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Die Würde des Menschen darf nicht angetastet werden !

Archiv - INFORUM 1/2000

Die Würde des Menschen darf angetastet werden !?

von Elke Bartz

Diese Behauptung ist weder abwegig noch zynisch noch polemisch. In ihrer Menschenwürde verletzt fühlen sich zwei behinderte Schwestern, Isolde und Elke Hauschild aus Leipzig. Ich behaupte, sie fühlen sich nicht nur so; sie wurden in ihrer Würde verletzt.

Eine Richterin, die sich anscheinend nicht einmal richtig in die Akte eingearbeitet hat, entscheidet über den Grundbedarf und die Lebensqualität zweier Menschen, mit deren Situation sie sich in keiner Weise korrekt auseinandergesetzt hat.

Ich selbst habe an der Verhandlung leider nicht teilgenommen. Die Schilderungen der beiden Schwestern und deren Rechtsanwaltes sind jedoch absolut glaubwürdig. Die Schwestern neigen weder zur Übertreibung, noch sind sie in ihren Aussagen unsachlich. Das Ergebnis der Gerichtsverhandlung spricht für sich. Auch der Rechtsanwalt bestätigte in einem Telefonat die Schilderungen von Isolde und Elke Hauschild.

Die Schwestern beantragten das ArbeitgeberInnenmodell bei ihrem zuständigen Sozialamt in Leipzig, da die Versorgung durch ihre Mutter krankheits- und altersbedingt nicht mehr gesichert war. Das Sozialamt lehnte den Antrag ab.

Wegen der Dringlichkeit wurde eine Einstweilige Anordnung beim zuständigen Verwaltungsgericht beantragt. Dieser wurde stattgegeben. Seit Mitte Dezember beschäftigen Isolde und Elke Hauschild ihre AssistentInnen.

Im Vorfeld sollten sie ermitteln, ob nicht ein ambulanter Dienst ihre Versorgung ausreichend und kostengünstiger (als das ArbeitgeberInnenmodell) sichern könnte. Auch das Sozialamt bemühte sich, einen solchen Dienst zu finden. Dies gelang nicht.

Daher gingen sowohl die Schwestern als auch ihr Rechtsanwalt im Bewusstsein in die Verhandlung, dass diese wohl in wenigen Minuten vorüber sein würde.

Schließlich stand als einzige Versorgungsmöglichkeit nur das ArbeitgeberInnenmodell zur Verfügung. Nach fast zweistündiger Verhandlungsdauer verließen sie das Gericht mit dem Gefühl, Schmarotzer der Gesellschaft und Almosenempfänger ohne Anspruch auf ein gleichberechtigtes Leben in der Gesellschaft zu sein.

Die Richterin ihrerseits war vermutlich, ohne die Akte (genau) zu kennen, ebenfalls im Bewusstsein einer schnellen Entscheidung in die Verhandlung gegangen. Es erweckte den Eindruck, sie erwartete, dass ein (zumindest nach ihrer Meinung) geeigneter ambulanter Dienst die Assistenz (kostengünstig) übernehmen würde.

Einerseits berief sie sich ständig auf das Gutachten des MDKs, um zwischendrin zugeben zu müssen, sie wisse nicht, wer der MDK sei. In diesem Gutachten steht, dass beide Schwestern über einen außergewöhnlich hohen Pflegebedarf verfügen und eine Wiederholungsbegutachtung nicht stattfinden müsse. Das heißt, selbst der MDK zweifelt nicht daran, dass der Hilfebedarf sich nicht reduzieren wird.

Nun wäre nach menschlichem Ermessen die logische Schlussfolgerung, die Kostenübernahme für das ArbeitgeberInnenmodell anzuordnen. Das scheint jedoch nicht im Sinne der Richterin gewesen zu sein, denn plötzlich zweifelte sie, ob der seit Jahren feststehende Assistenzbedarf tatsächlich der Realität entspräche.

Ihre Sachkunde bewies sie unter anderem mit der Frage, ob die Schwestern mit Hilfe von Krücken laufen könnten. Weiterhin war sie sehr verblüfft darüber, dass der nächtliche Hilfebedarf lediglich aus mehrmaligem Umlagern sowie mehrmaligen Hilfen bei Toilettengängen besteht. Hatte sie erwartet, des nachts würden dreigängige Menüs gekocht und der Hausputz getätigt?

Die Module aus der Pflegeversicherung – die das BSHG im übrigen so gar nicht anwenden darf – erschienen ihr als zeitlich völlig angemessen. Schließlich habe sie schon öfters einer Körperpflege zugesehen (nur leider nicht bei den beiden Schwestern). Ständig berief sie sich auf die begrenzten Leistungen der Pflegeversicherung, anscheinend verwechselnd, es hier mit dem Verwaltungs- und nicht dem Sozialrecht und dem BSHG mit seiner Bedarfsdeckung zu tun zu haben (während sie nach Gutdünken jedoch die anerkannten Zeiten und den anerkannten Hilfebedarf ignorierte).

