Anhörung Sozialgesetzbuch IX mit Karl Hermann Haack
15.00 - 18.00 Uhr, Haus der Wirtschaft,
Vortragssaal,
Willi-Bleicher-Strasse 19, Stuttgart
Veranstalter: SPD
Kreis und Region Stuttgart
Bericht über die Veranstaltung der Stuttgarter SPD im Stuttgarter Haus der
Wirtschaft zum SGB IX mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die
Belange der Behinderten, Karl-Hermann Haack
Gut 60 TeilnehmerInnen aus verschiedenen Verbänden sowie seitens der
Kostenträger nahmen an der, von der Kreisvorsitzenden Ute Kumpf moderierten,
Veranstaltung teil.
Karl-Hermann Haack erläuterte den aktuellen Stand und die weitere
Vorgehensweise im Gesetzgebungsverfahren bis das SGB IX in Kraft tritt. Nach
wie vor ist der 1. Juli 2001 dafür vorgesehen. Er betonte, dass schon jetzt
im Rahmen des Programms "50.000 Arbeitsplätze für behinderte Menschen"
15.000 eine Anstellung gefunden hätten. Dabei hob er das Recht auf
Arbeitsassistenz, das seit dem 1. Oktober 2000 im SGB III festgeschrieben
ist, besonders hervor.
Gleichzeitig machte er jedoch keinen Hehl daraus, dass sich die
Hauptfürsorgestellen mit der Bewilligung von Arbeitsassistenz sehr schwer
tun, da es derzeit (noch) keine verbindlichen Ausführungsverordnungen gibt.
Mit der Darstellung von einigen Fallbeispielen verdeutlichte er die
Problematik für die betroffenen Menschen. Er selbst hätte einen
schwerbehinderten Mitarbeiter, der 38,5 Wochenstunden Arbeitsassistenz
erhält, dies zeigte er als positives Beispiel auf. Zu diesem Punkt ergänzte
Elke Bartz in der Diskussionsrunde, ebenfalls von Problemen bei der
Antragstellung zu wissen. Sie berichtete von einer Antwort Ulrike Maschers
auf die Frage, warum es auch fünf Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes
noch keine verbindlichen Ausführungsverordnungen gibt, dass diese erst zum
Sommer hin erarbeitet würden. Man wolle erst Erfahrungen mit der
Arbeitsassistenz sammeln, bevor die Verordnungen erlassen würden! Der
Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz bestünde ja schon!
Weiterhin betonte Haack, dass künftig Rehaverfahren binnen weniger Wochen -
und nicht mehr wie bisher mit zeitlichen Verzögerungen von bis zu anderthalb
Jahren - eingeleitet werden sollen. Basis dafür sollen kreiseigene
Servicestellen sein. Schon jetzt formiert sich jedoch der Widerstand gegen
diese Servicestellen, da der Bundesrat als Vertreter der Städte und Kommunen
steigende Kosten befürchtet und nicht weiß, wie diese Servicestellen
organisatorisch verwirklicht werden sollen. Außerdem stelle sich die Frage
in Bezug auf die Entscheidungsbefugnis bei der Bewilligung der
Rehamaßnahmen.
Zu §40a, der mit Inkrafttreten des SGB IX in das Bundessozialhilfegesetz
(BSHG) eingefügt werden soll, konnte Haack auf Nachfrage von Elke Bartz
nicht leugnen, dass dieser die Gefahr beinhaltet, dass behinderte Menschen
gegen ihren Willen von einer Einrichtung (in der sie unter Umständen schon
seit vielen Jahren leben) in eine andere verlegt werden können. Dies gilt
vor allem dann, wenn ein Mensch, der in einer Einrichtung der
Eingliederungshilfe lebt, aufgrund von Alter und/oder fortschreitender
Behinderung, mit steigendem Hilfebedarf nunmehr überwiegend pflegebedürftig
wird. Stehen in der Einrichtung der Eingliederungshilfe dann keine
"Pflegeplätze" zur Verfügung, wird der betroffene Mensch in eine
Pflegeeinrichtung verlegt. Die Entscheidung darüber treffen die jeweiligen
Kostenträger; die Wünsche des Betroffenen sind lediglich angemessen zu
berücksichtigen. (Was immer auch angemessen bedeutet!)
Seitens eines Rollstuhlfahrers wurde kritisiert, dass viele Leistungen auch
weiterhin einkommens- und vermögensabhängig gewährt werden. Die Persönliche
Assistenz im Privatbereich findet sogar überhaupt keine Berücksichtigung.
Damit werden selbst beruflich etablierte behinderte Menschen auch künftig zu
Sozialhilfeempfängern degradiert, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind.
Zum geplanten Gleichstellungsgesetz erklärte Haack, dass dies auf der
Grundlage des Entwurfes des Forums behinderter Juristinnen und Juristen
erarbeitet würde und schon zum 1. Januar 2002 in Kraft treten soll. Eine
schwer hörbehinderte Frau war der lebende Beweis, wie wichtig das
Gleichstellungsgesetz auch für hörbehinderte, schwerhörige und ertaubte
Menschen ist. Da im Veranstaltungssaal keine Höranlage vorhanden war, konnte
sie den Ausführungen nur sehr bruchstückhaft folgen. Noch konnte sich
Organisatorin Ute Kumpf lediglich dafür entschuldigen, dass es nicht
gelungen war, für die gehörlosen TeilnehmerInnen Gebärdendolmetscher zu
organisieren. Bei einem Rechtsanspruch auf Hilfe bei der Kommunikation, ist
es künftig nicht mehr mit einer Entschuldigung getan.
Auch vier Wochen nach der Anhörung von Behindertenorganisationen,
Kostenträgern und Leistungserbringern im Berliner Reichstag wurde deutlich,
dass das SGB IX sicher in einigen Bereichen Verbesserungen bringen wird. Es
bedarf aber noch etlicher Ergänzungen und Korrekturen, damit es die
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen tatsächlich sichert.