Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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2000

01. Januar 2000

Die Feiertage vergehen sehr schnell, die Assistentinnen arbeiten sich gut ein. Ob wir die richtige Wahl getroffen haben, wird sich ja zeigen. Die ersten 2 Wochen liefen gut.

Ab heute haben wir zeitweise 2 Assistentinnen am Tag hier. Unsere Mutter zieht sich endgültig in ihre noch fast leere Wohnung zurück und kommt nur noch zu Besuch. Sie betrachtet das Ganze immer noch mit gemischten Gefühlen und weiß nicht, was das neue Jahr bringen wird.

05. Januar 2000

Vor Beginn unseres Arbeitgebermodells haben wir uns bei der Stadtverwaltung durchgefragt, wer denn überhaupt für die Unfallversicherung für Beschäftigte im Privathaushalt zuständig ist. Wir wurden weiter verwiesen nach Meißen an die Unfallkasse Sachsen. Telefonisch erhielten wir die Auskunft, dass wir nur 2 Versicherungen abschließen brauchen, wenn täglich nur 2 Assistentinnen bei uns beschäftigt sind und die anderen frei haben. Auf den Erfassungsbögen, die wir daraufhin erhielten, sollten wir aber unsere Beschäftigten namentlich angeben. Die Unfallkasse Sachsen schickt uns deshalb noch 4 weitere Formulare für die Unfallversicherung unserer Assistentinnen. Wir sollen alle Assistentinnen mit ihren gesamten Daten eintragen und auch noch eine Kopie des jeweiligen Arbeitsvertrages einreichen. Wir verstehen das nicht und fragen nach. Wir als Arbeitgeber sind doch bei der Unfallkasse gemeldet. Einen Unfall melden wir der Kasse und den Namen der betroffenen Assistentin. Also ist es nicht nötig, von vornherein alle Daten der Assistentinnen anzugeben. Unser Berater Gerhard Bartz empfiehlt uns einen Bogen auszufüllen und die Kopie eines Arbeitsvertrages einzureichen.

24. Januar 2000

Da wir bis jetzt immer noch keine Steuernummer vom Finanzamt haben, frage ich nach. Die Beamtin will wissen, seit wann unser Betrieb läuft. Als ich ihr sage, seit 15. Dezember, will sie sofort wissen, wie ich denn die Steuern für Dezember angemeldet habe ohne Nummer? Um die Steueranmeldung hieb- und stichfest abzusichern, hat Gerhard Bartz mir geraten, mit der ersten Meldung eine Einzugsermächtigung zu erteilen. Damit sind wir unserer Pflicht nachgekommen und der Handlungsbedarf liegt beim Finanzamt. - Die Beamtin will mich bezüglich unserer Steuernummer zurückrufen.

26. Januar 2000

Das Finanzamt meldet sich und teilt mit, dass unser Vorgang derzeit bearbeitet wird. Wir erhalten Post von unserem Anwalt mit einem Schreiben vom Verwaltungsgericht. Die Verhandlung zu unserer Klage soll am 10.02.00 um 13:00 h stattfinden. Wir sind gleich total aufgeregt.

Unsere Gedanken überschlagen sich und ich rufe unseren Anwalt an. Ich weiß nicht, was uns da erwartet und will wissen, wie so etwas abläuft. Er wundert sich, dass die erste Verhandlung so schnell stattfindet. Ich brauche nichts weiter vorzubereiten, nur einen durchschnittlichen Tagesablauf erstellen.

1. Februar 2000

Vorsichtshalber frage ich beim Verwaltungsgericht nach, ob das Gebäude für Rollstühle zugänglich ist. Ich werde hin und her verbunden und lande schließlich bei der Präsidentin. Die Präsidentin kennt sich mit Rollstühlen aus (ihr Sohn sitzt auch im Rollstuhl, er war schon öfter in dem Gerichtsgebäude!). Sie will wissen, ob ich die Pflegeperson bin, als ich das verneine, denkt sie, ich bin die Mutter. Ich sage ihr, dass ich die Betroffene selbst bin. Das erstaunt sie. Ob ich keine anwaltliche Vertretung habe, weil ich selbst an der Verhandlung teilnehmen will. Natürlich wollen wir persönlich an der Verhandlung teilnehmen. Sie will sich erkundigen, ob eine Rampe zur Verfügung steht (der Eingang hat 3 Stufen) oder die Verhandlung in ein Nebengebäude verlegt werden muss und mich deshalb zurückrufen.

3. Februar 2000

Die Präsidentin des Verwaltungsgerichtes teilt uns mit, dass der Hausmeister beauftragt wurde, uns den Zugang zu einem Nebengebäude zu ermöglichen. Die Verhandlung findet wie festgelegt am 10.02.00 um 13:00 Uhr statt. Unser Anwalt kommt dafür extra von Bad Mergentheim nach Leipzig.

10. Februar 2000

Um 13:00 Uhr beginnt die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Leipzig.

Die Richterin will zu Anfang von den Vertreterinnen der Stadt Leipzig wissen, welche Möglichkeiten sie für unsere Versorgung sehen. Die beiden Vertreterinnen des Sozialamtes müssen einräumen, dass sie in ganz Leipzig keinen Pflegedienst finden konnten, der unseren Tages- und Nachtbedarf decken kann. Auf gezielte Anfragen hat sich keiner gemeldet bzw. keiner kann die erforderliche Nachtversorgung organisieren. Sie bieten nur Notrufsysteme mit einer Wartezeit von mindestens einer halben Stunde. Das Problem liege darin, dass es in ganz Leipzig bisher noch niemanden gab, der einen 24-h-Hilfebedarf angemeldet hat. Die Richterin ist erstaunt und kann nicht glauben, dass wir die einzigen in der Stadt sein sollen, die so einen großen Hilfebedarf haben. Die Vertreterin des Sozialamtes erklärt, dass es so jemanden schon geben kann, aber dem Sozialamt ist ein gleich gelagerter Fall nicht bekannt. (Kann ja auch nicht, wir sind die ersten hier, die mit dem Arbeitgebermodell ihre Assistenz sichern!) Die Richterin denkt ganz anders: Wenn es in der ganzen Stadt niemanden sonst gibt, kann es bei uns auch nicht sein. Fazit: Sie bezweifelt unseren Rund-um-die-Uhr-Bedarf.

Unser Anwalt weist auf die Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse hin, der mit Pflegestufe III einen Rund-um-die-Uhr-Bedarf mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand festgestellt hat. Die Richter müssen unsere Gutachten in den Akten suchen und lesen diese offensichtlich während der Verhandlung zum ersten Mal!

Die Richterin will prüfen, ob rund um die Uhr auch 24 Stunden bedeutet. Unser Anwalt wirft ein, dass rund um die Uhr genau das bedeutet: 24 Stunden. Das will die Richterin erst prüfen lassen. Sie will ein neues Gutachten, sie wird keine Entscheidung treffen ohne neues Gutachten. Wir sind schockiert, haben wir doch schon alle erforderlichen Dokumente eingereicht, auch eidesstattliche Versicherungen. Die Richter sind der Meinung, was vor dem 15. Dezember ging, müsse auch nach dem 15. Dezember gehen. Unser Anwalt weist daraufhin, dass bis 15. Dezember unsere Mutter den größten Teil des Hilfebedarfs abgedeckt hat und seit dem 15. Dezember nicht mehr zur Verfügung steht. Egal, was unser Anwalt anbringt: die Richterin will erst prüfen, ob unser Bedarf gerechtfertigt ist.

Das Sozialamt hat Leistungskomplexe nach SGB XI zusammengestellt, die unseren Bedarf decken sollen, aber völlig unzureichend sind. Diese Komplexe umfassen auch die Nacht, aber einen Pflegedienst haben sie dafür nicht finden können. Die Richterin schlägt daraufhin vor, den Tagesbedarf mit einem Pflegedienst und den Nachtbedarf mit dem Arbeitgebermodell zu organisieren. Vorher muss aber geprüft werden, ob nachts überhaupt jemand vor Ort sein muss. Ansonsten könnte man ja so verfahren, dass alle 3 Stunden jemand vom Pflegedienst kommt und nachsieht, ob ein Bedarf besteht. Oder es muss herausgefunden werden, zu welchen Zeiten ein Bedarf besteht und ob es ausreicht, wenn der Pflegedienst z. B. das letzte Mal um 22:00 h kommt und dann wieder 4:00 h.

Ich flüstere unserem Anwalt zu, dass der Pflegedienst tagsüber auch nicht vor Ort bleibt, sondern kommt und geht. Er wirft ein, dass wir die Hilfe bei Bedarf benötigen und deshalb ständig jemand vor Ort sein muss. Die Richterin findet den Pflegedienst ausreichend. Räumt aber ein: „Wenn er bei der vorigen Patientin eine Stunde länger braucht, kommt er eben eine Stunde später". Ich sage, dass mir das nichts nützt. Ich kann nicht warten, wenn ich auf die Toilette muss. „Eine Stunde warten ist zumutbar" meint die Richterin. Wir sind fassungslos. Sie will wissen, wie wir unsere Assistentinnen einteilen. Ich erkläre ihr, dass immer eine rund um die Uhr da ist und eine zweite stundenweise am Tag dazu kommt. Das versteht sie nicht. „Zwei Assistentinnen. Wieso denn?" Ich antworte ihr: „Ganz einfach, weil wir zwei Schwerbehinderte sind, die zu bestimmten Zeiten am Tag gleichzeitig eine Versorgung benötigen und deshalb sind zeitweise zwei Assistentinnen vor Ort." Sie versteht das immer noch nicht. Also erkläre ich ihr, dass wir zum Beispiel morgens, wenn die große Körperpflege erledigt wird, jede eine Assistentin zur Verfügung haben müssen. Sie sieht das allerdings anders: „Die Grundpflege kann nacheinander erledigt werden". Ich sage, dass wir dann erst gegen Mittag fertig sind und noch nicht mal gefrühstückt haben. „Es ist zumutbar, dass die Grundpflege nacheinander erledigt wird." Außerdem sind für die Grundpflege 40 Minuten vorgesehen. Ich sage, dass das nicht ausreichend ist. „Wenn 40 Minuten vorgesehen sind, sind Sie auch in 40 Minuten fertig." Sie weiß das, weil sie oft bei Pflegeleistungen dabei ist.

Andererseits unternehmen wir nicht alle Dinge gemeinsam, da benötigt dann auch jede ihre eigene Assistentin. Nach den Vorstellungen des Sozialamtes dürfen wir einmal pro Woche für Unternehmungen die Wohnung verlassen. Das ist völlig ausreichend, wir können dann ja ins Kino gehen. Irgendwann zwischendurch will die Richterin wissen, ob wir „mit Gehhilfen laufen können". In dem Moment wissen wir, dass sie völlig unvorbereitet in die Verhandlung gekommen ist und unsere Akten nicht gelesen hat. Eine Beisitzerin will wissen, ob wir überhaupt einen Schwerbehindertenausweis haben und ein „B" (mit Begleitperson) vorn drauf ist. Ich antworte: „Ja und wir haben das Merkzeichen H wie HILFLOS!" Sie will einen Ausweis sehen. Wir sind sprachlos und können eigentlich nur noch den Kopf schütteln.

