage unseren Anwalt. Wir sollen den Termin als feststehend
betrachten und am 17. Juli 2000 gegen 10:00 h, wie ausgemacht, erscheinen.
Alles andere ist Sache des Sachverständigen!
13. Juli 2000
Um weiteren Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, schicke
ich dem Professor per Fax eine Bestätigung des Termins.
14. Juli 2000
Am Morgen habe ich einen weiteren Anruf von der Sekretärin. Sie
will wissen, was nun „mit den Dingen werden soll, die wir so dringend
benötigen". Wenn sie keine Hilfsmittel organisieren können,
bringen wir eben unsere eigenen mit. Das ist ihr ganz recht und sie
hofft, dass alles klappt! Wir auch!
Ich bestelle den Fahrdienst für Montag 9:30 h und sage allen
Assistentinnen Bescheid. Rufe unseren Service-Mann an und bitte ihn,
die Hilfsmittel in die Klinik zu transportieren, weil der Fahrdienst
derlei nicht erledigt. Außerdem weiß ich die teuren Geräte
bei ihm in den besten Händen. Die Rechnung dafür kriegen erst
wir, dann aber das Gericht.
16. Juli 2000
Wir erhalten tatkräftigen Beistand aus Berlin. Sollte es Ärger
während unseres Aufenthaltes in der Klinik geben, würden die
Uschi und ihr Mann kommen und uns helfen!
17. Juli 2000
Wir hoffen, wir haben an alles gedacht und machen uns mit gemischten
Gefühlen auf zum Gutachten. Eine Assistentin begleitet uns, unsere
Mutter kommt mit den Hilfsmitteln hinterher. Die Klinik erwartet uns
schon. Sie haben ein Zimmer für uns vorbereitet, in das sie die
einzigen elektrisch verstellbaren Pflegebetten gestellt haben, die sie
organisieren konnten.
Der Professor begrüßt uns und dann gehen wir uns anmelden.
Der erste Tag verläuft nicht so gut. Wir müssen uns sehr behaupten,
damit die Schwestern vorsichtig mit uns umgehen, das Hebegerät
benutzen und nicht an uns herum ziehen. Alle Handgriffe sind sehr zeitaufwendig
(wie zu Hause auch) und die Schwestern haben dafür nicht genug
Zeit. Sie wollen uns so bewegen wie „ihre Gelähmten".
Wir müssen uns ziemlich durchsetzen und ihnen klarmachen, dass
es so nicht geht! Der Professor hat den ersten Tag zum Eingewöhnen
vorgesehen und ab morgen sollen die Untersuchungen durchgeführt
werden. Bei mir läuten gleich alle Alarmglocken. Ich weise ihn
darauf hin, dass von Untersuchungen nicht die Rede ist. Das Gericht
verlangt die Ermittlung des Pflegebedarfs und dazu sind ja Untersuchungen
nicht erforderlich. Außerdem liegen ihm die Gutachten vom MDK
und unserer Hausärztin vor! Er muss unseren körperlichen Zustand
selbst prüfen, da er das Gutachten schreiben muss!
Er erinnert sich daran, vor 20 Jahren eine Untersuchung bei uns gemacht
zu haben. Elke erinnert sich auch an ihn.
Am Abend habe ich Karten für ein Konzert. Da das Krankenhaus mir
keine Begleitung mitgeben kann, begleitet mich meine Assistentin. Sie
wird so zeitig kommen, dass sie mich notfalls ankleiden und in den Rollstuhl
umsetzen kann. Es klappt aber alles und wir kommen rechtzeitig weg.
So richtig kann ich die Musik nicht genießen. Ich mache mir große
Sorgen um die nächsten Tage und was alles auf uns zukommen wird.
18. Juli 2000 - 20. Juli 2000
Gleich am frühen Morgen kommt die Oberschwester, um uns mitzuteilen,
dass ab sofort in jeder Schicht eine Schwester aus einer anderen Abteilung
herangezogen wird, die nur für uns zuständig ist. Das Stammpersonal
der Abteilung kann unsere Versorgung nicht schaffen. Die Schwestern
werden alles genau dokumentieren. Ab Dienstag waren alle sehr nett.
