Referat von Jürgen Peters anlässlich der Podiumsdiskussion 
          "Lieber daheim als im Heim" am 4. Mai 2005 im Würzburger 
          Felix-Fechenbach-Haus       
"Herr in den eigenen vier Wänden"     
Der Titel meines Referates provoziert. Ich mache hier aber nicht Werbung 
          für einen Bausparvertrag, sondern für Freiheit und Selbstbestimmung! 
          Menschen wollen meist "ganz normal" leben, egal ob sie ein 
          Handicap haben oder nicht, und sie haben meist ziemlich ähnliche 
          Wohnbedürfnisse: Sie möchten ein Zuhause haben, das ihnen 
          Sicherheit, Geborgenheit und Beständigkeit ebenso bietet wie Raum 
          für Individualität und Entfaltung. Sie möchten mit anderen, 
          die sie gern haben, zusammen sein können, vielleicht auch mit ihnen 
          zusammenleben, und sie möchten Raum haben für sich allein, 
          um sich zurück zu ziehen auf sich selbst. Herr in den eigenen vier 
          Wänden sein - das heißt: Hier bestimme ich!
        
In diesen Grundbedürfnissen unterscheiden sich Menschen nicht, 
          egal ob sie auf Hilfe, Assistenz, Pflege oder Unterstützung angewiesen 
          sind oder nicht, ob sie alt oder jung, krank oder gesund, arm oder reich 
          sind. Worin sie sich unterscheiden sind die Möglichkeiten, dieses 
          Recht auf menschenwürdiges Wohnen zu verwirklichen. Das ist nicht 
          nur eine Frage des Geldes, es sind Fragen des Menschenbildes, des Zutrauens 
          und des Umgangs miteinander. Es sind auch Fragen des Angebotes und der 
          Anbieter in einer Region: Gibt es wirklich ein Angebot, das eine Wahl 
          ermöglicht?
        
In meinem Referat möchte ich davon erzählen, was Menschen 
          sich wünschen in Bezug auf ihr Wohnen, und was Institutionen lernen 
          müssen, wenn sie ihr Wohnangebot an den Bedürfnissen und Wünschen 
          der Menschen orientieren, für die sie da sind.
        
Leben im Heim? Oder Daheim?
Wenn man früher in ein Heim "eingewiesen" wurde, 
          dann wurde das Leben sehr stark eingeschränkt und man unterlag 
          der Aufsicht durch das Personal. Heute ist vieles besser - aber wie 
          gut sind die Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen 
          wirklich? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zwei Kategorien 
          einführen: Den Begriff "Totale Institution" und den Begriff 
          "Normales Wohnen". Beide Begriffe sollen helfen, einen Maßstab 
          zu entwickeln für die Beurteilung der konkreten Wohnsituation. 
          Im ersten Teil meines Referates werde ich mich mit dem Schreckensbild 
          der Totalen Institution auseinandersetzen, um dann im 2. Teil einen 
          Gegenentwurf zu skizzieren, der sich an den Erfahrungen in der Stiftung 
          Hephata in Mönchengladbach orientiert und die Planungshilfen des 
          Landes NRW für den Bau von Wohnungen für Menschen mit Behinderungen 
          aufgreift. 
1. Das Schreckensbild: Die Totale Institution        
Heime gehören zu einer Gruppe von Einrichtungen, die der amerikanische 
          Soziologe Erving Goffman 1961 "Totale Institution" genannt 
          hat. Eine totale Institution lässt sich definieren als "Wohn- 
          und Arbeitsstätte einer Vielzahl … von Individuen, die für 
          längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind 
          und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen." 
          Für Goffman ist der wichtigste Faktor, der einen Patienten prägt, 
          nicht seine Krankheit oder Behinderung, sondern die Institution, der 
          er ausgeliefert ist, die seine Reaktionen prägt und Anpassung fordert.       
1961 veröffentlichte Erving Goffman seine Untersuchung über 
          die Struktur und das Binnenleben von Heimen, Anstalten, Krankenhäusern. 
          Sein Buch erschien 1973 in Deutschland unter dem Titel: "Asyle. 
          - Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer 
          Insassen"; Goffmans kritische Analyse ist bis heute Maßstab 
          zur Beurteilung aller Einrichtungen, die geschaffen wurden für 
          Menschen in besonderen Lebenssituationen.       
Goffman hat in seiner Analyse 5 verschiedene Typen von totalen Institutionen 
          genannt:
	              
