Von der Betreuung Behinderter zur persönlichen
Assistenz
im ländlichen Bereich - Diskussionsveranstaltung
u.a. mit Elke Bartz und MdL Maik Nothnagel
14.00 Uhr, Konferenzraum des Meininger Tageblattes,
Neu-Ulmer-Straße 8a, 98617 Meiningen.
Veranstalter: MdL des Thüringer Landtages Maik Nothnagel
Kontakt: Tel. 03693-477170
"Von der Betreuung zur Assistenz behinderter
Menschen im ländlichen Raum"
"Von der Betreuung zur Assistenz behinderter Menschen im ländlichen Raum"
lautete der Titel der Veranstaltung am 29. März 2001. Sie fand im
Konferenzraum des Meininger Tagesblattes statt.
Eingeladen hatte PDS-Landtagsabgeordneter und behindertenpolitischer
Sprecher seiner Fraktion Maik Nothnagel. Er nutzte die Assistenztour im
Rahmen einer Veranstaltungsreihe der PDS für die Vorbereitungen zu einem
Thüringer Landesgleichstellungsgesetz für Behinderte.
MdL Nothnagel erklärte, wie wichtig ein Landesgleichstellungsgesetz für
Menschen mit Behinderungen im Alltagsleben ist. Auf viele Bereiche hat ein
Bundesgleichstellungsgesetz nur mittelbare Auswirkungen, da z. B. Bildung
und Bauordnungen in den Hoheitsbereich der Länder zählen. Zudem soll nach
dem Willen der PDS im Thüringischen Landesgleichstellungsgesetz - im
Gegensatz zum geplanten Bundesgleichstellungsgesetz - auch die Assistenz
geregelt werden.
Nach der Einführung erklärte Elke Bartz den gut 40 TeilnehmerInnen, die sich
u.a. aus behinderten Menschen und ihren Angehörigen, der
Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Schmalkalden/Meinigen,
PolitikerInnen, einem Bürgermeister sowie BehördenmitarbeiterInnen,
MitarbeiterInnen von Einrichtungen für behinderte Menschen und
Pressevertretern zusammensetzten, das Arbeitgebermodell. Sie erläuterte,
dass diese Art der selbstorganisierten Hilfeleistungen die größtmögliche
Selbstbestimmung für Menschen mit Assistenzbedarf, aber auch große
Eigenverantwortung bedeutet. Sie stellte weiterhin die praktischen und
rechtlichen Möglichkeiten für die Umsetzung des Arbeitgebermodells dar.
Besonders im ländlichen Raum, wo es häufig an flächendeckenden,
zufriedenstellenden Angeboten mangelt und zudem hohe Arbeitslosenquoten
vorherrschen, bietet das Arbeitgebermodell eine sinnvolle Alternative. Mit
dem Arbeitgebermodell kann zum einen die Versorgung der behinderten Menschen
gesichert und zum anderen Arbeitsplätze geschaffen werden. Nicht zuletzt
kann mit der Schaffung der Arbeitsplätze der Abwanderung aus den ländlichen
Regionen vorgebeugt werden. Bartz erzählte von einer kleinen Gemeinde im
Westerwald in der ein behinderter Mann mehrere Assistenten beschäftigt und
damit der größte Arbeitgeber in seinem Wohnort ist.
Katja Häfner stellte die Arbeit des Helfer- und Assistenzdienstes
Südthüringen, HAD, dar. Dabei handelt es sich um ein Projekt des
Landesverbandes der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) in
Thüringen, das seit 1999 besteht. Sie bestätigte, wie schwierig die
Organisation von Hilfeleistungen besonders im ländlichen Raum ist. Viele
junge Behinderte wandern wegen der besseren Infrastruktur und
Barrierefreiheit in die Städte ab. Noch heute werden die meisten auf
Assistenz Angewiesenen von Familienangehörigen versorgt. Als Unterstützung
sind bestenfalls herkömmliche Leistungsanbieter wie stationäre Einrichtungen
oder ambulante Dienste bekannt. Persönliche Assistenz ist vielen nach wie
vor unbekannt, berichtete Katja Häfner. Und noch immer gibt es behinderte
Menschen, deren Beeinträchtigungen als Makel angesehen werden. Sie werden
vielfach von ihren Familien versteckt und aus der Gesellschaft
ausgeschlossen. Kein Wunder, dass sie kein Selbstbewusstsein entwickeln
können.