Einmal werde ich sogar von der Richterin direkt angesprochen, um mir anzuhören: „Sie müssen Rücksicht auf die Allgemeinheit nehmen, denn die Allgemeinheit muss für die Kosten aufkommen." Das was wir wollen, können wir nicht verlangen.

Da die Richterin auf ein neues Gutachten besteht und wirklich jedes Argument damit zurückweist, dass der Umfang unseres Hilfebedarfs erst geprüft werden muss, verlangt unser Anwalt nur noch eine Klärung zu unserer Finanzierung. Das Sozialamt hat anhand der Leistungskomplexe nach SGB XI einen Betrag errechnet, den es für angemessen hält und bereit ist, monatlich als Lohnkosten für unsere Assistentinnen plus die Arbeitgeberanteile für die Sozialversicherung zu überweisen. Die Lohnkosten übersteigen diesen Betrag aber erheblich, so dass uns monatlich mehrere Tausend DM für die Bezahlung unserer Assistentinnen fehlen. Aber auch diese Klärung wies die Richterin mit den Worten zurück, dass sie heute keine Entscheidung trifft, sondern erst ein neues Gutachten erstellen lassen will. Das bedeutet für uns, dass wir in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil wir keine Möglichkeit haben, die Differenz mit eigenen Mitteln auszugleichen. Wenn wir unsere Assistentinnen nicht voll bezahlen können, besteht aber die Gefahr, dass sie sich anderweitig um Arbeit kümmern und uns verlassen. Das bedeutet wiederum, dass wir plötzlich ohne Versorgung dastehen würden, denn nachweislich kann kein ambulanter Pflegedienst unseren Hilfebedarf abdecken.

Während der gesamten Verhandlung ging es nicht um die umfassende Sicherstellung unseres Hilfebedarfs. Es ging nicht um ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben, sondern nur darum, was „ausreichend" und „zumutbar" in den Augen der Richter ist. Sie gestehen uns zu, in unserer Wohnung bleiben zu dürfen. Aber das mit einer Unterversorgung unter „arrestähnlichen" Bedingungen. Alles andere wäre zuviel verlangt!

10. Februar 2000

Nach der Verhandlung haben wir noch kurz mit unserem Anwalt gesprochen. Wir wollen so schnell wie möglich erneut eine einstweilige Anordnung beantragen, da die Kostenübernahme bis 31.03.2000 befristet ist. Unser Anwalt rät uns, den Antrag noch im Februar zu stellen, damit der März berücksichtigt werden kann. Bekanntlich überweist uns das Sozialamt jeden Monat einen in deren Augen angemessenen Betrag, die tatsächlichen Lohnkosten sind aber höher. Um unseren Rund-um-die-Uhr-Hilfebedarf zu verdeutlichen, sollen wir unsere Tagesabläufe detailliert und minutiös von mindestens einer Woche notieren.

11. Februar 2000

Ich habe noch einmal telefonisch das weitere Vorgehen mit unserem Anwalt besprochen. Wir müssen außer den Tagesabläufen auch ein Gutachten von unserer behandelnden Ärztin beibringen. Ich rufe unsere Hausärztin gleich an und bitte sie um einen Hausbesuch. Wir berichten von der Verhandlung und sie reagiert fassungslos. Sie wird uns in kürzester Zeit ein Gutachten schreiben, das unseren körperlichen Zustand genau beschreibt.

Für die Tagesabläufe notieren wir jeden Handgriff, den unsere Assistentinnen für uns erbringen müssen, mit Uhrzeit: was erledigt wird, beschreiben genau, wie es erledigt wird und wie lange es im Einzelnen dauert. Wir fühlen uns wie „öffentliche Personen", wenn wir daran denken, wer diese Aufstellungen lesen wird.

Außerdem wäre es ratsam, wenn unsere Assistentinnen eidesstattlich versichern, dass unser Hilfebedarf 24 Stunden anfällt.

14. Februar 2000

Wir schreiben an unseren Tagesabläufen. Für die genaue Auflistung aller erfolgten Handgriffe benötigen wir pro Tag ungefähr 3 - 4 Stunden. Jede Hilfeleistung, erscheint sie uns auch noch so banal, muss notiert werden.

16. Februar 2000

Unsere Assistentinnen unterschreiben eidesstattliche Versicherungen, in denen ausdrücklich auf den hohen Zeitaufwand für unsere Versorgung hingewiesen wird.

19. Februar 2000

Wir erhalten die Kopie eines Telefaxes vom Rechtsamt der Stadt Leipzig. Darin wird mitgeteilt, dass die zeitlichen Einheiten (Zeitmodule), die für die Leistungskomplexe nach SGB XI gelten, von Pflegekasse zu Pflegekasse unterschiedlich festgelegt werden. Das würde bedeuten, dass die Pflegekassen selbst entscheiden können, wie lange für eine Pflegemaßnahme Zeit zur Verfügung gestellt wird. Das stimmt so nicht! Ich weiß, dass die Zeitmodule für alle Pflegekassen gleich gelten, da sie vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen festgelegt worden. Trotzdem erkundige ich mich bei unserer Pflegekasse der AOK. Die Mitarbeiterin bestätigt, dass die Zeitmodule für alle Pflegekassen gleich sind und schickt mir eine Liste der Leistungskomplexe.

Weiterhin teilt das Rechtsamt mit, dass das Sozialamt die Personalkosten für unsere Assistentinnen nicht in vollem Umfang übernehmen wird, auch nicht für die Übergangszeit, bis das von der Richterin verlangte Gutachten vorliegt. Ich hoffe nicht, dass sie uns absichtlich ruinieren und so zum Nachgeben zwingen wollen.

Wir haben unsere Tagesabläufe von einer ganzen Woche komplett und als eidesstattliche Versicherungen formuliert. Für jede von uns ergeben diese Tagesabläufe ca. 40 computergeschriebene Seiten.

Wir schicken unsere Tagesabläufe, die eidesstattlichen Versicherungen unserer Assistentinnen und die Gutachten unserer Hausärztin an unseren Anwalt.

22. Februar 2000

Wir erhalten eine Kopie des Schreibens vom Verwaltungsgericht, in dem der Gutachter bestellt wird. Es ist der Leiter der Neurologischen Abteilung der Uniklinik Leipzig. Er soll unseren genauen Pflegebedarf ermitteln. Vor allem geht es darum, ob für unsere Nachtversorgung die ständige Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist, oder ob die nächtliche Rufbereitschaft eines Pflegedienstes ausreichend ist, auch wenn bis zum Eintreffen 30 min. vergehen können. Erfahrungsgemäß vergeht viel mehr Zeit, wenn überhaupt jemand erscheint. Wir wissen konkret von einem Pflegedienst, dass das Handy nachts ausgeschaltet wurde. Am nächsten Tag hieß es dann, es war kaputt.

Außerdem soll er prüfen, ob es gerechtfertigt ist, dass wir zeitweise 2 Assistentinnen benötigen.

Der Gutachter wird vom Gericht ausdrücklich gebeten, die Begutachtung zeitnah durchzuführen, da unsere Situation durch die ungeklärte Finanzierungsfrage dringlich ist.

24. Februar 2000

Nach einem Telefonat mit unserem Anwalt setzen wir eine ergänzende eidesstattliche Versicherung auf, in der wir darlegen, dass wir weder ein hohes Einkommen noch Vermögen besitzen, um die monatlich auftretende Differenz zwischen den Lohnkosten und dem Betrag, den uns das Sozialamt überweist, auszugleichen. Eine Assistentin überlegt schon, sich anderweitig nach Arbeit umzusehen, wenn die Finanzierung nicht klar ist. Sie selbst möchte abwarten, aber ihr Mann drängt sie. Wir befürchten, dass sie mit ihren Zweifeln die anderen Assistentinnen verunsichert.

Ich rufe den Geschäftsführer des Behindertenverbandes Leipzig an, um in Erfahrung zu bringen, ob er in Leipzig noch jemanden kennt, der seinen Hilfebedarf mit persönlicher Assistenz absichert. Seines Wissens gibt es derzeit niemanden außer uns. Vor einigen Jahren hatte ein junger Mann Zivi’s eingestellt. Aber leider ist der Mann inzwischen verstorben. Der Geschäftsführer ist daran interessiert, dass wir das Arbeitgebermodell in der Geschäftsstelle vorstellen und will sich mit der Mitarbeiterin, die solche Nachmittage organisiert, beraten.

26. Februar 2000

Unsere neue einstweilige Anordnung wurde am 24.02.2000 beim Verwaltungsgericht Leipzig beantragt. Wir haben viel Material eingereicht und ich habe keine Zweifel, dass schnell eine Entscheidung getroffen wird. Trotzdem heißt es jetzt abwarten.

29. Februar 2000

Eine Mitarbeiterin vom Behindertenverband Leipzig meldet sich telefonisch bei uns und lädt uns für den 15. März zu einem Themennachmittag „Persönliche Assistenz" ein. Es wird auch ein Pflegedienst da sein, der neuerdings für Behinderte persönliche Assistenz organisieren will und so wäre das eine gute Gelegenheit, beide Seiten zu hören. Da der Behindertenverband einen eigenen Fahrdienst hat, kümmert sich die Mitarbeiterin um unsere Abholung.

02. März 2000

Von der Pflegekasse der AOK erhalte ich eine Aufstellung aller Leistungskomplexe nach SGB XI. Weil ich aber anhand der Liste keine Zeitmodule, sondern nur eine Punktbewertung erkenne, rufe ich die Leiterin unseres damaligen Pflegedienstes an. Sie erklärt mir, dass die Punktzahl die Zeit vorgibt. Wenn für die große Morgentoilette (Grundpflege) 450 Punkte angegeben sind, bedeutet das 45 min. Zeitvorgabe.

Das Sozialamt hat für uns in ihren Bescheiden vom 11.01.2000 eine Anzahl Leistungskomplexe zusammengestellt, die sie für unseren Hilfebedarf als angemessen betrachtet. Ich rechne die Zeiten dafür zusammen und komme pro Person auf täglich abgesicherte 4 h für Pflegemaßnahmen und Essenszubereitung, wöchentlich 36 Minuten für Wäsche wechseln und waschen und 30 Minuten für Einkäufe. In den täglich zuerkannten Leistungskomplexen sind für das Reinigen der Wohnung 9 Minuten vorgesehen. Für die Darm-/bzw. Blasenentleerung dürfen wir 6x täglich 10 Minuten benötigen!

Jetzt wird mir wieder bewusst, auf was wir, trotz unseres vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen anerkannten 24-h-Hilfebedarfs, reduziert werden sollen. Es ist einfach unglaublich!

06. März 2000

Ich schicke die Aufstellung der Leistungskomplexe mit Angabe der Zeitvorgaben an unseren Anwalt.

07. März 2000

Das Sozialamt überweist uns für den Lohnmonat Februar 9.121,42 DM, obwohl die Lohnabrechnung abzüglich der Pflegegelder der Pflegekasse 10.575,12 DM beträgt. Im Februar haben 2 neue Assistentinnen bei uns angefangen. Während der Einarbeitungszeit wird halber Lohn gezahlt, deshalb sind in diesem Monat die Lohnkosten niedriger. Zum Glück können wir die Differenz durch eine Nachzahlung von Pflegegeld ausgleichen.

