Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Freiheit auch Anderen ermöglichen - Porträt von Rainer Eisenmann

Rainer Eisenmann

von Ottmar Miles-Paul

Wenn Rainer Eisenmann im Rahmen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der Querschnittsabteilung der Berufsgenossenschaftlichen Klinik in Tübingen zwei Tage die Woche Menschen berät, die plötzlich behindert sind und lernen müssen, damit umzugehen, vermittelt er ihnen an seinem eigenen Beispiel, was trotz einer hochgradigen Behinderung möglich ist. Er musste selbst immer wieder in der Klinik liegen. Anhand der vielen Gespräche mit anderen PatientInnen hat er gemerkt, wie wichtig dieser Austausch ist. Er hat es Stück für Stück durchgesetzt, dass er neben der Hilfe der Professionellen in der Klinik ein weiteres wichtiges Angebot zum Umgang mit einer Behinderung machen kann. "Die Leute haben mich immer wieder gefragt, wie machst du das und dann sind wir ins Gespräch gekommen," so Rainer Eisenmann. Auch wenn diese Tätigkeit ehrenamtlich ist und eine Übernachtung pro Woche erfordert, bietet sie Rainer Eisenmann die Gelegenheit einen Hauch von Selbstbestimmung und Freiheit in der Klinik zu verbreiten und frisch verletzten Menschen und deren Angehörigen Wege für eine selbstbestimmtere Lebensgestaltung und für einen besseren Umgang mit einer Behinderung aufzuzeigen. Dabei weiß Rainer Eisenmann anhand seiner eigenen Geschichte am besten, welche Hürden oft genommen werden müssen, um diese Freiheit und Selbstbestimmung zu bekommen.

Ein Unfall verändert das Leben

Nach seinem Unfall vor 20 Jahren hätte sich Rainer Eisenmann nicht erträumt, dass er noch einmal so selbstbestimmt und frei leben würde, wie es heute der Fall ist. "Vor allem hätte ich damals nie gedacht, dass jemand, der 20 Jahre im Rollstuhl sitzt, je so viel Freude am Leben haben könnte, wie es bei mir heute der Fall ist," so Rainer Eisenmann rückblickend auf die Zeit nach seinem Unfall. Dabei hat der heute 40jährige, der jetzt genau die Hälfte seines Lebens Tetraplegiker ist, durchaus manche Nuss zu knacken, um so selbstbestimmt wie möglich leben zu können.

Im achten Monat seines Grundwehrdienstes änderte sich das Leben des damals 20jährigen durch einen Unfall bei der Bundeswehr schlagartig. Ein Klinikaufenthalt und eine neunmonatige medizinische Rehabilitation waren die Folge, während der ihn natürlich die Frage beschäftigte: "Wer versorgt mich hinterher?" Zum Glück stieß er auf einen Verein in der Nähe seines Wohnortes in Süddeutschland, der eine Versorgung mit Zivildienstleistenden zusagte. So verließ Rainer Eisenmann die Klinik und zog in eine kleine - alles andere als behindertengerechte - Wohnung unten im Haus seiner Eltern in Althütte, ca. 30 km von Stuttgart entfernt. Das Angebot des Vereins beschränkte sich in den ersten acht Jahren nach dem Unfall jedoch lediglich auf eine Unterstützung durch Zivildienstleistende von montags bis freitags in der Zeit zwischen 8.00 Uhr morgens bis 16.00 Uhr nachmittags. Für die restlichen Zeiten am Abend oder an den Wochenenden und Feiertagen war Rainer Eisenmann ausschließlich auf die Unterstützung der Brüder und Eltern angewiesen.

"Die kleine Wohnung, in der alles zu eng und begrenzt war und ich nur mit Hilfe Anderer ins Bad kam, sowie die Tatsache, dass meine Eltern langsam aber sicher älter wurden, trugen dazu bei, dass ich eine Veränderung dieser Situation vornehmen musste. Vor allem wollte ich jedoch mein Leben selbst gestalten, denn es reichte mir nicht mehr aus, dass ich als 28jähriger um 20.30 Uhr ins Bett musste, weil mein Vater am nächsten Tag arbeitete und ich auf seine Hilfe angewiesen war. So überlegte ich, was ich denn nun tun könnte, um meine Situation zu verbessern," so Rainer Eisenmann.

