Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


Sie befinden sich hier »
Archiv » Abgeschlossene Kampagnen » 2001 - 20 Jahre Assistenz » Assistenz morgen » Greencard für die Pflege?

"Greencard" für Pflegekräfte aus dem Ausland als Lösung des Pflegenotstands?

Elke Bartz

Elke Bartz

Immer wieder wird gefragt, ob "...wir uns die Pflegekosten noch leisten können...". Eine Fragestellung, die in einer humanitären Wohlstandsgesellschaft schlichtweg unanständig und unwürdig ist. Klaglos wird die Reparatur eines Autos mit über 80 DM für die Arbeitsstunde bezahlt. Die Befriedigung elementarster Grundbedürfnisse von Menschen, die im Arbeitgebermodell ca. 28 DM und durch einen professionellen Anbieter ca. 50 DM kostet, soll zu teuer sein?

Die Frage zu stellen, ob wir uns die Pflegekosten leisten wollen, ist ehrlicher. Eine verneinende Antwort hieße moralische und ethische Grenzen zu überschreiten, alte, behinderte und chronisch kranke Menschen in ihrer Würde zu verletzen, sie zu Kostenfaktoren und Schädlingen für die Gesellschaft zu degradieren. Es sind keine unbegrenzten Geldmengen vorhanden. Doch es gilt zu überprüfen, wo und wie vorhandenen Ressourcen eingesetzt und wo Prioritäten gesetzt werden.

Eine Gesellschaft, die Menschenrechtsverletzungen im Ausland anprangert, im eigenen Land aus Kostenaspekten jedoch akzeptiert, darf sich nicht länger als humanitär bezeichnen.

Lange Jahre totgeschwiegen, nicht ernst genommen oder schlichtweg ignoriert dringt das Thema Pflegenotstand endlich in die Öffentlichkeit. Die weitaus überwiegende Anzahl alter, chronisch kranker und behinderter Menschen, die auf Pflege angewiesen ist, wird ambulant versorgt. Viele von ihnen erhalten Hilfen durch Familienangehörige, teilweise unterstützt durch ambulante Dienste. Rund 1500 bis 2000 dieser auf Hilfe (Assistenz) Angewiesenen - überwiegend jüngere behinderte und chronisch kranke Menschen - organisieren die notwendigen Hilfen im Rahmen des sogenannten ArbeitgeberInnen- oder Assistenzmodells. Dabei treten sie selbst als ArbeitgeberInnen für die HelferInnen (AssistentInnen) auf.

Das Verbleiben in der gewohnten häuslichen Umgebung und damit verbunden dem sozialen Umfeld, ist wesentlich "normaler" und der Menschenwürde entsprechender als die Unterbringung in einer Anstalt gegen den Willen der Betroffenen. Dies gilt nicht nur angesichts von zunehmenden Horrormeldungen aus Einrichtungen, die (teils aus Personalmangel) nicht einmal mehr die Satt-und-Sauber-Pflege gewähren können. Magensonde statt Essengeben, Dauerkatheter statt Hilfe beim Toilettengang und Sedierung statt Zuwendung sind längst geduldeter Alltag in vielen Einrichtungen, insbesondere der Altenpflege, zunehmend aber auch in Behinderteneinrichtungen.

Gerade bei zeitintensiven Pflegesituationen stoßen pflegende Angehörige, in der Mehrzahl Frauen, schnell an ihre physischen und psychischen Grenzen. Die Pflegeversicherung als "Teilkaskoversicherung" ermöglicht nur eine geringfügige Entlastung. Besonders betroffen sind demenzkranke Menschen und ihre Angehörigen, deren Bedürfnisse wie Anleitung und/oder Beaufsichtigung rund um die Uhr vollkommen unzureichend berücksichtigt werden.

Doch Hilfe, bei professionellen Anbietern eingekauft, kostet Geld. Geld, über das viele nicht verfügen. Geld, das aber auch manchmal nur nicht für die Pflege eingesetzt werden soll, um ein Erbe nicht zu schmälern. Die Hilfen im häuslichen Umfeld durch Professionelle sind nicht nur kostenintensiv. Oft sind ambulante Dienste schon aus strukturellen Zwängen wie zum Beispiel effizienten Einsatzplanungen nicht sehr flexibel und kundenorientiert.

