Januar 1999
Wir entschließen uns endgültig für das Arbeitgebermodell
und beginnen mit der Ausarbeitung des Antrages auf Kostenübernahme
ans Sozialamt. Gleichzeitig arbeiten wir einen Kostenplan aus, in dem
alle anfallenden Lohnkosten entsprechend unseres Assistenzbedarfs aufgeführt
sind.
19. Februar 1999
Ich rufe bei der Stadtverwaltung an, um mich zu erkundigen, wer für
die Unfallversicherung für unsere zukünftigen Assistentinnen
zuständig ist. Ich werde ein paar Mal weiter verbunden bis ich
erfahre, dass es die Unfallkasse Sachsen ist. Wir stellen einen Antrag
auf Eingliederungshilfe nach §39, Hilfe zu Pflege nach §68ff.,
Pauschales Pflegegeld nach § 69a, Hilfe zur Weiterführung
des Haushalts § 70 und fügen einen Kostenplan bei.
8. April 1999
Wir erhalten die Eingangsbestätigung unseres Antrages. Das Sozialamt
verlangt die Pflegegeldbescheide der Pflegekasse und die Gutachten vom
Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Wir sollen zusätzlich die
Pflegekasse von unserem Vorhaben unterrichten, was wir umgehend tun,
damit diese ihren Standpunkt dazu äußern kann. Wir wissen
aber, dass die Pflegekasse nicht mit entscheiden kann, weil diese nur
die Geldleistung für unsere Pflegestufen zahlen wird und die reicht
nicht zur Kostendeckung. Genau das teilt uns die Pflegekasse am 30.06.99
mit. Dazu haben sie eineinhalb Monate gebraucht.
13. Juli 1999
Das Sozialamt hat die Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse
immer noch nicht. Es wäre schneller gegangen, wenn wir die Gutachten
selbst angefordert, kopiert und hingeschickt hätten. Wir mahnen
die Pflegekasse deswegen. Aber der Pflegekasse liegen keine Anforderungen
vom Sozialamt vor. Wir sollen mitteilen, ob wir schon den Umwandlungsantrag
von Kombi- in Geldleistung bei der Pflegekasse gestellt haben und wann
die selbst organisierte Pflege starten soll.
22. Juli 1999
Wir teilen dem Sozialamt schriftlich mit, dass der Umwandlungsantrag
von Kombi- in Geldleistung noch nicht gestellt werden kann, weil die
Geldleistung der Pflegekasse nicht für die Vollfinanzierung des
Arbeitgebermodells ausreicht. Deshalb haben wir ja den Antrag auf Kostenübernahme
durch das Sozialamt gestellt! Außerdem mahnen wir, dass die weitere
Bearbeitung unseres Antrages nicht verzögert werden soll.
10. August 1999
Ablehnung unseres Antrages vom 27.02.99. Begründung: Unverhältnismäßige
Mehrkosten. Obwohl das Sozialamt erfasst hat, dass wir eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung
brauchen, darf eine ambulante Hilfe nicht teurer sein als eine stationäre.
In Leipzig gäbe es genügend stationäre Hilfen und ambulante
Pflegedienste, die in Frage kämen.
20. August 1999
Wir legen Widerspruch ein und beginnen mit der Ausarbeitung der Widerspruchsbegründung.
Elke Bartz berät uns und gibt uns wieder viele wertvolle Tipps.
6. September 1999
Wir nehmen Kontakt zu einem Anwalt auf, um uns beraten zu lassen, welche
Möglichkeiten bestehen, in das Verfahren gerichtlich einzugreifen
und es dadurch zu beschleunigen. Der Anwalt übernimmt unsere Rechtssache
und will eine Einstweilige Anordnung beantragen. Zwischenzeitlich arbeiten
wir an einer Eidesstattlichen Versicherung, bringen ein medizinisches
Gutachten zum Gesundheitszustand unserer Mutter bei und eine Bestätigung
unseres derzeitigen Pflegedienstes, dass er keine Vollversorgung übernehmen
kann. Wir schreiben verschiedene ambulante Pflegedienste in unserer
Stadt an, um zu beweisen, dass diese keine "Rund-um-die-Uhr"-
Versorgung anbieten bzw. was diese bei Stundensätzen zwischen 35.-
und 60.- DM kosten würden.
8. September 1999
Wir erhalten die Eingangsbestätigung für unseren Widerspruch
und uns wird mitgeteilt, dass dieser an die Widerspruchsstelle der Stadt
Leipzig weitergeleitet wurde. Wir erfahren zwischenzeitlich von einer
Mitarbeiterin des Sozialamtes, dass das Verfahren unweigerlich auf eine
Klage hinausläuft, die länger dauern wird. Solange können
wir nicht warten: der Gesundheitszustand unserer Mutter wird immer bedenklicher.
14. September 1999
Mitteilung eines von uns angeschriebenen Pflegedienstes, dass eine
Versorgung, wie wir sie benötigen, jeglichen finanziellen Rahmen
sprengen würde und er deshalb keinen Kostenplan erstellen werde.
16. September 1999
Wir leiten das Schreiben an unseren Anwalt weiter. Wir schreiben eine
weitere Eidesstattliche Versicherung, dass sich von 5 angeschriebenen
Pflegediensten nur 2 überhaupt gemeldet haben, 3 haben gar nicht
reagiert.
22. September 1999
Der Erlaß einer Einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht
wird beantragt.
23. September 1999
Das Sozialamt erfährt, dass ein Anwalt unsere Vertretung übernommen
und gerichtliche Schritte eingeleitet hat.
11. Oktober 1999
Wir erhalten die Kopie der Erwiderung der Stadt Leipzig auf den Antrag
auf Einstweilige Anordnung. Diese beantragt wiederum unseren Antrag
als unzulässig, hilfsweise als unbegründet, abzulehnen. Unser
Anwalt rechnet mit einer kurzfristigen Entscheidung.
