Keine Mauern - weder für Jung noch für Alt
Dass es an allen Fronten notwendig ist Mauern einzureißen oder
erst gar nicht entstehen zu lassen, bekräftigten zwei Veranstaltungen
am 24. und 25. Juni in Frankfurt am Main und in Herrenberg.
Frankfurt am Main
Die Veranstaltung am 24. Juni fand im Rahmen der Aktionswoche "Älter
werden in Frankfurt" unter dem Titel "Älter werden mit
Behinderung" statt. Da parallel zu dieser Veranstaltung vier weitere
stattfanden und einige Interessierte wegen der großen Hitze abgesagt
hatten, war es eine kleine Runde von knapp 20 Menschen, die zusammen
gekommen war.
ForseA-Vorsitzende Elke Bartz stellte zunächst dar, wie negativ
das Alter in der Öffentlichkeit behandelt wird. Von "Altlasten"
ist, angesichts der demografischen Entwicklung, häufig die Rede.
Alte Menschen werden nur noch als Kostenfaktoren bezeichnet und behandelt.
Dass das Altwerden stets mit Abschiednehmen von Fähigkeiten und
Kraft verbunden ist, wenn auch bei jedem unterschiedlich schnell oder
stark, konnten alle bekräftigen. Dennoch ist der letzte Lebensabschnitt
nicht nur düster zu sehen.
Wichtig ist es vielmehr, die notwendigen ambulanten Hilfen zu erhalten
um weiter ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu führen.
Elke Bartz zeigte dabei auf, welche Chancen die Persönliche Assistenz
dazu bietet. Außerdem schnitt sie kurz das Thema Persönliches
Budget, in Bezug auf dessen Möglichkeiten und Grenzen an.
Einige der anwesenden Frauen mit Behinderungen schilderten ihren Alltag,
der geprägt ist von Unterversorgung und Einschränkungen. Sie
erhalten in der Regel gerade so viel Hilfe, dass ihr reines Ãœberleben
einigermaßen gesichert ist. Dennoch kann sich keine von ihnen,
wie im Übrigen übereinstimmend alle anderen Anwesenden auch,
vorstellen, jemals in ein "Heim" zu ziehen.
Doch genau dieses Damoklesschwert droht den Frankfurterinnen und Frankfurtern,
sobald diese das 65. Lebensjahr vollendet haben und sie auf Hilfe (Assistenz)
angewiesen sind. Dabei ist es gleichgültig, ob der Assistenzbedarf
erst nach dem 65. Lebensjahr eintritt, oder ob er schon zuvor bestanden
hat und es längst eine - möglicherweise schon lange bestehende
- ambulante Versorgungsstruktur, sei es über das Arbeitgebermodell
oder über einen ambulanten Dienst, gibt. Der Hintergrund ist nicht
etwa ein Mangel an ambulanten Möglichkeiten, sondern ein Überangebot
an stationären Plätzen - wobei ForseA selbstverständlich
der Meinung ist, dass jeder einzelne "Heim"-platz einer zuviel
ist. Vielmehr haben Hochrechnungen der Stadt Frankfurt ergeben, dass
die Zahl auf Hilfe angewiesener Menschen in dem kommenden Jahren wachsen
wird - mit der Folge eines vermeintlich steigenden Bedarfes an "Heim"-plätzen.
Anstatt vermehrt ambulante Angebote auszubauen und vorhandene Ãœberangebote
abzubauen, will die Stadt Frankfurt die jetzt schon vorhandenen Plätze
"auffüllen", damit dem Wirtschaftlichkeitsfaktor Genüge
getan wird. Es gibt zwar so genannte Zumutbarkeitskriterien, die sogar
auf den ersten Blick recht liberal aussehen, die dennoch für all
diejenigen, die nicht unter diese Kriterien fallen und keine Kraft haben,
sich dagegen aufzulehnen, die Gefahr der "Heim"-einweisung
für sie bergen. Gegen diese Handlungsweise müssen ForseA und
andere Organisationen mit aller Kraft vorgehen, denn das Recht auf Lebensqualität
und Selbstbestimmung beginnt und endet nicht ab einem bestimmten Lebensalter!
Herrenberg
Junge heranwachsende Menschen sollen so aufwachsen und erzogen werden,
dass sie als Erwachsene ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches
Leben führen können. Das sind Forderungen der Politik, der
Verwaltung, der Wirtschaft und auch der privaten Gesellschaft. Für
Kinder und Jugendliche mit Behinderungen scheint diese Selbstverständlichkeit
oft nicht zu gelten. Damit nicht nur - wie auf der Veranstaltung in
Frankfurt alte - sondern auch junge Menschen lernen können, selbstbestimmt
zu leben, besuchte Elke Bartz auf dem "Marsch" am 25. Juni
eine Veranstaltung der Landesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben - gemeinsam
lernen Baden-Württemberg, die in Herrenberg stattfand. Sie informierte
Eltern von Kindern mit so genannten geistigen und auch körperlichen
Behinderungen über die Möglichkeiten der Persönlichen
Assistenz und das Persönliche Budget. Viele hatten noch nie von
der Assistenz gehört und waren dem entsprechend fasziniert von
den Möglichkeiten ihrer Kinder, ein Leben außerhalb von stationären
Einrichtungen verbringen zu können.
Bartz betonte, dass es für behinderte Kinder und Jugendliche genauso
wie für ihre nicht behinderten Altersgenossen wichtig sei, sich
ihrem Alter entsprechend von den Eltern "abzunabeln" und so
eine normale Sozialisierung zu erfahren. Es sei gut, schon frühzeitig
zu lernen mit Assistenz umzugehen, damit sie es können, wenn sie
eines Tages aus dem Elternhaus ausziehen. Assistenz zu nutzen heißt
auch Familien zu entlasten, mehr Zeit für die (Eltern-)partnerschaft
und/oder die Geschwisterkinder zur Verfügung zu haben. Dies kann
sehr wichtig sein, um eine Ãœberforderung, die nicht selten das
Auseinanderbrechen von Familien zur Folge hat, zu verhindern. Kein Wunder,
dass es nach dem Vortrag zu angeregten Gesprächen kam.
Beide Veranstaltungen haben wieder einmal mehr bekräftigt, dass
das Bedürfnis nicht in Anstalten, sondern mitten in der Gesellschaft
zu wohnen und zu arbeiten, völlig unabhängig von Alter der
Menschen ist.