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Die versteckten Benachteiligungen oder: Von Kreditkarten und anderen Kleinigkeiten

INFORUM: Ausgabe 2/2004

Die versteckten Benachteiligungen oder:
Von Kreditkarten und anderen Kleinigkeiten

Von Isolde Hauschild

Ich wusste: Irgendwann kommt der Tag, da geht es nicht mehr ohne… Und jetzt ist dieser Zeitpunkt da – ich brauche eine Kreditkarte! Nichts einfacher als das, denke ich. Ich will mich nach der Jahresgebühr erkundigen und eine Kreditkarte bei meinem Bankinstitut beantragen… Nichts einfacher als das? Irrtum! Ich lebe in Leipzig, bin seit meiner Kindheit an progressiver Muskeldystrophie erkrankt und rund um die Uhr auf Assistenz angewiesen.

Ich will ohne Probleme schnell und unkompliziert bezahlen können, nur mit meiner Unterschrift, ohne PINNummer, die meine Assistentin eingeben müsste.

Also mache ich mich auf die Suche, zuerst im Internet auf den Seiten meines Bankinstituts, der Sparkasse Leipzig. Es stehen vier Kreditkartentypen zur Wahl, alle inklusive Unfallversicherung. Zu den Versicherungsbedingungen gibt es keine Angaben, auch auf den Seiten von VISA nicht: „Wenden Sie sich an unser Partnerunternehmen", also die Sparkasse. Ich schicke eine Mail und bitte um Auskunft, ob und wie die Kreditkarte ohne Versicherungsschutz mit einer entsprechend geminderten Jahresgebühr beantragt werden kann.

Umgehend erhalte ich Auskunft: Die Beantragung einer Kreditkarte ohne Unfallversicherungsschutz ist nicht möglich. Ich rufe dennoch meine zuständige Sparkasse an und will genau wissen, wie der Versicherungsschutz aus der Jahresgebühr herausgenommen werden kann und wie viel das ungefähr in Euro ausmacht. Da ich sowieso laut Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB) zum „nicht versicherbaren Personenkreis" gehöre, will ich natürlich auch nicht den Beitrag mit der Gebühr für die Kreditkarte zahlen. Warum soll ich auch die Unfallversicherung Nichtbehinderter subventionieren, ohne selbst im Schadensfall leistungsberechtigt zu sein?

Zuerst weiß die Mitarbeiterin nicht, was ich meine. Deshalb erkläre ich ihr, dass „dauernd Pflegebedürftige" sowie „Geisteskranke" trotz Beitragszahlung nach § 3 AUB nicht versichert sind. Sie gibt mir Recht und meint, dass sie auch nicht für eine Leistung bezahlen würde, die sie nicht in Anspruch nehmen könne. Eben! Sie sucht in der Preisliste, weil die Sparkassenangestellten nicht wissen, welchen Anteil der Versicherungsbeitrag ausmacht. Außerdem schaut sie auf dem Antragsformular nach, ob es überhaupt eine Wahlmöglichkeit gibt. Weder das Eine noch das Andere sind auffindbar. Sie bietet mir an: „Wenn ich vom ‚AktivKonto’ zum ‚ComfortKonto’ wechsle, gehört die Kreditkarte kostenlos dazu".

Allerdings ist die monatliche Kontogebühr dafür so hoch, dass es teurer als die vollbezahlte Kreditkarte wäre und so verwirft sie die Idee wieder. Sie verweist mich an die Kreditkartenabteilung weiter. Die müssen das ja wissen, können mir sicher weiterhelfen. Ich rufe die angegebene Telefonnummer an.

Die Mitarbeiterin dort ist weit weniger freundlich und hat für meine Anfrage gar kein Verständnis. Es gibt die Kreditkarte entweder für 18,- Euro mit Unfallversicherung oder ich kann eben keine kriegen. Das sind doch nur ein paar Euro für die Versicherung, meint sie. Den genauen Anteil weiß sie auch nicht. Ich erwidere, ich bezahle nicht eine höhere Gebühr für etwas, das ich von vornherein nicht in Anspruch nehmen kann und will trotzdem die Kreditkarte! Sie meint, ich könne doch auch nicht die Leipziger Volkszeitung (die größte Tageszeitung in Leipzig) billiger und ohne TV-Programm verlangen, bloß weil ich keinen Fernseher hätte. Ich erkläre ihr, dass sie beides nicht miteinander vergleichen könne und es für mich eine Benachteiligung sei, wenn ich voll bezahlen müsse, obwohl ich von vornherein ausgeschlossen bin. „Es ist so, wie es ist, die Kreditkarte gibt es nur so". Das Gespräch ist beendet.