Kein Wunder, dass Betroffene und ihre Angehörigen nach Nischenlösungen suchen, die den Verbleib in der häuslichen Umgebung ermöglichen. Dabei wurden in den vergangenen Monaten immer häufiger Hilfskräfte - hauptsächlich zur Versorgung altersdementer Menschen - aus dem Ausland geholt. Bevorzugt sind es Polinnen, Tschechinnen und Ungarinnen, die mittels Touristenvisum nach Deutschland kommen und von den Angehörigen beschäftigt werden. Diese Helferinnen konnten mit dem Touristenvisum drei Monate bleiben und mussten dann wieder in ihr Heimatland zurück. Neben Unterkunft und Verpflegung gab es in der Regel ein "besseres Taschengeld" in Höhe von ca. 1500 bis 2000 DM monatlich. Diese Summen konnten sich die Betroffenen und ihre Angehörigen in der Regel leisten, ohne den Gang zum Sozialamt antreten zu müssen. Billiger und für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen menschenwürdiger als Heimaufenthalte war diese Versorgungsstruktur allemal.

Da die Helferinnen nicht über gültige Arbeitserlaubnisse verfügen, keine Sozialversicherungsbeiträge und Steuern abgeführt werden, handelt es sich nach deutschem Recht um illegale Beschäftigungsverhältnisse. Häufig begründet oder "entschuldigt" wird diese Schwarzarbeit damit, dass man keine deutschen Arbeitskräfte finden würde, die diese Hilfen leisten wollten. Das mag, besonders im ländlichen Bereich, teilweise korrekt sein. Doch selbst wenn es ausreichend deutsche Hilfskräfte gäbe, würde wohl kaum jemand zum Dumpinglohn von rund 2000 DM den ganzen Monat rund um die Uhr arbeiten können und wollen.

Nun soll durch eine "Greencard" die Beschäftigung von ausländischen Hilfskräften, zumindest auf zwei Jahre zeitlich befristet, legalisiert und damit die Pflegebedürftigen, deren Angehörige und die Hilfskräfte selbst entkriminalisiert werden. Diese Regelung mag auf den ersten Blick eine teilweise Lösung des Pflegenotstandes suggerieren, denn so können zunächst Heimeinweisungen vermieden werden.

Dennoch ist diese Handhabe aus vielerlei Hinsicht äußerst bedenklich. Zum einen können Sprachprobleme eine qualitative und die Bedürfnisse deckende Hilfe erschweren oder gar unmöglich machen. Die Hilfskräfte befinden sich in totaler Abhängigkeit zu ihren Arbeitgebern, da sie im selben Haushalt leben (müssen). Verstöße gegen Arbeitszeitverordnungen sind geradezu vorprogrammiert, wenn bei der Beaufsichtigung dementer Menschen mit gestörtem Tag-Nachtrhythmus regelmäßige nächtliche Beaufsichtigung notwendig ist und diese nur von einer Person geleistet wird. Ausländische Hilfskräfte müssen zu Dumpinglöhnen arbeiten, die deutschen Mitarbeitern niemals zugemutet würden.

Der Pflegenotstand beruht nicht ausschließlich auf einer fehlender Anzahl von Pflegekräften. Bekanntermaßen wechseln 80 % der ausgebildeten Pflegekräfte innerhalb von fünf Jahren ihren Beruf, weil sie unter dem Burn-Out-Syndrom leiden. Ursachen sind die schlechten Arbeitsbedingungen, geringe Löhne, das ständige Arbeiten im Minutentakt und damit der Verstoß gegen alles, was in der Ausbildung über menschenwürdige Pflege gelernt wurde, sowie die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung. Pflege in Deutschland ist nicht kostenintensiv, weil Pflegekräfte überbezahlt sind. Vielmehr muss über die Pflegesätze ein geradezu gigantischer Verwaltungsapparat mitfinanziert werden. Es fließt wesentlich mehr Geld in den Bürokratismus als in die originären Pflegetätigkeiten.

