Die versteckten Benachteiligungen oder:
Von Kreditkarten und anderen Kleinigkeiten
Von Isolde Hauschild
Ich wusste: Irgendwann kommt der Tag, da geht es nicht mehr ohne…
Und jetzt ist dieser Zeitpunkt da – ich brauche eine Kreditkarte!
Nichts einfacher als das, denke ich. Ich will mich nach der Jahresgebühr
erkundigen und eine Kreditkarte bei meinem Bankinstitut beantragen…
Nichts einfacher als das? Irrtum! Ich lebe in Leipzig, bin seit meiner
Kindheit an progressiver Muskeldystrophie erkrankt und rund um die Uhr
auf Assistenz angewiesen.
Ich will ohne Probleme schnell und unkompliziert bezahlen können,
nur mit meiner Unterschrift, ohne PINNummer, die meine Assistentin eingeben
müsste.
Also mache ich mich auf die Suche, zuerst im Internet auf den Seiten
meines Bankinstituts, der Sparkasse Leipzig. Es stehen vier Kreditkartentypen
zur Wahl, alle inklusive Unfallversicherung. Zu den Versicherungsbedingungen
gibt es keine Angaben, auch auf den Seiten von VISA nicht: „Wenden
Sie sich an unser Partnerunternehmen", also die Sparkasse. Ich
schicke eine Mail und bitte um Auskunft, ob und wie die Kreditkarte
ohne Versicherungsschutz mit einer entsprechend geminderten Jahresgebühr
beantragt werden kann.
Umgehend erhalte ich Auskunft: Die Beantragung einer Kreditkarte ohne
Unfallversicherungsschutz ist nicht möglich. Ich rufe dennoch meine
zuständige Sparkasse an und will genau wissen, wie der Versicherungsschutz
aus der Jahresgebühr herausgenommen werden kann und wie viel das
ungefähr in Euro ausmacht. Da ich sowieso laut Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen
(AUB) zum „nicht versicherbaren Personenkreis" gehöre,
will ich natürlich auch nicht den Beitrag mit der Gebühr für
die Kreditkarte zahlen. Warum soll ich auch die Unfallversicherung Nichtbehinderter
subventionieren, ohne selbst im Schadensfall leistungsberechtigt zu
sein?
Zuerst weiß die Mitarbeiterin nicht, was ich meine. Deshalb erkläre
ich ihr, dass „dauernd Pflegebedürftige" sowie „Geisteskranke"
trotz Beitragszahlung nach § 3 AUB nicht versichert sind. Sie gibt
mir Recht und meint, dass sie auch nicht für eine Leistung bezahlen
würde, die sie nicht in Anspruch nehmen könne. Eben! Sie sucht
in der Preisliste, weil die Sparkassenangestellten nicht wissen, welchen
Anteil der Versicherungsbeitrag ausmacht. Außerdem schaut sie
auf dem Antragsformular nach, ob es überhaupt eine Wahlmöglichkeit
gibt. Weder das Eine noch das Andere sind auffindbar. Sie bietet mir
an: „Wenn ich vom ‚AktivKonto’ zum ‚ComfortKonto’
wechsle, gehört die Kreditkarte kostenlos dazu".
Allerdings ist die monatliche Kontogebühr dafür so hoch,
dass es teurer als die vollbezahlte Kreditkarte wäre und so verwirft
sie die Idee wieder. Sie verweist mich an die Kreditkartenabteilung
weiter. Die müssen das ja wissen, können mir sicher weiterhelfen.
Ich rufe die angegebene Telefonnummer an.
Die Mitarbeiterin dort ist weit weniger freundlich und hat für
meine Anfrage gar kein Verständnis. Es gibt die Kreditkarte entweder
für 18,- Euro mit Unfallversicherung oder ich kann eben keine kriegen.
Das sind doch nur ein paar Euro für die Versicherung, meint sie.
