DEUTSCHER BUNDESTAG Drucksache 14/5804
14. Wahlperiode
03. 04 2001
Entschließungsantrag der Abgeordneten Claudia Nolte, Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister,
Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Rainer Eppelmann, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Peter Götz, Julius Louven,Wolfgang Meckelburg, Hans-Peter Repnik, Franz-Xaver Romer, Heinz Schemken, Johannes Singhammer, Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm, Matthäus Strebl, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Peter Weiß (Emmendingen) und der Fraktion der CDU/CSU
zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und der Bundesregierung
– Drucksachen 14/5074, 14/5531, 14/5786 –
Entwurf eines Sozialgesetzbuchs - Neuntes Buch (SGB IX) Rehabilitation
und Teilhabe behinderter Menschen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
- 1994 hat der Gesetzgeber mit der Ergänzung des Artikels 3
Absatz 3 Grundgesetz um den Satz 2 auch Politik und Gesellschaft darauf
verpflichtet, sich aktiv um die Integration von Menschen mit Behinderungen
in die Familie, in den Beruf und in das tägliche Leben zu bemühen.
- Es besteht Bedarf an einer „Gesetzgebung, die den Anspruch
von Menschen mit Behinderung auf Unterstützung und Solidarität
als Teil selbstverständlicher und universeller Bürgerrechte
erfüllt" und damit Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes
Leben zu ermöglichen, so die Feststellung in dem interfraktionellen
Entschließungsantrag „Die Integration von Menschen mit
Behinderungen ist eine dringliche und politische Aufgabe" (BT
Drs. 14/2913) vom 19. Mai 2000 und auch in der Gesetzesbegründung.
- Der vorgelegte Gesetzentwurf für ein Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, wird aber den hochgesteckten Erwartungen und berechtigten Ansprüchen der Betroffenen nicht ausreichend gerecht. Als positiv und ein richtiger Schritt hin zu einer Weiterentwicklung des Rechts der Rehabilitation ist der Grundsatz ambulant vor stationär zu bewerten. Auch die Möglichkeit der behinderten Menschen, stärker als bisher, eine Geld- statt einer Sachleistung in Anspruch zu nehmen (Wunsch- und Wahlrecht)
und damit selbstbestimmt die passende Leistung „einzukaufen", verdient Unterstützung. In die richtige Richtung geht auch der, allerdings nur als Modell geplante, Ansatz für ein persönliches Budget. Allerdings finden sich im SGB IX keinerlei Konkretisierungen dieser positiven Ansätze.
- Die Vorschläge bleiben insgesamt zu zaghaft und zögerlich. Der Gesetzentwurf erschöpft sich an vielen Stellen in terminologischen Neuerungen, daraus folgenden redaktionellen Anpassungen und einigen organisatorischen Regelungen. Es finden keine wesentlichen strukturellen Weichenstellungen statt. Die einzelnen Leistungsgesetze der Träger bleiben unberührt und haben weiterhin gegenüber dem vorgelegten Gesetzentwurf Vorrang. Das Ziel, mehr Transparenz und eine bessere Verzahnung sowie Harmonisierung der Rehabilitationsleistungen zu schaffen, wird nicht erreicht. Die beabsichtigten Regelungen sind daher insgesamt noch verbesserungswürdig.
- Weiterhin benachteiligt werden insbesondere die behinderten Menschen, die aufgrund der Schwere ihrer Behinderung nicht in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten können. Sie und ihre Eltern müssen bei vorhandenem Einkommen oder Vermögen auch künftig für die notwendigen Kosten selber aufkommen. Damit bleiben wichtige Belange der behinderten Menschen und ihrer Angehörigen unberücksichtigt. Das originäre Ziel, nämlich allen behinderten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen, wird noch nicht erreicht.