9. März 2000

Nach langer Bearbeitungszeit erhalten wir den Beitragsbescheid für die Unfallversicherung. Sie haben nun alles geprüft und benötigen keine persönlichen Daten unserer Assistentinnen.

10. März 2000

Unser Anwalt reicht eine Ergänzung zur einstweiligen Anordnung nach. In der weist er darauf hin, dass laut einer statistischen Erhebung, der Münchner Tabelle, wöchentlich über 48 Stunden notwendig sind, um einen 2-Personen-Haushalt zu versorgen. Die Tabelle wurde vor Jahren erarbeitet, um zu dokumentieren, welchen Zeitaufwand Hausfrauen haben.

15. März 2000

Endlich haben wir eine „eigene" Steuernummer! Das Finanzamt hat uns gleich genügend Formulare für die Steueranmeldung mitgeschickt.

Wir haben einen Termin beim Behindertenverband und sollen unser Arbeitgebermodell vorstellen. Der Fahrdienst ist bestellt, ich habe vorsichtshalber noch einmal angerufen. Elke Bartz hat uns Informationsmaterial geschickt, das können wir an Interessenten verteilen. Gegen 13:30 Uhr soll der Fahrdienst kommen, die Veranstaltung beginnt 14:00 Uhr, also ist ausreichend Zeit. Wir warten und warten, gegen 14:00 Uhr rufe ich beim Behindertenverband an, weil noch kein Fahrzeug gekommen ist. Alle Fahrzeuge sind unterwegs, also kann es nicht mehr lange dauern. Gegen halb 4 geben wir total enttäuscht und wütend auf, der Fahrdienst ist bis jetzt nicht gekommen.

Dem Behindertenverband müsste ja auffallen, dass wir fehlen, es kommt keine Nachfrage.

16. März 2000

Natürlich will ich wissen, woran es lag. Der Fahrdienst vom Behindertenverband hat unsere Fahrt wegen mangelnder Kapazitäten weitergegeben. Bei dem anderen Fahrdienst wurde der Auftrag nicht weiter geleitet und dadurch vergessen. So etwas passiert natürlich ganz, ganz selten! Uns hat es gleich bei unserer 2. Fahrt getroffen.

Ich frage beim Geschäftsführer des Behindertenverbandes nach, ob sie uns nicht vermisst haben. Das haben sie wohl, haben sich aber gedacht, dass etwas mit dem Fahrdienst nicht geklappt hat und damit war das Thema erledigt. Es ist ärgerlich und enttäuschend, wenn wir uns nicht auf sie verlassen können. In Zukunft wollen sie sich unseren Namen merken und unsere Fahrten nicht an einen anderen Fahrdienst geben.

17. März 2000

Wir erhalten die Stellungnahme des Sozialamtes zu unserem Antrag auf einstweilige Anordnung. Unser tatsächlicher Hilfebedarf wird weiterhin bezweifelt. Desweiteren sind sie der Ansicht, dass 12,- DM Stundenlohn für ungelernte Kräfte in den neuen Bundesländern ausreichend sind.

Sie sehen nicht ein, warum wir 6 Assistentinnen beschäftigen müssen. Unsere 40seitigen Tagesabläufe, die als eidesstattliche Versicherung eingereicht wurden, sind kein Beweis in deren Augen.

Bis heute haben wir weder eine Mitteilung noch einen Termin vom Gutachter erhalten.

19. März 2000

Auf die Stellungnahme des Sozialamtes antwortet unser Anwalt, dass die Hilfeleistungen nach BSHG bedarfsorientiert und weitergehender als die Leistungen nach SGB XI sind.

12,- DM Stundenlohn für ungelernte Pflegekräfte in den neuen Bundesländern sind illusorisch, da nach den Abzügen ja nur 6,- bis 8,- DM pro Stunde bleiben würden.

Er erläutert außerdem, dass für eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung mehrere Arbeitskräfte durch die Arbeitszeitregelung notwendig sind.

22. März 2000

Unsere Hausärztin schreibt ein zusätzliches Gutachten. Elke hatte vor einiger Zeit starke allergische Reaktionen mit Atemnot. Ein Allergienachweis ist bisher nicht gelungen. Es besteht aber der Verdacht, dass Farbstoffzusätze die Auslöser sein könnten.

27. März 2000

Wir erhalten die Bescheide für das Pauschale Pflegegeld nach § 69a BSHG. Die Zahlungen sind ebenfalls bis 31.03.2000 befristet. Für die Monate Januar - März erhalten wir eine Nachzahlung.

01. April 2000

Wir beantragen das Pauschale Pflegegeld nach § 69a BSHG neu.

Der April beginnt, wir haben für diesen Monat keine Finanzierung. Unser Arbeitgebermodell war befristet bis gestern. Natürlich haben wir unsere Assistentinnen so eingeteilt wie immer. Wir erwarten jeden Tag den Gerichtsbeschluss. Weiter trauen wir uns nicht zu denken!

04. April 2000

Unser Anwalt schickt erneut ein Schreiben an das Verwaltungsgericht Leipzig. Er weist darauf hin, dass möglichst bald eine Entscheidung gefällt werden muss. Es ist nicht die Zeit, um auf das Vorliegen eines Sachverständigengutachten zu warten.

Das ist ein Punkt, den ich nicht verstehe. Obwohl das neue Gutachten für das Klageverfahren verlangt wird, will das Verwaltungsgericht offensichtlich das Gutachten ebenfalls für ihre Entscheidung auf einstweilige Anordnung abwarten. Eine einstweilige Anordnung ist aber ein Eilantrag und unsere Beantragung liegt nun schon 6 Wochen zurück, ohne das bisher irgendetwas geschehen ist.

Der Gutachter hat sich noch nicht mit uns in Verbindung gesetzt. Er weiß jetzt seit 7 Wochen, dass er das Gutachten erstellen soll und er weiß auch, dass unsere Situation dringlich ist.

05. April 2000

Der Gutachter meldet sich endlich bei uns. Um unseren „häuslichen" Pflegeumfang ermitteln zu können, schlägt er einen „stationären" Aufenthalt in seiner Klinik vor. Nur so kann er zu einer differenzierten Darstellung kommen. Er übersieht, dass er unseren Hilfebedarf unter alltäglichen Bedingungen ermitteln soll. In einer Klinik herrschen völlig andere Bedingungen und Abläufe. Wir haben mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit so einem Vorschlag. Wir wissen nicht, wie wir darauf reagieren sollen, damit das Sozialamt uns nicht als unkooperativ hinstellt.

Wir sprechen mit unserem Anwalt. Er setzt sich mit dem Gutachter in Verbindung und schickt ihm Kopien unserer Tagesabläufe und der Gutachten unserer behandelnden Ärztin mit. Wir sind sogar dazu bereit, dass der Gutachter sich bei uns einquartiert.

12. April 2000

Wir erhalten in dem Schreiben des Sozialamtes zur Lohnkostenübernahme für März die Mitteilung, dass die Frist der Hilfegewährung bis 31.05.2000 verlängert wird. Das trifft auch für das Pauschale Pflegegeld zu. Uns fällt ein Stein vom Herzen! Die Probleme sind dadurch aber nicht gelöst, sondern verschieben sich nur um 2 Monate. Und es bleibt trotzdem jeden Monat die Differenz!

Ich informiere unseren Anwalt von der Verlängerung der Hilfegewährung und frage, ob er inzwischen Neues von der einstweiligen Anordnung weiß. Bis heute ist nichts gekommen, obwohl er schon mehrfach, auch telefonisch, Druck gemacht hat.

Die Richterin reagiert nicht darauf und ist telefonisch nicht zu sprechen.

13. April 2000

Wir beschließen nun endgültig die Öffentlichkeit einzuschalten. Offensichtlich passiert in unserer Angelegenheit nichts und wir fühlen uns einmal mehr hingehalten.

Wir beraten uns mit Elke Bartz. Wir können nicht länger warten und sie hilft uns dabei, Kontakt zu den Medien herzustellen. Schon am Nachmittag meldet sich ein Journalist von der Stuttgarter Zeitung und wir vereinbaren einen Termin für morgen nachmittag.

Außerdem schreiben wir verschiedene Persönlichkeiten an, um sie auf unsere jetzige Situation aufmerksam zu machen. Wir haben uns für die Frau des Ministerpräsidenten von Sachsen, Frau Biedenkopf, entschieden, die sehr engagiert ist und ein eigenes Büro besitzt, und den Behindertenbeauftragten der Stadt Leipzig. Wir schicken ein INFORUM mit und beschreiben genau den Ablauf der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Februar.

14. April 2000

Unser Anwalt schickt einen Nachtrag an das Verwaltungsgericht mit dem Gutachten unserer behandelnden Ärztin. Unser Anwalt äußert darin den Verdacht, dass die Allergie eine Reaktion auf das derzeitige Verfahren sein könnte.

Gleichzeitig weist er wiederholt auf unsere dringliche Situation hin. Er fordert eine baldmögliche Entscheidung, da eine ausreichende Bezahlung für unsere Assistentinnen nicht länger möglich ist.

Der Journalist von der Stuttgarter Zeitung kommt am Nachmittag. Wir führen ein langes Gespräch, erklären ihm unser Arbeitgebermodell und speziell unsere Probleme. Er hat Kontakte zur Leipziger Volkszeitung (LVZ) und zur Mitteldeutschen Zeitung, die in Halle erscheint.

Als er sich verabschiedet, lässt er uns seine Karte da. Ich kann ihn bei Bedarf wieder anrufen.

17. April 2000

Wir informieren den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Herrn Tiefensee, ebenfalls schriftlich über unsere Situation und schicken ihm, wie schon Frau Biedenkopf und dem Behindertenbeauftragten, ein INFORUM mit.

19. April 2000

Ãœber das Internet haben wir uns die Adressen von Report Mainz, MDR Fakt und MDR selbstbestimmt! herausgesucht und schicken ebenfalls eine Beschreibung unserer derzeitigen Situation.

21. April 2000

Wir erhalten vom Verwaltungsgericht Bescheid, dass über unseren Antrag demnächst entschieden wird.

20. April 2000

Elke Bartz setzt sich mit Report Mainz in Verbindung. Da in der letzten Sendung schon ein Beitrag über die Pflegeversicherung gesendet wurde, ist Report nicht daran interessiert.

25. April 2000

Der Redakteur von Report Mainz meldet sich auf unser Schreiben. Er hat es gerade auf seinen Tisch bekommen, gleich gelesen und ist nun doch sehr interessiert. Versprechungen kann er nicht machen, er muss erst die gesamte Redaktion überzeugen, einen Beitrag darüber zu machen. Er ist sich bewusst, dass unsere Angelegenheit nichts mit der Pflegeversicherung zu tun hat. Er möchte vorher mit unserem Anwalt sprechen.

26. April 2000

Ich schaue jeden Tag in den Internet-Seiten der Stuttgarter Zeitung nach. Bis heute ist der Artikel nicht erschienen. Um Näheres zu erfahren, schicke ich dem Journalisten eine eMail und frage nach.

28. April 2000

Der Journalist der Stuttgarter Zeitung teilt uns mit, dass der Artikel längst fertig ist und seit ungefähr 1 Woche bei der Zeitung liegt. Seit 3-4 Tagen ist der auch bei der Leipziger Volkszeitung und der Mitteldeutschen Zeitung (Halle).

