Referat Kongress „Assistenz – Schlüssel zur Selbstbestimmung
behinderter Menschen"
Meine
sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde,
ich bin von den Veranstaltern dieses Kongresses gebeten worden, über
rechtliche Grundlagen der persönlichen Assistenz zu referieren.
Die Themenstellung zu bewältigen fiele mir deutlich einfacher,
wenn ich Ihnen gesetzliche Regelungen vorstellen könnte, in denen
tatsächlich ein Anspruch auf persönliche Assistenz positiv
verankert ist und ich mich auf die Darstellung der Leistungsvoraussetzungen
und ihrer Geltendmachung konzentrieren könnte. Die heute reichlich
vertretenen „Expertinnen und Experten in eigener Sache"
verrate ich nichts neues wenn ich bekennen muss, dass es gegenwärtig
eine solche gesetzliche Grundlage nicht gibt. Daher werde ich den Bogen
spannen müssen von der Bewertung der gegenwärtig unzulänglichen
Regelungen in den einzelnen Gesetzen über einen Rückgriff
auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes zu Überlegungen darüber,
wie eine gesetzliche Regelung des Anspruchs auf persönliche Assistenz
aussehen könnte.
Voranstellen möchte ich kurz, was unter persönlicher Assistenz
eigentlich verstanden wird in Abgrenzung zu anderen Formen der Hilfeleistung.
Auch dies ist bei dem anwesenden Fachpublikum ein Stück weit „Eulen
nach Athen tragen", deshalb werde ich mich hierbei auch kurz fassen.
Der Begriff „Assistenz" macht bereits eines deutlich, nämlich
dass nicht der Assistent, sondern derjenige, dem die Assistenz zuteil
wird, die bestimmende Person sein soll. Assistenz beschreibt auch in
anderen Zusammenhängen immer eine zuarbeitende, untergeordnete
Funktion. Nicht der Assistent, sondern der „Assistenznehmer"
– wenn man es so ausdrücken soll – bestimmt den Aufgabenbereich
des Assistenten, seine Arbeitsweise und Funktion. Das weitere Merkmal
„persönlich" bedeutet, dass die Hilfe für die
Person des Assistenznehmers geleistet wird. Wenn aufgrund der verschiedenen
Beeinträchtigungen bei Tätigkeiten, die von nichtbehinderten
Personen üblicherweise ohne die Hilfe anderer selbständig
wahrgenommen werden, Unterstützung durch einen Assistenten benötigt
wird, kann dies Gegenstand einer persönlichen Assistenzleistung
sein.
In der langen Geschichte der Diskussion über den Begriff „persönliche
Assistenz" haben sich fünf "Kompetenzen" für
die Betroffenen herausgestellt, anhand derer wir beurteilen können,
ob von Selbstbestimmung mit persönlicher Assistenz die Rede sein
kann oder nicht. Dies heißt nicht, daß alle Merkmale hundertprozentig
erfüllt sein müssen.Das wäre vielfach gar nicht möglich.
Je stärker sie verwirklicht sind, desto eher können wir jedoch
von einer tatsächlichen persönlichen Assistenz sprechen.
Es sind dies im einzelnen,
- die Organisationskompetenz: wie, mit welchem Ziel und von wem die
Hilfe geleistet wird, bestimmt der Dienstleistungsempfänger selbst.
- Die Personalkompetenz: welche Personen konkret die Hilfe übernehmen,
wird von den Betroffenen bestimmt.
- Die Anleitungskompetenz: wie die konkrete Hilfe von den HelferInnen
ausgeführt wird, richtet sich nach den Anweisungen der Betroffenen,
die als Experten in eigener Angelegenheit ihre Bedürfnisse am besten
kennen.
- die Finanzkompetenz: die Dienstleistungsnehmer bezahlen wie bei jeder
anderen Dienstleistung auch die in Anspruch genommene Hilfe auf der
Grundlage vertraglicher Vereinbarungen. Die Mittel werden entweder -
selten - selbst aufgebracht oder durch Inanspruchnahme von Leistungen
des jeweils zuständigen Sozialleistungsträgers.
Und schließlich
- Zeit- und Ortskompetenz: Wann und an welchem Ort die Dienstleistung
erbracht wird, bestimmt der Assistenznehmer je nach seinen Bedürfnissen.