- Eine umfassende Lösung mit Verbesserungen für behinderte Menschen kann nur in einem eigenständigen und einheitlichen Leistungsgesetz für Behinderte erreicht werden, das vom Bund zu finanzieren ist. Dieses Gesetz müsste vermögens- und einkommensunabhängig ausgestaltet sein und die Leistungen, die derzeit in der Eingliederungshilfe des Bundessozialhilfegesetzes
(BSHG) enthalten sind, zusammenfassen und den Behinderten zur Verfügung stellen. Behinderte Menschen und ihre Angehörigen müssen vor wesentlichen Sonderbelastungen und vor einer Stigmatisierung als Sozialhilfeempfänger geschützt werden. Eltern müssen wissen, dass die Gesellschaft sie nicht allein lässt, wenn sie ein behindertes Kind bekommen.
- DieWohlfahrtsverbände, die kommunalen Spitzenverbände und die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe haben in ihren Stellungnahmen und im Rahmen der Anhörung am 19. und 20. Februar 2001 auf die weiterhin bestehende Notwendigkeit der Schaffung eines Leistungsgesetzes als nächsten Schritt hingewiesen.
- Für die derzeitige Eingliederungshilfe entstehen Aufwendungen
von derzeit rund 15 Mrd. DM pro Jahr; der finanzielle Mehraufwand
bei Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung beliefe sich nach
Schätzungen auf rund 500 Mio. DM jährlich. Dieser Betrag
ist vergleichsweise gering und würde zu einem großen Teil
durch den Wegfall des Verwaltungsaufwandes kompensiert, der bei den
Sozialhilfeträgern durch die Verfolgung ihrer Regressansprüche
entsteht.
- Ein Leistungsgesetz des Bundes für Behinderte ist aus Sicht
der öffentlichen Haushalte vertretbar, wenn der Leistungsumfang
sich an dem bisherigen finanziellen Umfang des Sozialhilferechts orientiert.
II Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
- die Eingliederungshilfe aus dem Bundessozialhilferecht herauszulösen
und ein eigenständiges, bundesfinanziertes Eingliederungsgesetz
als Leistungsgesetz für behinderte oder von Behinderung bedrohte
Menschen zu schaffen,
- die Eingliederungshilfe als ganzheitliche Hilfe zu definieren,
die Förderung, Pflege und Betreuung umfasst. Allen gleich Betroffenen
sollen gleichwertige Leistungen zu kommen, unabhängig von Art
und Ursache ihrer Behinderung,
- die Leistungen nach dem Leistungsgesetz klar abzugrenzen, insbesondere
gegenüber den Leistungen der Pflegeversicherung sowie gegenüber
der Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz, wodurch die
Eingliederungsleistung zur gleichberechtigten Leistung neben den Rehabilitationsleistungen
anderer Träger wird,
- die Bedürftigkeitsprüfung abzuschaffen, d.h. die Leistungen
grundsätzlich unabhängig von Einkommen und Vermögen
zu gewähren. Hierdurch sollen Behinderte, die in Einrichtungen
leben und Behinderte, die in ihren Familien oder in betreuter Wohnform
leben, beim Einsatz ihres Vermögens und Einkommens für ihren
Lebensunterhalt gleichgestellt werden. Dies muss entsprechend auch
für die unterhaltsverpflichteten Angehörigen gelten.
- eine Pflichtversicherung behinderter Menschen in der gesetzlichen
Kranken- und Pflegeversicherung zu fairen, vom Leistungsträger
zu finanzierenden Beiträgen zu schaffen.
Berlin, den 3. April 2001
Claudia Nolte, Karl-Josef Laumann,Brigitte Baumeister,Dr. Sabine Bergmann-Pohl,Rainer Eppelmann,Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof),Peter Götz, Julius Louven, Wolfgang Meckelburg,Hans-Peter Repnik,Franz-Xaver Romer,Heinz Schemken,Johannes Singhammer,Dorothea Störr-Ritter,Andreas Storm,Matthäus Strebl,Gerald Weiß (Groß-Gerau),Peter Weiß (Emmendingen),Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
Kommentar von ForseA e.V.: Wir bedanken uns bei CDU und CSU
für diesen eindeutigen Entschließungsantrag und werden zu gegebener
Zeit darauf zurückkommen.