Am Abend ruft der Behindertenbeauftragte der Stadt Leipzig an, um mir zu beteuern, dass wir auf dem richtigen Weg sind und durchhalten sollen. Aber leider kann er uns nicht helfen, da er selbst bei der Stadt angestellt ist. Wozu brauchen wir dann einen Behindertenbeauftragten?

29. April 2000

Ein Beigeordneter vom Dezernat Gesundheit und Soziales antwortet auf unser Schreiben an den Oberbürgermeister. Er hat die Rechtslage geprüft und festgestellt, dass die Hilfegewährung bis Ende Mai verlängert wurde. Daher betrachtet er unser Anliegen als erledigt.

Er geht weder auf die demütigenden Äußerungen der Richterin während der Verhandlung ein, noch auf die unzureichende Finanzierung durch das Sozialamt. Außerdem haben wir das Schreiben persönlich an den Oberbürgermeister gerichtet und adressiert. Daher erwarte ich, dass er auch darauf antwortet.

03. Mai 2000

Überraschend ruft uns am Vormittag ein Mitarbeiter des MDR Fernsehen an. Er hat den Artikel über uns in der Mitteldeutschen Zeitung gelesen und fragt, ob wir einverstanden sind, wenn der MDR einen Beitrag über uns bringt. Ich sage zu und er wird sich wieder bei uns melden. Durch ihn wissen wir, dass der Artikel nun erschienen ist.

04. Mai 2000

Es meldet sich ein Mitarbeiter einer Produktionsgesellschaft, die für ARD, ZDF und MDR Beiträge erarbeitet. Wir führen ein langes Telefonat. Er will eine Aufstellung machen, die den Sendern anbieten und sich dann wieder mit mir in Verbindung setzen.

05. Mai 2000

Eine Mitarbeiterin von MDR Info, dem regionalen Nachrichtenradio, vereinbart mit uns einen Termin. Sie möchte sich länger bei uns aufhalten, um eine Einblick zu bekommen, wie das Arbeitgebermodell in der Praxis funktioniert. Sie hat sehr großes Interesse.

08. Mai 2000

Die Mitarbeiterin von MDR Info sagt den Termin wegen Krankheit ab. Versichert mir aber, dass sie sich wieder meldet, sobald sie gesund ist.

09. Mai 2000

Wir reagieren auf das Schreiben vom Behindertenbeauftragten der Stadt Leipzig und möchten Antwort auf die Frage: Warum hat die Stadt einen Beauftragten für die Belange behinderter Menschen, wenn sich dieser nicht für deren Belange einsetzt?

Des weiteren schreiben wir an den Beigeordneten, der statt des von uns angeschriebenen Oberbürgermeisters geantwortet hat. Eine Kopie schicken wir auch an den Oberbürgermeister.

Das MDR Fernsehen meldet sich wieder bei uns und will einen Beitrag über uns machen. Sie kommen noch in dieser Woche. Außerdem habe ich eine Mail von dem Behindertenmagazin „selbstbestimmt!" des MDR erhalten. Um uns helfen zu können, benötigt die Redakteurin mehr Informationen.

10. Mai 2000

Ich rufe den Redakteur von Report Mainz an und teile ihm mit, dass unser Anwalt wieder aus dem Urlaub zurück ist. Gleichzeitig möchte ich wissen, wie es weitergeht, da er sich eine zeitlang nicht bei uns gemeldet hat. Ich erfahre, dass weder in der Sendung im Mai noch im Juni etwas über uns geplant ist. Er kann da gar nichts machen, muß sich erst mal um andere Sachen kümmern. Er bleibt weiterhin sehr interessiert und hofft auf die Sendung im Juli. Das nützt uns aber nichts!

11. Mai 2000

Ich telefoniere mit unserem Anwalt. Es sind zwei Schreiben vom Gericht an uns unterwegs, wenn wir die erhalten haben, werden wir weiteres besprechen. Die Post kommt noch am selben Tag. Es handelt sich einerseits um ein Schreiben die einstweilige Anordnung betreffend: Wir sollen noch einmal ausführlich Stellung dazu nehmen, warum uns die Anwesenheit von zwei Pflegekräften notwendig „erscheint". Sie danken uns für die Erstellung unserer Tagesabläufe, erkennen darin aber, das wir „möglicherweise im Wesentlichen mit einer Pflegekraft sicherstellen ließe". Sie übersehen, dass wir im Wesentlichen jetzt auch nur eine Pflegeperson haben, da 17 Stunden täglich eine Assistentin allein für uns beide zuständig ist. Für sieben Stunden sind die Assistentinnen zu zweit.

Das zweite Schreiben betrifft den Gutachtertermin. Offensichtlich hat sich der Gutachter bei Gericht beschwert, weil unser Anwalt sich mit ihm in Verbindung gesetzt hat, ohne übers Gericht zu gehen. Das Verwaltungsgericht sieht darin eine „Verfehlung" unsererseits. Allerdings hat der Gutachter uns zuerst direkt angeschrieben, ohne das Gericht oder unseren Anwalt zu informieren. Weiterhin teilt das Gericht mit, es liegt einzig und allein im sachverständigem Ermessen des Gutachters, wo und wie die erforderlichen Untersuchungen durchgeführt werden sollen. Wir sollen unverzüglich mitteilen, ob wir zu einer stationären Aufnahme bereit sind. So, wie das Schreiben formuliert ist, haben wir keine andere Wahl, als der stationären Begutachtung zuzustimmen. Ansonsten müssen wir annehmen, dass weder unser Antrag auf einstweilige Anordnung noch das Klageverfahren zu unserem Gunsten ausgeht, weil wir unserer „Mitwirkungspflicht" nicht nachkommen. Das wir einen derartigen Umgang mit unseren Personen als diskriminierend und entwürdigend finden, interessiert natürlich niemanden von behördlicher Seite. Es geht nur noch darum, unseren Grundpflegebedarf zu ermitteln und der kann überall ermittelt werden.

Wir wissen auch nicht, wie unser Aufenthalt sich dort gestalten soll. Hat das Krankenhaus überhaupt geeignete Hilfsmittel, die uns etwas nützen? Wie lange soll unser Aufenthalt dauern? Was ist mit dem Essen? Elke ist allergisch auf Konservierungs- und Farbstoffzusätze. Wie will das Personal überhaupt unsere Versorgung organisieren, nach Krankenhausrhythmus? Wir haben ganz große Bedenken. Wie sollen wir reagieren, wenn sie uns unwürdig behandeln?

Morgen kommt ein Team vom MDR Fernsehen und will einen Beitrag über uns drehen. Wir sind sehr aufgeregt!

Ich schicke eine Mail an den Journalisten der Stuttgarter Zeitung, weil sein Artikel zwar inzwischen in der Mitteldeutschen Zeitung in Halle, aber bis jetzt weder in der Stuttgarter noch in der Leipziger Volkszeitung erschienen ist.

12. Mai 2000

Ich bespreche all die auftretenden Fragen mit unserem Anwalt und bitte um Bedenkzeit übers Wochenende. Wir wissen, dass die Zeit drängt und wir uns entscheiden müssen. Das Klügste wäre wahrscheinlich zuzustimmen, aber wir müssen trotzdem unsere Bedenken dem Gericht mitteilen.

Wir haben große Angst, wie wir dort behandelt werden und das wir körperlichen Schaden nehmen könnten. Vor allem wissen wir nicht, ob medizinische Untersuchungen durchgeführt werden, obwohl während unseres Aufenthaltes nur der grundpflegerische Bedarf ermittelt werden soll.

Punkt 11 Uhr kommt das Fernsehteam. Der Redakteur hat im Internet den ersten Teil „Unser Weg zum Arbeitgebermodell" gelesen. Wir besprechen zuerst die Dinge, die gefilmt werden sollen. Am Anfang machen wir ein Interview. Wir sprechen über unsere Behinderung, unser Leben bisher. Das wir immer innerhalb der Familie gelebt haben, immer mobil und unternehmungslustig waren und auch heute sind. Wir erläutern, wie unsere Situation nach dem Tod unseres Vaters war und wie wir auf das Arbeitgebermodell gekommen sind. Wir schildern unsere derzeitigen Probleme mit der Finanzierung, dem stationären Aufenthalt für das Gutachten und unsere Gefühle dabei. Es werden pflegerische Tätigkeiten gefilmt, wie der Dienstplan besprochen wird und auch die Essenzubereitung. Das Team geht mit Elke und der Assistentin zum Wochenendeinkauf. Der „Penny"- Markt hat nichts dagegen, dass gedreht wird. Zum Abschluß werden wir noch beim Spazierengehen aufgenommen, um zu zeigen, dass wir auch gern im Grünen sind. Während der ganzen Zeit versucht der Redakteur einen Gesprächstermin mit einem Mitarbeiter des Sozialamtes zu vereinbaren. Er erhält als einzige Reaktion: Dazu gibt es nichts zu sagen! Auch mit dem Rechtsamt der Stadt Leipzig ergeht es ihm genauso: Keiner will sich äußern! Sie begründen ihre ablehnende Haltung nicht einmal.

Das Fernsehteam ist sehr nett und alles ist gut gelaufen.

Zwischendurch ruft der Journalist der Stuttgarter Zeitung an. Er hat meine Mail erhalten und bei den Zeitungen nachgefragt. Er findet es ärgerlich, dass der Artikel nach 3 Wochen immer noch nicht erschienen sind. Aber die Redakteure können sich nur schwer durchsetzen, da der Artikel etwas länger geworden ist. In allen Zeitungen steht etwas über „Big Brother" und Zlatko oder wie der heißt, aber für uns ist kein Platz!

13. Mai 2000

Zur stationären Aufnahme für die Begutachtung haben wir bisher keine Entscheidung getroffen. Wir sind unschlüssig, die Zeit drängt und Anfang nächste Woche müssen wir Bescheid geben, ob wir zustimmen oder nicht ...

14. Mai 2000

Trotz aller Bedenken und schweren Herzens stimmen wir der Begutachtung in der Universitätsklinik Leipzig zu.

Das Gericht ist bei der Bestellung des Gutachters noch von der Ermittlung eines umfassenden Pflegebedarfs ausgegangen. Nach der Darlegung unserer Bedenken dem Gutachter gegenüber, dass während eines Klinikaufenthaltes nicht der Pflegebedarf im häuslichen Umfeld ermittelt werden kann, hat das Gericht seine Meinung geändert und verlangt jetzt nur noch die Ermittlung des Grundpflegebedarfs. Im letzten Schreiben ist sogar von Untersuchungen die Rede und nicht nur von Begutachtung.

15. Mai 2000

Wir faxen unserem Anwalt unsere Zustimmung.

16. Mai 2000

Unser Anwalt leitet die Zustimmung zum stationären Aufenthalt an das Verwaltungsgericht weiter. Wir haben nach wie vor große Zweifel, ob die Ermittlung unseres Pflegebedarfs in einer Einrichtung ein realitätsnahes Bild ergeben wird. Wir haben einige unserer Bedenken schriftlich dargelegt, die dem Gericht mitgeteilt werden. Vor allem über die Dauer müssen wir Bescheid wissen, damit wir unsere Assistentinnen einplanen können. Wir können von ihnen nicht verlangen, dass sie ihren Urlaub dafür opfern oder sie unbezahlt freistellen. Wir möchten außerdem wissen, wie wir unseren Verpflichtungen außerhalb der Klinik nachgehen können, wie sich unser Aufenthalt gestalten soll (sollen wir den ganzen Tag im Bett bleiben?) und teilen mit, dass wir kein männliches Krankenhauspersonal akzeptieren. Alle anderen Bedenken wollen wir vor Ort klären.