12. Oktober 1999
Es soll eine Anhörung in der Widerspruchsstelle stattfinden. Der
Termin findet aber nicht statt, weil unsere Widerspruchsbegründungen
sehr ausführlich sind und das Amt durch eine Anhörung keine
weiteren Erkenntnisse erlangen wird.
3. November 1999
Unser Anwalt bittet das Gericht um Erledigung der Angelegenheit. Grund:
unsere dringliche Situation! Das Verwaltungsgericht teilt mit, dass
unsere Anträge "baldmöglichst" entschieden werden.
23. November 1999
Wir erhalten den Gerichtsbeschluss vom 12.11.99: unserem Antrag auf
einstweilige Anordnung wurde stattgegeben, und die Stadt Leipzig muss
die Kosten für das Arbeitgebermodell befristet bis zum 31.03.2000
übernehmen.
25. November 1999
Unsere Widersprüche werden wegen unverhältnismäßig
hoher Kosten abgelehnt. Unser Anwalt bereitet die Klage vor und reicht
sie beim Verwaltungsgericht ein. Wir geben beim Arbeitsamt ein Stellenangebot,
in der Tageszeitung eine Anzeige auf und machen Aushänge, mit denen
wir Behindertenassistentinnen suchen.
27. November 1999
Unsere Anzeige erscheint in der größten Tageszeitung. Und
seit dem Vormittag klingelt ununterbrochen das Telefon. Gleichzeitig
suchen wir eine Wohnung für unsere Mutter und lassen uns die Formulare
für die Unfallversicherung für die Assistentinnen von der
zuständigen Unfallkasse schicken. Wir erkundigen uns beim Finanzamt
wegen einer Steuernummer. Die Beamtin ist überfragt. Sie weiß
nicht, wie sie unseren Betrieb einordnen soll. Eine Steuernummer für
uns beide als Geschwister geht nicht. Wir sollen den Antrag schriftlich
stellen, es gibt Bearbeiter, die sich darüber den Kopf zerbrechen
sollen. Dieses Jahr werden wir die Steuernummer nicht mehr bekommen
und im Januar nicht sofort.
29. November 1999
Das Sozialamt ist der Meinung, dass in unserem Fall nur Hilfe zur Pflege
in Betracht kommt und keine Eingliederungshilfe. Wir schreiben eine
Erklärung, warum sehr wohl auch Eingliederungshilfe gewährt
werden muss. Unser Anwalt reicht diese der Klageschrift nach. Außerdem
schlägt die Stadt einen Beratungstermin mit allen Beteiligten vor,
um den Umfang der Hilfegewährung nach dem BSHG bestimmen zu können.
Unser Anwalt findet diese Besprechung entbehrlich, weil das Verwaltungsgericht
die Stadt zur Übernahme der Kosten fürs Arbeitgebermodell
verpflichtet hat. Inzwischen beginnen bei uns die ersten Vortellungsgespräche
mit Bewerberinnen. In einer Woche haben wir ungefähr 25 Termine
vergeben. Die Bewerberinnen füllen gleich Personalbögen aus,
damit wir uns bei unseren Entscheidungen orientieren können.
30. November 1999
Die Stadt hält an dem Beratungstermin fest. Unser Anwalt lehnt
das kategorisch ab und droht mit Vollstreckungsmaßnahmen durch
das Gericht, wenn die Stadt ihrer Zahlungsverpflichtung nicht nachkommt.
1. Dezember 1999
Wir suchen die AOK auf und lassen uns das Umlageverfahren genau erklären
und nehmen die nötigen Formulare mit. Unsere Mutter hat eine schöne
Wohnung gefunden, bezieht diese am 1.01.2000, darf aber schon ab 15.12.99
hinein.
7. Dezember 1999
Wir legen fest, dass wir mit 4 Assistentinnen am 15.12.99 beginnen
und erstellen dementsprechend einen Dienstplan und die ersten Arbeitsverträge
werden unterschrieben. Es finden weitere Vorstellungsgespräche
statt. Anfang und Mitte Januar kommen noch 2 Assistentinnen dazu, so
dass unsere Belegschaft komplett ist. Telefonisch erhalten wir vom Arbeitsamt
eine Betriebsnummer. Die nötigen Unterlagen schicken sie uns zu.
Völlig unbürokratisch, zu unserer Überraschung!
12. Dezember 1999
Wir stellen bei der AOK Pflegekasse einen Umwandlungsantrag, damit
unsere Pflegegelder der Stufe III ab Januar 2000 als reine Geldleistung
gezahlt werden. Diese Pflegegelder werden mit in die Lohnkosten hineinfließen.
14. Dezember 1999
Wir schicken unserem Anwalt die Kopien der Arbeitsverträge, er
leitet sie weiter an die Stadt Leipzig.
15. Dezember 1999
Nach drei stressigen Wochen und mehreren schlaflosen Nächten beginnt
heute um 7:00 Uhr die erste Schicht. Die Assistentin ist pünktlich
und genauso aufgeregt wie wir.
16. Dezember 1999
Wir bringen persönlich die Meldung unserer ersten Assistentin
zur Krankenkasse. Mehr zur Kontrolle, dass alles richtig ausgefüllt
ist.
17. Dezember 1999
Unsere Mutter räumt ihr Bett in ihre neue Wohnung, geht abends
und genießt die Ruhe. Ihre neuen Möbel werden erst Mitte
bis Ende Januar geliefert. Die Einarbeitungszeit ist sehr anstrengend.
Wir fallen abends total erledigt in die Betten.
Zurück zum Jahr 1997 - Weiter zum Jahr 2000 - Zurück zur Übersicht