Und so vergingen die Tage. Kaum eine von den Schwestern wusste, warum
wir dort sind. Eine dachte sogar, wir hätten uns selbst einweisen
lassen. Die Schwestern hatten viele Fragen zu unseren Assistentinnen.
Keiner hatte jemals etwas darüber gehört oder konnte sich
überhaupt etwas darunter vorstellen. Obwohl wir auf einer neurologischen
Station waren, haben uns mehrere Schwestern gesagt, dass sie keine Erfahrung
mit unserer Erkrankung haben.
Der Professor kam jeden Tag und teilte uns am Mittwoch mit, dass die
Dokumentation abgeschlossen wird und wir am Donnerstag nach Hause zurückkehren
können. An dem Vormittag hatte Elke eine ziemlich heftige allergische
Reaktion, wahrscheinlich auf Bestandteile des Fruchtgelees vom Frühstück.
Sie hat die Ärztin gleich darauf aufmerksam gemacht und eine Tablette
und Salbe bekommen. Ihr ging es dann ziemlich schnell besser. Zu Hause
hat sie auch solche „Notfalltabletten".
Wir haben also das Gutachten ohne Blessuren überstanden. Jetzt
müssen wir nur noch warten, wie es ausfällt und was das Gericht
daraufhin beschließt!
20. Juli 2000
Bei unserer Rückkehr aus der Uni-Klinik finden wir einen Brief
von Frau Biedenkopf, der Frau des sächsischen Ministerpräsidenten.
An sie hatten wir uns am 12.04.00 gewandt und ihr unsere problematische
Situation dargestellt. Sie hat den OB von Leipzig am 5. Mai 2000 angeschrieben
und schickt uns nun eine Kopie seiner Antwort vom 7. Juli 2000, die
wie erwartet ausfällt: Die Kostenübernahme für das Arbeitgebermodell
ist Gegenstand eines anhängigen Gerichtsverfahrens und so muss
die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abgewartet werden.
Die 2. Einstweilige Anordnung gilt bis 31. August 2000 und wir müssen
wieder daran denken, wie die Finanzierung ab September gesichert werden
soll.
21. Juli 2000
Wir bekamen einen großen Schreck. Elke hatte ganz plötzlich
einen Erstickungsanfall. Ich habe sofort nach der Assistentin gerufen
und nur durch kräftiges Klopfen auf den Rücken konnte Elke
wieder atmen. Ich dachte erst, sie hätte sich am Essen verschluckt.
Ursache war aber der Kehlkopfdeckel, der sich nicht von der Luftröhre
gelöst hatte. Sie war deshalb bei der Ärztin. Das kann jederzeit
wieder passieren und nur mechanisch behoben werden.
Es gibt aber auch etwas Erfreuliches: Die Leipziger Volkszeitung hat
es endlich geschafft, den Artikel über uns zu veröffentlichen!
Nach über einem Vierteljahr! Der Journalist hat ihn kurz vorher
noch einmal aktualisiert und dadurch die neuen Fakten mit eingebracht.
25. Juli 2000
Seit 14. Juli 2000 haben wir unsere Assistentinnen nach der reduzierten
Stundenzahl eingeteilt. Damit kommen wir nicht zurecht. Die 2. Assistentin
fehlt an allen Ecken und Enden. Vorher haben wir es so gemacht, dass
am Morgen immer 2 Assistentinnen anwesend waren. Allein durch den großen
Zeitaufwand für die einzelnen Tätigkeiten, mit Morgentoilette,
Frühstück, Umsetzen in den Rollstuhl etc. und für das
Duschen ist das notwendig. Kurzfristig konnten wir dadurch entscheiden,
was wir an diesem Tag machen und, ob und wann die Assistentin noch einmal
wiederkommen muss. Das Gericht sieht das allerdings nicht so. Muss eine
Assistentin die morgendlichen Verrichtungen allein erledigen, können
wir weder Duschen noch vormittags das Haus verlassen. Spontane, auch
vom Wetter abhängige, Unternehmungen sind nicht möglich, weil
die 2. Assistentin an diesem Tag vielleicht erst später kommt oder
gar nicht, wenn sich schon zu viele Ãœberstunden angesammelt haben.