          
	- Anstalten, die zur Fürsorge eingerichtet wurden für Menschen, 
            die als unselbständig, hilfebedürftig und (so wörtlich) 
            "harmlos" gelten (Goffman meinte damit Einrichtungen für 
            alte und schwer behinderte Menschen, Waisenhäuser, aber auch 
            Armenasyle).
-  Einrichtungen für Menschen, die zwar bedingt fähig sind, 
            für sich selbst zu sorgen, zugleich aber - unbeabsichtigt - eine 
            potentielle Bedrohung für die Allgemeinheit darstellen (Goffman 
            meinte damit Krankenhäuser für Menschen mit psychischen 
            Erkrankungen oder Tuberkulose- Sanatorien)
-  Der dritte Typ totaler Institutionen dient dem Schutz der Gemeinschaft 
            vor Menschen und zur Abwendung von möglichen Gefahren oder Schädigungen, 
            die von diesen Menschen (absichtlich) ausgehen - also in der Hauptsache 
            geht es hierbei um Gefängnisse oder Zuchthäuser, um Sicherheitsverwahrung, 
            Kriegsgefangenenlager.
-  Als totale Institution bezeichnet Goffman aber auch Kasernen, Schiffe, 
            Internate, Arbeitslager - Einrichtungen, die dazu geschaffen wurden, 
            bestimmte Aufgaben rationaler, effizienter, effektiver zu bewältigen, 
            wobei der Zweck dieser Einrichtung Anlass bietet für eine umfassende 
            Organisation des täglichen Lebens aller "Insassen".
- Schließlich bezeichnet Goffman auch Klöster und andere religiöse 
            Ausbildungsstätten als totale Institution, weil sie das Leben der 
            Betroffenen außerhalb der normalen Welt und ihrer allgemein gültigen 
            Gesetzen regeln.
        
Schon bei der Aufzählung wird deutlich: Das, was wir totale Institution 
          nennen, ist nicht immer gleich. Das Ausmaß der Fremdbestimmung 
          und der Unterwerfung unter die herrschenden Zwänge ist sehr verschieden. 
          Übereinstimmend ist jedoch, dass die jeweilige Einrichtung das 
          Leben der Menschen, die in ihr leben und arbeiten, umfassend regelt 
          und damit beherrscht.        
  
Dies betrifft sowohl die Menschen, die in einer Einrichtung leben, 
          wie die, die dort arbeiten - in beiden Fällen geht es um Anpassung 
          an die Regeln der Institution in allen Phasen des Tages bis hin zur 
          Unterwerfung - mit wichtigen Unterschieden: 
	
               
          