Weiterhin mussten sich die Schwestern anhören, es sei zumutbar:

  • eine Stunde warten zu müssen, wenn sie auf die Toilette müssen,
  • nachts eine Stunde warten zu müssen, wenn sie wegen Schmerzen umgelagert werden wollen,
  • erst mittags zu frühstücken, wenn nur eine Assistentin eingesetzt wird und die Assistenz der Schwestern nacheinander so lange dauert, dass sie erst zur Mittagszeit angezogen, gewaschen etc sind,
  • lediglich einmal wöchentlich das Haus in Begleitung von Assistentinnen verlassen zu dürfen zum Einkaufen, spazierengehen, Kino- und Freundebesuchen und allen anderen außerhäusigen Aktivitäten (ubrigens, selbst einem Strafgefangenen steht der tägliche Hofgang zu!).
  • in voller Bekleidung (Mantel etc.) warten zu müssen, wenn sie mehr als einmal in der Woche das Haus verlassen wollen, ein Fahrdienst sie in die Stadt bringt und ein (von der Richterin angestrebter) ambulanter Dienst sie schon eine Stunde vorher ankleidet.

Von der Vorsitzenden und auch von einer beisitzenden Richterin bekamen sie einige Mal mehr oder weniger deutlich zu hören, sie würden auf Kosten der Gesellschaft leben und daher Einschränkungen hinnehmen müssen. Dies stellt eine absolute Diskriminierung dar. Schließlich wollen die Schwestern kein Luxusleben auf Kosten anderer führen, sondern lediglich ihren Hilfebedarf decken.

Geradezu als Hohn erscheint das zumal, da beide Schwestern einen außergewöhnlichen Pflegebedarf haben und beide rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen sind. Dennoch haben sie bei der Beantragung des ArbeitgeberInnenmodells genau überlegt, ob sie tatsächlich jede zu jeder Zeit eine eigene Assistentin beantragen sollen. Sie kamen zu dem Schluss, sich täglich 17 Stunden eine Assistentin zu „teilen", obwohl das natürlich mit Einschränkungen verbunden ist, denn so können sie nur in den sieben Stunden, in denen zwei Assistentinnen anwesend sind, etwas unabhängig voneinander unternehmen. Sie haben also ihre Bedürfnisse auf das absolut notwendige eingeschränkt und folglich keine zeitliche „Manövriermasse" bei der Verhandlung einzusetzen gehabt. Sie wollten Rücksicht nehmen und nicht mehr Leistungen beantragen, als sie zwingend notwendig brauchen. Doch nun wurde ihre Ehrlichkeit ihnen zum Verhängnis. Ein Schlag ins Gesicht!

Eine der besitzenden Richterinnen fragte zudem, ob die beiden schwerstbehinderten Schwestern überhaupt einen Schwerbehindertenausweis hätten und ob das „B" für Begleitung dort eingetragen sei. Als diese erwiderten, auch das „H" für hilflos stünde in den Ausweisen, ließ sie sich den von Elke Hauschild zeigen.

Die Vorsitzende Richterin weigerte sich weiterhin, eine Entscheidung zu treffen, bevor ihr ein Gutachten zur Ermittlung des Hilfebedarfs, das sie in Auftrag geben wollte, vorläge. Die Einwände des Rechtsanwaltes, der auf drohende Unterversorgung hinwies, da die Schwestern nicht über genügend Einkommen und Vermögen verfügen, um die Assistenzkosten eine gewisse Zeit vorzufinanzieren, interessierte sie nicht. Selbstverständlich hat der Anwalt eine erneute Einstweilige Anordnung beantragt. Die Schwestern können nicht das Risiko eingehen, die Assistentinnen zu verlieren, weil sie die Löhne nicht auszahlen können.

Schon fast pervers ist die Tatsache, dass es in der Verhandlung eigentlich nicht um die Feststellung des Umfangs des Hilfebedarfs ging (der schon seit vielen Jahren feststeht), sondern um die Deckung des Bedarfs.

Der „Fall" Isolde und Elke Hauschild beweist den menschenverachtenden Umgang mit Behinderten, die auf Nachteilsausgleiche angewiesen sind. Es ist für die Geschwister persönlich ungeheuer belastend, spiegelt aber auch deutlich den Stellenwert behinderter Menschen wider. Glücklicherweise gibt es auch RichterInnen, die Gesetze ihrem Sinn entsprechend anwenden und behinderte Menschen wie Antragsteller und nicht wie Schmarotzer behandeln.

Wir wünschen Elke und Isolde Hauschild einen Gutachter, der ihre Situation richtig einschätzt und der Richterin verdeutlicht, dass ein rund-um-die-Uhr-Bedarf täglich 24 Stunden beinhaltet.

 

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