Der Traum vom behindertengerechten Haus

Der Gedanke, ein eigenes Haus zu bauen, das rollstuhlgerecht geplant ist, faszinierte ihn schon lange. So war es nur eine Frage der Zeit, bis er diesen Traum verwirkliche. Darüber hinaus musste nun natürlich auch die Frage geklärt werden, wie die nun nötige Rund um die Uhr Betreuung sicher gestellt werden könnte. "Der Verein, der mich bisher unterstützt hatte, sagte mir schließlich die nötige Versorgung zu, so dass ich meine Pläne in die Tat umsetzen und plötzlich ein wesentlich freieres Leben führen konnte."

So lebte Rainer Eisenmann sein neues freieres Leben im eigenen barrierefreien Haus mit der Unterstützung von Zivildienstleistenden über die nächsten zehn Jahre hinweg weitgehend problemlos. Mit den verschiedenen Zivildienstleistenden, die er während dieser Zeit kennen gelernt hatte, ergaben sich sogar eine Vielzahl von Freundschaften, die zum Teil heute noch währen. "Bei zwei meiner Jungs bin ich sogar Trauzeuge," resümiert Rainer Eisenmann die gewachsenen Freundschaften aus dieser Zeit. "Denn wenn man den ganzen Tag zusammen verbringt, ist das fast wie in einer Ehe, man muss gut miteinander klar kommen."

Die Zivis werden knapp

Die fortschreitende Verkürzung der Zivildienstzeiten von ursprünglich 20 Monaten auf 16, dann 13 und schließlich auf 11 Monate stellten Rainer Eisenmann mit der Zeit vor neue Herausforderungen. "Auch wenn ich in der Regel gut mit meinen Jungs auskam, bedeutete der drei bis fünf Mal pro Jahr stattfindende Wechsel auch, dass ich mich drei bis fünf Mal im Jahr an neue Leute gewöhnen musste. Krankheit, Urlaub, Lehrgänge kamen noch hinzu, so dass ständig neue Personen in meinem Privatleben auftauchten, an die ich mich gewöhnen musste," so Rainer Eisenmann. Die Situation wurde dadurch noch prekärer, dass der Verein, wegen der Zivildienstknappheit die Plätze um 15% kürzen musste. "Im Frühjahr 2000 wurde mir dann mitgeteilt, dass der Verein meine Versorgung nur noch bis Herbst 2000 gewährleisten könne und ich mich nach einer anderen geeigneteren Hilfe umschauen müsse. Sie versprachen mir zwar, die Hilfe noch so lange zu leisten, bis ich eine Lösung gefunden hätte, doch die Not war nun perfekt und ich musste mich rasch nach anderen Lösungen umschauen."

Der Arbeitgeber

"Daraufhin hatte ich natürlich Angst, wie sich meine Situation weiter entwickeln würde und ich begann intensiv nach anderen Lösungen zu suchen. Ich fragte viele andere Leute, schaute mich bei privaten Pflegediensten um und bekam letztendlich eine Adresse eines Selbsthilfevereins in München, die mich dann an Elke Bartz vom Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen verwiesen, weil diese in meiner Nähe wohnte," fasst Rainer Eisenmann diese schwierige Zeit zusammen. Denn nun ging plötzlich alles recht schnell. Nachdem Elke Bartz ihm das Modell der selbstorganisierten Assistenz erklärt und einen Ratgeber für behinderte ArbeitgeberInnen geschickt hatte, besuchte er sie zu Hause und konnte bei ihr vor Ort sehen, wie das Arbeitgebermodell in der Praxis funktioniert. Dies war so überzeugend, dass mit etwas Hilfe die Anträge schnell gestellt und dann letztendlich durchgesetzt wurden. "Mir wurde zwar vom Kostenträger gesagt, dass die Unterbringung im Pflegeheim wesentlich billiger wäre, doch dagegen konnte ich mich zum Glück wehren, so dass ich im Oktober 2000 den ersten Assistenten und im November 2000 die beiden anderen Assistenten in meinem eigenen Betrieb einstellen konnte."