Schauen wir uns jetzt einmal an, wie die Möglichkeiten einer persönlichen
Assistenz in den gegenwärtigen Sozialleistungsbereichen geregelt
sind. Wir werden feststellen, dass die Regelungen gegenwärtig höchst
unzulänglich sind und vor allem einen unübersichtlichen Flickenteppich
zuständiger Träger und einzelner Leistungen darstellen.
Da ist zunächst die soziale Pflegeversicherung nach den Vorschriften
des SGB XI. Sie soll nach § 2 Abs. 1 SGB XI „den Pflegebedürftigen
helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges
und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen
entspricht". Man sollte meinen, dass auch die persönliche
Assistenz, die den betroffenen Menschen sicher das größte
Maß an Selbstbestimmung gewährleistet, auch zum Leistungsspektrum
der Pflegeversicherung gehört. Das ist allerdings nur sehr eingeschränkt
der Fall.
Große Einschränkungen ergeben sich bereits aus der Definition
der Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI. Zwar wird in §
14 Abs. 1 SGB XI noch davon gesprochen, dass ein Bedarf bei den „gewöhnlichen
und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des
täglichen Lebens" Pflegebedürftigkeit begründen
können. Allerdings wird dies relativ weite und offene Formulierung
durch den Abs. 4 eingeschränkt. Darin sind nämlich diejenigen
Verrichtungen in den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität
und hauswirtschaftliche Verrichtungen genannt, die berücksichtigt
werden. Insbesondere hinsichtlich der Mobilität ist dies stark
eingeschränkt, insbesondere sind Begleitungen außerhalb des
Wohnumfeldes, kulturelle und sonstige Aktivitäten nicht erfasst.
Auch bei der Leistungserbringung orientiert sich die Pflegeversicherung
weniger am selbstbestimmten Prinzip der Assistenz, als vielmehr am überkommenen
Leitbild einer paternalistischen Pflege, bei der die einzelnen Kompetenzen
eben nicht beim Assistenznehmer, sondern beim Erbringer der Dienstleistung
liegen. Wenn ein Pflegebedürftiger die sogenannte Pflegesachleistung
wählt, gibt er damit zugleich einen Teil seiner persönlichen
Autonomie an die Pflegekasse bzw. den gewählten Pflegedienst ab.
Dann ist es nichts mit der Zeitkompetenz: Nach den Qualitätssicherungsmaßstäben
der Pflegeversicherung hat die Pflegedienstleitung die Pflegezeiten
"nach den Bedürfnissen der Leistungsempfänger/innen"
festzulegen, also nicht der Betroffene selbst.
Auch die Personalkompetenz fehlt: Die Pflegesachleistungen dürfen
nur von Pflegediensten oder Einzelpersonen erbracht werden, die mit
den Pflegekassen Versorgungsverträge abgeschlossen haben. Welche
Personen von diesen Diensten oder Einzelpersonen eingesetzt werden,
bestimmen diese selbst und nicht der Betroffene. Dieser hat allerdings
die freie Wahl unter den Vertragsdiensten und kann daher jedenfalls
teilweise die Pflegekräfte auch auswählen. Bei der Leistungserbringung
durch anerkannte Einzelpersonen ist sogar festgehalten, dass diese mit
der pflegebedürftigen Person kein Beschäftigungsverhältnis
eingehen dürfen. Auch hier ist also eine Weisungsgebundenheit der
Pflegeperson ausdrücklich ausgeschlossen.
Auch eine Anleitungskompetenz nicht vorgesehen. Im Gegenteil ist in
den Bundesempfehlungen für die Rahmenverträge über die
Leistungen der ambulanten Pflegeeinrichtungen nachzulesen, daß
diese vom Gedanken der Fremdbestimmung geprägt sind. Dort heißt
es z.B.: "Im Rahmen der Planung von Mahlzeiten und der Hilfe bei
der Nahrungsaufnahme ist eine ausgewogene Ernährung anzustreben.
