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Die Sozialversicherung light für "Altfälle" |
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Archiv - INFORUM 2/2000
Die Sozialversicherung light für "Altfälle"?
von Gerhard Bartz
Wann wird es endlich so weit sein, dass Abgeordnete zusammen mit eng
verflochtenen Lobbyisten genannt werden? Dann könnte man in der
Zeitung folgenden Satz lesen: "Der Bundestagsabgeordnete Dr. M.
(Verband der privaten Lebensversicherer) betonte zum wiederholten Mal,
dass die gesetzliche Rentenversicherung in Kürze pleite und bis
dahin mit enormen Beitragssteigerungen zu rechnen ist."
Es ist immer wieder aufs neue faszinierend, mit welcher Beliebigkeit
"Sachverständige" in die Zukunft schauen. Ich kann mich
des Eindruckes nicht verwehren, dass das Ergebnis der Vorschau stets
ergebnisorientiert ist und bereits von vorn herein feststeht.
Im Ernst: Unsere Altersversorgung wird zur Zeit sehr stark unter Druck
gesetzt. Sehr viele Leistungen fließen an Empfänger, die
zuvor keine Beiträge gezahlt haben, ebenso für Aufgaben, die
mit den originären Aufgaben einer Rentenversicherung nichts zu
tun haben. Sie wurden den immer weniger werdenden Beitragszahlern aufgebürdet.
Steuerfinanziert würden diese Aufwendungen von (nahezu) allen getragen
und die Entlastung der Rentenversicherung wäre da. Aber ist das
auch gewollt?
Politiker, nicht nur aus Reihen der FDP, fordern, dass endlich mehr
private Vorsorge getroffen werden soll (siehe oben?). Wenn man nun davon
ausgeht, dass bei steigender privater Vorsorge die gesetzlichen Leistungen
weiter zurückgenommen werden (schließlich sollen die Beitragszahler
entlastet werden!), sind behinderte Menschen stark benachteiligt.
Zum einen haben sie Probleme, in die privaten Unternehmen aufgenommen
zu werden. Für den Fall, dass dies doch gelingt, drohen hohe Beitragsaufschläge
wegen des - oft vermeintlich - hohen Risikos des frühzeitigen Versicherungsfalles.
Das Problem ist auch anders anzugehen: Bei der ganzen Debatte geht es
letztendlich darum, die Arbeitgeberanteile und damit die Lohnnebenkosten
zu senken. Durch die gesetzliche Vorgabe, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber
stets die Hälfte der Beiträge zahlen, führen steigende
Beiträge analog auch zu steigenden Arbeitgeberanteilen. Auch um
diese in Jahrzehnten bewährte Parität der Beiträge zu
erhalten, belastet man die Arbeitnehmer einseitig mit den Aufwendungen
für die private Vorsorge. An alte, kranke, und behinderte Menschen
wird dabei nicht gedacht.
Dabei muss man nur diese Parität zu Lasten der Arbeitnehmer aufzulösen.
Der Arbeitnehmer bezahlt etwas mehr, bei weitem jedoch nicht so viel
mehr, wie er in ein privates Unternehmen einzahlen würde. Der Vorteil
läge darin, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung alle Strukturen
bereits vorhanden sind. Es fehlt lediglich das Geld. Und auf eben dies
lauert natürlich auch die deutsche Versicherungswirtschaft.
Ähnlich verhält es sich in der Krankenversicherung: Die Arbeitgeberverbände
fordern, dass sich der Arbeitgeberanteil nur noch an dem Beitragsniveau
der billigsten Krankenkasse orientieren soll. Damit wäre der Arbeitnehmeranteil
in vielen Fällen um 30 bis 50 Prozent über dem seines Arbeitgebers.
In der Folge würden dieser Krankenkasse (i.d.R. Betriebskrankenkasse)
sturzflutartig Mitglieder zufließen, was wiederum die teureren
Krankenkassen zwingen würde, die Beiträge drastisch zu senken,
um wieder konkurrenzfähig zu sein.
Klingt doch bis hierher ganz gut, oder?
Da eine Krankenkasse (angenommen) nicht kurzerhand auf Einnahmen verzichten
kann muss sie auch auf der Ausgabenseite einsparen. Schon jetzt wird
darüber nachgedacht, verschiedene Versicherungsklassen anzubieten.
Der wirtschaftlich potente Beitragszahler erhielte dann das Paket de
Luxe, das als kleines Präsent auch einen wöchentlichen Friseurbesuch
einschließt. Der arme Schlucker oder der assistenzabhängige
behinderte Mitmensch bekäme staatlicherseits die Mindestversorgung
(z.B. eine aus den USA eingeschmuggelte Schachtel Aspirin monatlich).
Nennen Sie das meinetwegen Polemik, meine Erfahrungen haben gezeigt,
dass das Leben sehr oft jede Überzeichnung noch zu übertreffen
verstanden hat.
Apropos Lohnnebenkosten: Wenn unsere Sozialversicherung insgesamt um
5 Prozent teurer würde, beträfe es die Arbeitgeber um 2,5
Prozent. Bei einem durchschnittlichen Lohnanteil von 20 Prozent des
Verkaufspreises (vermutlich hoch gegriffen) verbleiben 0,5 % als preistreibende
Kostensteigerung durch die Erhöhung des Versicherungsbeitrages.
Wenn Sie diesem Unternehmen jedoch als Käufer gegenübertreten,
können Sie handeln wie auf dem Basar von Kairo. Innerhalb weniger
Minuten haben Sie den Preis Ihres Neuwagens um zehn Prozent runtergehandelt.
