Internationaler Protesttag am 5. Mai 2000
in Künzelsau
Künzelsau Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte,
Kinder mit Down-Syndrom, blinde Menschen, ihre Angehörigen und
Freunde schlossen sich zum "Bündnis für Gleichstellung"
zusammen. Sie demonstrierten in Künzelsau für ihre Gleichberechtigung.
Unterstützt wurden sie dabei lautstark vom Bad Mergentheimer Deutschmeister
Spielmannszug Weiß-Blau.
Seit 1994 gibt es den Europäischen Protesttag behinderter Menschen.
Wie in Künzelsau machten am 5. Mai in über 200 Städten
Deutschlands und unzähligen weiteren Städten Europas behinderte
Menschen auf Benachteiligungen und Diskriminierungen, mit denen sie
alltäglich konfrontiert werden, aufmerksam. Mit Demonstrationen,
Podiumsdiskussionen, aber auch mit kulturellen Veranstaltungen beweisen
sie, dass sie ganz normale Bürger und Bürgerinnen wie alle
anderen auch sind, jedoch oft genug nicht so behandelt werden.
So leben alleine in Krautheim rund hundert Rollstuhlfahrer. "Obwohl der Bundesverband
Selbsthilfe Körperbehinderter nun schon seit 45 Jahren besteht und ein in Krautheim
ansässiges Verkehrsunternehmen praktisch vor Ort ist, gibt es nach wie vor
keine Busse, die uneingeschränkt von Rollstuhlfahrer genutzt werden können.
Erst kürzlich bekamen wir zu hören, es rechne sich nicht, entsprechende
Busse anzuschaffen," berichtet Peter Strohbach, Vorstandsmitglied des BSK.
Sein Kollege Robby Beer ergänzt: "Der Behindertenfahrdienst des Hohenlohekreises,
dessen Leistungen ja ohnehin kontingentiert sind, steht den Heimbewohnern erst gar
nicht zur Verfügung. Das ist eine ungeheuere Benachteiligung".
Doch Integration und Gleichberechtigung beginnen schon im Kindesalter.
So fordert Roland Geist von der Organisation Gemeinsam leben - gemeinsam
Lernen die freie Wahl der Kindergärten und Schulen. Verweis auf
Sondereinrichtungen darf es nicht geben. Eltern und ihre Kinder müssen
selbst entscheiden können, ob die Kinder Regel- oder Sondereinrichtungen
besuchen. Das kann Ehrenfried Biehal von der Lebenshilfe nur unterstreichen.
"Arbeitsplätze müssen den Menschen und nicht die Menschen
den Arbeitsplätzen angepasst werden," so Hubert Meixner vom
Berufsbegleitenden Dienst. "Unsere Arbeit ist mehr wert als 200
oder 500 DM, die wir in der WfB bekommen. Es wird höchste Zeit,
dass die Ausgleichsabgabe, die Betriebe zahlen müssen, welche die
Beschäftigungsquote nicht erfüllen, erhöht wird,"
fordert Sabine Schüll, Werkstatträtin der Werkstätte
für Behinderte in Krautheim. Großen Beifall findet die Aussage
der Heimbeirätin des Eduard-Knoll-Wohnzentrums, die meint: "Wir
sind keine Menschen zweiter Klasse und wollen auch nicht so behandelt
werden."
"Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, steht seit 1994
im Grundgesetz," berichtet Elke Bartz vom Forum selbstbestimmter Assistenz
behinderter Menschen. "Doch man könnte meinen, es stünde der Nachsatz
dahinter ....sofern das nicht mit Kosten verbunden ist. Zu oft werden die Belange behinderter
Menschen ausschließlich unter dem Kostenaspekt und nicht nach Bürgerrechten
bewertet. Die zurzeit in der Vorbereitung befindlichen neuen Gesetze, nämlich
ein Gleichstellungsgesetz und ein Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) müssen
nachhaltige Verbesserungen bringen, sonst sind sie nicht das Papier wert, auf dem
sie geschrieben werden. Das gleiche gilt für das Schwerbehindertengesetz, das
am 1. August diesen Jahres in Kraft tritt."
Ingeborg Wiemer von der Hohenloher Interessengemeinschaft selbstbestimmtes Leben
fordert die konsequente Beachtung der Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit
Behinderungen. An den Vertreter der Stadt Künzelsau, Hauptamtsleiter Voit,
gewandt präzisiert sie, dass z.B. die Volkshochschule von Rollstuhlfahrern
wegen der dortigen Treppen
nicht genutzt werden kann. Dazu Voit "Es ist kein böser Wille, sondern
häufig Unachtsamkeit und mangelnde Erfahrungen, wenn wir Barrieren einfach
nicht erkennen. Doch wir sind in der Zusammenarbeit mit behinderten Menschen stets
darauf bedacht, Hindernisse zu beseitigen." Er forderte auf, entsprechende
Hinweise zum Beispiel auf zu hohe Bordsteine zu geben, damit diese abgesenkt werden
können.
Sven Schäfter, Mitarbeiter der Evangelischen Stiftung Lichtenstern
in Öhringen, spricht wohl allen aus dem Herzen, wenn er meint:
"Es muss normal sein, verschieden zu sein!"