Gefallen uns die Personengebundenen Pflegebudgets wirklich?
Ein Kommentar von Carsten Sporkmann
Personengebundene Pflegebudgets - oder kurz: Persönliche Budgets
- sind gegenwärtig überall in Mode. Deshalb lohnt es sich,
die Ausführungen von Thomas Klie im Artikel „Wie
es Euch gefällt: Personenbezogene Pflegebudgets proben den Auftritt"
einzuschätzen.
Mit einer Experimentierklausel fängt erst einmal alles an. Damit
klingt alles schön harmlos, damit kann erst einmal ausprobiert
werden. Dass die Budgetleistungen sich in Höhe der Sachleistungen
orientieren SOLLEN, mag einleuchten. Kritisch erscheint mir aber die
Umsetzung durch die Kostenträger, die die Beträge eher andersherum
anpassen möchten. Die für viele assistenznehmenden Menschen
viel wichtigeren Sozialhilfeleistungen (SGB XII/BSHG) werden - wie so
oft - auch von Thomas Klie erst versteckt behandelt.
Er sagt natürlich, dass es eine Limitierung durch die Kostenträger
geben kann, wodurch das Individualisierungsprinzip gemäß
§ 3 (und § 3a) BSHG noch weiter eingeschränkt wird. Insofern
mag es nicht weiter verwundern, dass er hier auf Wettbewerb setzt. Schwarze
bzw. graue Märkte werden (wieder) weiß? Da muss das Finanztableau
stimmen!
Die von Klie bestätigten nicht positiven Erfahrungen mit Persönlichen
Budgets (PBs) im SGB XI bestätigen, dass die Pflegeversicherung
nicht einfach so reformiert werden kann. Der von Klie unter fachwissenschaftlicher
Sicht festgestellten Präferenz für die Pflegegeldleistungen
muss ich entgegenhalten, dass es sich um eine gewisse Ausbeutung von
Pflegepersonen handelt, da diese nicht in entgeltpflichtigen normalen
Arbeitsverhältnisen beschäftigt sind. Er bestätigt indirekt
auch, dass trotz der großen Präferenz für die Pflegegeldleistung
nach wie vor im ambulanten Bereich Defizite bestehen. Diese resultieren
daraus, dass niemand gerne im Heim leben möchte; insofern wird
eben das Pflegegeld als die bessere Variante betrachtet.
Dass Klie Assistenz als Suffix „ambulanter Angebote" nennt
und dann noch mit dem Zivildienst verknüpft, ist eine Verkennung
und Verhöhnung assistenznehmender Menschen: Die Frage von Zwangsdiensten
und Fremdbestimmung ist hier gar nicht diskutiert! Das Arbeitgebermodell
ist als ebenso professionelle Alternative zu Ehrenamtlichkeit, Familienfron
und sozialen Diensten offensichtlich übergangen worden.
Gleichwohl ist anzuerkennen, dass Klie hiermit auch wieder das primäre
Sozialrecht der Pflegeleistungen (SGB XI) als untauglich ansieht. Dass
die Pflegedienste ihr Angebot verändern und flexibilisieren sollen,
ist schön und gut, aber um welchen Preis? Die Verhinderung oder
Hinauszögerung von Heimeinweisungen ist zwar auch unser Anliegen.
Ob aber die Persönlichen Budgets insbesondere bei umfangreicheren
Assistenzbedarfen etwas verhindern können, wage ich zu bezweifeln.
Warum erwähnt Klie - wie viele andere auch - nicht das schwedische
Modell? Es mag das fortschrittlichere sein, findet aber im Gegensatz
zu den abgespeckteren Varianten hierzulande kaum publizistischen Niederschlag!
Persönliche Budgets gibt es de jure in Deutschland nur in München,
aber faktisch auch in Rheinland-Pfalz (mit Ergänzungsleistungsanspruch
bei Bedarf). Auch das wird wieder nicht erwähnt.
Die von Klie festgestellten Gefahren - insbesondere (pflegefachliche)
Qualitätseinbußen, Missbrauch und Dumpingjobs - können
wir aus der Sicht assistenzabhängiger Menschen deutlich bestätigen.