Will eine von uns eigene Wege gehen, muss das vorher gut geplant werden.
Konnten wir die 2. Assistentin nicht mit einsetzen, können wir
entweder nirgendwo hingehen oder nur zusammen. Wir müssen jetzt
sogar planen, wann es möglich ist zu Duschen. Die Stunden fehlen
auch für die hauswirtschaftliche Versorgung. Die Assistentin ist
entweder mit uns oder dem Essen machen beschäftigt, da bleibt kaum
Zeit für die Wäsche oder zum Saubermachen. Sind wir unterwegs,
ist an diesem Tag dafür gar keine Zeit.
Wir notieren jetzt wieder unseren Tagesablauf, um dem Gericht zu beweisen,
dass es so nicht geht. Wir werden auch alles dokumentieren, wo wir uns
durch die fehlende Stundenzahl einschränken müssen und was
wir alles nicht machen können.
03. August 2000
Ãœberraschenderweise bekomme ich heute einen Brief von der Schwester
einer alten Schulfreundin. Sie lebt in Dresden und hat in den Dresdner
Neuesten Nachrichten einen Artikel über uns gelesen. Sie schickt
mir die Adresse vom Landesbeirat für Behindertenfragen vom Sozialministerium,
in der Hoffnung, dass sie uns helfen können.
07. August 2000
Meine alte Schulfreundin meldet sich auch. Sie arbeitet jetzt als
Journalistin und ihre Schwester hat ihr den Artikel geschickt. Sie soll
nun auch etwas schreiben und möchte uns deshalb gern besuchen.
Wir verabreden uns für nächsten Montag und ich bin sehr gespannt
auf sie. Wir haben uns sehr lange nicht gesehen, vor 3 Jahren nur mal
kurz in der City getroffen.
14. August 2000
Wir wissen immer noch nicht, ob inzwischen das Gutachten bei Gericht
vorliegt. Uns beschäftigt auch die Frage, ob das Sozialamt über
den August hinaus die Kosten für unsere Assistentinnen übernimmt
oder ob wieder eine Einstweilige Anordnung beantragt werden muss. Die
käme allerdings zu spät. Bei einer Bearbeitungszeit von über
5 Monaten hätten wir die Entscheidung vielleicht zu Weihnachten.
Laut Beschluss ist die Kostenübernahme befristet bis Ende August,
weil sie annahmen, dass bis dahin das Gutachten vorliegt. Aber es steht
auch drin, das Gericht betrachtet die Kostenübernahme in dieser
Höhe bis zur Hauptsacheentscheidung als angemessen. Und das klingt
so: Egal wie lange das noch dauert!
15. August 2000
Ich versuche deshalb unseren Anwalt zu erreichen und bekomme zwei
Schreiben von ihm. Eine Anfrage ans Gericht wegen dem Gutachten und
eine Anfrage an unser zuständiges Sozialamt, ob sie ohne Beantragung
einer neuen Einstweiligen Anordnung bereit sind, bis zur Hauptsacheentscheidung
weiter zu zahlen.
17. August 2000
Unser Anwalt hat vom Sozialamt ein Fax erhalten, in dem sie sich bereit
erklären, die Kosten in bisheriger Höhe weiterhin zu übernehmen!
Das möchte ich nun noch schriftlich haben, bevor ich beruhigter
bin.
