Volkswirtschaftliche
Aspekte Persönlicher Assistenz
Vortrag von Elke Bartz bei der ECEPA-Tagung am 03. September 2004 in
der Rheingoldhalle zu Mainz
Die volkswirtschaftlichen Aspekte von Persönlicher Assistenz sind
ein Thema, mit dem wir uns eigentlich nicht befassen sollten. Es muss
vielmehr in allen Staaten einen Rechtsanspruch auf Persönliche
Assistenz unabhängig von monetärem Denken geschaffen werden,
denn Persönliche Assistenz ist die Basis für viele behinderte
Menschen, ein chancengleiches Leben zu führen. Sie stellt einen
Nachteilsausgleich dar, ohne den auf Assistenz angewiesene Menschen
nicht als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger –
mit allen Rechten und Pflichten - in der Gesellschaft leben können.
Da wir in der politischen Landschaft nicht (ausschließlich) mit
Moral, Ethik und Anstand argumentieren können, müssen wir
uns zwangsläufig mit den volkswirtschaftlichen Aspekten auseinandersetzen.
Ich kann an dieser Stelle ausschließlich auf die Situation in
Deutschland eingehen. Einige Aspekte gelten vermutlich in allen (europäischen)
Ländern; andere sind nicht so ohne weiteres übertragbar.
Die Finanzierung der Persönliche Assistenz wird häufig mit
der Begründung verweigert, dass die Kosten dafür zu hoch seien
und die Versichertengemeinschaft bzw. die Steuerzahler das Recht auf
wirtschaftlichen Umgang von Versicherungsgeldern und Steuern hätten.
Berechnungen des Forums selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen,
ForseA, haben ergeben, dass Kosten, die durch die Persönliche Assistenz
entstehen, zu mehr als 50 Prozent an die Gemeinschaft zurückfließen:
Assistentinnen und Assistenten werden in regulären Arbeitsverhältnissen
beschäftigt. Das heißt, es werden Sozialversicherungsbeiträge
in Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung eingezahlt
sowie Steuern entrichtet. Gleichzeitig erfahren Arbeitslosenversicherungen
und Sozialhilfeträger durch nicht mehr an Arbeitslose zu entrichtende
Leistungenen Entlastung. Frühverrentungen können vermieden
werden. Da sich in Deutschland aufgrund der demografischen Entwicklung
die so genannte Alterspyramide in einen „Alterspilz" wandelt,
also immer weniger Beitragsleistende immer mehr Leistungsberechtigte
finanzieren müssen, ist dies ein nicht zu ignorierender Faktor.
Nicht zu unterschätzen ist, dass im Bereich der Persönliche
Assistenz Arbeitsplätze für Arbeitslose geschaffen werden,
die mit den allgemein üblichen Bedingungen keine Chance auf einen
Arbeitsplatz haben. So bevorzugen viele allein erziehende Mütter
die so genannte Blockarbeitszeit (eine gewisse Anzahl von Arbeitstagen
mit erhöhten Arbeitsstunden) und haben anschließend im Block
Freizeit, in der sie sich ausgeruht ihren Kindern widmen können.
Die Kinderbetreuung lässt sich außerdem leichter organisieren
als in vielen anderen (Schicht-)arbeitsverhältnissen.
Arbeitslose,
die in ihren Heimatkommunen wegen der hohen Arbeitslosigkeit keine Anstellung
finden, müssen oft zur Arbeitsstelle umziehen und ihr soziales
Umfeld aufgeben. Das ist bei einer Blockarbeitszeit ebenfalls nicht
notwendig, da die Blockfreizeit einen Umzug nicht zwangsläufig
notwendig macht.
Da die Einkommen der Assistentinnen und Assistenten in der Regel höher
sind als Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, steigt so die Kaufkraft.
Dies kommt wiederum der Wirtschaft zugute, da der innerdeutsche Konsum
in den vergangenen Jahren auch mangels Kaufkraft stark zurück gegangen
ist. Durch Persönliche Assistenz wird also die Wirtschaft „angekurbelt";
und die auf Konsumgüter zu entrichtende Mehrwertsteuer füllt
die Steuerkassen zusätzlich.
Trotz aller positiven Gesichtspunkte sind Politik und Verwaltung häufig
schwer von den Vorteilen der Persönliche Assistenz zu überzeugen.
In Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich wird nur ungern investiert,
da dort keine direkte Wertschöpfung wie im produktiven Bereich
erfolgt. Gleichzeitig liegt die Zukunft im Dienstleistungsbereich, da
du die zunehmende Technisierung immer weniger Menschen zur Produktion
von Gütern benötigt werden.
Nicht zuletzt sollte bedacht werden, dass auch die Assistenznehmenden
selbst durch die Persönliche Assistenz eher Chancen haben, eine
Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bekommen. Andere Versorgungsstrukturen
ermöglichen das wesentlich seltener. Durch die Erwerbstätigkeit
der Assistenznehmenden stellen sich die gleichen positiven Effekte ein
wie bei den Assistenzleistenden. Sie werden zu Steuern- und Sozialversicherungszahlern...
Ein weiteres Hemmnis gesamtvolkswirtschaftlichen Denkens ist das stark
gegliederte Sozialversicherungssystem in Deutschland. So interessieren
nicht der insgesamte Nutzen oder die insgesamten Kosten, die der Volkswirtschaft
entstehen. Vielmehr werden durchaus teuere Leistungen akzeptiert, so
lange sie nur von einem anderen Kostenträger finanziert werden.
Bei der Berechnung der Kosten für die Persönliche Assistenz
werden in der Regel nur die direkt entstehenden Lohn- und Lohnnebenkosten,
die bei umfangreichen Assistenzen höher sein können als die
Kosten in einer Anstalt, gesehen. Nicht berücksichtigt wird bei
den Kostenberechnung für die Anstaltsunterbringung hingegen, dass
diese hohe Subventionen beinhalten. So kostet alleine der Bau eines
Anstaltsplatzes in Deutschland zwischen 80.000 und 100.000 Euro (eine
Summe, für die jedem assistenznehmenden Menschen eine kleine Eigentumswohnung
zur Verfügung gestellt werden könnte). Investitionskosten
für Reparaturen und Instandhaltung sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Das gegliederte Sozialversicherungssystem ist ein Hemmnis, Hilfen unproblematisch
mittels Persönlicher Assistenz organisieren zu können. Ein
mindestens genau so großes sind die Lobbyisten der Anstaltsbetreiber,
die alles dafür tun, dass ihre Anstalten gefüllt und damit
lukrativ bleiben. Nur wenige interessieren die Lebensqualität und
Selbstbestimmung der behinderten Menschen. Und in vielen Aufsichtsräten
der Wohlfahrtsverbände, welche die Anstalten betreiben, sitzen
Politikerinnen und Politiker, die darüber mitentscheiden, ob die
Gesetzgebung zu Gunsten der Persönliche Assistenz geändert
werden.
Es wird an den behinderten Menschen und ihren Organisationen sein,
dafür zu kämpfen, dass alle, die es wollen, mit Persönlicher
Assistenz leben können.