Den genauen Anteil weiß sie auch nicht. Ich erwidere, ich bezahle
nicht eine höhere Gebühr für etwas, das ich von vornherein
nicht in Anspruch nehmen kann und will trotzdem die Kreditkarte! Sie
meint, ich könne doch auch nicht die Leipziger Volkszeitung (die
größte Tageszeitung in Leipzig) billiger und ohne TV-Programm
verlangen, bloß weil ich keinen Fernseher hätte. Ich erkläre
ihr, dass sie beides nicht miteinander vergleichen könne und es
für mich eine Benachteiligung sei, wenn ich voll bezahlen müsse,
obwohl ich von vornherein ausgeschlossen bin. „Es ist so, wie
es ist, die Kreditkarte gibt es nur so". Das Gespräch ist
beendet.
Durch die Art, wie die Mitarbeiterin mich abfertigt und die rabiate
Zurechtweisung habe ich das Gefühl, ich verlange etwas völlig
Unmögliches und vor allem etwas völlig Unverständliches.
Entweder ich brauche die Kreditkarte, weil dadurch vieles einfacher
ist. Dann muss ich den höheren Jahrespreis bezahlen oder ich kann
keine Kreditkarte kriegen. Punkt! Nun bleibt mir noch, mich an die Chefetage
der Leipziger Sparkasse zu wenden und andere Bankinstitute zu befragen,
wie die das handhaben. Und Justizministerin Zypries sucht noch immer
eifrig nach Beweisen für Benachteiligungen behinderter Menschen!
Besonders wütend macht mich der Ausspruch: Das sind doch nur ein
paar Euro! Das begegnet mir immer wieder. Das „Erlebnis"
mit der Kreditkarte ist nur eines von vielen:
Möchte ich in Leipzig in ein Konzert, Theater etc. kaufe ich mir
eine Eintrittskarte im Vorverkauf. Meistens ist der Kartenbesitzer berechtigt,
drei Stunden vor und drei Stunden nach der Veranstaltung die öffentlichen
Verkehrsmittel in Leipzig kostenlos zu nutzen. Als Rollstuhlfahrerin
ist mir das nicht möglich, obwohl ich beim Kauf meiner Eintrittskarte
dafür bezahle. Um an den Veranstaltungsort zu kommen, bestelle
ich den Behindertenfahrdienst und bezahle zusätzlich dafür:
Das sind doch auch nur ein paar Euro!
Ähnlich verhält es sich, wenn ich mit dem Zug verreisen möchte.
Die Deutsche Bahn hält den Mobilitätsservice bereit, bei dem
ich als Rollstuhlbenutzerin meine Fahrt anmelden muss, um in den Zug
ein- bzw. ausgeladen zu werden. Die Zentrale hat weder auf den Bahnhöfen
ein Büro, noch kann ich den Service am Schalter bestellen. Das
geht nur per Telefon oder im Internet. Da ich sofort die Bestätigung
und die Reservierung haben möchte, rufe ich an – eine Servicenummer,
die pro Minute 0,12 Euro kostet. Nicht selten lande ich minutenlang
in der Warteschleife. Auch das stellt für mich eine Benachteiligung
dar: Ich kann ohne Voranmeldung und ohne die Hilfe des Mobilitätsservice
die Deutsche Bahn nicht nutzen, weil die Wagen nicht so ausgestattet
sind, dass ich problemlos einsteigen kann. Wäre es nicht gerecht,
wenigstens diesen Service mit kostenfreier Rufnummer auszustatten? Auch
hier gilt: Entweder ich bezahle oder ich kann den Mobilitätsservice
nicht bestellen und somit nicht mit der Deutschen Bahn fahren. Aber
das sind doch auch nur ein paar Euro!
Hier und da, immer wieder „nur" ein paar Euro mehr, das
summiert sich. Spreche ich die Ungleichbehandlung und Benachteiligung
an, wie in den oben genannten Fällen, gelte ich als kleinlich.
Auf die Aufforderung an meine Gesprächspartner, dass es ihnen dann
nicht schwer fallen dürfte, „die paar Euro" von ihrem
Geld auf mein Konto zu überweisen, reagieren sie ungehalten…
Warum wohl?
Die aufgezählten Beispiele sind nur wenige von vielen. Mich erschreckt,
dass mir spontan keine weiteren einfallen, obwohl ich sicher weiß,
dass es sie gibt. Aber diese Ungleichbehandlungen sind fast schon selbstverständlich,
so dass sie erst bei genauem Nachdenken ins Bewusstsein kommen. Und
wer regt sich schon wegen ein paar Euro auf?