	- Für die Menschen, die in einer Einrichtung leben, hat das Personal 
            die Macht. Die beherrschende Macht hat ein Gesicht - besser: Viele 
            Gesichter!
-  Für die Menschen, die in einer Einrichtung arbeiten, stellt 
            das System selbst mit seinen Regeln und Abläufen die Macht dar. 
            Die beherrschende Macht wird als anonym erlebt
        Der wichtigste Unterschied ist aber das zeitliche Ausmaß der Fremdbestimmung: 
        Während die Einen Tag und Nacht bleiben, begrenzt der Arbeitsvertrag 
        die Anwesenheit und die Pflichten der Anderen. Goffman nennt Institutionen 
        total, weil sie in erheblichem Umfang die Zeit ihrer jeweiligen Mitglieder 
        in Anspruch nehmen. Gemeint ist damit die Zeit, die man in einer Institution 
        verbringt, die Zeit, in der man sich mit dieser Institution und ihren 
        Regeln und Abläufen auseinandersetzt. Bestimmt die Institution, in 
        der man lebt oder arbeitet, das Denken und Handeln, und verfügt sie 
        im großen Umfang über die Zeit der Menschen, die in der Einrichtung 
        leben und arbeiten, nennt man sie total.
Wie funktioniert das eigentlich? Wodurch wird eine Einrichtung zu einer 
        totalen Institution. Die Größe der Einrichtung spielt eine 
        Rolle, ist aber nicht allein entscheidend: Goffman und in der Folge Giddens 
        oder Foucault nennen eine Reihe von weiteren Ursachen und Strukturen: 
        
          
	-  In westlichen Gesellschaften besteht eine Tendenz zur Trennung 
            der Lebensbereiche Leben und Arbeiten - Menschen leben, schlafen, 
            essen, arbeiten oder vergnügen sich an unterschiedlichen Orten. 
            Kenzeichen totaler Institutionen ist die Aufhebung der Trennung der 
            Lebensbereiche. Alle Angelegenheiten des Lebens finden - zumindest 
            für längere Zeit - an ein und derselben Stelle statt. Das 
            ermöglicht eine umfassende Kontrolle des Personals über 
            die "Insassen" und zielt auf eine Steuerung des Verhaltens.
-  Die Abläufe und Phasen des Lebens und Arbeitens sind mehr 
            oder weniger exakt vorgeplant. Diese "rationale Organisation 
            des Lebens" wird von allen Beteiligten als Fremdbestimmung und 
            Entmündigung erlebt, wieder mit einem feinen Unterschied: Im 
            Allgemeinen erfolgt die Aufstellung der Regeln durch Spezialisten 
            - besonders qualifizierte und oft gut bezahlte Mitarbeiter, die nicht 
            selbst von den Regeln betroffen sind; diese sind oft auch für 
            die Einhaltung der Regeln zuständig.
-  Totale Institutionen unterscheiden eindeutig zwischen den so genannten 
            "Insassen", und dem "Funktionspersonal" - oft 
            schon in der (Dienst-) Kleidung, sicher in den Befugnissen und Rechten. 
            Wer die Schlüssel hat, hat die Gewalt und die Kontrolle über 
            die Situation, regiert und entscheidet über den Alltag. Dem gegenüber 
            bilden sämtliche "Insassen" (Bewohner,…) einer 
            Einrichtung die große Gruppe der Schicksalsgenossen. Die totale 
            Institution verwischt die individuellen Unterschiede zwischen ihnen. 
          