19. Mai 2000

Durch eine Email erfahre ich, dass der Artikel über uns auch im „Nordkurier" erschienen ist, einer Zeitung, die in Mecklenburg - Vorpommern erscheint.

Der Gutachter hat dem Gericht mitgeteilt, dass er den Gutachterauftrag nicht annimmt. Er schlägt die Reha-Klinik Bennewitz als adäquaten Bearbeiter vor. Laut Verwaltungsgericht kann aber er nicht selbst entscheiden, ob er ein Gutachten machen will oder nicht. Wenn er als Sachverständiger vom Gericht beauftragt wird, muss er das Gutachten auch erstellen.

Wir schreiben für das Gericht eine zweiseitige Stellungnahme, warum zeitweise die Anwesenheit einer 2. Assistentin unbedingt notwendig ist.

24. Mai 2000

Ich schicke an lange Mail jeweils an die ZDF-Redaktion „mit mir nicht" und an „Panorama" vom NDR. Darin schildere ich genau die bisherigen Ereignisse und bitte um Hilfe, da die Kostenübernahme durch das Sozialamt bis 31. Mai 2000 befristet ist und wir bis heute nicht wissen, wie wir unsere Assistentinnen ab 1. Juni bezahlen sollen.

26. Mai 2000

Wir erhalten die Kopie eines Gerichtsschreiben. Unsere Zweifel an der Unterbringung in der Klinik werden vom Gericht nicht geteilt. Wir werden dort genauso sachgerecht versorgt, wie alle anderen Patienten. „Einschränkungen der persönlichen Freiheit" sind kurzzeitig zumutbar.

Der Gutachter schickt unserem Anwalt die gesamten Unterlagen zurück. Er benötigt sie nicht mehr. Will er das Gutachten doch ablehnen? Wir verstehen das Ganze nicht. Wir haben doch zugestimmt und er muss das Gutachten machen.

Der Antrag zur zweiten einstweiligen Anordnung wurde bis heute nicht entschieden. Trotz häufiger, auch telefonischer, Anfragen unseres Anwalt beim Verwaltungsgericht, erfolgt von dieser Seite keine Reaktion.

30. Mai 2000

Schon am 11. Mai 2000 wandte ich mich an die MDR Redaktion „selbstbestimmt!", um auf unsere Probleme bei der Durchsetzung des Arbeitgebermodells hier in Leipzig aufmerksam zu machen. Die Redakteurin verlangte mehr Informationen, hat sich aber seither nicht wieder bei uns gemeldet. Also schicke ich ihr noch eine Mail. Es ist bald Juni und wir wissen nicht, wie es weitergehen soll.

Außerdem will ich endlich von der Redaktion „Hier ab vier" wissen, wann der Beitrag gesendet wird, der am 12. Mai 2000 gedreht wurde. Ursprünglich sollte die Ausstrahlung unter dem Titel „Firma Pflege" am 16. Mai 2000 sein. Der Sendeleiter war der Meinung, dass der Beitrag noch einmal überarbeitet werden muss und seitdem verschiebt sich der Termin immer weiter. Telefonisch ist kaum jemand zu erreichen, da gerade in Leipzig das neue Media Center eröffnet wird und viele Redaktionen umziehen. Es ist ziemlich schwierig, überhaupt jemanden zu erreichen, der etwas weiß. Also schicke ich auch dahin eine Mail.

1. Juni 2000

Der Juni beginnt, wir haben weder eine Entscheidung auf unseren Antrag auf einstweilige Anordnung, noch eine Ahnung, wie wir die Löhne ab sofort bezahlen sollen.

4. Juni 2000

Wir wissen jetzt nicht mehr weiter. Von allen angeschriebenen Fernsehsendern kommt keine Reaktion. Wir verstehen nicht, dass hier anscheinend kein öffentliches Interesse besteht. Obwohl wir ausdrücklich auf unsere Finanzierungsprobleme hinweisen und auf das endlose Warten auf die Entscheidung unseres Antrags. Der Antrag wurde von uns am 24. Februar 2000 gestellt. Damals war ich noch der Meinung, die Entscheidung würde schnell gehen, da wir wirklich viele Beweise eingereicht hatten.

Ich habe die Email-Adresse von dem Bundestagsabgeordneten Ilja Seifert und wende mich nun an ihn. In der Hoffnung, damit irgendetwas zu bewirken.

5. Juni 2000

Kurzentschlossen will ich den Dezernenten für Soziales und Gesundheit der Stadt Leipzig aufsuchen. In einem „Stadtwegweiser" finde ich die Zimmernummer seines Büros. Ich melde mich nicht an, damit ich nicht gleich eine Absage erhalte. Gegen elf bin ich mit meiner Assistentin dort, stelle mich der Sekretärin vor und bitte um ein Gespräch mit Dr. Zimmermann. Leider ist er gerade in einer bis in den Nachmittag dauernden Besprechung. Ich bitte um einen Termin, so schnell es geht. Ob der Sozialdezernent noch diese Woche etwas frei hat, weiß sie nicht und ab nächste Woche ist er 4 Wochen im Urlaub. Doch es klappt, ich bekomme einen Termin. Meine Assistentin freut sich, „das ist doch was". Ich bin misstrauisch und werde Recht behalten. Kaum sind wir zu Hause, ruft seine Sekretärin an, um den Termin abzusagen. Der Dezernent hat sich mit dem Rechtsamt in Verbindung gesetzt und ist nicht befugt mit uns sprechen. Begründung: Schwebendes Verfahren. Eigentlich wollte ich eine Antwort auf mein Schreiben vom 8. Mai 2000, das er unbeantwortet ließ.

Am Abend meldet sich Ilja Seifert telefonisch, er wird sich mit unserem zuständigen Sozialamt in Verbindung setzen und um großzügige Auslegung des BSHG bitten, damit die Finanzierung bis zur einstweiligen Anordnung gewährleistet ist.

6. Juni 2000

Überraschend kommt heute die Antwort vom Sozialdezernenten auf mein Schreiben vom 8. Mai 2000. Es steht nichts drin, was ich nicht schon weiß!

7. Juni 2000

Eine Redakteurin von MDR Info begleitet uns für mehrere Stunden, um einen Einblick in unseren Alltag zu bekommen und vor allem, wie unser Alltag mit den Assistentinnen funktioniert. Diese Redakteurin hatte sich schon im April angemeldet und musste den Termin wegen Hexenschuss absagen.

8. Juni 2000

Von der Redaktion „Hier ab vier" kam bisher keine Reaktion auf meine Anfrage vom 30. Mai 2000. Ich maile wieder, diesmal ungeduldiger!

An den Sozialdezernenten schicke ich ein Fax, einen Brief hätte er vor seinem Urlaub nicht mehr erhalten. Ich erkläre ihm mein Unverständnis über sein Verhalten. Da er ein gewählter Vertreter der Bürger der Stadt Leipzig ist, ist er auch für deren Belange zuständig. Und wir gehören auch zu diesen Bürgern!

9. Juni 2000

Endlich meldet sich jemand von „Hier ab vier", es ist der Sendeleiter. Sie haben große Probleme mit dem Beitrag. Da nur 2:30 Minuten Sendezeit zur Verfügung stehen, schaffen sie es nicht, genügend Informationen in den Beitrag zu packen, damit die Zuschauer das Projekt „Arbeitgebermodell" und unsere damit verbundenen Probleme verstehen (?). Der Redakteur, der zum Drehtermin bei uns war, soll den Beitrag nun noch einmal überarbeiten.

Ilja Seifert meldet sich wieder, liest mir am Telefon vor, was er an unser zuständiges Sozialamt schreiben wird und schickt mir den Text anschließend per Fax.

10. Juni 2000

Ich rufe oft unseren Anwalt an, vielleicht hat er den Bescheid schon. Er weiß aber auch nichts Neues!

13. Juni 2000

Unsere Situation spitzt sich weiter zu. Die nervliche Anspannung ist unerträglich. Ich schicke unserem Anwalt ein Fax, ich habe alle unsere Befürchtungen aufgelistet. Er soll diese dem Gericht mitteilen und fragen,

  • ob es der Wille des Verwaltungsgerichts ist, dass unsere Assistentinnen kündigen, weil wir den Lohn nicht mehr bezahlen können
  • ob sie wissen, dass wir dadurch plötzlich ohne Versorgung sind,
  • ob sie wissen, dass wir verkommen und verwahrlosen?
  • ob sie wissen, was mangelnde Versorgung für unsere körperliche Verfassung bedeutet?
  • ob sie wissen, dass wir körperlichen Schaden nehmen?

Wir wissen immer noch nicht, was mit dem Gutachten werden soll.

Das Verwaltungsgericht teilte am 16. Mai 2000 mit, dass eine Entscheidung deswegen nach 14 Tagen getroffen werden soll. Das wäre am 30. Mai 2000 gewesen, also sind sie 14 Tage überfällig!

Wir haben inzwischen alle in Frage kommenden Stellen informiert, vom OB bis zum zuständigen Sozialamt und erhalten stets nur die eine Antwort: Schwebendes Verfahren!

Unser Anwalt ruft wiederholt beim Gericht an, um anzufragen, wann eine Entscheidung getroffen werden soll. Er erklärt, wie dringend es ist. Einzige Antwort: Bald!

14. Juni 2000

Wir haben einen Termin mit einem Redakteur von „selbstbestimmt!". Wir verbleiben, dass ich mich Ende Juni bei ihm melde. Wenn bis dahin die Einstweilige Anordnung nicht vorliegt, wird gleich gedreht. Haben wir bis dahin einen Beschluss, dann wird auch gedreht, aber später und in Ruhe.

21. Juni 2000

Unser Anwalt ruft wieder beim Gericht an, spricht mit einem der Richter und erfährt, dass die einstweilige Anordnung fertiggestellt ist.

23. Juni 2000

Der Bundestagsabgeordnete Ilja Seifert ruft an. Er hat eine Antwort auf sein Schreiben an den Amtsleiter unseres Sozialamts erhalten. Er faxt es mir. Das Sozialamt wird bis zur gerichtlichen Entscheidung in bisheriger Höhe weiter zahlen!

27. Juni 2000

Wirklich im letzten Moment erhalten wir den Beschluss vom Verwaltungsgericht zu unserem Antrag auf einstweilige Anordnung vom 24.02.00. Das Sozialamt der Stadt Leipzig wird darin zur Kostenübernahme für 22 volle Stunden verpflichtet, rückwirkend vom 01.03.00 bis 31. August 2000. Beantragt haben wir 27 volle Stunden. Danach ist es nach Auffassung des Gerichts bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zumutbar und ausreichend, wenn wir eine Assistentin rund um die Uhr und eine zweite für 3 Stunden täglich (diese soll nur für getrennte Unternehmungen eingesetzt werden) zur Verfügung haben.