Auch Thilo Bösemann vom HAD Jena berichtete, wie wichtig die Information und
Aufklärung über alle Alternativen der Assistenznahme ist. Gleichzeitig wurde
deutlich, dass professionelle Anbieter regelrechte Gegner der Persönlichen
Assistenz sind, da sie darin Konkurrenz sehen. Diese Annahme ist sowohl
begründet als auch unbegründet. Begründet ist sie, da besonders junge
Menschen mit den zwangsläufigen strukturellen Einschränkungen, die die
Inanspruchnahme eines ambulanten Dienstes mit sich bringen, nicht
einverstanden sind. Sie fühlen sich zu Recht in ihrer Selbstbestimmung und
in der Gestaltung ihres Alltagslebens unzumutbar eingeschränkt. Unbegründet
sind die Befürchtungen der professionellen Anbieter insofern, dass es immer
Menschen geben wird, welche die Eigenverantwortung und den
Organisationsaufwand, den die Persönliche Assistenz mit sich bringt, scheuen
oder nicht wünschen. Thilo Bösemann veranschaulichte wie wichtig es ist,
dass sich Assistenznehmerinnen die Assistenzpersonen selbst auswählen und
die Dienstpläne den eigenen Bedürfnissen entsprechend gestalten können.
Besonders behinderte Frauen legen häufig sehr großen Wert darauf, die
notwendigen Hilfeleistungen von einer Frau und nicht von einem Mann zu
erhalten. Dies garantiert der HAD selbstverständlich, auch wenn hier im
Gegensatz zum Arbeitgebermodell nicht der behinderte Mensch sondern der HAD
als Arbeitgeber fungiert.
Sowohl Katja Häfner als auch Tilo Bösemann betonten den Stellenwert von
Beratung, damit behinderte Menschen über alle Möglichkeiten von Hilfen
Bescheid wissen. Nur so können sie ungehindert entscheiden, welche
Alternative die für sie am besten geeignete ist.
Auch in der Diskussionsrunde wurde deutlich, dass noch immer sehr große
Informationsdefizite bestehen. Oft wird nach wie vor den behinderten
Menschen nicht zugetraut, überhaupt selbstbestimmt und eigenverantwortlich
zu leben. Gleichzeitig wurden jedoch auch einzelne Ansätze dafür deutlich,
dass auch in Thüringen ein Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik
angestrebt wird. Diesen gilt es, in einem Landsgleichstellungsgesetz zu
manifestieren und zu fördern.
Selbstbestimmtes Leben - ein Stück Freiheit für Benachteiligte
Diskussionsrunde zu einer neuen Pflegeform / Gesetzentwurf zur Gleichstellung
Meiningen (wim). Anrührend waren die Schicksale, ergreifend die Diskussionen, die sich am Donnerstag am Thema "Gleichstellung für behinderte Menschen - Was bedeutet das?" entfachten. Maik Nothnagel begrüßte in seinem Wahlkreisbüro dazu Betroffene und Vertreter von Behörden.
Hauptreferentin war Elke Bartz, die Vorsitzende von ForseA, dem bundesweiten Forum selbstbestimmter Assistenz. Die selbstbestimmte Assistenz ist eine hier zu Lande noch unbekannte Form der Pflege, bei der behinderte Menschen tatsächlich ihre persönliche Freiheit wahrnehmen können.
Die Herzen der anwesenden Betroffenen, Vertreter von Behindertenverbänden und Behörden, schloss die 45-Jährige aus Baden-Württemberg mit ihrer persönlichen Geschichte auf, die vor 25 Jahren neu geschrieben wurde. Infolge eines schweren Autounfalls ist sie hoch querschnittsgelähmt und benötigt bei fast allen Tätigkeiten des Alltags Unterstützung.
Nach dem damaligen Krankenhausaufenthalt wurde sie in ein Pflegeheim eingewiesen, in dem sie sich für sechs Monate auch recht wohl gefühlt habe.
Doch: "Obwohl es schon eine der besseren Einrichtungen war, konnte ich mir nicht vorstellen, den Rest meines Lebens mit den Zwängen des Anstaltslebens zu verbringen. Es wäre nicht mehr mein Leben, wenn ich nicht frei sein kann", erklärte die Aktivistin.
Unter anderem lebte sie neun Jahre mit der Hilfe von Zivildienstleistenden - bis zur Dienstzeitverkürzung 1990. Anschließend begann mit dem Sozialhilfeträger ein dreijähriger Gerichtsmarathon um die Kostenübernahme. Dabei wurde Ihr auch eine "Trennung auf Amtswegen" nahegelegt: Sie sollte sich von ihrem Mann trennen und sich in einem Heim versorgen lassen. Am 24. Juni 1994 - einem Datum, das sich wie einige andere fest in ihrem Gehirn einbrannte - fiel die Gerichtsentscheidung zu ihren Gunsten. Die bahnbrechende Pflegeform der Assistenz begann sich in Deutschland durchzusetzen.