23. August 2000
Wir wissen, dass alle Kosten, die im Zusammenhang mit dem Gutachten
anfallen, von der „Staatskasse" übernommen werden. Also
reichten wir die Rechnung für den Transport unserer Hilfsmittel
in die Uni-Klinik beim Verwaltungsgericht zur Ãœberweisung an die
Service-Firma ein. Nun sieht es das Gericht in unserem Fall aber völlig
anders: die Transportkosten von 200 DM sind Parteikosten und keine Begutachtungskosten
und sie bezahlen das nicht! Jetzt müssen wir beweisen, warum unsere
eigenen Hilfsmittel für die Erstellung des Gutachtens notwendig
waren und, dass es mit dem Professor abgesprochen war, diese von zu
Hause mitzubringen. Wir hatten ja keine andere Möglichkeit, denn
in der Klinik standen diese Hilfsmittel nicht zur Verfügung. Dort
konnten nur mit Mühe zwei elektrisch verstellbare Pflegebetten
organisiert werden. Wir setzen uns jetzt mit dem Professor in Verbindung,
bitten um eine Bestätigung und schreiben eine weitere Stellungnahme
ans Gericht. Uns liegt das Fax vom Sozialamt vor. Sie übernehmen
die Lohnkosten in bisheriger Höhe (also für 22 volle Stunden)
weiterhin, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
04. September 2000
Der Gutachter schickt uns eine Mitteilung zu den Transportkosten. Er
hat bereits auf eine Anfrage des Gerichts diesbezüglich geantwortet.
Wir hoffen, dass die Bestätigung des Professors ausreicht und das
Gericht nun bereit ist, die Kosten für den Transport unserer Hilfsmittel
zu übernehmen.
Wir haben einen Termin mit einem Redakteur vom Fernsehen. Am Mittwoch
und Donnerstag kommt ein Fernsehteam, um eine Dokumentation über
uns und unseren Alltag zu drehen. Wir besprechen die letzten Details.
06. September 2000
Wir erhalten einen Beschluss vom Verwaltungsgericht: Die Transportkosten
für unsere Hilfsmittel werden nicht übernommen. Das Gericht
bewertet diese nicht als Gutachtenkosten.
Das Kamerateam und der Redakteur von der MDR-Sendung „selbstbestimmt!"
kommen wie abgesprochen gegen 9:00 h. Sie filmen unseren Tagesablauf.
Es ist sehr anstrengend, aber unsere Assistentin Manuela und wir gewöhnen
uns schnell an die Kamera. Der Redakteur hat einige Fragen vorbereitet,
die wir ihm beantworten. Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden,
weil wir auch ganz schön aufgeregt sind. Wir hoffen, dass wir unsere
Situation verständlich darstellen konnten.
07. September 2000
Die letzten Aufnahmen wurden auf unserem Weg in die Stadt und während
eines Museumsbesuch gemacht. Wir sind fix und fertig, aber die Aufregung
ist noch nicht vorüber. Als wir zurück kommen, finden wir
auf unserem Anrufbeantworter eine Nachricht von unserem Anwalt. Das
Gutachten ist da! Ich rufe sofort an und mir ist ganz schön mulmig.
Die Schwestern in der Klinik haben genau notiert, welche Tätigkeiten
sie für uns erledigt haben und welcher Zeitaufwand dafür notwendig
war. Dementsprechend ist das Gutachten für uns positiv ausgefallen!
Jetzt müssen wir noch die Reaktion des Verwaltungsgerichtes abwarten.
Da das Gutachten vorliegt, muss nun ein neuer Verhandlungstermin angesetzt
werden.
09. September 2000
Wir bekommen das Gutachten. Jetzt müssen wir wieder abwarten,
wie Sozialamt und Verwaltungsgericht reagieren. Unser Anwalt fordert
das Sozialamt per Fax auf, entsprechend unserer Kalkulation die Kosten
für unsere Assistentinnen zu übernehmen, da ihm inzwischen
auch das Gutachten vorliegen muss. Er setzt ihm eine Frist bis zum 14.
September 2000.
12. September 2000
Ich habe mich entschlossen, Mitte Oktober zu einer Tagung nach Berlin
zu fahren. Ich traue mich nach 6 Jahren das erste Mal in eine mir fremde
Umgebung. Es wird alles gut vorbereitet: eine entsprechende Unterkunft
wird gesucht, die nötigen Hilfsmittel werden vor Ort bereitgestellt
und meine Assistentin bringe ich mit. Das hält meine Bedenken in
Grenzen. Das einzige Problem ist die Kostenübernahme für die
Assistenz. Wenn ich mich von meiner Schwester trenne und über Nacht
weg bin, benötigen wir beide je eine Assistentin rund um die Uhr.
Sind wir beide zu Hause, haben wir zeitweise nur eine Assistentin gemeinsam.