Toll, nicht?
Archiv - INFORUM 2/2000
Die Sozialversicherung light für "Altfälle"?
von Gerhard Bartz
Wann wird es endlich so weit sein, dass Abgeordnete zusammen mit eng
verflochtenen Lobbyisten genannt werden? Dann könnte man in der
Zeitung folgenden Satz lesen: "Der Bundestagsabgeordnete Dr. M.
(Verband der privaten Lebensversicherer) betonte zum wiederholten Mal,
dass die gesetzliche Rentenversicherung in Kürze pleite und bis
dahin mit enormen Beitragssteigerungen zu rechnen ist."
Es ist immer wieder aufs neue faszinierend, mit welcher Beliebigkeit
"Sachverständige" in die Zukunft schauen. Ich kann mich
des Eindruckes nicht verwehren, dass das Ergebnis der Vorschau stets
ergebnisorientiert ist und bereits von vorn herein feststeht.
Im Ernst: Unsere Altersversorgung wird zur Zeit sehr stark unter Druck
gesetzt. Sehr viele Leistungen fließen an Empfänger, die
zuvor keine Beiträge gezahlt haben, ebenso für Aufgaben, die
mit den originären Aufgaben einer Rentenversicherung nichts zu
tun haben. Sie wurden den immer weniger werdenden Beitragszahlern aufgebürdet.
Steuerfinanziert würden diese Aufwendungen von (nahezu) allen getragen
und die Entlastung der Rentenversicherung wäre da. Aber ist das
auch gewollt?
Politiker, nicht nur aus Reihen der FDP, fordern, dass endlich mehr
private Vorsorge getroffen werden soll (siehe oben?). Wenn man nun davon
ausgeht, dass bei steigender privater Vorsorge die gesetzlichen Leistungen
weiter zurückgenommen werden (schließlich sollen die Beitragszahler
entlastet werden!), sind behinderte Menschen stark benachteiligt.
Zum einen haben sie Probleme, in die privaten Unternehmen aufgenommen
zu werden. Für den Fall, dass dies doch gelingt, drohen hohe Beitragsaufschläge
wegen des - oft vermeintlich - hohen Risikos des frühzeitigen Versicherungsfalles.
Das Problem ist auch anders anzugehen: Bei der ganzen Debatte geht es
letztendlich darum, die Arbeitgeberanteile und damit die Lohnnebenkosten
zu senken. Durch die gesetzliche Vorgabe, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber
stets die Hälfte der Beiträge zahlen, führen steigende
Beiträge analog auch zu steigenden Arbeitgeberanteilen. Auch um
diese in Jahrzehnten bewährte Parität der Beiträge zu
erhalten, belastet man die Arbeitnehmer einseitig mit den Aufwendungen
für die private Vorsorge. An alte, kranke, und behinderte Menschen
wird dabei nicht gedacht.
Dabei muss man nur diese Parität zu Lasten der Arbeitnehmer aufzulösen.
Der Arbeitnehmer bezahlt etwas mehr, bei weitem jedoch nicht so viel
mehr, wie er in ein privates Unternehmen einzahlen würde. Der Vorteil
läge darin, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung alle Strukturen
bereits vorhanden sind. Es fehlt lediglich das Geld. Und auf eben dies
lauert natürlich auch die deutsche Versicherungswirtschaft.
Ähnlich verhält es sich in der Krankenversicherung: Die Arbeitgeberverbände
fordern, dass sich der Arbeitgeberanteil nur noch an dem Beitragsniveau
der billigsten Krankenkasse orientieren soll. Damit wäre der Arbeitnehmeranteil
in vielen Fällen um 30 bis 50 Prozent über dem seines Arbeitgebers.
In der Folge würden dieser Krankenkasse (i.d.R. Betriebskrankenkasse)
sturzflutartig Mitglieder zufließen, was wiederum die teureren
Krankenkassen zwingen würde, die Beiträge drastisch zu senken,
um wieder konkurrenzfähig zu sein.
Klingt doch bis hierher ganz gut, oder?
Da eine Krankenkasse (angenommen) nicht kurzerhand auf Einnahmen verzichten
kann muss sie auch auf der Ausgabenseite einsparen. Schon jetzt wird
darüber nachgedacht, verschiedene Versicherungsklassen anzubieten.
Der wirtschaftlich potente Beitragszahler erhielte dann das Paket de
Luxe, das als kleines Präsent auch einen wöchentlichen Friseurbesuch
einschließt. Der arme Schlucker oder der assistenzabhängige
behinderte Mitmensch bekäme staatlicherseits die Mindestversorgung
(z.B. eine aus den USA eingeschmuggelte Schachtel Aspirin monatlich).
Nennen Sie das meinetwegen Polemik, meine Erfahrungen haben gezeigt,
dass das Leben sehr oft jede Überzeichnung noch zu übertreffen
verstanden hat.
Apropos Lohnnebenkosten: Wenn unsere Sozialversicherung insgesamt um
5 Prozent teurer würde, beträfe es die Arbeitgeber um 2,5
Prozent. Bei einem durchschnittlichen Lohnanteil von 20 Prozent des
Verkaufspreises (vermutlich hoch gegriffen) verbleiben 0,5 % als preistreibende
Kostensteigerung durch die Erhöhung des Versicherungsbeitrages.
Wenn Sie diesem Unternehmen jedoch als Käufer gegenübertreten,
können Sie handeln wie auf dem Basar von Kairo. Innerhalb weniger
Minuten haben Sie den Preis Ihres Neuwagens um zehn Prozent runtergehandelt.
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