.. Der Pflegebedürftige ist bei der Essens- und Getränkeauswahl,
... zu beraten." Wer Hilfe beim Essen und Trinken braucht, muß
also auch darüber diskutieren, was er ißt. Oder: "das
An- und Auskleiden umfaßt auch die Auswahl der Kleidung gemeinsam
mit dem Pflegebedürftigen", auch hier ist eine Alleinentscheidung
der/des Betroffenen - was eigentlich selbstverständlich sein sollte
- nicht vorgesehen. Und weiter: "Beim Aufstehen und Zubettgehen
sind Schlafgewohnheiten, Ruhebedürfnisse und evtl. Störungen
angemessen zu berücksichtigen". Auch dies kann nur bedeuten,
daß der Zeitpunkt des Aufstehens und Zubettgehens vom ambulanten
Dienst bestimmt wird nach dem jeweiligen Dienstplan, die Bedürfnisse
der/des Betroffenen sind hierbei nur zu "berücksichtigen".
Auch eine Finanzkompetenz für die pflegebedürftige Person
ist bei den Pflegesachleistungen nicht vorgesehen. Wie der Name schon
sagt hat der Versicherte einen unmittelbaren Anspruch gegen die Pflegekasse
auf Erbringung der entsprechenden Dienstleistung, die sich dafür
wiederum in der Regel jedenfalls der Vertragsdienste bedienen wird.
Die Vergütung für diese Dienste wird allein zwischen dem Dienst
und der Kasse geregelt ohne Beteiligung des Pflegebedürftigen.
Dies bedeutet auch, daß der Versicherte keinerlei Möglichkeit
hat, z.B. Schlechtleistungen der Dienste durch Kürzung der Vergütung
zu sanktionieren. Die bereits von der Krankenkasse sattsam bekannten
Probleme des Sachleistungsprinzips gelten auch für die Pflegeversicherung.
AssistenznehmerInnen können sich bei der Pflegeversicherung nur
dadurch behelfen, dass sie das – allerdings wesentlich geringere
– Pflegegeld in Anspruch nehmen und hiermit ihre Assistenz teilweise
finanzieren. Da allerdings die Leistungen der Pflegeversicherung –
gleichviel ob Pflegesachleistung oder Pflegegeld – ohnehin nicht
bedarfsdeckend sind, müssen die weitaus meisten auf ergänzende
Leistungen der Sozialhilfeträger im Rahmen der Hilfe zur Pflege
nach §§ 68 ff BSHG zurückgreifen. Trotz der Angleichung
der Leistungen bei Einführung der Pflegeversicherung geht die Sozialhilfe
nach wie vor über die Leistungen der Pflegeversicherung hinaus
und zwar in verschiedener Hinsicht:
- kann auch ein Bedarf bei anderen als den im SGB XI genannten Verrichtungen
des täglichen Lebens Leistungen begründen. Das kann z.B. bedeutsam
sein bei Kommunikationshilfen, bei kulturellen und politischen Aktivitäten
etc.
- sind die Leistungen der Sozialhilfe nicht wie diejenigen der Pflegeversicherung
der Höhe nach gedeckelt. Weiterhin gilt der Grundsatz der Bedarfsdeckung
im Sozialhilferecht: ein bestehender Bedarf muss vom Sozialhilfeträger
erfüllt werden, wenn der Hilfebedürftige die notwendige Hilfe
nicht selbst beschaffen kann oder von anderer Seite erhält.
- schließlich sind die Sozialhilfeträger nicht darauf festgelegt,
die Dienstleistung nur durch anerkannte Pflegedienste erbringen zu lassen.
Vielmehr können auch andere Pflegekräfte, insbesondere auch
solche, die beim Pflegebedürftigen angestellt sind, zur Dienstleistung
herangezogen werden.
Allerdings sind die Leistungen der Sozialhilfe im Gegensatz zu denjenigen
Pflegeversicherung einkommens- und vermögensabhängig. Wer
die gesetzlichen Einkommensgrenzen überschreitet oder über
verwertbares Vermögen verfügt, muss den überschießenden
Teil seines Einkommens und Vermögens zur Finanzierung der Assistenz
zunächst einsetzen.
