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Mehr Autonomie durch Arbeitsassistenz

Jörg Schulz

von Jörg Schulz

Es war einmal: Arbeits(platz)assistenz

Mit der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle Hamburg, im Dezember 1998 zwei MitarbeiterInnen, die auf ABM Basis einer Beschäftigung nachgingen, die Weitergewährung von Arbeitsassistenz für ihr zweites ABM-Jahr zu verweigern, setzte sie eine große Debatte zum Thema Arbeits (platz) Assistenz in gang. Die Hauptfürsorgestelle hielt sich für sachlich nicht zuständig, da sie nur bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen als Leistungsträger in Frage käme und sie wollte auch in keinem Fall in Vorleistung treten.

Diese Problematik wurde von der Interessenvertretung selbstbestimmt Leben (ISL e.V.) und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung (BAG UB e.V.) an die verschiedensten Stellen der Bundespolitik, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Behinderten, der Arbeitsverwaltung und dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung herangetragen, mit der Zielsetzung, eine praktikable Lösung zu finden.

Ein gutes Resultat zeichnete sich nur für eine Person ab, die nach intensiven Diskussionen mit der Arbeitsverwaltung als zuständigen Reha-Träger Arbeitsassistenz über die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) zur Verfügung gestellt bekam. Die andere Person musste leider den langwierigen Klageweg bestreiten und einen Prozess gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) anstrengen.

Durch diese konkrete Konfliktsituation wurden die angesprochenen Personen in Politik und in den Verwaltungen auf die grundsätzliche Problematik Arbeits(platz)assistenz aufmerksam und es setzte eine Diskussion in Gang, die dazu führte, dass dieses Thema mit in das Eckpunkte-Papier zur Koalitionsvereinbarung aufgenommen wurde.

1.1.1 Der neue Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz

Als Ergebnis der Auseinandersetzung wurde mit der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes zum 01.10.2000 erstmals in der Bundesrepublik ein "persönlicher" Rechtsanspruch auf "Arbeitsassistenz" gesetzlich festgeschrieben. Dieser Anspruch wurde auch ins SGB IX übernommen und findet sich dort im § 102 Abs. 4 wieder.

Für Beschäftigte in ABM und SAM wurde das SGB III an entsprechender Stelle (§ 264 Abs. 5 SGB III) geändert.

Der Gesetzgeber gibt zwei Punkte vor, die erfüllt sein müssen, um den Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz wahrnehmen zu können:

1. Es müssen Mittel aus der Ausgleichsabgabe vorhanden sein und
2. es wird nur die "notwendige Arbeitsassistenz" finanziert.

In einem Schnellschuss wurden daraufhin "Vorläufige Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Hauptfürsorgestellen (AG-HFSt) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz Schwerbehinderter gemäß § 31 Abs. 3 a SchwbG (Stand: 27.10.2000)" entwickelt, die den gesetzgeberisch weit ausgelegten Anspruchsrahmen mit sehr engen Handlungsspielräumen versahen.

Die "Knackpunkte" in Kurzform:
  • Unter Nummer 2.2 befindet sich die Formulierung "Das Austauschverhältnis Arbeit gegen Entgelt muss im Wesentlichen gewahrt bleiben". Hierzu konnte bisher keine HaFü Auskunft geben, wie dieses Austauschverhältnis aussehen soll. Hier werden eindeutig Menschen mit niedrigen Erwerbseinkommen Probleme bekommen, ihre notwendige Arbeitsassistenz finanziert zu bekommen. Eine ähnliche Einschränkung in Höhe und Dauer der Leistungsgewährung findet sich unter Nummer 2.6 wieder.
  • Spätestens seit Verabschiedung des SGB IX widersprechen einige Vorrangigkeitsprüfungen unter Nummer 2.4 dem Wunsch- und Wahlrecht der antragstellenden Person.
  • Absurd ist die Argumentation, dass bei Personen, die "ggf. ganztags" Leistungen von anderen Kostenträgern, wie "Kranken- und Pflegeversicherung bzw. der Sozialhilfe" erhalten, von vornherein der Arbeitsassistenzbedarf zu kürzen ist (Nr. 3.3).
  • Abschließend wird durch den Punkt 4.1 auf jeglichen Anspruch auf eine individuelle Bedarfsdeckung verzichtet, in dem in der Regel davon ausgegangen wird, dass der Umfang an Arbeitsassistenz bei einem Vollzeitjob maximal die Hälfte betragen kann. Zudem wird durch eine Budgetierung eine Obergrenze zementiert (DM 2.000 bei mehr als drei Stunden Arbeitsassistenz pro Tag), die individuellen Anforderungen entgegensteht. Die im letzten Satz von 4.1 genannte "Öffnungsklausel" wird nur sehr selten in Anwendung gebracht.
Der von den Hauptfürsorgestellen befürchtete Ansturm von Anträgen ist ausgeblieben. So lagen Ende Februar 2001 bundesweit 93, im Juni 2001 110, im August 2001 180 und im Oktober 2001 235 Anträge vor. Diese relativ geringe Zahl von Anträgen - im Verhältnis zu den erwarteten 1.000 Anträgen und mehr - lässt sich einerseits dadurch erklären, dass noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Die neuen Potenziale, die in diesem Rechtsanspruch liegen, müssen breiter bekannt gemacht werden und dies nicht nur dem anspruchsberechtigtem Personenkreis, sondern auch den BeraterInnen in den verschiedensten Institutionen und Verwaltungen. Andererseits müssen die "Vorläufige Empfehlungen ..." dringend überarbeitet werden, damit die restriktive Anwendungspraxis von einer Version abgelöst wird, die dem "politischem Willen" des Gesetzgebers näher kommt.