Der behinderte Mensch hat damit erstmals die Möglichkeit, im Unterschied zum mobilen Pflegedienst selbst zu bestimmen, wer, wo, wie, und in welchem Umfang Leistungen erbringt. "Was nützt ein mobiler Pflegedienst zwei- oder dreimal am Tag, wenn mir abends keiner aus dem Auto hilft", war eines von Elke Bartz' zahlreichen Beispielen. Bei der selbstbestimmten Assistenz handelt es sich um das Arbeitgebermodell. Das bedeutet, der oder die Assistenten sind Angestellte des benachteiligten Menschen.
Die Frage, wer das bezahlen soll, interessierte die Gäste besonders. Doch Elke Bartz entkräftete das Vorurteil, diese Lösung käme für die Betroffenen oder die Steuerzahler zu teuer. Die monatlichen Kosten hängen stark vom zeitlichen wie auch vom Pflegeaufwand ab und bewegen sich zwischen 15000 und 20000 Mark. jedoch koste ein Heimplatz monatlich 10000 Mark und in der Schaffung rund 200000 Mark, wobei er in Bezug auf Qualität und Flexibilität nicht an die der Assistenz heranreiche.
Auch die Konkurrenzangst der herkömmlichen Pflegedienste, von der. Katja Häfner vom Helfer- und Assistenzdienst aus Steinbach-Hallenberg berichtete, sei nicht gerechtfertigt. Die neue Pflegeform sei im Grunde genommen eine Umschichtung innerhalb des Pflegedienstes. Auch hier werden Arbeitsplätze entstehen.
Was nötig ist, sei eine umfangreiche Aufklärungsarbeit. Derzeit fehlt es außerdem an einer rechtlichen Grundlage, um die nötigen Versorgungsverträge mit dem Pflegekassen abschließen zu können. Stattdessen existieren die von Elke Bartz als Heimeinweisungs-Paragrafen bezeichneten Bestimmungen, die schwer behinderten Menschen wenig Spielraum für eigene Lebensentscheidungen lassen. Auch Behinderte wollen studieren, in Familien leben oder einer Arbeit nachgehen können,
Im Diskussionsentwurf für ein Thüringer Gleichstellungsgesetz, den der Behindertenpolitische Sprecher der PDS im Landtag, Maik Nothnagel, vorstellte, sei unter anderem die Assistenz bereits enthalten. In einem vergleichbaren Entwurf aus Berlin dagegen noch nicht, was die bevorstehende Überzeugungsarbeit deutlich mache.
Neben der Assistenz geht es im Gesetzentwurf außerdem um Verbesserungen im ÖPNV, der Bauordnung für öffentliche Gebäude, die Behindertenarbeit und vieles mehr, so Maik Nothnagel.
Diese Themen werden zu Diskussionsrunden im Thüringer Landtag im Juni, im August und im November diesen Jahres auf der Tagesordnung stehen. Interessierte, die mehr über die selbstbestimmte Assistenz wissen wollen, können sich im Wahlkreisbüro von Maik Nothnagel oder direkt bei ForseA, Nelkenweg 5, in 74673 Mulfingen-Hollenbach informieren. Dort gibt es auch Infos zum so genannten Peer Counceling, einem Selbsthilfemodell, bei dem sich Betroffene mit ähnlich gelagerten Problemen beraten.
Während der Gesprächsrunde, zu der Maik Nothnagel eingeladen hatte. Bild: Fritz
Nicht Objekt der Pflege sein
Behinderte wollen ihr Leben selbst bestimmen, anstatt nur betreut zu werden
Meiningen (nir). Viele Behinderte wollen nicht länger Objekt der Pflege sein, sondern mit einem Assistenten an der Seite ihr Leben selbst bestimmen. Im Konferenzraum des Meininger Tageblattes fand am Donnerstag eine Veranstaltung mit Vorträgen und Diskussion statt, die sich dem Thema "Von der Betreuung zur Assistenz behinderter Menschen Im ländlichen Bereich" widmete. Organisiert wurde die Runde vom PDS-Landtagsabgeordneten Maik Nothnagel. Er hat einen Entwurf vorgelegt, der als Diskussionsgrundlage für ein Gleichstellungsgesetz in Thüringen dienen soll. Und in einem Teil des Entwurfs geht es um die Assistenz behinderter Menschen.
