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2017 Eine wunderbare Zeitreise zurück ins Jahr 2009 und retour

Die ForseA-Weihnachtsgeschichte 2017

Eine wunderbare Zeitreise zurück ins Jahr 2009 und retour

von Gerhard Bartz
Illustration: Gerd Metzler (https://www.nautcore.net/)

Weihnachtsgeschichte 2017Heiligabend. Es ist einsam in der kleinen Zwei-Raum-Wohnung. Der ambulante Dienst hat heute zeitig Feierabend gemacht. Jörg sitzt deshalb bereits im Schlafanzug vom spärlichen Licht eines künstlichen Weihnachtsbaumes beleuchtet im Rollstuhl vor dem Fernseher. Ihn fröstelt und er beschließt, zu Bett zu gehen. Doch zuerst will er noch seine Geschenke auspacken. Eine Flasche Wein vom Hausmeister hat er heute Morgen bereits erhalten. Das Buch war von Iris vom Ambulanten Dienst, die ihn am frühen Nachmittag bereits für die Nacht fertiggemacht hat, da sie den Heiligen Abend mit ihrer Familie verbringen wollte. Als er die Geschenke schon zur Seite gelegt hatte, entdeckt er auf dem Tisch noch einen Brief. Wie der wohl dorthin gekommen war? Er weiß es nicht. Der Brief ist nicht adressiert. Neugierig öffnet Jörg das Kuvert, entnimmt ihm ein Blatt Papier und liest den kurzen Inhalt, der mit einer kunstvoll geschnörkelten Schrift mitteilt:

„Herzlichen Glückwunsch! Sie haben den Hauptpreis des heutigen Abends gewonnen! Sie haben einen Wunsch frei, den Sie wie folgt einsetzen sollen: Sie können sich zu einem von Ihnen gewählten Zeitpunkt in den Traum eines anderen Menschen versetzen und ihm Ihre Geschichte erzählen. Wichtig ist, dass Sie ihm auch die Lösung mitteilen. Diese Lösung wird sich fortan als eigener Gedanke im Bewusstsein dieser Person festsetzen und sie geradezu zwingen, diese Lösung umzusetzen. Aber denken Sie daran: Das geht nur einmal und sollte kurz und einprägsam sein, damit auch nichts verloren geht! Ihre Angaben schreiben Sie bitte leserlich auf die Rückseite dieses Briefes. Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest!"

Die Unterschrift ist schön mit Schnörkeln gemalt und dennoch unleserlich. Mehr aus Jux macht er sich daran, die Rückseite zu beschriften. Beim Punkt „Lösung" zögert er nur kurz.

Zeitpunkt: 25. März 2009 03:00 UhrWeihnachtsgeschichte 2017

Person: Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Problem: Menschenrechte behinderter Menschen in Deutschland werden nach wie vor missachtet. Die Aussonderung beginnt oft schon im Vorschulbereich und setzt sich oft ein ganzes Leben lang fort. Behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche müssen hart erkämpft werden. Sie werden selten im beantragten Umfang genehmigt und oft muss man erst arm sein, damit man überhaupt Leistungen bekommt.

Lösung: Verbindliche Umsetzung des Artikels 8 der Behindertenrechtskonvention: „Bewusstseinsbildung".

Jörg legt den Brief wieder dorthin, wo er ihn gefunden hat, erklimmt mühsam sein Bett und fällt in einen tiefen Schlaf …

Am nächsten Morgen

durchzieht seine gutbürgerlich ausgestattete Eigentumswohnung bereits Kaffeeduft, als er erwacht. Seine Frau hat sich aus dem Schlafzimmer geschlichen und brachte ein großes Tablett mit einem festlichüppigen Frühstück, das sie gemeinsam einnehmen. Die beiden Kinder schlafen noch, erwartungsgemäß bis Mittag. Er hat seinen angestellten Assistentinnen für heute freigegeben, damit sie auch Weihnachten feiern können. Seine Frau, ebenfalls berufstätig, will die notwendigen Arbeiten allein bewerkstelligen. Am Nachmittag werden sie zusammen Jörgs Eltern besuchen, den gestrigen Heiligabend hatte man bei seinen Schwiegereltern verbracht.