Die Kostenübernahme ist zwar höher als bisher, aber trotzdem nicht ausreichend, wenn wir unsere Assistentinnen wie bisher einteilen. Wir erhalten eine Nachzahlung für März - Mai, mit der können wir gerade die Differenz stopfen, die wir für Juni nicht mehr aufbringen können. Es fehlt die Finanzierung für 5 Stunden täglich. Die dadurch in den nächsten Monaten auftretende Differenz können wir auch nicht ausgleichen. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als die Stundenzahl unserer Assistentinnen entsprechend zu reduzieren. Das bedeutet aber totale Einschränkung und wir wissen noch nicht, was das letztlich für Auswirkungen haben wird.

Wir erhalten auch eine Kopie das Gutachten betreffend. Dem Gutachter wurden vom Gericht die Akten geschickt und er muss gemäß dem Beschluss vom 10.02.00 das Gutachten erstellen.

Wir sollen uns nun wegen der Terminabsprache mit ihm in Verbindung setzen.

28. Juni 2000

Ich rufe die Sekretärin vom Professor Wagner wegen einem Termin für das Gutachten an. Er ist noch im Urlaub, aber ab Montag wieder im Dienst.

Ich habe die ganze Zeit über die Stundenreduzierung nachgedacht. Wenn eine Assistentin alle pflegerischen Tätigkeiten und den Haushalt für uns beide allein erledigen soll, ist das zeitlich nicht zu schaffen. Davon abgesehen brauchen wir auch 2 Assistentinnen beim Duschen und nicht nur für „Unternehmungen". Wenn ich unter der Dusche bin, kann die Assistentin nicht zur Elke gehen. Erstens würden wir im Bad nicht hören, wenn Elke etwas benötigt und zweitens kann die Assistentin mich nicht einen Moment allein unter der Dusche „eingeschäumt" stehen lassen. Die Gefahr, abzurutschen und dadurch aus dem Dusch-Rollstuhl zu fallen oder mit dem umzukippen, ist viel zu groß. Das gilt umgekehrt genauso. Das Risiko können und werden wir nicht eingehen. Auch, wenn das Gericht der Meinung ist, die Assistentin könne diejenige im Duschstuhl „lagern", bevor sie zu der anderen geht. Soll sie diejenige festbinden oder was? Aber das Gericht kennt sich aus! Im Beschluss steht, Richterin und Richter haben beide persönliche Erfahrungen in der Pflege und können das beurteilen! Sie sind somit Experten für alle Behinderungen!

3. Juli 2000

Ich melde mich wieder bei der Sekretärin, der Professor wird uns bis Ende der Woche Bescheid geben.

4. Juli 2000

Ich maile der „selbstbestimmt!"-Redaktion, dass die einstweilige Anordnung vorliegt und wie die Finanzierung bis Ende August aussieht.

6. Juli 2000

Wir können die Stundenreduzierung nicht umgehen. Die fehlenden 5 Stunden täglich können wir nicht selbst finanzieren. Wir haben für die Assistentinnen mit Hilfe unseres Beraters Gerhard Bartz Änderungskündigungen aufgesetzt, werden diese Allen vorlegen und hoffen, dass sie darauf eingehen können. Weniger gearbeitete Stunden bedeutet auch weniger Verdienst.

11. Juli 2000

Alle Assistentinnen haben die Änderung akzeptiert. Ab 14. Juli 2000 gilt die neue Stundenzahl. Wir werden dann die 2. Assistentin nur 3 Stunden täglich einsetzen können.

Der Redakteur von „selbstbestimmt!" ruft an. Von meiner Mail weiß er nichts und wollte sich erkundigen, wie es bei uns weitergehen soll. Ich erzähle ihm von dem Beschluss und den (vorübergehenden) Konsequenzen für uns. Anfang September wird uns ein Team einen ganzen Tag begleiten und für einen längeren Beitrag drehen.

Die Sekretärin vom Gutachter hat eine Nachricht auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen. Sie schlagen uns den Zeitraum vom 17.07. - 20. oder 21. Juli 2000 für die stationäre Aufnahme vor, „um die wir gebeten haben". Sehr witzig!

Eine unserer Assistentinnen wird Mitglied im ForseA. Seitdem sie bei uns angestellt ist, hat sie sich sehr interessiert gezeigt, hatte immer viele Fragen und wollte auch das Inforum lesen. Nun überraschte sie uns, sie möchte gern Mitglied werden. Wir freuen uns sehr über ihre Entscheidung, zeigt es uns, dass sie voll hinter uns steht!"

12. Juli 2000

Da ich skeptisch bin und noch einige Fragen wegen der Begutachtung habe, rufe ich die Sekretärin vom Professor an. Ich möchte wissen, ob ein Konzertbesuch gewährleistet ist, für den ich Karten habe, ob Hilfsmittel auf der Station vorhanden sind, wie sich unser Aufenthalt dort überhaupt gestalten und wie lange er dauern soll. Ich muss die genaue Dauer wissen, weil ich die Assistentinnen einteilen muss. Sie kann mir nicht weiterhelfen, das wird mir auch der Professor nicht sagen können, ich soll mit dem Stationsarzt darüber sprechen. Zu den ersten beiden Fragen kann er mir auch keine Auskunft geben, das weiß die Stationsschwester und Letzteres weiß nur der Professor, da das seine Sache ist. Also rufe ich die Stationsschwester an: Das Personal wird mich rechtzeitig zurechtmachen, damit ich ins Konzert kann, Begleitung können sie mir natürlich nicht mitgeben, da sie noch 28 andere Patienten haben. Das war mir von vornherein klar.

Hilfsmittel haben sie nicht, außer einem Duschstuhl für die ganze Station. Sie schlägt uns vor, eigene Hilfsmittel mitzubringen, vor allem das Hebegerät wäre nicht schlecht. Das wäre ja auch leichter für die Schwestern. Allerdings muss erst die Rechtslage geklärt werden. Darf ein Hebegerät benutzt werden, welches nicht der Station gehört und was passiert, wenn eine Schwester es kaputt macht? Sie erkundigt sich und ich soll später zurückrufen. Meinen Rückruf verbindet sie ohne viele Worte direkt zur Sekretärin, die außer sich ist. Sie seien nicht vom Gericht informiert worden, dass wir so viele Hilfsmittel brauchen und nun muss sie noch einmal mit dem Professor sprechen, was aus dem Gutachten werden soll. Sie werden sich wieder mit uns in Verbindung setzen, ob der Termin verschoben oder was überhaupt wird.

Ich vermute gleich das Schlimmste: dass der Professor das Gutachten ablehnt, weil wir auf die Hilfsmittel bestehen, dabei habe ich nur danach gefragt! Ich frage unseren Anwalt. Wir sollen den Termin als feststehend betrachten und am 17. Juli 2000 gegen 10:00 h, wie ausgemacht, erscheinen. Alles andere ist Sache des Sachverständigen!

13. Juli 2000

Um weiteren Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, schicke ich dem Professor per Fax eine Bestätigung des Termins.

14. Juli 2000

Am Morgen habe ich einen weiteren Anruf von der Sekretärin. Sie will wissen, was nun „mit den Dingen werden soll, die wir so dringend benötigen". Wenn sie keine Hilfsmittel organisieren können, bringen wir eben unsere eigenen mit. Das ist ihr ganz recht und sie hofft, dass alles klappt! Wir auch!

Ich bestelle den Fahrdienst für Montag 9:30 h und sage allen Assistentinnen Bescheid. Rufe unseren Service-Mann an und bitte ihn, die Hilfsmittel in die Klinik zu transportieren, weil der Fahrdienst derlei nicht erledigt. Außerdem weiß ich die teuren Geräte bei ihm in den besten Händen. Die Rechnung dafür kriegen erst wir, dann aber das Gericht.

16. Juli 2000

Wir erhalten tatkräftigen Beistand aus Berlin. Sollte es Ärger während unseres Aufenthaltes in der Klinik geben, würden die Uschi und ihr Mann kommen und uns helfen!

17. Juli 2000

Wir hoffen, wir haben an alles gedacht und machen uns mit gemischten Gefühlen auf zum Gutachten. Eine Assistentin begleitet uns, unsere Mutter kommt mit den Hilfsmitteln hinterher. Die Klinik erwartet uns schon. Sie haben ein Zimmer für uns vorbereitet, in das sie die einzigen elektrisch verstellbaren Pflegebetten gestellt haben, die sie organisieren konnten.

Der Professor begrüßt uns und dann gehen wir uns anmelden.

Der erste Tag verläuft nicht so gut. Wir müssen uns sehr behaupten, damit die Schwestern vorsichtig mit uns umgehen, das Hebegerät benutzen und nicht an uns herum ziehen. Alle Handgriffe sind sehr zeitaufwendig (wie zu Hause auch) und die Schwestern haben dafür nicht genug Zeit. Sie wollen uns so bewegen wie „ihre Gelähmten". Wir müssen uns ziemlich durchsetzen und ihnen klarmachen, dass es so nicht geht! Der Professor hat den ersten Tag zum Eingewöhnen vorgesehen und ab morgen sollen die Untersuchungen durchgeführt werden. Bei mir läuten gleich alle Alarmglocken. Ich weise ihn darauf hin, dass von Untersuchungen nicht die Rede ist. Das Gericht verlangt die Ermittlung des Pflegebedarfs und dazu sind ja Untersuchungen nicht erforderlich. Außerdem liegen ihm die Gutachten vom MDK und unserer Hausärztin vor! Er muss unseren körperlichen Zustand selbst prüfen, da er das Gutachten schreiben muss!

Er erinnert sich daran, vor 20 Jahren eine Untersuchung bei uns gemacht zu haben. Elke erinnert sich auch an ihn.

Am Abend habe ich Karten für ein Konzert. Da das Krankenhaus mir keine Begleitung mitgeben kann, begleitet mich meine Assistentin. Sie wird so zeitig kommen, dass sie mich notfalls ankleiden und in den Rollstuhl umsetzen kann. Es klappt aber alles und wir kommen rechtzeitig weg. So richtig kann ich die Musik nicht genießen. Ich mache mir große Sorgen um die nächsten Tage und was alles auf uns zukommen wird.

18. Juli 2000 - 20. Juli 2000

Gleich am frühen Morgen kommt die Oberschwester, um uns mitzuteilen, dass ab sofort in jeder Schicht eine Schwester aus einer anderen Abteilung herangezogen wird, die nur für uns zuständig ist. Das Stammpersonal der Abteilung kann unsere Versorgung nicht schaffen. Die Schwestern werden alles genau dokumentieren. Ab Dienstag waren alle sehr nett. Und so vergingen die Tage. Kaum eine von den Schwestern wusste, warum wir dort sind. Eine dachte sogar, wir hätten uns selbst einweisen lassen. Die Schwestern hatten viele Fragen zu unseren Assistentinnen. Keiner hatte jemals etwas darüber gehört oder konnte sich überhaupt etwas darunter vorstellen. Obwohl wir auf einer neurologischen Station waren, haben uns mehrere Schwestern gesagt, dass sie keine Erfahrung mit unserer Erkrankung haben.

Der Professor kam jeden Tag und teilte uns am Mittwoch mit, dass die Dokumentation abgeschlossen wird und wir am Donnerstag nach Hause zurückkehren können. An dem Vormittag hatte Elke eine ziemlich heftige allergische Reaktion, wahrscheinlich auf Bestandteile des Fruchtgelees vom Frühstück. Sie hat die Ärztin gleich darauf aufmerksam gemacht und eine Tablette und Salbe bekommen. Ihr ging es dann ziemlich schnell besser. Zu Hause hat sie auch solche „Notfalltabletten".

