von Elke Bartz
Über diesen Titel können viele assistenznehmende Menschen nur
milde lächeln, denn sie wissen, was das Leben mit Assistenz im Gegensatz
zur herkömmlichen Betreuung für sie bedeutet. Mit dieser, vom
Bundesministerium für Gesundheit dankenswerterweise geförderten,
Publikation wollen wir anhand von konkreten Lebensgeschichten behinderter
Menschen und Beiträgen zum Thema Assistenz darstellen, dass mit Assistenz
tatsächlich kein inhaltsleeres Schlagwort vermittelt wird. Vielmehr
wurde mit der Assistenz von behinderten Menschen selbst eine Alternative
zu anderen, herkömmlichen Hilfestrukturen geschaffen.
Schon lange kein Novum mehr
Zwanzig Jahre Assistenz heißt weiterhin, es schon längst
nicht mehr mit einem Modell in der Erprobungsphase zu tun zu haben,
sondern mit einer etablierten Form der Hilfesicherung. Doch bestehen
noch immer Informationsdefizite über Möglichkeiten und Rechte
mit persönlicher Assistenz zu leben, die wir mit dieser Schrift
ebenfalls beseitigen wollen.
Die Vorzüge persönlicher Assistenz im Detail und die damit
verbundene Lebensqualität für die behinderten Menschen an
dieser Stelle aufzuzeigen wäre müßig, denn die nachfolgenden
Lebensgeschichten sprechen für sich.
Was bedeutet Assistenz?
Eine immer wieder gestellte "Kernfrage" kann jedoch im Vorfeld
beantwortet werden: Was unterscheidet Assistenz von anderen Alternativen
der Hilfesicherung? Der Begriff Assistenz wird tatsächlich als
positiv klingendes Schlagwort häufig gerade von denen benutzt,
die alle möglichen Hilfen anbieten und leisten, nur eben keine
Assistenz.
Auf Hilfe angewiesene behinderte Menschen haben vor gut zwanzig Jahren
begonnen, nach Alternativen zu suchen, die es ihnen auch mit sehr hohem
Bedarf an personeller Unterstützung ermöglichen, in Selbstbestimmung,
also so "normal" wie möglich zu leben. Dies war der Weg
zum Arbeitgeber- oder Assistenzmodell.
Bei diesem Modell beschäftigt der behinderte Mensch seine AssistenInnen
in abhängigen Arbeitsverhältnissen. Als Basis dient ein "Betrieb
im eigenen Haushalt". Damit verfügen behinderte ArbeitgeberInnen
über alle Kompetenzen, die Assistenzleistungen von anderen Hilfeleistungen
unterscheiden. Dies sind die Personal-, Weisungs-, Zeit-, Orts-, sowie
die Finanzkompetenz. Das bedeutet, der behinderte Mensch sucht seine
AssistentInnen, in der Regel Laienkräfte, auf dem freien Arbeitsmarkt,
weist sie selbst in die Tätigkeiten ein und bestimmt selbst, wo,
wann und wie die Hilfen erbracht werden.
Außerdem verhandelt der behinderte Mensch selbst mit den jeweiligen
Kostenträgern wie z.B. dem örtlichen Träger der Sozialhilfe,
um die Kostenübernahme zu sichern. Die AssistentInnen haben als
Ansprech- und (Arbeitsvertrags-)partnerInnen ausschließlich mit
den behinderten ArbeitgeberInnen und nicht mit den Kostenträgern
zu tun.
Der Begriff der Assistenz wird also zur Differenzierung von selbstbestimmten
Hilfen zu mehr oder weniger fremdbestimmenden Hilfeleistungen verwendet.
Er beschreibt sehr deutlich, dass passive Fürsorgeobjekte zu agierenden
Subjekten mutieren, die ihren Alltag eigenverantwortlich organisieren
wollen und können.
Andere Hilfeleistungen sind in der Regel von Fremdbestimmung, aber
auch strukturellen Zwängen, wie Einhaltung von Dienstplänen,
knappen Personalschlüsseln in Einrichtungen usw. geprägt.
Den Alltag eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu gestalten, ist
dabei nur sehr eingeschränkt bis gar nicht möglich, die Lebensqualität
dem entsprechend reduziert.
Zunehmende Anzahl von AssistenznehmerInnen
Derzeit leben 1.500 bis 2.000 behinderte Menschen mit persönlicher
Assistenz in Deutschland. Hochrechnungen ergeben, dass es mittelfristig
voraussichtlich 5.000 bis 10.000 sein werden. Angesichts von rund 1.86
Mio. Menschen, die pflegebedürftig im Rahmen der Pflegeversicherung
sind, mag dies wenig anmuten. Doch gilt es zu bedenken, dass viele auf
Hilfe angewiesenen Menschen hochbetagt sind. Zwar können sie durchaus
auch mit Assistenz leben, werden aber vermutlich auch in Zukunft überwiegend
auf herkömmliche Hilfestrukturen wie zum Beispiel die Leistungen
ambulanter Dienste zurückgreifen wollen. Andere scheuen (noch)
die Eigenverantwortung und den Verwaltungsaufwand, der zwangsläufig
mit dem Assistenz- oder ArbeitgeberInnenmodell verbunden ist.
Eine sinnvolle Alternative zum Arbeitgebermodell stellen Assistenzgenossenschaften
dar (siehe Bericht auf Seite ). In Deutschland existieren derzeit (Herbst
2001) zwei Assistenzgenossenschaften. Diese befinden sich in Bremen
und in Hamburg. Dass es nicht noch weitaus mehr Assistenzgenossenschaften
gibt, liegt sicher unter anderem auch daran, dass diese Form der Assistenzsicherung
noch nicht sehr bekannt ist und sich erst ab einer bestimmten Anzahl
von AssistenznehmerInnen (ca. 10-15) als effektiv erweist. Auf dem flachen
Land wird es wegen der räumlichen Entfernungen folglich schwerer
sein, eine Assistenzgenossenschaft zu gründen und zu führen
als in einer Großstadt.
Es gilt nicht, das Assistenz- bzw. ArbeitgeberInnenmodell als einzige
zukunftsweisende Möglichkeit zu propagieren, sondern vielmehr als
wichtige und sinnvolle Ergänzung zu anderen Alternativen zur Verfügung
zu haben. Auf personelle Hilfen angewiesene Menschen müssen die
garantierte Wahlmöglichkeit zu ihrer Lebensgestaltung behalten
bzw. bekommen.
Dazu gehört auch die Schaffung noch besserer gesetzlicher Rahmenbedingungen
(siehe Fazit), die diese Wahlmöglichkeiten manifestieren. Nur so
können auch behinderte Menschen mit Hilfebedarf gleichberechtigt
am Leben in der Gemeinschaft teilhaben.