-  Je weniger individuell die Menschen in einer Einrichtung leben, 
            desto stärker der totalitäre Anspruch der Institution und 
            ihrer Mitarbeiter! Ein Kennzeichen für die Totalität ist 
            die so genannte Gerechtigkeit: Allen "Insassen" wird prinzipiell 
            die gleiche Behandlung zu teil - nicht jedem das, was er individuell 
            braucht, sich wünscht, anstrebt, sondern: Jedem das Gleiche! 
            Bei der Zimmereinrichtung, beim Essen, beim Urlaub, … die Liste 
            lässt sich verlängern.
-  In totalen Institutionen verrichten die "Insassen" ihre 
            Tätigkeiten oft gemeinsam gemäß den Regeln der Einrichtung. 
            Sowohl beim Arbeiten wie bei den alltäglichen Verrichtungen des 
            Lebens. Die im Grundgesetz garantierte freie Entfaltung der Persönlichkeit 
            ist dadurch eingeschränkt. Die individuellen Wünsche und 
            Vorstellungen, das eigene Leben zu gestalten, enden an den Grenzen 
            der Räume, die die Institution bereitstellt.
-  Der Schutz der Privatsphäre ist aufgehoben. Durch konkrete 
            Hilfeleistungen, durch Beobachtung, Befragung und Informationsaustausch 
            kann das Personal Informationen sammeln und aufzeichnen, die von den 
            Betroffenen selbst als peinlich eingeschätzt und normalerweise 
            verheimlicht werden.
Unter derartigen Lebensumständen kommt es, wie Heizelmann in seiner 
          Untersuchung der Altenheime (M. Heizelmann, Das Altenheim - immer noch 
          eine totale Institution? Dissertation Göttingen 2004) schreibt, 
          "zu einer systematischen Schwächung des Selbstwertgefühls:
"Zudem werden die in den westliche Gesellschaften üblichen 
          Grenzen zwischen Verbergen und Zur-Schau-stellen des eigenen Körpers 
          in "totalen Institutionen" aufgelöst. Notdurft, Hygiene 
          und Körperpflege unterliegen der Kontrolle anderer. Es existieren 
          keine Rückzugsmöglichkeiten, die nicht den Ansprüchen 
          der Disziplin unterworfen sind. Folglich kommt es oft zu erzwungenen 
          und kontinuierlichen Beziehungen zu anderen Mitgliedern. Die freie Wahl 
          des sozialen Umgangs ist damit weitgehend aufgehoben… 
Außerdem ist den Mitgliedern die Kontrolle über den eigenen 
          Tagesablauf entzogen. Sie haben nur die Zeit, die ihnen vom Personal 
          für die jeweiligen Aktivitäten zugestanden wird. Der dominierende 
          Faktor einer jeden "totalen Institution" ist also die Ausübung 
          von Macht. Die Mitglieder unterliegen ihren vielfältigen Erscheinungsformen. 
          Es ist entscheidend festzuhalten, dass die gesamte Struktur, bis hin 
          zu den feinsten Verästelungen, von Machtausübung gekennzeichnet 
          ist…
In einer derartigen Lage entwickeln Menschen unterschiedliche Praktiken 
          zum Schutz ihres Selbst vor dem übermächtigen Zugriff der 
          Institution. Eine davon ist Widerstand in den unterschiedlichsten Formen. 
          So kann es dazu kommen, dass sich die Mitglieder weigern, sich weiterhin 
          so zu verhalten, wie es von einem vernünftig handelnden Menschen 
          erwartet wird. Eine andere Möglichkeit ist der Versuch, Lücken 
          zur eigenen Gestaltung in dieser Welt des verwalteten Raums und der 
          verwalteten Zeit zu finden. Gelingt dieses Unterfangen, verfügen 
          Mitgliedergruppen selbst in geschlossenen Anstalten über eine beträchtliche 
          Kontrolle ihrer alltäglichen Aktivitäten. Die am meisten verbreitete 
          Strategie besteht darin, innerlich auf Distanz zu gehen, den Anforderungen 
          also lediglich "formal" zu gehorchen." (ebenda, S.56)
        
Fazit:
Das Leben in einer Institution, die die Kriterien einer totalen Institution 
          erfüllt, hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Persönlichkeit, 
          das Verhalten und die Entwicklung der Betroffenen. Mehr noch: Auch das 
          Selbstbild der Menschen, die in einer solchen Einrichtung leben, wird 
          massiv beeinflusst: Sie erleben sich als Folge der Umstände, unter 
          denen sie leben, als arm, alt, krank, behindert. Sie sehen nicht die 
          Möglichkeiten und Chancen ihres Lebens, sondern leiden an den Einschränkungen, 
          Begrenzungen und Übergriffen infolge der Lebensumstände. Sie 
          leiden an der Stigmatisierung und öffentlichen Darstellung dieses 
          Lebens - ihnen werden die Verantwortung und die Fähigkeit abgesprochen, 
          das eigene Leben selbst zu gestalten.
        