1.1.2 Der Personenkreis

Wer nach dem neuen Rechtsanspruch die "selbstorganisierte" Arbeitsassistenz beantragt, übernimmt automatisch mehrere Verbindlichkeiten. Die AssistenznehmerIn tritt als ArbeitgeberIn gegenüber der AssistenzgeberIn auf und übernimmt damit alle Verpflichtungen bzgl. dem Finanzamt und der Sozialversicherung. Letzteres kann in Praxis z.B. von einem Lohnabrechnungsbüro übernommen werden. Der eindeutige Vorteil dieses Rechtsanspruchs besteht darin, dass die AssistenznehmerIn das Direktionsrecht gegenüber der AssistenzgeberIn ausübt und ebenfalls in allen Bereichen der Organisations-, Anleitungs-, Finanzkompetenz usw. ein Höchstmass an Selbstbestimmung erlangt.

Die Integrationsämter (ehemals Hauptfürsorgestellen) beschränken deshalb den Rechtsanspruch auf selbstorganisierte Arbeitsassistenz in der bisherigen Praxis auf den Personenkreis der Sinnes- und Körperbehinderten. Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung - also mit Lernschwierigkeiten - entgeht dadurch eine Leistung, die zur dauerhaften Sicherung ihres Arbeitsplatzes geeignet wäre.

Derzeit wird an diesem Punkt eine größere Debatte darüber geführt, wo und in welchen Aspekten sich Arbeitsassistenz gegenüber dem Job-Coaching der Integrationsfachdienste (§ 109 SGB IX ff.) abgrenzt.

1.1.3 Zusammenfassung

Der neue Rechtsanspruch auf "selbstorganisierte Arbeitsassistenz" ist gegenüber der "arbeitgeberorganisierte Arbeitsassistenz" ein weiteres Angebot, welches die Wahlfreiheit bei der Inanspruchnahme von Leistungen um ein wesentliches Element erweitert.

Arbeitsassistenz selbstorganisiert

Arbeitsassistenz arbeitgeberorganisiert

nach § 102 Abs. 4 SGB IX
Direktionsrecht liegt beim Arbeitnehmer
als persönliches Budget

nach § 102 Abs. 3 Nr. 2b SGB IX i.V.m. § 27 SchwbAV
Direktionsrecht liegt beim Arbeitgeber
Geldleistung an den Arbeitgeber

Der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt, dass in den ersten drei Jahren einer Rehabilitation der entsprechende Reha-Träger nach § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX zuständig ist. Dieser tritt die Durchführung des Antragsverfahrens wiederum an das Integrationsamt ab. Damit soll eine einheitliche Praxis gewährleistet werden.

Mit der rechtlichen Verankerung selbstorganisierter Arbeitsassistenz ist von Seiten des Gesetzgebers erstmals ein Schritt in Richtung des seit langem geforderten "ArbeitgeberInnenmodells" getan. Menschen mit einem hohen persönlichen Assistenzbedarf können endlich eine Lücke in ihrem Selbstbestimmungsbereich zu ihren Gunsten schließen.

Wünschenswert wäre es, wenn dies im Bereich Pflegeversicherung ebenso möglich wird und darüber hinaus persönliche Assistenz als ganzheitlicher Ansatz im Sozial- oder Behindertenrecht Eingang findet.

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