Dieses relativ komplizierte Nebeneinander verschiedener Leistungsbereiche
führt zu einer bundesweit sehr unterschiedlichen Umsetzung: vielfach
gelingt es behinderten AssistenznehmerInnen, ihre persönliche Assistenz
mit Hilfe des zuständigen Sozialhilfeträgers umzusetzen. Dieser
muss dann allerdings bereit sein, die Differenz zwischen dem Pflegegeld
der Pflegeversicherung und dem Betrag der Pflegesachleistung zusätzlich
zu übernehmen. Dies ist vielfach dann der Fall, wenn trotz dieser
Mehrbelastung für den Sozialhilfeträger der Gesamtbetrag der
Kosten niedriger ist, als bei der Inanspruchnahme eines anerkannten
Pflegedienstes. Oft müssen erst umfangreiche Rechtstreitigkeiten
geführt werden, die für die Betroffenen auch nicht immer positiv
ausgehen. Schließlich schwebt über allen noch das Damoklessschwert
des § 3a BSHG. Dieser schreibt zwar grundsätzlich den Vorrang
ambulanter Hilfen vor statinonären fest. Hiervon gibt es aber eine
bedeutsame Ausnahme: wenn nämlich eine stationäre Hilfe zumutbar
und die ambulante für den Kostenträger mit unverhältnismäßigen
Mehrkosten verbunden sind, brauchen diese Kosten nicht übernommen
zu werden. Die betroffenen Personen müssen dann ins Heim oder mit
den einer Heimunterbringung entsprechenden Kosten versuchen, ihre häusliche
Pflege mehr schlecht als recht sicherzustellen.
Insbesondere diejenigen AssistenznehmerInnen, die einen hohen täglichen
Assistenzbedarf haben und daher auf die Sozialhilfe zurückgreifen
müssen – das sind die meisten, die mit Assistenz arbeiten
– müssen daher auf Dauer mit mehreren Unzulänglichkeiten
leben:
- sie sind auf das Wohlwollen ihres Sozialhilfeträgers bei der
Gestaltung der Hilfe angewiesen, der hierbei einen weiten Ermessensspielraum
hat,
- sie bleiben ständig auf dem Einkommensniveau, das die Einkommensgrenzen
ermöglichen, unabhängig von beruflichem Aufstieg oder Weiterqualifikation,
- und sie leben immer in der Sorge, auf das Leben in einer Institution
als preiswertere Alternative verwiesen zu werden.
Ich möchte bei der Beschreibung der gegenwärtigen Rechtsgrundlagen
für die persönliche Assistenz noch zwei Bereiche ansprechen,
die in der Praxis eine zunehmende Rolle spielen.
Wer als behindertes Elternteil Hilfe bei der Betreuung von Kindern
benötigt, kann diese vom Jugendamt erhalten und zwar unter den
Voraussetzungen des § 20 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe). Danach
können Hilfen für die Betreuung und Versorgung von Kindern
im elterlichen Haushalt übernommen werden, wenn die Eltern aufgrund
gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf diese Hilfe angewiesen
sind. Weitere Vorschriften insbesondere über die inhaltliche Gestaltung
der Hilfe gibt es nicht, die Jugendämter sind daher hierbei wesentlich
freier, als die Pflegekassen oder die Sozialämter im Rahmen der
Hilfe zur Pflege. Insbesondere können sie auch die Kosten für
eine persönliche Assistenz übernehmen, wenn diese erforderlich
ist, um die notwendige Betreuung eines Kindes von behinderten AssistenznehmerInnen
sicherzustellen. Ausgestaltet ist diese Hilfe als eine solche für
das Kind, nicht so sehr für den behinderten Elternteil. In der
Praxis wird sie aber häufig eben auch als Hilfe bei der Wahrnehmung
der Elternrolle gesehen und damit wiederum als persönliche Assistenz
auch für die behinderte Person.
Der letzte und in der Gesetzgebungsgeschichte jüngste Bereich,
den ich noch ansprechen möchte, ist die Arbeitsassistenz. Nach
§ 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX gehören zu den Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben auch die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz für
schwerbehinderte Menschen als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes.
Diese wird von dem zuständigen Rehabilitationsträger –
z.B. dem Rentenversicherungsträger - für die Dauer von längstens
drei Jahren erbracht und über das Integrationsamt abgewickelt.