2. Der Gegenentwurf: Normales Wohnen
        
In den nunmehr fast 10 Jahre alten Planungshilfen des Landes NRW für 
          den Bau von Wohnungen für Menschen mit Behinderungen heißt es im Vorwort 
          des Ministers, Dr. Michael Vesper: "Gefragt sind heute (1996!) nicht 
          mehr große Sondereinrichtungen für behinderte Menschen, sondern eine 
          sensible Planung, die allgemeine Wohnstandards und besondere Anforderungen 
          behinderter Menschen so integriert, dass möglichst normale Wohnungen 
          und Wohnhäuser entstehen - und zwar unabhängig davon, ob Wohnungen oder 
          Wohnheime errichtet werden. Soviel Normalität wie möglich zu realisieren, 
          ist der Leitgedanke eines zukunftsorientierten Wohnungs- und Wohnheimbaus 
          für behinderte Menschen." (Wohnkonzepte für Menschen mit Behinderungen, 
          Aachen 1996, Vorwort) 
        
Was ist das - normales Wohnen?
        
Sie kennen die Frage: "Und wo wohnst du?" - Die Antwort macht 
          deutlich, was das ist - normales Wohnen: "Ich wohne in Düsseldorf-Lörick, 
          Straße, Hausnummer…" - die Adresse bezeichnet den Ort, 
          wo jemand seinen Patz gefunden hat. Hier lebt er, hier nimmt er seine 
          Rechte als Staatsbürger wahr, hier hat er seine Freunde, seine 
          Nachbarn, seine Familie. Hier gehört er dazu - hier ist sein Platz 
          in der Gesellschaft. Ich zitiere aus der oben genannten Planungshilfe 
          des Landes NRW: "Dieser Platz, wo man hingehört, der fast 
          täglich Ausgangspunkt und Zielpunkt aller Aktivitäten ist, 
          an den man sich zurückziehen kann und wo man vor mancherlei Unbill 
          des Lebens geschützt ist, wo man tun und lassen kann, was man möchte 
          (solange man die Freiheit und die Rechte anderer nicht beeinträchtigt 
          - möchte man ergänzen) dieser Ort spielt eine wichtige Rolle 
          im Gemütshaushalt des Menschen: Hier ist man Zuhause. Hier ist 
          man Hausherr, bestimmt also selber." (ebenda, S.7)
Wie man wohnt oder wohnen möchte, ist individuell verschieden. 
          Der eine lebt gern in der Stadt, die andere eher auf dem Lande. Der 
          eine mit vielen Menschen, die andere eher für sich allein. Wie 
          man wohnt oder wohnen möchte, ist eine Sache des persönlichen 
          Geschmackes, der Erfahrungen und der Vorlieben und Abneigungen. Wie 
          man sein Leben gestalten möchte - das nennen wir: einen Lebensplan, 
          einen persönlichen Stil entwickeln. Das ist mehr als nur dies oder 
          das gerne tun - es ist die Summe vieler Erfahrungen und Entscheidungen. 
          Die eigene Wohnung bietet dafür einen Raum, sich zu entfalten und 
          sich nach den eigenen Vorstellungen und in Auseinandersetzung mit den 
          Anforderungen der Umwelt zu entwickeln.
Eine eigene Wohnung bedeutet zugleich Schutz und Abgrenzung. Hier kann 
          das Bedürfnis nach Privatheit und Intimität gelebt werden. 
          Aber hier kann man auch Freunde, Angehörige, andere Menschen einladen, 
          mit anderen Kontakt pflegen. Die eigene Sexualität leben - mit 
          einem Partner, einer Partnerin. Mit der Familie zusammenleben, mit eigenen 
          Kindern. Eine eigene Wohnung schafft Raum für die Entwicklung und 
          Entfaltung der eigenen Persönlichkeit - sie ermöglicht persönliche 
          Freiheit - und verlangt die Übernahme der Verantwortung für 
          das, was man aus seinem Leben macht.
Eine eigene Wohnung bietet die Möglichkeit der Beständigkeit 
          und Vertrautheit - frei nach dem Motto: "Hier bin ich, hier fühle 
          ich mich wohl - hier bleibe ich!" Eine eigene Wohnung bedeutet 
          aber auch die Freiheit, diese Situation nach persönlichen Wünschen 
          oder Erfordernissen ändern zu können - und das heißt: 
          "Ich ziehe um!"Ich zitiere noch einmal aus der oben genannten 
          Planungshilfe: "Die Wohnung ist dabei geradezu ein Aktionsfeld 
          auf der Suche nach dem eigenen Ich und nach den Möglichkeiten einer 
          Lebensgestaltung mit den Menschen, mit denen man zusammenleben möchte. 
          Es ist auch interessant, wann man nicht mehr wohnt, sondern nur irgendwo 
          lebt: Der Obdachlose schläft in der Unterführung. Im Krankenhaus 
          wohnt man nicht und auch nicht im Gefängnis (wohl weil man annimmt, 
          hier nur vorüber gehend zu verweilen?) … Im Zelt wohnt man 
          nicht, wohl aber in einem Wohnwagen oder einem Hotel. Mindestvoraussetzungen, 
          um vom Wohnen zu sprechen, sind bei uns also Selbstbestimmung (Hausrecht) 
          und ein festes Dach über dem Kopf." (S.7) 
        