Durch die Art, wie die Mitarbeiterin mich abfertigt und die rabiate Zurechtweisung habe ich das Gefühl, ich verlange etwas völlig Unmögliches und vor allem etwas völlig Unverständliches.

Entweder ich brauche die Kreditkarte, weil dadurch vieles einfacher ist. Dann muss ich den höheren Jahrespreis bezahlen oder ich kann keine Kreditkarte kriegen. Punkt! Nun bleibt mir noch, mich an die Chefetage der Leipziger Sparkasse zu wenden und andere Bankinstitute zu befragen, wie die das handhaben. Und Justizministerin Zypries sucht noch immer eifrig nach Beweisen für Benachteiligungen behinderter Menschen!

Besonders wütend macht mich der Ausspruch: Das sind doch nur ein paar Euro! Das begegnet mir immer wieder. Das „Erlebnis" mit der Kreditkarte ist nur eines von vielen:

Möchte ich in Leipzig in ein Konzert, Theater etc. kaufe ich mir eine Eintrittskarte im Vorverkauf. Meistens ist der Kartenbesitzer berechtigt, drei Stunden vor und drei Stunden nach der Veranstaltung die öffentlichen Verkehrsmittel in Leipzig kostenlos zu nutzen. Als Rollstuhlfahrerin ist mir das nicht möglich, obwohl ich beim Kauf meiner Eintrittskarte dafür bezahle. Um an den Veranstaltungsort zu kommen, bestelle ich den Behindertenfahrdienst und bezahle zusätzlich dafür: Das sind doch auch nur ein paar Euro!

Ähnlich verhält es sich, wenn ich mit dem Zug verreisen möchte. Die Deutsche Bahn hält den Mobilitätsservice bereit, bei dem ich als Rollstuhlbenutzerin meine Fahrt anmelden muss, um in den Zug ein- bzw. ausgeladen zu werden. Die Zentrale hat weder auf den Bahnhöfen ein Büro, noch kann ich den Service am Schalter bestellen. Das geht nur per Telefon oder im Internet. Da ich sofort die Bestätigung und die Reservierung haben möchte, rufe ich an – eine Servicenummer, die pro Minute 0,12 Euro kostet. Nicht selten lande ich minutenlang in der Warteschleife. Auch das stellt für mich eine Benachteiligung dar: Ich kann ohne Voranmeldung und ohne die Hilfe des Mobilitätsservice die Deutsche Bahn nicht nutzen, weil die Wagen nicht so ausgestattet sind, dass ich problemlos einsteigen kann. Wäre es nicht gerecht, wenigstens diesen Service mit kostenfreier Rufnummer auszustatten? Auch hier gilt: Entweder ich bezahle oder ich kann den Mobilitätsservice nicht bestellen und somit nicht mit der Deutschen Bahn fahren. Aber das sind doch auch nur ein paar Euro!

Hier und da, immer wieder „nur" ein paar Euro mehr, das summiert sich. Spreche ich die Ungleichbehandlung und Benachteiligung an, wie in den oben genannten Fällen, gelte ich als kleinlich. Auf die Aufforderung an meine Gesprächspartner, dass es ihnen dann nicht schwer fallen dürfte, „die paar Euro" von ihrem Geld auf mein Konto zu überweisen, reagieren sie ungehalten… Warum wohl?

Die aufgezählten Beispiele sind nur wenige von vielen. Mich erschreckt, dass mir spontan keine weiteren einfallen, obwohl ich sicher weiß, dass es sie gibt. Aber diese Ungleichbehandlungen sind fast schon selbstverständlich, so dass sie erst bei genauem Nachdenken ins Bewusstsein kommen. Und wer regt sich schon wegen ein paar Euro auf?

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