Deshalb beantrage ich die Kostenübernahme für die zusätzlichen
Stunden bei unserem zuständigen Sozialamt.
20. September 2000
Die Stadt Leipzig reagiert nicht auf das Fax und deshalb beantragen wir
erneut eine einstweilige Anordnung. Wir können unsere Assistentinnen
seit Mitte Juli nur mit reduzierter Stundenzahl einsetzen, weil uns die
finanziellen Mittel zum Ausgleich der monatlich auftretenden Differenz
fehlen.
26. September 2000
Wir erhalten Bescheide vom 22. September 2000 von unserem zuständigen
Sozialamt: die Kosten für die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft
nach Assistenzmodell werden als Beihilfe in nicht rückzahlbarer
Form bis auf Weiteres bis zur Höhe unserer Kostenkalkulation übernommen,
aber nur entsprechend der Lohnabrechnungen. Ich lese alles 3 mal bis
ich verstehe, dass es DIE Bescheide sind! Ich rufe gleich Elke Bartz
an. Wir haben es geschafft! Die Stadt gibt nach und bezahlt unsere Assistentinnen!
Noch bin ich unsicher, ob die Bescheide okay sind. Unser Anwalt ist
im Urlaub und beruhigt bin ich erst, wenn er es uns bestätigt.
Wir können es nicht fassen und freuen ... auch noch nicht so
richtig!
01. Oktober 2000
Wir erhöhen die Stundenzahl wieder. Langsam kommt uns ins Bewusstein,
dass nun auch das Klageverfahren erledigt ist. Wir haben alles hinter
uns und können aufatmen! Alle freuen sich mit uns!
05. Oktober 2000
Einem Fax der Stadt Leipzig an das Verwaltungsgericht entnehmen wir,
dass der in unserer Kalkulation als durchschnittlich angegebene Betrag
in deren Augen die absolute Höchstgrenze der Kostenübernahme
darstellt. Sie übernehmen die Lohnkosten und bezahlen in Höhe
der monatlichen Lohnabrechnungen, übersteigt diese jedoch den Betrag
in unserer Kalkulation, haben wir Pech und müssen die Differenz
selbst tragen. Anscheinend haben sie immer noch nicht begriffen, dass
nicht ein Monat wie der andere ist und durch Urlaub und Urlaubsvertretung
höhere Kosten anfallen können. Dafür sind die Kosten
in Monaten ohne Urlaub oder Krankheit niedriger.
Gleichzeitig schickt das Verwaltungsgericht eine Anfrage, ob die Streitverfahren
nun als erledigt erklärt werden können.
09. Oktober 2000
Von meinem Antrag auf Übernahme der Assistenzkosten für die
Berlin-Tagung habe ich bis jetzt noch nichts gehört. Also frage
ich nach. Ich habe das Gefühl, die Mitarbeiterin will gar nicht
mit mir reden. Sie sei nicht zuständig, die betreffende Bearbeiterin
krank und die Vertretung im Moment nicht erreichbar. Ich will mir Namen
und Durchwahl geben lassen, damit ich es selbst wieder versuchen kann,
aber sie wimmelt mich ab. Freundlich, aber bestimmt! Später haben
wir eine Nachricht auf unserem Anrufbeantworter, dass die Bescheide
unterwegs seien.
12. Oktober 2000
Die Kostenübernahme für die Assistenz für Berlin wird
abgelehnt. Ich bin schon auf dem Weg nach Berlin, als die Post den Bescheid
bringt. Als Begründung führt das Sozialamt die örtliche
Zuständigkeit an. Da ich mich in dieser Zeit außerhalb Leipzigs
aufhalte, sind sie nicht zuständig, in diesem Fall wäre es
Berlin. Ich hätte sozusagen den Antrag beim zuständigen Bezirksamt
stellen müssen, da sich die Zuständigkeit nach meinem tatsächlichen
Aufenthaltsort richtet.
Wir haben den Dienstplan so aufgestellt, dass für uns beide für
die „Zeit der Trennung" die benötigte Rund-um-die-Uhr-Versorgung
sichergestellt ist. Unsere Assistentin Manuela, seit einiger Zeit ebenfalls
ForseA-Mitglied, begleitet mich nach Berlin, während für Elke
eine der anderen Assistentinnen zur Verfügung stehen wird.