Die Kinder genießen die Schulferien. Dennoch plagt ihre Tochter Pauline, sie besucht die Gesamtschule, die Gedanken an eine Hausarbeit, die sie nach den Ferien abliefern soll. Es geht um eine Abhandlung zu einem sozialen Thema und sie hat sich vorgenommen, die persönliche Assistenz ihres Vaters zu beschreiben. Ohne dessen Hilfe geht das nicht und so muss sie die Zeit bis zum Jahresende nutzen, in der er noch Urlaub hat. Ihr Vater erklärt ihr, dass bis vor 100 Jahren behinderte Menschen zuhause versteckt wurden, weil sie als Strafe Gottes galten. Schlimm wurde es in der Zeit, als die Nazis die Herrschaft in Deutschland hatten. Über 70.000 Menschen mit Behinderungen wurden ermordet. Nach dem Ende dieser Schreckensherrschaft behielt man die Aussonderung bei und brachte behinderte Menschen, die einen hohen Hilfebedarf hatten, in Anstalten unter. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erreichte die sogenannte Selbstbestimmt-Leben-Bewegung - von Amerika ausgehend - Europa und so auch Deutschland. Die Menschen mit Hilfebedarf wollten endlich in Freiheit leben. Zunächst war das auch für Kostenträger noch lukrativ, solange zwangsverpflichtete Zivildienstleistende freiwillig die Assistenz übernahmen. Nach der Wiedervereinigung war wegen den ihr folgenden Verkürzungen der Zivildienstzeit plötzlich Schluss mit dieser preisgünstigen Assistenz.

Es gab nur zwei Alternativen: das Arbeitgebermodell oder aber ambulante Dienste. In die Heime wollten nur noch wenige. Die ambulanten Dienste waren in den Augen der Kostenträger jedoch nur dann nicht zu teuer, wenn der behinderte Mensch mit einer Minimalversorgung einverstanden war oder der ambulante Dienst Pflegekräfte zu Billigstlöhnen beschäftigte. Es war bis zum Jahre 2009 eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit den Kostenträgern, die mit massiver struktureller Gewalt und oft auch ungesetzlichen Mitteln das Leben der Hilfesuchenden zu regeln trachteten. Im Jahr 2009 trat die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Kraft. Damit begann der größte Paradigmenwechsel, den die deutsche Sozialpolitik jemals erlebt hat. Die Bundesregierung, und allen Weihnachtsgeschichte 2017voran die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel, nahmen die eingegangene Verpflichtung sehr ernst. Beispielsweise schwärmten Mitglieder der Regierung und des Parlamentes aus, um in sämtlich erreichbaren Talkshows für die Umsetzung der Konvention zu werben. Und so ganz allmählich sickerte die neue Behindertenpolitik in das Bewusstsein der Bevölkerung ein. Die Medien trugen ihren Teil dazu bei und bereiteten die einzelnen Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention in Informationssendungen und Sonderbeilagen auf. Hilfreich war auch, als bekannt wurde, dass man trotz allem noch Geld sparen konnte. Wie groß war das Erstaunen, als publiziert wurde, wie gering der Anteil der Haushaltsmittel war, die am Ende bei den Betroffenen tatsächlich ankamen. Nunmehr konnten auch die Menschen mit Behinderung mit ausreichendem Einkommen ausgestattet werden, die mangels Schul- und Berufsausbildung kein Erwerbseinkommen und damit auch keine soziale Absicherung erwerben konnten. Doch nicht nur den Finanzen ging es gut. Auch die Gesellschaft insgesamt wurde von großen Ängsten befreit, die bis dahin mehr oder weniger verdrängt wurden, aber immer wieder präsent waren. Dass die Eltern ihren Kindern wieder ein Erbe hinterlassen konnten, beseitigte am Ende auch diese Ungerechtigkeit. Die Tatsache, dass niemand mehr ins soziale Abseits gedrängt wurde, machte große Potenziale in unserer Gesellschaft frei, die bislang unterdrückt wurden.

Pauline stöhnt: „Papa, es reicht!" Schließlich muss sie die Geschichte für ihre Dokumentation noch mit Beispielen unterfüttern. Nachdenklich meint sie, dass sie froh sei, dass behinderte Menschen nun die Hilfe bekämen, die sie brauchen und dafür nicht mehr arm gemacht werden. Denn ohne diese Hilfe wäre ihre Familie vermutlich gar nicht entstanden. Sie stellt es sich schrecklich vor, mangels sicherer personeller Unterstützung, ohne Mobilität, ohne Barrierefreiheit keine sichere Basis für sein Leben zu finden. Auch die permanente Drohung mit der herbeigeführten Armut durch die Wegnahme von Einkommen und Vermögen, wie es bis 2009 die Regel war, findet sie sehr befremdlich. Umso mehr freut sie sich darüber, dass diese unsägliche Zeit weit zurückliegt und Menschen mit Behinderung nicht nur auf dem Papier die Inklusion erfahren. Heute Nachmittag wird die ganze Familie in die Stadt zum Eislaufen fahren. Sie hat sich vorgenommen, ihren Papa in seinem Elektrorollstuhl übers Eis zu schieben. Oh, das wird ein Spaß, denn er weiß noch nichts von seinem Glück!

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