Ich fasse die Ausführungen zusammen: 
        
Die Wesensmerkmale des normalen Wohnens sind also:
        
          
	-  die eigene Adresse als Bestimmung des Standortes in der Gesellschaft 
            und Basis für die Integration;
-  der so genannte "Hausherrenstatus" als Basis für 
            persönliche Freiheit und Selbstbestimmung;
-  der Schutz der Privatsphäre;
-  die Geborgenheit des Zuhauses und nicht zuletzt
-  die Möglichkeiten der Entfaltung der Persönlichkeit, 
            d.h. der Verwirklichung des eigenen Lebensplans und Konzeptes.
3. Kommen wir zum Schluss meiner Ausführungen:
        
ch habe in meinen Ausführungen zwei Bilder schwarz - weiß 
          gegeneinander gestellt. Nicht weil dies die heutige Realität des 
          Wohnens von Menschen mit Behinderungen ist - das Zerrbild der totalen 
          Institution ist vielerorts in Auflösung begriffen, andererseits 
          kann das Recht auf eine eigene Wohnung noch nicht von vielen Menschen 
          mit einer Behinderung verwirklicht werden. Ich habe diese Eckpositionen 
          dargestellt, um einen Maßstab zu entwickeln für die Beurteilung 
          der konkreten Lebensumstände. Um in einer totalen Institution zu 
          leben, braucht es keine große Anstalt, sondern nur eine Betreuungssituation, 
          bei der der Mensch, der auf Assistenz, Hilfe, Pflege oder Unterstützung 
          angewiesen ist, umfassend verplant und verwaltet wird. Und umgekehrt 
          können auch große Institutionen Entwicklungsräume schaffen 
          für Freiheit und Selbstbestimmung. Dies zeigt die Entwicklung der 
          Stiftung Hephata, in der ich diesen Prozess zehn Jahre entwickeln und 
          unterstützen durfte. 
Wenn Sie sich wundern, dass ich nichts Besonderes zum Wohnen behinderter 
          Menschen sage, da gibt es nichts, worüber Sie sich wundern sollten, 
          denn es gibt meine Erachtens nichts Besonderes zum Wohnen von Menschen 
          mit Behinderung zu sagen. Jeder Mensch braucht seine besondere Lebenssituation 
          für seine persönlichen Möglichkeiten, seine Wünsche 
          und Bedürfnisse. Wenn man auf Hilfe angewiesen ist, auf Assistenz 
          und Unterstützung, muss man sehen, wie man das organisiert. Macht 
          man es selbst, kostet es Zeit und Mühe. Dafür gewinnt man 
          an Freiheit und Verantwortung. Überlässt man dies aus Bequemlichkeit 
          oder Not einer Institution; erkauft man dies mit (mehr oder weniger) 
          Abhängigkeit und Begrenzung individueller Freiheiten. Letztlich 
          gilt es immer zu entscheiden, ob das, was ist oder was sein wird, 
        