Wir haben also das Gutachten ohne Blessuren überstanden. Jetzt müssen wir nur noch warten, wie es ausfällt und was das Gericht daraufhin beschließt!

20. Juli 2000

Bei unserer Rückkehr aus der Uni-Klinik finden wir einen Brief von Frau Biedenkopf, der Frau des sächsischen Ministerpräsidenten. An sie hatten wir uns am 12.04.00 gewandt und ihr unsere problematische Situation dargestellt. Sie hat den OB von Leipzig am 5. Mai 2000 angeschrieben und schickt uns nun eine Kopie seiner Antwort vom 7. Juli 2000, die wie erwartet ausfällt: Die Kostenübernahme für das Arbeitgebermodell ist Gegenstand eines anhängigen Gerichtsverfahrens und so muss die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abgewartet werden.

Die 2. Einstweilige Anordnung gilt bis 31. August 2000 und wir müssen wieder daran denken, wie die Finanzierung ab September gesichert werden soll.

21. Juli 2000

Wir bekamen einen großen Schreck. Elke hatte ganz plötzlich einen Erstickungsanfall. Ich habe sofort nach der Assistentin gerufen und nur durch kräftiges Klopfen auf den Rücken konnte Elke wieder atmen. Ich dachte erst, sie hätte sich am Essen verschluckt. Ursache war aber der Kehlkopfdeckel, der sich nicht von der Luftröhre gelöst hatte. Sie war deshalb bei der Ärztin. Das kann jederzeit wieder passieren und nur mechanisch behoben werden.

Es gibt aber auch etwas Erfreuliches: Die Leipziger Volkszeitung hat es endlich geschafft, den Artikel über uns zu veröffentlichen! Nach über einem Vierteljahr! Der Journalist hat ihn kurz vorher noch einmal aktualisiert und dadurch die neuen Fakten mit eingebracht.

25. Juli 2000

Seit 14. Juli 2000 haben wir unsere Assistentinnen nach der reduzierten Stundenzahl eingeteilt. Damit kommen wir nicht zurecht. Die 2. Assistentin fehlt an allen Ecken und Enden. Vorher haben wir es so gemacht, dass am Morgen immer 2 Assistentinnen anwesend waren. Allein durch den großen Zeitaufwand für die einzelnen Tätigkeiten, mit Morgentoilette, Frühstück, Umsetzen in den Rollstuhl etc. und für das Duschen ist das notwendig. Kurzfristig konnten wir dadurch entscheiden, was wir an diesem Tag machen und, ob und wann die Assistentin noch einmal wiederkommen muss. Das Gericht sieht das allerdings nicht so. Muss eine Assistentin die morgendlichen Verrichtungen allein erledigen, können wir weder Duschen noch vormittags das Haus verlassen. Spontane, auch vom Wetter abhängige, Unternehmungen sind nicht möglich, weil die 2. Assistentin an diesem Tag vielleicht erst später kommt oder gar nicht, wenn sich schon zu viele Überstunden angesammelt haben.

Will eine von uns eigene Wege gehen, muss das vorher gut geplant werden. Konnten wir die 2. Assistentin nicht mit einsetzen, können wir entweder nirgendwo hingehen oder nur zusammen. Wir müssen jetzt sogar planen, wann es möglich ist zu Duschen. Die Stunden fehlen auch für die hauswirtschaftliche Versorgung. Die Assistentin ist entweder mit uns oder dem Essen machen beschäftigt, da bleibt kaum Zeit für die Wäsche oder zum Saubermachen. Sind wir unterwegs, ist an diesem Tag dafür gar keine Zeit.

Wir notieren jetzt wieder unseren Tagesablauf, um dem Gericht zu beweisen, dass es so nicht geht. Wir werden auch alles dokumentieren, wo wir uns durch die fehlende Stundenzahl einschränken müssen und was wir alles nicht machen können.

03. August 2000

Überraschenderweise bekomme ich heute einen Brief von der Schwester einer alten Schulfreundin. Sie lebt in Dresden und hat in den Dresdner Neuesten Nachrichten einen Artikel über uns gelesen. Sie schickt mir die Adresse vom Landesbeirat für Behindertenfragen vom Sozialministerium, in der Hoffnung, dass sie uns helfen können.

07. August 2000

Meine alte Schulfreundin meldet sich auch. Sie arbeitet jetzt als Journalistin und ihre Schwester hat ihr den Artikel geschickt. Sie soll nun auch etwas schreiben und möchte uns deshalb gern besuchen. Wir verabreden uns für nächsten Montag und ich bin sehr gespannt auf sie. Wir haben uns sehr lange nicht gesehen, vor 3 Jahren nur mal kurz in der City getroffen.

14. August 2000

Wir wissen immer noch nicht, ob inzwischen das Gutachten bei Gericht vorliegt. Uns beschäftigt auch die Frage, ob das Sozialamt über den August hinaus die Kosten für unsere Assistentinnen übernimmt oder ob wieder eine Einstweilige Anordnung beantragt werden muss. Die käme allerdings zu spät. Bei einer Bearbeitungszeit von über 5 Monaten hätten wir die Entscheidung vielleicht zu Weihnachten. Laut Beschluss ist die Kostenübernahme befristet bis Ende August, weil sie annahmen, dass bis dahin das Gutachten vorliegt. Aber es steht auch drin, das Gericht betrachtet die Kostenübernahme in dieser Höhe bis zur Hauptsacheentscheidung als angemessen. Und das klingt so: Egal wie lange das noch dauert!

15. August 2000

Ich versuche deshalb unseren Anwalt zu erreichen und bekomme zwei Schreiben von ihm. Eine Anfrage ans Gericht wegen dem Gutachten und eine Anfrage an unser zuständiges Sozialamt, ob sie ohne Beantragung einer neuen Einstweiligen Anordnung bereit sind, bis zur Hauptsacheentscheidung weiter zu zahlen.

17. August 2000

Unser Anwalt hat vom Sozialamt ein Fax erhalten, in dem sie sich bereit erklären, die Kosten in bisheriger Höhe weiterhin zu übernehmen!

Das möchte ich nun noch schriftlich haben, bevor ich beruhigter bin.

23. August 2000

Wir wissen, dass alle Kosten, die im Zusammenhang mit dem Gutachten anfallen, von der „Staatskasse" übernommen werden. Also reichten wir die Rechnung für den Transport unserer Hilfsmittel in die Uni-Klinik beim Verwaltungsgericht zur Überweisung an die Service-Firma ein. Nun sieht es das Gericht in unserem Fall aber völlig anders: die Transportkosten von 200 DM sind Parteikosten und keine Begutachtungskosten und sie bezahlen das nicht! Jetzt müssen wir beweisen, warum unsere eigenen Hilfsmittel für die Erstellung des Gutachtens notwendig waren und, dass es mit dem Professor abgesprochen war, diese von zu Hause mitzubringen. Wir hatten ja keine andere Möglichkeit, denn in der Klinik standen diese Hilfsmittel nicht zur Verfügung. Dort konnten nur mit Mühe zwei elektrisch verstellbare Pflegebetten organisiert werden. Wir setzen uns jetzt mit dem Professor in Verbindung, bitten um eine Bestätigung und schreiben eine weitere Stellungnahme ans Gericht. Uns liegt das Fax vom Sozialamt vor. Sie übernehmen die Lohnkosten in bisheriger Höhe (also für 22 volle Stunden) weiterhin, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.

04. September 2000

Der Gutachter schickt uns eine Mitteilung zu den Transportkosten. Er hat bereits auf eine Anfrage des Gerichts diesbezüglich geantwortet. Wir hoffen, dass die Bestätigung des Professors ausreicht und das Gericht nun bereit ist, die Kosten für den Transport unserer Hilfsmittel zu übernehmen.

Wir haben einen Termin mit einem Redakteur vom Fernsehen. Am Mittwoch und Donnerstag kommt ein Fernsehteam, um eine Dokumentation über uns und unseren Alltag zu drehen. Wir besprechen die letzten Details.

06. September 2000

Wir erhalten einen Beschluss vom Verwaltungsgericht: Die Transportkosten für unsere Hilfsmittel werden nicht übernommen. Das Gericht bewertet diese nicht als Gutachtenkosten.

Das Kamerateam und der Redakteur von der MDR-Sendung „selbstbestimmt!" kommen wie abgesprochen gegen 9:00 h. Sie filmen unseren Tagesablauf. Es ist sehr anstrengend, aber unsere Assistentin Manuela und wir gewöhnen uns schnell an die Kamera. Der Redakteur hat einige Fragen vorbereitet, die wir ihm beantworten. Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden, weil wir auch ganz schön aufgeregt sind. Wir hoffen, dass wir unsere Situation verständlich darstellen konnten.

07. September 2000

Die letzten Aufnahmen wurden auf unserem Weg in die Stadt und während eines Museumsbesuch gemacht. Wir sind fix und fertig, aber die Aufregung ist noch nicht vorüber. Als wir zurück kommen, finden wir auf unserem Anrufbeantworter eine Nachricht von unserem Anwalt. Das Gutachten ist da! Ich rufe sofort an und mir ist ganz schön mulmig. Die Schwestern in der Klinik haben genau notiert, welche Tätigkeiten sie für uns erledigt haben und welcher Zeitaufwand dafür notwendig war. Dementsprechend ist das Gutachten für uns positiv ausgefallen! Jetzt müssen wir noch die Reaktion des Verwaltungsgerichtes abwarten. Da das Gutachten vorliegt, muss nun ein neuer Verhandlungstermin angesetzt werden.

09. September 2000

Wir bekommen das Gutachten. Jetzt müssen wir wieder abwarten, wie Sozialamt und Verwaltungsgericht reagieren. Unser Anwalt fordert das Sozialamt per Fax auf, entsprechend unserer Kalkulation die Kosten für unsere Assistentinnen zu übernehmen, da ihm inzwischen auch das Gutachten vorliegen muss. Er setzt ihm eine Frist bis zum 14. September 2000.

12. September 2000

Ich habe mich entschlossen, Mitte Oktober zu einer Tagung nach Berlin zu fahren. Ich traue mich nach 6 Jahren das erste Mal in eine mir fremde Umgebung. Es wird alles gut vorbereitet: eine entsprechende Unterkunft wird gesucht, die nötigen Hilfsmittel werden vor Ort bereitgestellt und meine Assistentin bringe ich mit. Das hält meine Bedenken in Grenzen. Das einzige Problem ist die Kostenübernahme für die Assistenz. Wenn ich mich von meiner Schwester trenne und über Nacht weg bin, benötigen wir beide je eine Assistentin rund um die Uhr. Sind wir beide zu Hause, haben wir zeitweise nur eine Assistentin gemeinsam. Deshalb beantrage ich die Kostenübernahme für die zusätzlichen Stunden bei unserem zuständigen Sozialamt.

20. September 2000

Die Stadt Leipzig reagiert nicht auf das Fax und deshalb beantragen wir erneut eine einstweilige Anordnung. Wir können unsere Assistentinnen seit Mitte Juli nur mit reduzierter Stundenzahl einsetzen, weil uns die finanziellen Mittel zum Ausgleich der monatlich auftretenden Differenz fehlen.

