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Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Marsch aus den Institutionen - ambulante statt stationäre Unterstützung

Heim - geh ein

Von Oliver Tolmein
im WDR 3 gesendet am 25. Februar 2005

"Heim - geh ein!" forderten Gruppen aus der Behindertenbewegung, als die Vereinten Nationen ein ganzes Jahr den Menschen mit Behinderungen widmeten. Das ist lange her - über zwanzig Jahre. Heime gibt es immer noch. Aber etliche Bewohner haben sich seitdem aufgemacht, die stationären Einrichtungen zu verlassen und ein eigenes Domizil einzurichten, wie sie selbst bestimmen wollen, wann sie aufstehen, was es zu essen gibt, wie lange der Mittagschlaf dauern soll, weil sie mehr als ein kleines Zimmer haben wollen, das sie sich oft genug noch mit anderen teilen müssen und weil sie auch auf ihre Pflege Einfluss haben wollen.

Die Sozialhilfeträger und später auch die Pflegekassen haben diesen Weg raus aus den Institutionen größtenteils Wohlwollen verfolgt - denn ambulante Versorgung wird oft ehrenamtlich übernommen und ist meistens kostengünstiger. Meistens - aber eben nicht immer. Und das ist sicher ein Grund dafür, dass die Heime seit Anfang der 80er Jahre keineswegs eingegangen sind, sondern oft genug sogar expandieren konnten. Obwohl immer wieder Skandale in der Heimpflege aufgedeckt wurden, der schlechte Behandlungsstandard in den Einrichtungen ebenso notorisch ist, wie deren Probleme, die Versorgung immer kostengünstiger und effizienter zu organisieren. Seit einigen Jahren versuchen Sozialämter Menschen mit sehr hohem Pflegebedarf zu zwingen, ihre Wohnung aufzugeben und sich in einem Heim versorgen zu lassen. Das Argument ist stets das gleiche: Die Pflege zu Hause bewirke Mehrkosten, die unverhältnismäßig seien.

Die Heime profitieren aber nicht nur vom Bestreben der Sozialleistungsträger Kosten zu sparen; auch die demografische Entwicklung spielt ihnen in die Hände: Die steigende Zahl alter Menschen in einer Gesellschaft, in der aufgrund der familiären Strukturen kaum noch jemand in der Lage ist, die Versorgung Pflegebedürftiger zu Hause zu übernehmen, steigert den Bedarf an professionell organisierter Versorgung in Einrichtungen enorm.

Prof.Dr.Dr. Klaus DörnerDass das keineswegs zwangsläufig so sein muss, ist ein Thema des Sozialpsychiaters Klaus Dörner, der sich seit einigen Jahren für die Auflösung von Heimen einsetzt. Gestern Abend sprach Dörner auf einer Veranstaltung, die das bundesweite Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen und die Arbeitsgemeinschaft selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen in Berlin organisiert hatten. Dörner war selbst jahrelang Leiter eines psychiatrischen Großkrankenhauses in Gütersloh, dessen Dezentralisierung er in diesen Jahren gezielt vorangetrieben hat.

Für viele seiner Patienten konnte er Wohngruppen aufbauen oder ambulante Versorgungsstrukturen. Dass oft gerade Menschen mit besonders hohem Hilfebedarf in den Institutionen besonders schlecht aufgehoben sind, wurde dabei gestern durch Stellungnahmen Betroffener deutlich. Ein Mann, der fast dreißig Jahren in Heimen zugebracht hatte, bevor er nunmehr selbständig leben kann, betonte, dass die Situation für ihn im Heim schlimmer wurde, je mehr Hilfebedarf er hatte - denn damit gingen ihm auch noch die letzten Freiräume, die er gerade im Heim so dringend gebraucht hätte, verloren und er fühlte sich nur noch verwaltet.