Wird länger als drei Jahre entsprechende Arbeitsassistenz benötigt,
so können die Kosten hierfür vom Integrationamt direkt übernommen
werden nach § 102 Abs. 4 SGB IX, allerdings nur im Rahmen der aus
der Ausgleichsabgabe der Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel.
Diese Regelungen sind relativ neu und ihre Aufnahme im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens
in das SGB IX entsprach einer wichtigen Forderung vieler Behindertenverbände.
Nähere Regelungen über die Ausgestaltung der Arbeitsassistenz
sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Auch die mir zur Verfügung
stehenden Kommentare zum SGB IX schweigen sich über Inhalt und
Umfang einer solchen Leistung aus. Inzwischen gibt es aber Empfehlungen
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter für die
Erbringung von Arbeitsassistenz. Diese wird dabei verstanden als eine
„über gelegentliche Handreichungen hinausgehende, zeitlich
wie tätigkeitsbezogen regelmäßig wiederkehrende Unterstützung
von schwerbehinderten Menschen bei der Arbeitsausführung in Form
einer von ihnen beauftragten persönlichen Arbeitsplatzassistenz".
Hier wird also anerkannt, dass es eine Leistung für die assistenzbedürftige
Person sein soll, nicht wie früher oft eine solche an den Arbeitgeber.
Grundsätzlich soll die behinderte Person sich die Kraft selbst
besorgen, die entsprechende Assistenzleistungen erbringt. Leistungen
sind vorgesehen in Form eines monatlichen Budgets. D.h. der behinderten
Person wird ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt, mit dem
dann die Assistenz finanziert werden muss und zwar gestaffelt nach dem
arbeitstäglichen Unterstützungsbedarf. Weniger als eine Stunde:
bis zu 275,00 Euro; eine bis unter zwei Stunden: bis zu 550,00 Euro;
zwei bis unter drei Stunden: bis zu 825,00 Euro und ab mindestens drei
Stunden bis zu 1.000,00 Euro. Unabhängig von der Höhe der
Leistungen ist jedenfalls nach diesem Prinzip das Assistenzmodell sehr
weitgehend durchgehalten. Die vorhin genannten Kompetenzen liegen bei
der assistenzbedürftigen Person. Die untergeordnete Hilfsrolle
der Assistenz ist festgeschrieben, die Abwicklung erfolgt über
ein Budget, über das die betreffende Person weitgehend frei verfügen
kann. Es ist sogar möglich, monatliche Budgets auf einen anderen
Monat zu übertragen. Auch die Bezeichnung als „Assistenznehmer"
wird übernommen. Allerdings wird die Arbeitsassistenz natürlich
nur am Arbeitsplatz erbracht und nur als Handreichung für die Arbeit.
Was ist aber, wenn die betreffende Person auch am Arbeitsplatz Hilfe
beim Toilettengang oder in der Pause Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
braucht? Arbeitsassistenz oder Hilfe zur Pflege? Ist dafür neben
dem anderen Kostenträger auch eine andere Person zuständig?
Oder wird die gleiche Person tätig, aber ggf. nach unterschiedlichen
Stundensätzen?
Insgesamt ergibt sich also für die persönliche Assistenz
ein höchst unterschiedlicher Regelungszusammenhang. Das ist insbesondere
deshalb misslich, weil viele AssistenznehmerInnen natürlich alle
Assistenzleistungen einheitlich organisieren und planen wollen, faktisch
aber die Abwicklung über unterschiedliche Leistungsträger
zu jeweils unterschiedlichen Bedingungen überflüssigen Verwaltungsaufwand,
Abgrenzungsprobleme und Reibungsverluste produziert bis hin zu einer
Abrechnung unterschiedlicher Assistenzleistungen der gleichen Person
nach unterschiedlichen Stundensätzen und Leistungsinhalten.
Hieraus ergibt sich die Frage, ob nicht der Gesetzgeber gehalten ist,
die Erbringung von Assistenzleistungen generell gesetzlich zu regeln.