26. September 2000

Wir erhalten Bescheide vom 22. September 2000 von unserem zuständigen Sozialamt: die Kosten für die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft nach Assistenzmodell werden als Beihilfe in nicht rückzahlbarer Form bis auf Weiteres bis zur Höhe unserer Kostenkalkulation übernommen, aber nur entsprechend der Lohnabrechnungen. Ich lese alles 3 mal bis ich verstehe, dass es DIE Bescheide sind! Ich rufe gleich Elke Bartz an. Wir haben es geschafft! Die Stadt gibt nach und bezahlt unsere Assistentinnen! Noch bin ich unsicher, ob die Bescheide okay sind. Unser Anwalt ist im Urlaub und beruhigt bin ich erst, wenn er es uns bestätigt.

Wir können es nicht fassen und freuen ... auch noch nicht so richtig!

01. Oktober 2000

Wir erhöhen die Stundenzahl wieder. Langsam kommt uns ins Bewusstein, dass nun auch das Klageverfahren erledigt ist. Wir haben alles hinter uns und können aufatmen! Alle freuen sich mit uns!

05. Oktober 2000

Einem Fax der Stadt Leipzig an das Verwaltungsgericht entnehmen wir, dass der in unserer Kalkulation als durchschnittlich angegebene Betrag in deren Augen die absolute Höchstgrenze der Kostenübernahme darstellt. Sie übernehmen die Lohnkosten und bezahlen in Höhe der monatlichen Lohnabrechnungen, übersteigt diese jedoch den Betrag in unserer Kalkulation, haben wir Pech und müssen die Differenz selbst tragen. Anscheinend haben sie immer noch nicht begriffen, dass nicht ein Monat wie der andere ist und durch Urlaub und Urlaubsvertretung höhere Kosten anfallen können. Dafür sind die Kosten in Monaten ohne Urlaub oder Krankheit niedriger.

Gleichzeitig schickt das Verwaltungsgericht eine Anfrage, ob die Streitverfahren nun als erledigt erklärt werden können.

09. Oktober 2000

Von meinem Antrag auf Übernahme der Assistenzkosten für die Berlin-Tagung habe ich bis jetzt noch nichts gehört. Also frage ich nach. Ich habe das Gefühl, die Mitarbeiterin will gar nicht mit mir reden. Sie sei nicht zuständig, die betreffende Bearbeiterin krank und die Vertretung im Moment nicht erreichbar. Ich will mir Namen und Durchwahl geben lassen, damit ich es selbst wieder versuchen kann, aber sie wimmelt mich ab. Freundlich, aber bestimmt! Später haben wir eine Nachricht auf unserem Anrufbeantworter, dass die Bescheide unterwegs seien.

12. Oktober 2000

Die Kostenübernahme für die Assistenz für Berlin wird abgelehnt. Ich bin schon auf dem Weg nach Berlin, als die Post den Bescheid bringt. Als Begründung führt das Sozialamt die örtliche Zuständigkeit an. Da ich mich in dieser Zeit außerhalb Leipzigs aufhalte, sind sie nicht zuständig, in diesem Fall wäre es Berlin. Ich hätte sozusagen den Antrag beim zuständigen Bezirksamt stellen müssen, da sich die Zuständigkeit nach meinem tatsächlichen Aufenthaltsort richtet.

Wir haben den Dienstplan so aufgestellt, dass für uns beide für die „Zeit der Trennung" die benötigte Rund-um-die-Uhr-Versorgung sichergestellt ist. Unsere Assistentin Manuela, seit einiger Zeit ebenfalls ForseA-Mitglied, begleitet mich nach Berlin, während für Elke eine der anderen Assistentinnen zur Verfügung stehen wird.

12. - 14. Oktober 2000 Tagung in Berlin

Organisator der Tagung ist die Berliner ASL im Rahmen der Assistenzkampagne und von Verena wurde seit Wochen alles für meine Teilnahme gründlich vorbereitet. Wir haben immer wieder miteinander telefoniert, damit nichts schiefgeht. Seit Tagen bin ich aufgeregt. Wenn es nicht klappt, wird es das erste und letzte Mal sein, dass ich derlei versuche. Aber jetzt ich bin zu allem entschlossen!

Ich werde am Donnerstag mit meiner Assistentin von einem Kleinbus direkt an unserer Haustür abgeholt und nach Berlin zu Verena gebracht. Dort steht bereits ein Kleinbus, den ich in Berlin zur Verfügung habe und den Manuela fahren muss, weil die Unterkunft ziemlich weit vom Tagungsort entfernt ist. Da Manuela noch nie mit so einem großen Auto in dieser Ausstattung gefahren ist, haben wir einige Startprobleme. Die Veranstaltung hat bereits begonnen, als wir ankommen. Ich komme ungern, wenn alle anderen schon anwesend sind und ich kaum jemanden kenne! Und genauso fühle ich mich dann auch!

Ich höre zu, folge den einzelnen interessanten Ausführungen, denke ab und zu an den Weg zu unserer Unterkunft und daran, dass ich am nächsten Tag auch reden werde.

Wir verlassen die Tagung etwas eher, da wir noch eine Route quer durch Berlin heraussuchen müssen, es schon dunkel ist und wir nur wissen, dass wir ungefähr anderthalb Stunden bis zum Gästehaus brauchen. Wir schaffen es gut, verfahren uns nur dreimal, merken es immer gleich und kommen ziemlich erledigt in unserem Zimmer an.

Am nächsten Morgen fahren wir zeitig los, damit wir pünktlich zum Beginn der Tagung kommen. Ich werde gleich vorn plaziert, weil ich über die Probleme bei der Durchsetzung des Arbeitgebermodells in Leipzig sprechen werde. Ich bin sehr aufgeregt und verliere ein paar Mal den Faden.

Die Teilnahme in Berlin ist für mich eine besondere Erfahrung. Obwohl es aufwendig und stressig war, alles zu organisieren, hat dank Verena und der ASL, alles gut geklappt!

Hier erfahre ich auch, dass unsere Entscheidung eine Einzelfallregelung ist und ein anderer Antragsteller sich deswegen nicht auf unsere Entscheidung berufen kann. Es gibt ja auch kein Urteil vom Verwaltungsgericht. Bis jetzt jedenfalls nicht!

16. Oktober 2000

Wir legen Widerspruch gegen die Bescheide vom 22. September 2000 ein. Beantragt haben wir die Kostenübernahme auf Grundlage unserer Kostenkalkulation. Durch monatliche Schwankungen kann kein Betrag als Höchstgrenze eingesetzt werden. Das wurde auch im Februar bei der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht festgehalten. Das Verwaltungsgericht erhält eine Mitteilung, dass die Streitsache noch nicht erledigt ist, da die Bescheide unserem Klagebegehren nicht in vollem Umfang gerecht werden.

Unser „Leipziger Allerlei" geht also noch weiter. Wäre ja auch zu schön gewesen ...

17. Oktober 2000

Unser Anwalt fordert die Stadt Leipzig zur Änderung der Bescheide auf. Das Sozialamt sieht aber keine Notwendigkeit für eine Korrektur und unser Anwalt informiert das Verwaltungsgericht entsprechend.

18. Oktober 2000

Wir lassen die Leiterin unseres ehemaligen Pflegedienstes den Pflichtberatungsbesuch durchführen. Wir sind wohl zu spät dran, die Pflegekasse hat uns deswegen eine Mahnung geschickt.

28. Oktober 2000

10:00 Uhr sitzen wir alle gebannt vor dem Fernseher. In der MDR-Sendung „selbstbestimmt!" wird der Beitrag gezeigt, der Anfang September über uns gedreht wurde. An den beiden Drehtagen hatten wir den totalen Stress. Unsere Assistentin Manuela ist ständig hin und her geflitzt. Wir sind gespannt und finden den Beitrag gut gelungen!

01. November 2000

Mit der Lohnabrechnung für Oktober kommen wir durch Urlaub und Urlaubsvertretung über den vom Sozialamt angenommenen Höchstbetrag. Es wird sich zeigen, ob sie alles überweisen oder an ihren Bescheiden festhalten.

Wir beschließen, einen neuen Antrag mit einer neuen Kostenkalkulation auf Basis der Stundenermittlung des Sachverständigen zu stellen.

07. November 2000

Das Sozialamt überweist nur den „Höchstbetrag". Demnach fehlen diesen Monat 600,- DM, die wir selbst aufbringen müssen. Die Geldleistung der Pflegekasse für diesen Monat fehlt auch noch. Ich schicke an die AOK ein Fax, teile ihnen mit, dass der Beratungsbesuch am 18.10. stattfand und sie bitte umgehend das Geld überweisen sollen.

08. November 2000

Die Mitarbeiterin der Pflegekasse ruft an. Da es bei uns „generell" nicht mit den Beratungsbesuchen klappt und wir den Pflichtbesuch im September hätten durchführen lassen müssen, kürzen sie uns das Pflegegeld für die Zeit vom 01. - 17.10. Das fehlte gerade noch! Ich rufe gleich die Leiterin unseres ehemaligen Pflegedienstes an und sie setzt sich mit der Pflegekasse in Verbindung. Da in das betreffende Quartal unser Klinikaufenthalt wegen des Gutachtens fällt, ist kein Beratungsbesuch nötig. Allerdings hat die Pflegekasse keinen Hinweis auf einen derartigen Aufenthalt, da die Kosten ja komplett vom Gericht übernommen wurden. Ich schicke gleich Kopien unserer Aufnahme-Bescheinigungen und hoffe, dass umgehend das Geld überwiesen wird. Noch einmal werden wir die Pflichtberatung nicht versäumen, wenn die Pflegekasse ernst macht und gleich das Geld streicht.

Meiner Meinung nach sollten sie dort mehr prüfen, wo es notwendig ist und nicht nur mit erhobenem Zeigefinger hinter den Geldleistungsempfängern stehen.

13. November 2000

Wir haben die neue Kostenkalkulation erarbeitet und stellen erneut einen Antrag auf Kostenübernahme.

20. November 2000

Als Reaktion auf den Fernsehbeitrag in „selbstbestimmt!" erhalten wir Post aus Cottbus. Eine junge Frau, die zur Zeit noch in einem Heim lebt, hat viele Fragen zum Arbeitgebermodell und ist sehr interessiert.

6. Dezember 2000

Wir erhalten vom Sozialamt die Reaktion auf unseren neuerlichen Antrag auf Grundlage des Gutachtens von Prof. Wagner. Sie teilen uns mit, dass wegen dem anhängigen Hauptverfahren der neue Antrag keine Beachtung finden kann.

Das Sozialamt hat immer noch die Hoffnung, bei uns könnte die Härtefallregelung der Pflegestufe III greifen. An der Höhe des Pflegegeldes würde das nichts ändern, da wir keine Sachleistung beanspruchen können, aber das versteht das Sozialamt wohl nicht.

12. Dezember 2000

unser Anwalt fragt beim Verwaltungsgericht an, wann mit einer neuen Verhandlung gerechnet werden kann.

14. Dezember 2000

Das Verwaltungsgericht sieht sich nicht in der Lage, einen neuen Verhandlungstermin festzulegen. Es gäbe eine „Vielzahl vorrangig zu terminierender Verfahren". Unser Anwalt denkt, vor Mitte nächsten Jahres wird sich nichts tun.

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