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Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Archiv » Artikel » 03.04.2010 Die Wege der Evolution

Die Wege der Evolution

von Dr. Corina Zolle

Jetzt habt ihr den Salat! Wo wollt ihr denn hin mit all den Alten, Kranken und Behinderten?

LöweFrüher war alles anders! Da wurden alle, die nicht bei drei auf den Bäumen waren von den Löwen gefressen. Das ist das Gesetz der Evolution. Survival of the fittest. Nur der STARKE überlebt.

Aber dann habt ihr angefangen eure Umwelt zu verändern. Ihr habt erst Hütten und dann Häuser gebaut und wenn euch dann die Löwen fressen wollten habt ihr ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen. Das konnten dann auch die, die nicht so schnell oder so stark waren, um auf den nächsten Baum zu klettern.

Überhaupt hatte sich einiges geändert. Klar im Vorteil waren die, die clever genug waren ihr Getreide nicht völlig aufzuessen sondern die, die im Märzen die Rösslein anspannten, um die Felder zu bestellen. Apropos Rösslein, ihr habt angefangen Hilfsmittel heranzuziehen, um eure körperlichen Defizite auszugleichen. Jetzt konnten auch die Alten oder Schwachen länger und besser überleben.

Ach ja, und dann kam da auch noch dieser Mann aus Nazareth und hat euch Barmherzigkeit gepredigt. Und das habt ihr dann auch gemacht, und die Armen, die Alten und die Kranken beschützt und ihnen zu essen gegeben und ihnen schließlich Häuser gebaut, damit sie dort zusammenwohnen und leichter versorgt werden können.

Und dann kamen die Neuerungen in der Medizin, und die, die früher an ihren Krankheiten oder Verletzungen gestorben sind, überlebten und wurden noch älter und noch schwächer.

Schon kam einer und sagte, dies ist alles wider die Evolution, und leisten können wir uns das schon lange nicht, und hat teilweise ziemlich erfolgreich versucht sie alle loszuwerden. Aber dann hat die ganze Welt aufgeschrien und es wurden noch mehr und noch größere Häuser gebaut, und einige haben auch noch festgestellt, dass man mit den Alten und Schwachen sogar einen Haufen Geld verdienen kann.

Aber es kommt noch besser. Die Alten und Behinderten wollen nicht mehr einfach nur versorgt werden, sie wollen ihr Leben selbst bestimmen. Und stellen Forderungen, dass die Umwelt ihren Bedürfnissen gerecht wird und Hilfsmittel geschaffen werden. Und auch das ist Evolution. In unserer Gesellschaft muss jetzt keiner mehr auf Bäume steigen. Heutzutage ist Kopf gefragt. Und darüber verfügen erfahrene Alte, an Herausforderungen gewöhnte Behinderte und leidgeprüfte Kranke durchaus. Der Selektionsdruck ist auf einmal ein ganz anderer.

Und jetzt, in einer Zeit, in der ihr krank werdet vor lauter Wohlstand, sollen die Armen, die Alten und die Behinderten mal wieder nicht mehr finanzierbar sein?

Das liegt dann aber nicht mehr an den Alten und Behinderten, sondern an denen, die im Laufe der Evolution den Anschluss verpasst haben und nicht begreifen, dass es heutzutage nicht mehr darauf ankommt möglichst viel Essen, Gold oder Aktien zu horten. Dass es nicht mehr gefragt ist, mit einem Arm einen Baum ausreißen zu können, für sowas gibt es wunderbare Werkzeuge. Dass man heutzutage dem Nachbarn nicht mehr mit der Keule auf den Kopf hauen sollte, denn er könnte eine Atombombe in der Hosentasche tragen. Und das sollte sich jeder einzelne vor Augen führen, denn mittlerweile sind wir soweit, dass einzelne in der Lage wären nur mit einem Knopfdruck unseren gesamten Planeten in die Luft zu jagen. Da wäre dann aber ganz schnell Schluss mit Evolution.

Das neue Druckmittel der Evolution ist die Toleranz, dass der Andere eben anders ist. Sonst wär's ja halt auch kein Anderer. Und Evolution kann nur fortbestehen in der Vielfalt, denn nur dann ist sie in der Lage sich an unterschiedliche Gegebenheiten anzupassen und nur so bleibt sie im Gleichgewicht.

Wir haben nur die Chance noch eine Zeit lang weiter zu existieren, wenn wir fit genug sind, zu begreifen, dass die Evolution für die Art Mensch nicht vorgesehen hat zu leben wie die Hamster, deren Lebensaufgabe es vielleicht ist alles Verwertbare zusammenzuraffen, sondern dass es unser (vielleicht auch nur vorläufiges) Ziel ist, das was alle Generationen vor uns erarbeitet haben so zu verteilen, dass es allen gut genug und keinem zu schlecht geht und so dann eben das Gleichgewicht zu halten. Und das bezieht sich schon lange nicht mehr nur auf die Art Mensch sondern auf unseren gesamten Lebensraum.

Wenn wir nicht schaffen die Vielfalt zu tolerieren und das biologische Gleichgewicht zu halten, lässt uns die Evolution von der Bildfläche verschwinden, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken.

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