Die Suche nach geeigneten Assistenten, die er per Anzeige in Zeitungen, via Internet und mittels Mund zu Mund- Propaganda betrieb, war letztendlich leichter als gedacht. Auf eine Zeitungsanzeige meldeten sich sogar 50 bis 60 Leute. Letztendlich fand ich einen Assistenten aus Duisburg via Internet, einen Assistenten fand ich aufgrund der Zeitungsanzeige und ein Assistent wurde mir von Elke Bartz vermittelt. Wir waren eine ideale Ergänzung, denn ich suchte Männer und Elke Bartz suchte Frauen, so dass wir uns die Leute gegenseitig vermitteln konnten." Seit November 2000 ist Rainer Eisenmann nun also Arbeitgeber seiner Assistenten und ist von dieser Situation auch ganz angetan. "Auch wenn ich zwischenzeitlich einmal eine Person entlassen musste, weil es nicht mit uns geklappt hat, fällt nun der jährliche Wechsel der Personen für mich weg. Ich weiß jetzt genau, wer wann zu mir kommt," fasst er die neuen Vorzüge zusammen. Denn gerade beim Assistenzverhältnis, das sehr stark in die Intimsphäre hinein wirkt, ist es wichtig, dass man eine Vertrauensbasis zueinander hat. "Man wächst zusammen, zum Teil entwickeln sich Freundschaften, so dass es für mich eine riesige Erleichterung ist, dass ich mich nicht mehr ständig auf neue Leute einstellen muss, wie das damals bei den ständig wechselnden Zivildienstleistenden der Fall war. Das Pflegerische kann man lernen, das Menschliches muss aber passen. Jetzt habe ich Leute, die ihre Arbeit gern machen und mit dem Herzen dabei sind, die zudem älter sind und nicht mehr so viele Flausen wie die Jugendlichen im Kopf haben. Es ist einfach ein Unterschied ob man von einem 18jährigen im Auto gefahren wird oder ob ein erfahrener 40jähriger fährt," so Rainer Eisenmann.

Auf neuen Wegen

So ist Rainer Eisenmann heute viel flexibler und viel freier und kann seine Aktivitäten und sein Leben ganz anders planen. "Jedes Lebensjahr wird schöner. Man wird selbständiger, freier und offener. Ich bin zwar behindert, ich kann aber ein und ausgehen, wie ich will und muss nicht ständig lange planen, wie ich es jahrelang musste."

Nach seinen weiteren Zielen befragt, erzählt Rainer Eisenmann, dass er nun seit 1 ½ Jahren eine Freundin hat, mit der er seit fünf Monaten verlobt ist. "Die zwei Kinder tragen dazu bei, dass man plötzlich wieder viele Sachen macht, die man sonst nie gemacht hätte. Elternabend, Spielplatz, Minigolf-Spielen sind neue Beschäftigungsfelder, die ich genieße. Es ist geplant, dass wir bald heiraten und zusammenziehen, so dass für mich dann wieder ein ganz neuer Lebensabschnitt anfängt, in dem ich wieder viel Neues anfange und viel Verantwortung übernehmen muss."

Seine ehrenamtliche Tätigkeit in der Klinik will er aber auf jeden Fall fortsetzen, denn aus seiner eigenen Erfahrung weiß er, welche enormen Veränderungen der Eintritt einer Behinderung bedeutet. "Man muss neue Hobbys finden, sich neue Berufsmöglichkeiten erarbeiten und viele Freundschaften gehen erst mal kaputt, weil sich diese hauptsächlich über den Sport, die Arbeit oder andere bisherige Aktivitäten definiert haben. Zudem scheitern viele Ehen und Beziehungen nach Eintritt der Behinderung, so dass die Unterstützung der Partner und Angehörigen ebenfalls sehr wichtig ist," so Rainer Eisenmann. Darüber hinaus gibt er auch Unterricht in verschiedenen Krankenpflegeschulen in Baden-Württemberg und informiert über das "Leben danach" - also nach dem Unfall. Dabei bringt er Krankenschwestern bei, worauf sie achten müssen, wenn sie es mit Rollifahrern zu tun haben.

Wichtig ist ihm aber auch, sich dafür einzusetzen, dass behinderte Menschen wieder aus Altenpflegeheimen raus kommen. "Erst gestern habe ich einen 38jährigen in einem Pflegeheim besucht, der eine Frau und zwei Kinder hat. Ich versuche ihm aus dem Pflegeheim wieder raus zu helfen, so dass er wieder nach Hause kommt. Dabei muss man aber erst mal eine behindertengerechte Wohnung finden. Zudem besuche ich die Leute auch privat und rede mit den Partnern und Angehörigen, denn diese haben oft mehr Probleme als die Behinderten. Mein Leben hat sich so gut verändert, dass ich heute viel selbständiger und freier geworden bin und dies möchte ich an Andere weitergeben," fasst Rainer Eisenmann sein Engagement zusammen.

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