Forum 3
Qualitätssicherung und -kontrolle der Persönlichen
Assistenz
Auf
dem Podium: Siegfried Buttjes (Bundesverband der unabhängigen Pflegegutachter)
und Matthias Vernaldi (ASL Berlin)
Thesen zu diesem Forum
Bericht zum Forum 3
Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle sind in der persönlichen
Assistenz so wichtig geworden, dass deren Standards von den Betroffenen
selbst erarbeitet werden müssen und nicht den Regulierungsversuchen
anderer überlassen werden dürfen. Das war die Quintessenz
der Diskussion von 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Forum 3.
Aus sehr unterschiedlicher Sicht und Erfahrung hatten Impulsreferate
von Matthias Vernaldi und Siegfried Buttjes eine lebhafte, mitunter
kontroverse und schließlich klärende Debatte zu einem komplexen
Fragenkomplex eingeleitet. Matthias Vernaldi von der Arbeitsgemeinschaft
für ein selbstbestimmtes Leben schwerbehinderter Menschen (ASL)
aus Berlin erläuterte mit seinen eigenen langjährigen Erfahrungen
wie auch praktischen Erkenntnissen seiner Kolleginnen und Kollegen aus
der Bundeshauptstadt die zur Tagung vorgelegten Thesen zum Thema «Qualitätssicherung
und –kontrolle der Persönlichen Assistenz».
Siegfried Buttjes vom Bundesverband der unabhängigen Pflegegutachter
aus Kassel brachte professionelle Erkenntnisse des zwischen 90 und 100
Mitglieder zählenden relativ jungen Vereins ein. Er nutzte die
Veranstaltung, um sich näher mit der Thematik persönlicher
Assistenz vertraut zu machen. Die Einrichtung von Qualitätszirkeln,
die Mitwirkung an Qualitätskonferenzen und die Weiterentwicklung
von Richtlinien für die persönliche Assistenz waren seine
Vorschläge.
Konsens ohne jede Einschränkung wurde in der Diskussion über
die erste These erzielt: «Zentrales und primäres Qualitätsmerkmal
der Persönlichen Assistenz ist die Ermöglichung von Selbstbestimmung
der AssistenznehmerInnen. Andere Qualitätsziele und –merkmale
haben das zu unterstützen bzw. sich dem unterzuordnen.»
Sowohl Vertreter aus dem professionellen Pflegebereich und AssistenInnen
als auch die mit praktischen Beispielen argumentierenden AssistenznehmerInnen
waren sich darin einig, dass mit dieser These die Besonderheit eines
Qualitätsmanagements in der persönlichen Assistenz umrissen
ist. Befürchtungen mehrerer Assistenznehmerinnen («Hat jetzt
die Stunde der Kontrolletis geschlagen?»), dass mit einer Qualitätskontrolle
wieder ein Element der Fremdbestimmung in gut funktionierende Arbeitgebermodelle
eingeführt werden könnte, waren in der Diskussion hinreichend
thematisiert, debattiert und schließlich doch mehr oder weniger
beigelegt worden.
Ist die Qualität persönlicher Assistenz überhaupt messbar?
Und nach welchen Kriterien wird wie gemessen? Beschränkt sich das
auf die «technischen Leistungen»? Wie ist das mit der oft
lebenswichtigen Frage, ob das persönliche Verhältnis zwischen
dem auf Assistenz absolut angewiesenen Menschen und seinem gegen Geld
Hilfe leistenden Angestellten (Stimmt die «Chemie» zwischen
beiden?) über Qualitätsstandards geregelt werden kann? Dabei
geht es um Lebensqualität, manchmal um Leben und Tod.
Die
Diskussion darüber wurde ausführlich und heftig geführt.
Schließlich könnte ein Mangel an Qualität (Verlässlichkeit,
Einhaltung von Absprachen, pünktliches Erscheinen ...), so die
Mehrheitsmeinung, den Tod zur Folge haben. Der im Forum eingebrachte
Vorschlag, hier ein Qualitätssiegel (etwa der Selbstbestimmt Leben
Bewegung) zu entwickeln, wurde ebenso lebhaft erörtert. Eine Orientierung
für ein solches Qualitätssiegel, das nach mehrfach geäußerter
Ansicht genauer noch durchdacht werden müsste, sehen die meisten
Teilnehmerinnen und Teilnehmer in diesem Forum in der zweiten These
dieser Tagung.