Ansatzpunkt für eine solche Verpflichtung könnte das Sozialstaatsprinzip
des Grundgesetzes sein. Nach Art. 20 GG ist die Bundesrepublik Deutschland
ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Hieraus hat das Bundesverfassungsgericht
in ständiger Rechtsprechung das sogenannte Sozialstaatsprinzip
entwickelt. Adressat ist vor allem der Gesetzgeber, der die bindende
Aufgabe übertragen ist, diesem Prinzip in der Verfassungswirklichkeit
Geltung zu verschaffen. Nach allgemeiner Auffassung ergeben sich aus
dem Sozialstaatsprinzip allein keine subjektiven Rechte des einzelnen
auf eine bestimmte soziale Regelung. Sichergestellt werden müssen
allerdings die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins.
Vor allem aber kann sich aus dem Zusammenspiel mit anderen Grundrechten
ergeben, dass der Gesetzgeber eben doch zu einer bestimmten Regelung
verpflichtet ist.
Für Assistenznehmer ist in der Regel die Inanspruchnahme der
Assistenz überhaupt Voraussetzung dafür, ihre Grundrechte
z.B. auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG),
auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) und auf Gleichheit vor dem Gesetz
(Art. 3 Abs. 1 GG), soweit es sich hierbei um Chancengleichheit in der
Verwirklichung eigener Rechte handelt. Die Arbeitsassistenz dient zudem
der Verwirklichung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 GG),
möglicherweise sogar der Freiheit der Kunst und der Wissenschaft
(Art. 5 Abs. 3 GG). Die Unterstützung nach dem SGB VIII durch die
Jugendämter dient zugleich dem verfassungsrechtlichen Auftrag des
Schutzes der Familie (Art. 6 GG). Und schließlich sollten wir
als verbindende Klammer auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht vergessen:
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden".
Die Wahrnehmung der Grundrechte ist assistenzbedürftigen Personen
eben nur dann möglich, wenn die notwendige Assistenz auch tatsächlich
zur Verfügung steht. Nur dann sind sie gegenüber anderen Personen
ohne Behinderung nicht benachteiligt, weil sie am Leben der Gemeinschaft
ungehindert teilnehmen können.
Es spricht also manches dafür, dass unmittelbar aus dem Sozialstaatsprinzip
des Grundgesetzes in Verbindung mit einer Reihe von Grundrechten ein
Handlungsauftrag an den Gesetzgeber abzuleiten ist, das Recht der Assistenz
neu und einheitlich zu gestalten. Politisch gilt allemal: eine Neugestaltung
bei der Assistenz ist überfällig und sollte umgehend in Angriff
genommen werden.
Lassen Sie mich abschließend noch einige Gesichtspunkte erörtern,
wie eine solche gesetzliche Neurgelung aussehen könnte.
Alle unterschiedlichen Formen des Hilfebedarfs müssten aus einer
Hand gewährt werden, unabhängig davon, bei welchen Handlungen
oder zu welchem Zweck die Hilfe benötigt wird. Ob also Assistenz
bei den persönlichen Verrichtungen, beim Schulbesuch, bei der Arbeit,
der Kindererziehung, der Kommunikation, bei kulturellen oder politischen
Aktivitäten oder wo auch immer benötigt wird: jede benötigte
Assistenzleistung muss umfasst sein. Entscheidend wird natürlich
sein, wie die Leistungsvoraussetzungen definiert werden. An sich wäre
die Formulierung „Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen
Lebens" recht gelungen. Sie macht deutlich, dass es um alle Verrichtungen
geht, die von nichtbehinderten Personen ohne fremde Hilfe selbstständig
wahrgenommen werden. Diese Definition geht auf die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zurück, wurde später zunächst im
Bundesversorgungsgesetz und dann auch im SGB XI in die Gesetzessprache
übernommen. Gerade durch die Pflegeversicherung aber ist sie entwertet,
weil sie dort in der Reduzierung auf einige spezielle Verrichtungen
verwendet wird. Es ist immer schwierig, eine einmal verwendete Formulierung
mit anderem Bedeutungszusammenhang zu versehen.
Ich würde deshalb vorschlagen, etwa „Assistenz bei Aktivitäten
zur Teilhabe an der Gesellschaft". Dies würde anknüpfen
auch an die Merkmale von Behinderung in der ICIDH-2-Klassifikation.
