Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Urteil 054

Az.: 21 L 518/04

B e s c h l u s s

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

der Frau . . . . . . . . . . . . . . .

Antragstellerin,

g e g e n

den Bürgermeister der Stadt Gz: 50.06, . . . . . . . . . . . . . . .

Antragsgegner,

wegen

Sozialhilfe

hat die 21. Kammer des Verwaltungsgerichts K ö l n am 28. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht R e i c h, den Richter am Verwaltungsgericht B r e i t b a c h-P l e w e,
die Richterin S c h l e n k e r beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, aus Mitteln der Sozialhilfe als Leistung der Hilfe zur Pflege die Kosten einer persönlichen Assistenz entsprechend dem Antrag der Antragstellerin vom 29. Oktober 2003 ab Inanspruchnahme der persönlichen Assistenz bis zum 30. September 2004 zu übernehmen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

G r ü n d e:

Der am 20. Februar 2004 sinngemäß gestellte Antrag,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin aus Mitteln der Sozialhilfe als Leistung der Hilfe zur Pflege die Kosten einer persönlichen Assistenz entsprechend ihrem Antrag vom 29. Oktober 2003 ab Inanspruchnahme der persönlichen Assistenz bis zum 30. September 2004 zu übernehmen,

ist begründet.

Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis – nur – erlassen werden, wenn diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Antragstellerin hat sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anordnungsanspruches als auch diejenigen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.

Zwischen den Beteiligten steht nicht in Streit, dass die Antragstellerin zum Kreis der nach § 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Bundessozialhilfegesetz – BSHG – anspruchsberechtigten Personen gehört, deren krankheits- bzw. behinderungsbedingter Pflege- und Betreuungsbedarf im Wege der häuslichen Pflege, §§ 69 ff. BSHG, in der Weise sichergestellt werden kann, dass für sie außerhalb der Zeiten, in denen ihr eine Begleitung bei Studienveranstaltungen zuteil wird, „rund um die Uhr" ambulante Pflegekräfte zur Verfügung stehen (sog. persönliche Assistenz). Nach § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG hat der Sozialhilfeträger die angemessenen Kosten einer besonderen Pflegekraft zu übernehmen, wenn neben oder anstelle der Pflege nach § 69 Satz 1 BSHG die Heranziehung einer solchen besonderen Pflegekraft erforderlich ist. Die Voraussetzungen dieses Kostenübernahmeanspruches liegen hinsichtlich der der Antragstellerin künftig entstehenden Aufwendungen für das im Rahmen der beabsichtigten Durchführung der persönlichen Assistenz einzusetzende Pflegepersonal vor. Der Anspruch steht auch § 3 a Satz 2 BSHG nicht entgegen.

Nach § 3 a Satz 1 BSHG ist die erforderliche Hilfe soweit wie möglich außerhalb von Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen zu gewähren. Dieser gesetzliche Vorrang der ambulanten vor der stationären Hilfe gilt nach § 3 a Satz 2 BSHG nicht, wenn eine geeignete stationäre Hilfe zumutbar und eine ambulante Hilfe mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Die Antragstellerin hat mit der für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, dass es bereits an der ersten Voraussetzung des § 3 a Satz 2 BSHG – Zumutbarkeit einer geeigneten stationären Hilfe – fehlt.

Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sind nach § 3 a Satz 3 BSHG die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. In Ansehung dieses Maßstabes gewinnt der Umstand entscheidendes Gewicht, dass die Antragstellerin, die bisher in ihrem Elternhaus in Düsseldorf gelebt hat und dort von ihren Eltern gepflegt und betreut worden ist, mittlerweile 24 Jahre alt ist, über eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung verfügt und Inhaberin eines Studienplatzes an der Universität zu Köln ist. Sie strebt nach ihren Angaben, an deren Glaubhaftigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, den Beruf einer Psychologin an. In einer solchen Lebenslage ist dem Bestreben eines jungen erwachsenen Menschen, erstmals eine eigene Wohnung zu beziehen und sein Leben selbständig und eigenverantwortlich zu bestimmen und zu gestalten, besondere Bedeutung beizumessen. Denn dieses Bestreben entspricht typischerweise demjenigen Verhalten, das junge erwachsene Menschen in einer vergleichbaren Situation an den Tag legen. Eine solche Verselbständigung ist Ausdruck einer natürlichen Entwicklung, die auch und gerade dem durch Krankheit bzw. Behinderung beeinträchtigten jungen erwachsenen Menschen nicht vorenthalten werden soll. Auch wenn man berücksichtigt, dass der Antragstellerin krankheits- bzw. behinderungsbedingt viele Möglichkeiten der Lebens- und Alltagsgestaltung verwehrt oder erheblich erschwert sind, die gesundheitlich nicht beeinträchtigten jungen Menschen offen stehen, bleiben ihr doch zur Überzeugung der Kammer trotz des außergewöhnlichen Umfangs ihrer Pflegebedürftigkeit bei einem Leben in einer eigenen Wohnung und der Unterstützung durch persönliche Assistenz weitaus größere Möglichkeiten, ihr Studium, ihren Tagesablauf und ihre Aktivitäten, kurzum ihr Leben freier und vielfältiger zu gestalten, als dies der Fall wäre, wenn sie in die Ordnung von Wohn- und Pflegeheimen eingebunden wäre. Deren organisatorische und personelle Kapazitäten würden, wie die Ausführungen in den von der Kammer eingeholten Stellungnahmen des Frida Kahlo Hauses vom 06. April 2004 und des Zentrums für Behinderte und Senioren der Stadt Köln SBK vom 21. April 2004 deutlich machen, der freien Gestaltung des Lebensalltages der Antragstellerin deutlich engere Grenzen setzen, als dies beim Bewohnen einer eigenen Wohnung und der Inanspruchnahme der persönlichen Assistenz der Fall ist.