«Ein Assistenzanbieter bzw. ein Betrieb, in dem der/die AssistenznehmerIn
die AssistentInnen selbst anstellt, muss so strukturiert sein, dass
der/die Assistenznehmerin bestimmen kann, wer bei ihm/ihr arbeitet (Personalkompetenz)»,
heißt es da. Nicht weniger wichtig sei dabei zu bewerten, was
wie getan werden muss (Anleitungskompetenz), wann und wo die Assistenz
erbracht wird (zeitliche und räumliche Kompetenz). Als ArbeitgeberIn
nimmt er/sie die volle Finanzkompetenz wahr. Bei Assistenzanbietern
muss die Finanzkompetenz durch Informations- und Einspruchsrechte von
KundInnenvertretungen geregelt sein, so das im Forum gebilligte Thesenpapier.
Ein wichtiger, wenn nicht der entscheidende Teil einer fortwährenden
Qualitätssicherung kann mit Qualifizierung und Fortbildung –
sowohl für Assistenzgeber als auch für Assistenznehmer –
geleistet werden. Qualifizierungsmodule werden gegenwärtig bereits
in einem von der Europäischen Union geförderten Projekt erarbeitet.
An diesbezügliche Ergebnisse des equal-Projekts «open door»
wurden im Forum hohe Erwartungen geknüpft. Zugleich wurde darauf
verwiesen, dass nach erfolgreichem Abschluss des Projekts zu gewährleisten
sei, die Ergebnisse auch umzusetzen.
Das heißt, es sollten bundesweit Voraussetzungen für entsprechende
Schulungen von Assistenzgebern und –nehmern geschaffen werden.
Die dafür nötigen finanziellen Mitteln müssen aufgebracht
werden. Dieser Teil eines modernen Qualitätsmanagements darf nicht
an einem Kostenvorbehalt scheitern, zumal nach Ansicht einer Mehrheit
in diesem Forum höhere Qualität in der persönlichen Assistenz
durchaus Kostenreduzierung zur Folge haben kann. Prüfungskriterien
wie sie möglicherweise für wirtschaftlich arbeitende Sozialstationen
gelten müssen, können und dürfen bei persönlicher
Assistenz nicht angewendet werden.
Das primäre Kriterium für die Ergebnisqualität kann
nur die Zufriedenheit der AssistenznehmerInnen mit der erbrachten Assistenz
sein. Natürlich wird es immer auch um die Arbeitszufriedenheit
der MitarbeiterInnen (wenn auch nachrangig) gehen. Eine solche Forderung
aus der Erfahrung Berliner AssistenznehmerInnen wurde in der fünften
These umrissen und diskutiert. Aus der Wirtschaft bekannte und durchaus
erfolgreiche Modelle von Qualitätszirkeln der ArbeitnehmerInnen
wurden behandelt, aber nur bedingt als brauchbar für Ableitungen
in der persönlichen Assistenz angesehen. Qualitätssicherung
wird und muss in der Wirtschaft als Weg zu einem immer besser verkaufbaren
Produkt angesehen werden, war in der Diskussion herausgearbeitet worden.
In der persönlichen Assistenz dagegen steht als Ziel individuelle
Lebensqualität behinderter Menschen, schwer messbar, aber politisch
in einer Gesellschaft gewollt, die 2003 in Europa dem Aufruf zu einem
Jahr für Menschen mit Behinderungen gefolgt ist. Die AssistenznehmerInnen
können und müssen selbst darüber entscheiden, wie sie
die Qualität persönlicher Assistenz weiter entwickeln. Für
die Selbstbestimmung behinderter ArbeitgeberInnen sollten Supervision,
Pflegeanleitung oder Lohnabrechnung von Dritten kein Problem sein. Sie
werden Anregungen und Unterstützung im Qualitätsmanagement
gern aufnehmen. Entscheiden, wie alles gesichert und kontrolliert werden
kann, müssen sie selbst.
Berichterstatter: Franz Schmahl