Assistenz bei Aktivitäten stellt klar, dass es um den Ausgleich
von Aktivitätsbeeinträchtigungen gibt. Durch das Ziel der
Teilhabe würde ein wesentlicher Ansatz des SGB IX und zugleich
der Partizipation-Aspekt der ICIDH-2 aufgegriffen. Nicht enthalten wäre
ein Hinweis auf die Zielrichtung der jeweiligen Aktivität, so dass
also jeder Teilbereich der Assistenz erfasst wäre.
Wegen des Sachzusammenhangs würde es sich anbieten, eine neue
Assistenz-Leistung durch Aufnahme eines neuen Titels im SGB IX zu regeln.
Die allgemeinen Vorschriften z.B. über das Wunsch- und Wahlrecht,
die Koordinierung der Leistungen etc. würden dann automatisch auch
auf die Assistenz-Leistung Anwendung finden. Ob hiermit auch verbunden
sein sollte, dass die Leistung über die Integrationsämter
abgewickelt werden sollte, wird noch zu prüfen sein. Dafür
spricht, dass hierüber besser als z.B. über Behörden
der kommunalen Selbstverwaltung eine relativ einheitliche Handhabung
gewährleistet werden könnte und die Erfahrungen, die bereits
mit der Arbeitsassistenz gesammelt werden können. Dagegen könnte
sprechen, dass die Integrationsämter bisher mit anderen Bereichen
der Assistenz nicht befasst waren und mit dem bisherigen Personal die
Leistungsabwicklung nicht ohne weiteres übernehmen könnten.
Die Abwicklung der Assistenz-Leistung müsste nach dem Budget-Prinzip
erfolgen, wie bei der Arbeitsassistenz bereits jetzt vorgesehen. Allerdings
müssten die Einzelheiten der Budget-Festsetzung noch geklärt
werden. Jedes Budget hat den Nachteil, dass es sich um eine gewisse
Pauschalleistung handelt. Diese muss so exakt bemessen sein, dass die
AssistenznehmerInnen sich damit auch die bedarfsgerechte Assistenz besorgen
können. Unterschiede im Umfang des Assistenzbedarfs müssen
daher entsprechend berücksichtigt werden. Das Budget könnte
als Zeitbudget geregelt werden oder als Geldbudget. Zeitbudget würde
bedeuten, der Assistenznehmer erhielte einen bestimmten Umfang an Stunden,
für die er sich die notwendige Leistung dann am Markt besorgt.
Der Stundensatz könnte hier je nach Anbieter variieren, wodurch
dann unterschiedliche Beträge bei gleichem Zeitbudget herauskämen.
Das Geldbudget würde bedeuten, dass der Gesamtbetrag festgelegt
wird, der für AssistenznehmerInnen in einem bestimmten Zeitraum
– z.B. monatlich – zur Verfügung steht. Im Bundesversorgungsgesetz
wird die Pflegezulage in sechs verschiedenen Stufen erbracht. Ob eine
solche Stufenregelung übernommen werden kann, oder ob vielleicht
mehr Abstufungen benötigt werden, sollte geprüft werden. Berechnungsgrundlage
für das Budget müssen jedenfalls Stundensätze sein, die
eine angemessene Entlohnung der Assistenzkräfte ermöglichen
würden.
Sicher gibt es noch umfangreichen Klärungsbedarf über die
Einzelheiten einer gesetzlichen Neuregelung. Entscheidend wird aber
zunächst sein, ob eine politische Mehrheit für eine solche
Innovation erreicht werden kann. Die Diskussionen über Änderungen
im Sozialrecht gehen im Augenblick eher in Richtung Leistungsreduzierung.
Wir werden daher nur dann erfolgreich für unser Anliegen werben
können, wenn uns der Nachweis gelingt, dass hiermit durch Effizienzsteigerungen
und Verwaltungsvereinfachungen auch Einspareffekte erzielt werden können
und systemwidrige Ungereimtheiten beseitigt werden. Es geht ja auch
nicht um eine ganz neue Leistung, sondern um die Zusammenführung
bisher verstreuter Einzelregelungen in einem Teilbereich, in dem ein
Budget besonders effektiv eingesetzt werden kann.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Andreas Jürgens
Karl-Kaltwasser-Str. 27, 34121 Kassel
e-mail: Andreas_Juergens@t-online.de