"Die Kompetenzen sollen die Behinderten selbst haben und nicht Behörden oder Pflegedienste", betonte Elke Bartz, Vorsitzende des ForseA (Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen). Hilfebedürftige Behinderte müssten die Möglichkeit haben, sich Assistenten auf dem freien Arbeitsmarkt zu suchen. Dieses so genannte Arbeitgebermodell" habe den Vorteil, dass der Behinderte jemanden einstellen könne, mit dem er auch auf menschlicher Ebene auskomme. Überhaupt sei eine Ausbildung im medizinisch-pflegerischen Bereich nicht unbedingt notwendig, um als Assistent zu arbeiten, sagte Elke Bartz. "Wichtig ist, dass der Assistent auf die persönlichen Bedürfnisse eingeht", betonte sie.
Das "Arbeitgebermodell" habe in der Praxis bislang leider nur in individuellen Fällen angewendet werden können, weil die entsprechenden rechtlichen Grundlagen fehlten. Einige Behinderte hätten die Einstellung eines Assistenten sogar vor Gericht durchsetzen müssen. Dabei gebe es regional deutliche Unterschiede, was häufig auf die finanzielle Situation der Kommunen zurückzuführen sei, welche die Kosten tragen müssten.
Kosten oft niedriger
Dabei sei die Assistenz oft günstiger als die alternativen Modelle, betonte die ForseA-Vorsitzende. "Meine Assistenz kostet zwischen 11 000 und 12 000 Mark Im Monat. Wenn die selben Aufgaben von ambulanten Diensten übernommen würden, dann lägen die Kosten bei etwa 32 000 DM", so Elke Bartz.
Barbara Stötzer-Manderscheid betonte, das Abeitgebermodell" sei insbesondere im ländlichen Gebiet der Betreuung der ambulanten Betreuung vorzuziehen. "Das kann kein Pflegedienst leisten, einem Behinderten rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen", betonte sie.
Für Frauen biete die Assistenz zudem den Vorteil, dass gewährleistet sei, dass sie von Frauen betreut würden. "Wenn ich aber In einem Pflegeheim bin oder von einem ambulanten Dienst betreut werde, muss ich möglicherweise immer wieder darauf hinweisen, dass ich nicht von einem Mann gewaschen werden möchte", gab Barbara Stötzer-Manderscheid ein praktisches Beispiel.
Maik Nothnagel stellte heraus, dass ein Grundsatz des Sozialgesetzbuches IX "ambulant vor stationär" laute. Dem würde man mit dem "Arbeitgebermodell" Rechnung tragen. Zudem versetze man die Behinderten in die Lage, ihr Leben selbst zu bestimmen, was eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensqualität bedeute.
Mit der Veranstaltung wollte Maik Nothnagel nicht nur über den Gesetzesentwurf für den Thüringer Landtag informieren. Es ging ihm insbesondere auch darum, Ängste bei den Wohlfahrtsverbänden abzubauen, die möglicherweise befürchteten, durch die Assistenz könnten Arbeitsplätze in Heimen und Werkstätten verloren gehen. "Das Arbeitgebermodell bietet aber gerade die Chance, eine Menge Arbeitsplätze für Assistenten zu schaffen", machte der Landtagsabgeordnete deutlich. Allerdings werde ein Strukturwandel bei den Verbänden und In den Pflege- und Sozialberufen erforderlich sein. Er halte es aber für sinnvoller, In Menschen zu investieren anstatt in Gebäude.
Noch nichts passiert
Vor etwa drei Jahren sei ihm als Mitglied einer Delegation im Thüringer Landtag von Abgeordneten schon versprochen worden, dass die gesetzlichen Grundlagen für die Assistenz Behinderter geschaffen würden. Passiert ist aber bis heute nichts", so Nothnagel.
Der PDS-Abgeordnete hofft nun, die Assistenz im Rahmen eines Gleichstellungsgesetzes durchsetzen zu können. Ein wichtiger Schritt vom Entwurf zum Gesetz ist die Anhörung zu diesem Thema Im Sozialausschuss des Landtages. Die wird vermutlich im Herbst stattfinden.
Die vom PDS-Landtagsabgeordneten Malk Nothnagel organisierte Veranstaltung zur Assistenz behinderter Menschen im ländlichen Bereich fand große Resonanz. Eine der Referentinnen war Elke Bartz (kleines Foto), Vorsitzende des ForseA (Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen).
Fotos. M. Reeh