Der
Marsch aus den Institutionen tut Not
Das Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen – ForseA
e.V. - hat sich 1997 vor allem deshalb gegründet, um behinderten
Menschen, die auf personelle Hilfen angewiesen sind, ein möglichst
selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – und zwar in der von
ihnen selbst gewählten Umgebung. Daher haben wir uns einerseits
für die Verbesserung der Rahmenbedingungen bei der Bewilligung
von Leistungen zur Persönlichen Assistenz stark gemacht. Andererseits
war es uns auch stets ein großes Anliegen, behinderte Menschen
vor der Einweisung in Einrichtungen zu bewahren, bzw. ihnen den Auszug
aus Behinderteneinrichtungen zu ermöglichen.
Mittels einer fast ausschließlich ehrenamtlich geleisteten Beratung,
Schulung, Interessenvertretung und Öffentlichkeitsarbeit gelang
es uns auf diese Weise, vielen behinderten Menschen, die zum Teil einen
sehr hohen Unterstützungsbedarf haben, neue Wege zu einem selbstbestimmteren
Leben inmitten der Gemeinde zu eröffnen.
An diese Erfahrungen und Erfolge wollen wir mit dieser von der Aktion
Mensch, sowie von vielen Verbänden und Einzelpersonen unterstützten
Kampagne anknüpfen und uns gezielt auf den längst überfälligen
Wandlungsprozess von der stationären „Fürsorge"
und „Betreuung" zur ambulanten Unterstützung von behinderten
Menschen konzentrieren. Anhand des Sinnbildes des „Marsch aus
den Institutionen" wollen wir mit dieser Aufklärungskampagne
einerseits dafür werben, dass mehr behinderten Menschen die Türen
geöffnet werden, damit diese wohnortnah unterstützt werden
und nicht mehr in Behinderteneinrichtungen leben müssen, wenn sie
dies nicht wollen.
Andererseits wollen wir aber auch konkret behinderte Menschen dabei
unterstützen, diesen Weg aus den Institutionen zu gehen. Mit einer
intensiven Öffentlichkeitsarbeit und öffentlichkeitswirksamen
Aktionen wollen wir diesen Prozess in die Öffentlichkeit tragen
und die Notwendigkeit für politische und organisatorische Reformen
deutlich machen. Dies ist vor allem aufgrund der aktuellen Einführung
der Persönlichen Budgets nötiger denn je. Dabei wollen wir
sicherstellen, dass behinderte Menschen selbst die entscheidende Rolle
bei dieser Kampagne spielen, so dass ihre Stimme verstärkt in dieser
Diskussion gehört wird.
Den Aufhänger und Startschuss für diese Kampagne bildet der
Berlin-Marathon am 26. September 2004. Hierfür ist es uns gelungen,
einige bekannte Protagonisten der Selbstbestimmt Leben Bewegung behinderter
Menschen zu gewinnen, die entweder zu Fuß, per Rollstuhl oder
mit einem Handbike die 42,192 km zurücklegen werden. Dabei handelt
es sich nicht um traditionelle BehindertensportlerInnen, sondern zum
Teil sogar eher um unsportliche Menschen, die mit ihrer Teilnahme und
ihrer eigenen Geschichte deutlich machen, dass es sich lohnt, sich zu
engagieren um ein angestrebtes Ziel zu erreichen.
Unter dem Motto „Marsch aus den Institutionen" wollen wir
anhand des Marathons und dieses Symbols in den 43 Folgewochen wöchentlich
jeweils ein Thema aufgreifen, das nötig ist, um den Weg aus der
institutionellen zur ambulanten Unterstützung zu schaffen. Diese
Themen reichen vom Peer Counseling, über die Persönliche Zukunftsplanung
und positive Rollenvorbilder mit konkreten Erfahrungen, über die
Darstellung internationaler Entwicklungen und Informationen über
die Unterstützung vor Ort, bis zur Verbreitung konkreter Zahlen
über die stationäre Unterbringung und die Vorstellung von
Modellen wie der Persönlichen Assistenz und dem Persönlichen
Budget.
In diesen 43 Schritten wollen wir nach dem öffentlichkeitswirksamen
Start mit dem Berlin-Marathon dem Ziel einer wohnortnahen Unterstützung
näher kommen. Konkrete Erfolge von behinderten Menschen sollen
Mut machen die bestehenden Systeme zu ändern. Wir wollen die Politikerinnen
und Politiker herausfordern, ambulante Unterstützungsstrukturen
auch für Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf zu
schaffen bzw. zu stärken und damit den viel zitierten Paradigmenwechsel
zu vollziehen. Dies werden wir durch die öffentlichkeitswirksamen
Aktionen, die Erstellung und Veröffentlichung von Porträts
von behinderten Menschen, das Aufzeigen von positiven Veränderungen
in Behinderteneinrichtungen und durch Informations- und Diskussionsveranstaltungen
in verschiedenen Städten einfordern.
Gleichzeitig wollen wir gemäß dem Slogan der 68er-Bewegung
mit dem „Marsch durch die Institutionen" in der Behindertenarbeit
und –politik engagierte Menschen dazu anstiften, den „Marsch
aus den Institutionen" zu wagen und zu unterstützen. Hierfür
wollen wir ein Netzwerk zur Deinstitutionalisierung und Einrichtungsreform
aufbauen.
Im Hinblick auf die Tatsache, dass in Deutschland noch über 160.000
behinderte Menschen in Sondereinrichtungen leben müssen –
und diese Zahl stetig ansteigt - haben wir uns hohe Ziele gesetzt und
gibt es noch viel zu tun. Dass sich der Kampf lohnt, zeigen Erfahrungen
in anderen Ländern wie zum Beispiel in Schweden und den USA, wo
Behinderteneinrichtungen gezielt abgebaut und die ambulante Unterstützung
gestärkt wurde. Um unser Ziel eines selbstbestimmten Lebens mit
ambulanter Unterstützung zu erreichen, brauchen wir jegliche Hilfe,
ob sie organisatorischer, politischer oder finanzieller Art ist, ob
sie von einer Behindertenorganisation, aus der Politik, der Verwaltung
oder von engagierten Einzelpersonen kommt. Denn eine solche Kampagne
kostet nicht nur viel Geld, sondern auch viel Kraft. Wir bauen auf Ihre
Unterstützung.
Elke Bartz
Vorsitzende
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen – ForseA
e.V.
Ottmar Miles-Paul
koordinator der Kampagne