Die Kammer hält es nicht zuletzt auch deshalb für unzumutbar, die Antragstellerin auf den Bezug eines Wohn- und Pflegeheimes zu verweisen, weil sie dort voraussichtlich ein Lebensumfeld vorfände, das für den Erfolg des von ihr betriebenen Studiums und die spätere Ausübung des von ihr angestrebten Berufs nicht günstig wäre. Die Herstellung, Aufrechterhaltung und Pflege persönlicher Kontakte mit Freunden und Kommilitonen, der Prozess der Verselbständigung, die Erfahrung eines eigenverantwortlichen Lebens und der Gewinn an Lebenserfahrung in einem weitestmöglich selbstbestimmten Leben sind wesentliche Voraussetzungen für einen Erfolg des von der Antragstellerin eingeschlagenen und nach Einschätzung der Kammer ernsthaft verfolgten Ausbildungs- und Berufsweges. Zur Überzeugung der Kammer würden die anerkennenswerten Bemühungen der Antragstellerin, sich trotz ihrer Erkrankung bzw. Behinderung zu verselbständigen und eine akademische Ausbildung mit dem Ziel einer entsprechenden Berufstätigkeit zu durchlaufen, durch eine Unterbringung in einem Wohn- und Pflegeheim angesichts der damit verbundenen Einschränkungen in der Gestaltung des Lebensalltages deutlich beeinträchtigt.

Ist hiernach eine stationäre Hilfe nicht im Sinne von § 3 a Satz 2 BSHG zumutbar, bedarf es keines Eingehens mehr auf die Frage, ob die hier in Rede stehende Übernahme der Kosten einer persönlichen Assistenz mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Denn der Vorrang der offenen Hilfe nach § 3 a Satz 1 BSHG ist erst dann ausgeschlossen, wenn sowohl die stationäre Hilfe zumutbar als auch die ambulante Hilfe mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Zumutbarkeit der stationären Hilfe und unverhältnismäßige Mehrkosten der ambulanten Hilfe müssen nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 3 a Satz 2 BSHG kumulativ gegeben sein,

vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 28. August 1996 – 4 L 1845/96 -, NDV-RD 1997,85.

Ebensowenig kommt es für die hier zu treffende Entscheidung auf den Umstand an, dass in den vom Antragsgegner benannten Einrichtungen, die er für eine Unterbringung der Antragstellerin als geeignet ansieht, gegenwärtig und auf hinreichend sicher abschätzbare Zeit freie Wohnplätze nicht zur Verfügung stehen dürften, sodass davon auszugehen sein dürfte, dass vorerst der Hilfebedarf der Antragstellerin nicht in der vom Antragsgegner vorgeschlagenen Weise gedeckt werden kann.

Dem geltend gemachten Anspruch steht auch nicht entgegen, dass eine örtliche Zuständigkeit des Antragsgegner nicht gegeben wäre. Es kann hier auf sich beruhen, ob die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners für die Gewährung von Sozialhilfe in der Vergangenheit bestanden hat oder nicht. Denn es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass sich die Antragstellerin jedenfalls von dem Zeitpunkt an im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners tatsächlich aufhält, § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG, zu dem ihr Pflegepersonal im Rahmen der persönlichen Assistenz zur Verfügung steht, und damit die Voraussetzungen für ein (durchgängiges) Leben in ihrer Wohnung in Hürth gewährleistet sind. Es liegt auf der Hand, dass der von der Antragstellerin geltend gemachte Kostenübernahmeanspruch sich erst auf die Zeiträume bezieht, in denen Kosten der persönlichen Assistenz tatsächlich anfallen.

Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes sind – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass durch den Erlass der begehrten einstweiligen die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird – glaubhaft gemacht. Denn für die Antragstellerin würde es angesichts des eintretenden Zeitverlustes einen unzumutbaren Nachteil darstellen, den Ausgang des Widerspruchs- und eines sich gegebenenfalls anschließenden Klageverfahrens abzuwarten. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass der Antragstellerin ein ordnungsgemäßes Studium ohne eine in der Nähe der Universität gelegene Wohnung nicht möglich sein wird und dass ihr Aufenthalt in dieser Wohnung nur gesichert ist, wenn eine persönliche Assistenz eingerichtet ist. Im Hinblick darauf, dass die Aufenthaltsnahme der Antragstellerin in Hürth durch ihr Studium der Psychologie an der Universität zu Köln bedingt ist, hält es die Kammer für angemessen, die ausgesprochene Kostenübernahmeverpflichtung des Antragsgegners vorerst auf die Zeit bis zum Ende des laufenden Sommersemesters 2004 zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln Beschwerde eingelegt werden. Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster eingeht.

Die Beschwerde kann nur durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt eingelegt und begründet werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Die Beschwerdeschrift sollte dreifach eingereicht werden.

Reich                                                       Breitbach-Plewe                                                     Schlenker

Ausgefertigt Verwaltungsgerichtsangestellte

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