12. - 14. Oktober 2000 Tagung in Berlin
Organisator der Tagung ist die Berliner ASL im Rahmen der Assistenzkampagne
und von Verena wurde seit Wochen alles für meine Teilnahme gründlich
vorbereitet. Wir haben immer wieder miteinander telefoniert, damit nichts
schiefgeht. Seit Tagen bin ich aufgeregt. Wenn es nicht klappt, wird es
das erste und letzte Mal sein, dass ich derlei versuche. Aber jetzt ich
bin zu allem entschlossen!
Ich werde am Donnerstag mit meiner Assistentin von einem Kleinbus direkt
an unserer Haustür abgeholt und nach Berlin zu Verena gebracht. Dort
steht bereits ein Kleinbus, den ich in Berlin zur Verfügung habe
und den Manuela fahren muss, weil die Unterkunft ziemlich weit vom Tagungsort
entfernt ist. Da Manuela noch nie mit so einem großen Auto in dieser
Ausstattung gefahren ist, haben wir einige Startprobleme. Die Veranstaltung
hat bereits begonnen, als wir ankommen. Ich komme ungern, wenn alle anderen
schon anwesend sind und ich kaum jemanden kenne! Und genauso fühle
ich mich dann auch!
Ich höre zu, folge den einzelnen interessanten Ausführungen,
denke ab und zu an den Weg zu unserer Unterkunft und daran, dass ich am
nächsten Tag auch reden werde.
Wir verlassen die Tagung etwas eher, da wir noch eine Route quer durch
Berlin heraussuchen müssen, es schon dunkel ist und wir nur wissen,
dass wir ungefähr anderthalb Stunden bis zum Gästehaus brauchen.
Wir schaffen es gut, verfahren uns nur dreimal, merken es immer gleich
und kommen ziemlich erledigt in unserem Zimmer an.
Am nächsten Morgen fahren wir zeitig los, damit wir pünktlich
zum Beginn der Tagung kommen. Ich werde gleich vorn plaziert, weil ich
über die Probleme bei der Durchsetzung des Arbeitgebermodells in
Leipzig sprechen werde. Ich bin sehr aufgeregt und verliere ein paar Mal
den Faden.
Die Teilnahme in Berlin ist für mich eine besondere Erfahrung. Obwohl
es aufwendig und stressig war, alles zu organisieren, hat dank Verena
und der ASL, alles gut geklappt!
Hier erfahre ich auch, dass unsere Entscheidung eine Einzelfallregelung
ist und ein anderer Antragsteller sich deswegen nicht auf unsere Entscheidung
berufen kann. Es gibt ja auch kein Urteil vom Verwaltungsgericht. Bis
jetzt jedenfalls nicht!
16. Oktober 2000
Wir legen Widerspruch gegen die Bescheide vom 22. September 2000 ein.
Beantragt haben wir die Kostenübernahme auf Grundlage unserer Kostenkalkulation.
Durch monatliche Schwankungen kann kein Betrag als Höchstgrenze eingesetzt
werden. Das wurde auch im Februar bei der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht
festgehalten. Das Verwaltungsgericht erhält eine Mitteilung, dass
die Streitsache noch nicht erledigt ist, da die Bescheide unserem Klagebegehren
nicht in vollem Umfang gerecht werden.
Unser „Leipziger Allerlei" geht also noch weiter. Wäre
ja auch zu schön gewesen ...
17. Oktober 2000
Unser Anwalt fordert die Stadt Leipzig zur Änderung der Bescheide
auf. Das Sozialamt sieht aber keine Notwendigkeit für eine Korrektur
und unser Anwalt informiert das Verwaltungsgericht entsprechend.
18. Oktober 2000
Wir lassen die Leiterin unseres ehemaligen Pflegedienstes den Pflichtberatungsbesuch
durchführen. Wir sind wohl zu spät dran, die Pflegekasse hat
uns deswegen eine Mahnung geschickt.