Jetzt fordert Dörner eine Enquetekommission, die sich mit der Situation der Heime ähnlich grundlegend und gründlich befasst, wie es vor gut dreißig Jahren eine der folgenreichsten Enquetekommissionen des Deutschen Bundestages mit der Psychiatrie getan hatte. Auch wenn es Dörner dabei nicht ausschließlich um Einrichtungen für Behinderte geht, hat er in den Aktiven der Behindertenbewegung doch besonders engagierte Unterstützer gefunden. Deren Kampagne, die beim Berlin Marathon im Herbst letzten Jahres eingeläutet wurde heißt kämpferisch "Marsch aus den Institutionen - Reißt die Mauern nieder!". Ottmar Miles-Paul und Elke Bartz, die dieses Projekt als Initiatoren maßgeblich geprägt haben, orientieren sich dabei an den Erfahrungen in anderen Ländern: Sowohl in den USA, als auch in den skandinavischen Ländern ist es über die Jahre gelungen Behinderteneinrichtungen gezielt zu schließen und stattdessen ambulante, wohnortnahe Versorgungsstrukturen aufzubauen.

Prof.Dr.Dr. Klaus Dörner, im Hintergrund Elke BartzDass Schließungen erforderlich sein werden, dass neue Einrichtungen nicht mehr gebaut werden dürfen - darüber bestand zwischen Klaus Dörner und den Veranstaltern des gestrigen Abends Einigkeit. Da die großen Wohlfahrtsverbände, aber auch viele privaten Unternehmen Träger von Heimen sind, ist es nicht ganz einfach, für dieses Ziel Bündnispartner zu finden. Heime sind eben auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Gerade das macht es für Dörner aber auch so dringend, umzudenken. Er spricht von einer Industrialisierung der menschlichen Beziehungen, die dazu führt, dass die menschlichen Beziehungen in unserer Gesellschaft insgesamt erheblich beschnitten werden. Menschen müssen, stellt Dörner dagegen fest, die Erfahrung machen, dass man sie braucht, aber auch, dass sie andere brauchen. Deswegen sei es so wichtig, dass Alte nicht in Heimen verschwinden, wenn sie dement, schwach oder hilfsbedürftig werden, sondern, dass sie in ihrem Umfeld bleiben - und dort Unterstützung, aber auch manchmal nur etwas Aufmerksamkeit bekommen.

Elke Bartz vom Forum selbstbestimmter Assistenz, die umfassende Erfahrungen mit Pflege und deren Organisation hat, hält das für eine aussichtsreiche Perspektive, auch wenn sie betont, dass gerade eine Rund-um-die-Uhr Versorgung nicht von ehrenamtlichen Kräften geleistet werden kann. Aber auch die Besuche von Freunden, der alltägliche Austausch, der so lebenswichtig ist, unterbleiben oft, wenn die alten Freunde von einst plötzlich zehn, zwanzig oder noch mehr Kilometer zurücklegen müssen um jemanden zu besuchen, der im Heim zumeist keine neue Heimat gefunden hat.

Es ist kein Zufall, dass die Veranstaltung der kleinen, engagierten Organisationen aus der Behindertenbewegung gestern stattfand, während im Bundesfamilienministerium Experten beratschlagten. Deren Thema waren "Neue Betreuungs- und Wohnformen und Heimgesetz." Die Erkenntnis, dass es so wie bisher in den Heimen nicht weitergehen kann, hat also mittlerweile auch die sozialpolitisch Verantwortlichen erreicht. Im Ministerium ist man aber naturgemäß weniger grundsätzlich und radikal, als es sich die von Heimunterbringung bedrohten Menschen vielleicht wünschen. Statt der Abschaffung der Heime werden dort immer neue Reformen erwogen, statt zu fragen, wie auch Menschen mit hohem Hilfebedarf frei und unabhängig leben können, wurde dort über Qualitätsstandards, Leitlinien und Case Management diskutiert. Für Dörner eine Debatte, die in die Sackgasse führt. Draußen, in der Gesellschaft, wo die Pflegebedürftigen nicht abgeschnitten von ihren sozialen Bezügen sind, ergibt sich eine Qualitätskontrolle ganz selbstverständlich, weil die Folgen schlechter Pflege vielen auffallen.

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