          
	-  den eigenen Ansprüchen nach Freiheit und Gerechtigkeit genügt,
-  Raum lässt für die Befriedigung eigener Wünsche 
            und Bedürfnisse
-  Sicherheit, Schutz und Geborgenheit garantiert und
-  die notwendigen Hilfen quantitativ und qualitativ (mindestens) 
            ausreichend bereitgestellt werden.
      Im Einzelfall können individuell sehr unterschiedliche 
        Lösungen für das Wohnen sinnvoll und praktikabel sein, für 
        eine Zeit jedenfalls und nicht für ein ganzes Leben lang. In jedem 
        Fall, ob behindert oder nicht, muss man herausfinden, was man braucht, 
        was man anstrebt - und was man nicht möchte. Es bedarf also in erster 
        Linie nicht der Fürsorge von Eltern oder Institutionen, sondern jeder 
        Mensch braucht die Möglichkeit, Erfahrungen mit unterschiedlichen 
        Situationen zu machen, um daraus zu lernen - damit man weiß, was 
        man wirklich will. Beim Wohnen nicht anders als in anderen Bereichen des 
        Lebens.
Ich bin sicher: Die Utopie ist erreichbar - Lernen aus der eigenen 
          Erfahrung! Dann wird auch selbständiges Wohnen für alle, unabhängig 
          von Art und Schwere der Behinderung, unterstützt durch Assistenzdienste, 
          die unabhängig wählbar sind nach individuellen Bedarf und 
          sozialen Erfordernissen und Wünschen, möglich werden. Dafür 
          lohnt es sich, sich einzusetzen, zu streiten und zu kämpfen. 
	          Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
        
Zur Person
     
        
 Jürgen 
          Peters, geboren 1952, von Beruf Dipl. Psychologe und Supervisor/DGSv. 
          Seit 2003 leite ich die Evangelische Beratungsstelle für Erziehungs-, 
          Ehe- und Lebensfragen der Evangelischen Kirche in Düsseldorf. Zuvor 
          war ich über zwanzig Jahre in verschiedenen Diakonischen Einrichtungen 
          in unterschiedlichen Funktionen tätig; zuletzt 10 Jahre in der Evangelischen 
          Stiftung Hephata in Mönchengladbach. Man kann sagen, dass ich mich seit 
          Ende der siebziger Jahre damit befasst habe, wie man Heime und Anstalten 
          Institutionen umwandelt oder auflöst und menschenwürdige Lebensumstände 
          schaffen kann.
Jürgen 
          Peters, geboren 1952, von Beruf Dipl. Psychologe und Supervisor/DGSv. 
          Seit 2003 leite ich die Evangelische Beratungsstelle für Erziehungs-, 
          Ehe- und Lebensfragen der Evangelischen Kirche in Düsseldorf. Zuvor 
          war ich über zwanzig Jahre in verschiedenen Diakonischen Einrichtungen 
          in unterschiedlichen Funktionen tätig; zuletzt 10 Jahre in der Evangelischen 
          Stiftung Hephata in Mönchengladbach. Man kann sagen, dass ich mich seit 
          Ende der siebziger Jahre damit befasst habe, wie man Heime und Anstalten 
          Institutionen umwandelt oder auflöst und menschenwürdige Lebensumstände 
          schaffen kann. 
        
Jürgen Peters, 04. Mai 2005