28. Oktober 2000
10:00 Uhr sitzen wir alle gebannt vor dem Fernseher. In der MDR-Sendung
„selbstbestimmt!" wird der Beitrag gezeigt, der Anfang September
über uns gedreht wurde. An den beiden Drehtagen hatten wir den totalen
Stress. Unsere Assistentin Manuela ist ständig hin und her geflitzt.
Wir sind gespannt und finden den Beitrag gut gelungen!
01. November 2000
Mit der Lohnabrechnung für Oktober kommen wir durch Urlaub und Urlaubsvertretung
über den vom Sozialamt angenommenen Höchstbetrag. Es wird sich
zeigen, ob sie alles überweisen oder an ihren Bescheiden festhalten.
Wir beschließen, einen neuen Antrag mit einer neuen Kostenkalkulation
auf Basis der Stundenermittlung des Sachverständigen zu stellen.
07. November 2000
Das Sozialamt überweist nur den „Höchstbetrag".
Demnach fehlen diesen Monat 600,- DM, die wir selbst aufbringen müssen.
Die Geldleistung der Pflegekasse für diesen Monat fehlt auch noch.
Ich schicke an die AOK ein Fax, teile ihnen mit, dass der Beratungsbesuch
am 18.10. stattfand und sie bitte umgehend das Geld überweisen sollen.
08. November 2000
Die Mitarbeiterin der Pflegekasse ruft an. Da es bei uns „generell"
nicht mit den Beratungsbesuchen klappt und wir den Pflichtbesuch im September
hätten durchführen lassen müssen, kürzen sie uns das
Pflegegeld für die Zeit vom 01. - 17.10. Das fehlte gerade noch!
Ich rufe gleich die Leiterin unseres ehemaligen Pflegedienstes an und
sie setzt sich mit der Pflegekasse in Verbindung. Da in das betreffende
Quartal unser Klinikaufenthalt wegen des Gutachtens fällt, ist kein
Beratungsbesuch nötig. Allerdings hat die Pflegekasse keinen Hinweis
auf einen derartigen Aufenthalt, da die Kosten ja komplett vom Gericht
übernommen wurden. Ich schicke gleich Kopien unserer Aufnahme-Bescheinigungen
und hoffe, dass umgehend das Geld überwiesen wird. Noch einmal werden
wir die Pflichtberatung nicht versäumen, wenn die Pflegekasse ernst
macht und gleich das Geld streicht.
Meiner Meinung nach sollten sie dort mehr prüfen, wo es notwendig
ist und nicht nur mit erhobenem Zeigefinger hinter den Geldleistungsempfängern
stehen.
13. November 2000
Wir haben die neue Kostenkalkulation erarbeitet und stellen erneut einen
Antrag auf Kostenübernahme.
20. November 2000
Als Reaktion auf den Fernsehbeitrag in „selbstbestimmt!" erhalten
wir Post aus Cottbus. Eine junge Frau, die zur Zeit noch in einem Heim
lebt, hat viele Fragen zum Arbeitgebermodell und ist sehr interessiert.
6. Dezember 2000
Wir erhalten vom Sozialamt die Reaktion auf unseren neuerlichen Antrag
auf Grundlage des Gutachtens von Prof. Wagner. Sie teilen uns mit, dass
wegen dem anhängigen Hauptverfahren der neue Antrag keine Beachtung
finden kann.
Das Sozialamt hat immer noch die Hoffnung, bei uns könnte die Härtefallregelung
der Pflegestufe III greifen. An der Höhe des Pflegegeldes würde
das nichts ändern, da wir keine Sachleistung beanspruchen können,
aber das versteht das Sozialamt wohl nicht.
12. Dezember 2000
unser Anwalt fragt beim Verwaltungsgericht an, wann mit einer neuen
Verhandlung gerechnet werden kann.
14. Dezember 2000
Das Verwaltungsgericht sieht sich nicht in der Lage, einen neuen Verhandlungstermin
festzulegen. Es gäbe eine „Vielzahl vorrangig zu terminierender
Verfahren". Unser Anwalt denkt, vor Mitte nächsten Jahres
wird sich nichts tun.
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