Die Case Manager sollen beraten - und kontrollieren. Schärfer
als der MDK? Dem müsste dadurch entgegen gewirkt werden, dass Peer
Counceling-Fachkräfte mit ihrem eigenen Know-How umfassend eingebunden
werden. Nur dann wären Case Manager akzeptabel.
Ob durch die direkten Zuwendungen in Geldform auch das Versorgungsniveau
steigt, ist nicht abschließend einzuschätzen. Es hängt
wieder von der finanziellen Ausstattung ab! Da kann er sich hinter komplexen
Erklärungsversuchen verstecken. Denn die Sachleistungen sinken
ja auch durch den gedeckelten Betrag und steigende Lohnkosten.
Die Zusammenführung von bedarfsorientierten, ausreichenden Leistungen
aus einer Hand muss Vorrang haben. Darauf geht Klie aber nicht direkt
ein, er bezieht sich nach wie vor auf den „Mix" von Pflege-,
Sozialhilfe- und Rehaleistungen. Das trägt zwar den herrschenden
gesetzlichen Bestimmungen und insbesondere der Pflegeversicherung Rechnung,
nicht aber dem Wunsch vieler Betroffener!
Die immer wieder geforderte Einführung von Messinstrumenten müssen
wir insofern als weiteren Schritt zum gläsernen Behinderten ansehen.
Die Folge daraus ist eine stärkere Reglementierung und Beschneidung
der Wahlfreiheiten. Das Metzler-Verfahren lässt grüßen:
Wer nicht in die Kategorie reinpasst, bekommt demnächst nicht mehr
die adäquate Assistenz, die benötigt wird.
Auch die einheitliche Prüfung von Voraussetzungen ist - zutreffend
- ein Erfolg für das Persönliche Budget. Dass Klie die Einführung
des Persönlichen Budgets nur im Zusammenhang mit dem Rationalisierungs-
und Einsparpotenzial in Verbindung bringt, ist nur die eine, aber die
wichtigere Seite. Es fällt der Aspekt der Umverteilung aus dem
Blickwinkel: Nicht Einsparungen, sondern Umverteilung im bisherigen
System ist vonnöten. Und zwar von den stationären Einrichtungen
weg hin zu den ambulanten Leistungsformen.
Insgesamt erscheint mir der Artikel ein bisschen zu rosarot geschrieben.
Thomas Klie fokussiert sich primär auf den ambulanten Bereich und
sucht hier eine Neustrukturierung innerhalb dieses Teilsystems zu skizzieren.
Assistenzabhängige Menschen mit Behinderungen sind jedoch häufig
in stationären Einrichtungen untergebracht. Sie sind weiterhin
benachteiligt, denn der Kostenvorbehalt für die Inanspruchnahme
persönlicher Assistenz wird nicht aufgehoben. Und ohne eine deutlichere
Distanzierung vom stationären System wirkt der Artikel von Klie
nicht gerade überzeugend. Die Praxis der Verwaltungen sieht nämlich
ganz anders aus!
So können uns die Personengebundenen Pflegebudgets nicht
gefallen!
Die Frage von Zwangsdiensten und Fremdbestimmung ist hier gar nicht
diskutiert! Das Arbeitgebermodell ist als ebenso professionelle Alternative
zu Ehrenamtlichkeit, Familienfron und sozialen Diensten offensichtlich
übergangen worden. Gleichwohl ist anzuerkennen, dass Klie hiermit
auch wieder das primäre Sozialrecht der Pflegeleistungen (SGB XI)
als untauglich ansieht. Dass die Pflegedienste ihr Angebot verändern
und flexibilisieren sollen, ist schön und gut, aber um welchen
Preis? Die Verhinderung oder Hinauszögerung von Heimeinweisungen
ist zwar auch unser Anliegen. Ob aber die Persönlichen Budgets
insbesondere bei umfangreicheren Assistenzbedarfen etwas verhindern
können, wage ich zu bezweifeln.