Die Beschäftigung ausländischer Hilfskräfte birgt die Gefahr, dass Betroffene und Angehörige künftig lieber auf diese billigen Hilfen zurückgreifen und deutsche - sowohl ausgebildete als auch nicht ausgebildete - Kräfte zu Tariflöhnen nicht mehr beschäftigt werden. Auch Kostenträger könnten künftig auf die billigen ausländischen Kräfte verweisen, um Kosten zu sparen. Gerade behinderte ArbeitgeberInnen haben in der Vergangenheit (und sie tun es nach wie vor) für adäquate Bezahlungen ihrer AssistentInnen gekämpft, unter anderem, damit eine Kontinuität gewährleistet ist. Gerade in Arbeitsverhältnissen, die weit in die Intim- und Privatsphäre der Betroffenen reichen, wo daher Vertrauensverhältnisse notwendig sind, wird viel Wert auf diese Kontinuität gelegt.

Es gilt keinesfalls, den Einsatz ausländischer Hilfskräfte generell zu "verteufeln". Dies würde eine Diskriminierung ausländischer Menschen bedeuten. Doch sollten diese ausländischen Hilfskräfte die gleichen arbeitsrechtlichen Bedingungen vorfinden wie ihre deutschen KollegInnen. Schließlich kann es nur Gleichheit im Recht und nicht Gleichheit im Unrecht geben.

Ein wichtiger Aspekt ist die Qualitätssicherung. Von vielen Angehörigen wird vehement dargestellt, dass die ausländischen Hilfskräfte angeblich "...natürlich nur in Ergänzung zu ambulanten professionellen Hilfsdiensten..." beschäftigt würden. Dies soll eine Legitimationsbegründung darstellen, die aus Sicht des ForseA unnötig ist und möglicherweise lediglich einen empörten Aufschrei der professionellen Anbieter ob der "billigen" Konkurrenz vermeiden soll.

Ambulante Dienste, deren MitarbeiterInnen eine Vielzahl verschiedener, wechselnder KundInnen versorgen und Behandlungspflege erbringen, müssen qualifizierte Kräfte beschäftigen. Alles andere hieße, gefährliche Pflege zu leisten.

Hilfskräfte, die ausschließlich bei einer auf Hilfe angewiesenen Person beschäftigt sind, können durchaus auch grundpflegerische Hilfen leisten. Entweder können die Betroffenen, sofern sie nicht dement sind, oder die Angehörigen die notwendige Einarbeitung sichern. Eine bessere Qualitätskontrolle kann es nicht geben als durch die Betroffenen selbst, die für ihr "gutes Geld" auch gute Leistungen fordern. Schließlich sind die wenigsten pflegenden Angehörigen selbst ausgebildete Fachpflegekräfte. Dennoch wird auch ihnen gute (vielleicht nur weil billige?) Pflege zugetraut. Und tatsächlich leisten sie in der Regel gute Pflege, insbesondere, wenn sie nicht permanent überfordert sind.

Eine - wenn auch immer noch nicht ausreichende - Möglichkeit der finanziellen Entlastung pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehöriger wäre eine Änderung des SGB XI. So müssten alle, die nichtehrenamtliche Hilfskräfte in legalen Arbeitsverhältnissen beschäftigen, die Möglichkeit bekommen, Versorgungsverträge mit den Pflegekassen abzuschließen. Damit wären sie berechtigt, die höheren Sachleistungen der Pflegeversicherung zu beziehen und somit, selbst bei Bezahlung von Tariflöhnen in der Lage, eine wesentlich größere Anzahl von Pflegestunden finanzieren zu können, als dies durch die Inanspruchnahme eines professionellen Dienstes möglich ist.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass es keine Patentlösung für alle gibt. So verschieden wir die Menschen, und damit verbunden die individuellen Wünsche und Bedürfnisse sind, so unterschiedliche Möglichkeiten der Deckung dieser Bedürfnisse müssen geschaffen und gefördert werden. Wahlmöglichkeiten bedeuten Selbstbestimmung, Lebensqualität und nicht zuletzt Menschenwürde, die nicht nur reichen Menschen vorbehalten sein dürfen.

| eine Seite zurück |

Links

Kontakt

Für Spenden und Beiträge bis zu 300,00 € (bis 31.12.2020 200,00 €) reicht eine vereinfachte Zuwendungsbestätigung.

 

Login

 
Hilfe
Impressum 










All Rights Reserved by ForseA

copyright © Thomas Kappel -> TK CMS & Shopsoftware

Banner und Link www.assistenzjobonline.de

copyright © 2018 mobile & more gmbh. All rights reserved