Auftaktveranstaltung der Veranstaltungsreihe
"Gleichstellung
Behinderter - was bedeutet das?"
mit dem Themenschwerpunkt Assistenz
11.00 Uhr im Plenarsaal des Thüringer Landtages u.a. mit
Uwe Frevert, Tilo Bösemann u. Elke Bartz
Veranstalter: PDS Fraktion im Thüringer Landtag -
behindertenpolitischer Sprecher MdL Maik Nothnagel,
Kontakt: Tel.
0361 3772622
Bericht über die Veranstaltung im Plenarsaal des Thüringer Landtages
"Assistenz für Menschen mit Behinderungen - Chancen für ein selbstbestimmtes
Leben"
Gut 60 TeilnehmerInnen fanden sich am 30. März 2001 zur Veranstaltung
"Assistenz für Menschen mit Behinderungen - Chancen für ein selbstbestimmtes
Leben" ein. Kooperationspartnerin des Forums selbstbestimmter Assistenz
behinderter Menschen - ForseA - war die Landtagsfraktion der PDS.
Werner Buse, Fraktionsvorsitzender der PDS, eröffnete die Veranstaltung. Er
unterstrich die Notwendigkeit eines Gleichstellungsgesetzes für Menschen mit
Behinderungen und wies auf einen entsprechenden Entwurf der PDS hin.
MdL Maik Nothnagel führte die Anwesenden in die Thematik ein. Er schilderte
die Entwicklung der Behindertenemanzipation der 60er Jahre in den USA und
die parallel stattgefundene Krüppelbewegung in Deutschland, sowie die
Historie in der damaligen DDR, bzw. die Zeit nach der Wende. Nothnagel
zitierte mit Adolf Ratzka den "großen alten Mann" der europäischen
Behindertenbewegung, der betont, wie wichtig es ist, Stolz zu entwickeln und
selbstbewusst seine Rechte einzufordern.
Noch heute leben viele Menschen mit Behinderungen in menschenunwürdigen
Situationen, da ihnen immer wieder klargemacht wurde, wie dankbar sie für
empfangene Hilfen zu sein haben. Der Weg muss endlich weg vom passiven Opfer
der Fürsorge zum selbstbewussten und selbstständigen Bürger mit
Rechtsansprüchen. Nothnagel betonte dabei, dass diese Frage
parteiübergreifend angegangen werden müsse.
Welche verschiedenen Hilfsangebote assistenznehmenden Menschen zur Verfügung
stehen, zeigte Elke Bartz in ihrem Beitrag auf. Den Schwerpunkt legte sie
auf das Arbeitgebermodell, da diese Alternative besonders in den sogenannten
neuen Bundesländern erst sehr wenigen Menschen bekannt ist. Entsprechend
interessiert zeigten sich die TeilnehmerInnen.
Bartz erklärte die praktischen und rechtlichen Vorsaussetzung bzw.
Bedingungen für das Arbeitgebermodell. Aus ihrer Erfahrung als bundesweit
tätige Beraterin sind ihr die Probleme bei der Umsetzung des
Arbeitgebermodells bestens bekannt. Häufig verweigern Kostenträger
(zunächst) die Kostenübernahme, da das Arbeitgebermodell, insbesondere bei
zeitintensiven Assistenzen, vermeintlich teurer ist als die Kosten für ein
Anstaltsleben.
Gegen den Willen des Gesetzgebers werden in der Regel nur die Kostenaspekte,
nicht aber die individuellen Lebensumstände und Bedürfnisse der
AntragstellerInnen bei der Bescheidung berücksichtigt. Dabei missbrauchen
die SachbearbeiterInnen der örtlichen Träger der Sozialhilfe §3a BSHG.
Diesen als "Heimeinweisungsparagrafen" gefürchteten §3a gilt es zu ändern
oder besser ganz aus dem Gesetzestext zu streichen, fordern alle
Selbsthilfeorganisationen.
Weiterhin erklärte Elke Bartz, welche Finanzierungsmöglichkeiten es generell
gibt. Die Leistungen der Pflegeversicherung reichen definitiv nicht aus,
wenn keine ergänzenden ehrenamtlichen Hilfen zur Verfügung stehen. Die
Leistungen nach dem BSHG greifen jedoch erst, wenn keine weiteren
vorrangigen Kostenträger vorhanden sind. Dies trifft allerdings auf die oben
beschriebene Problematik zu. Vorrangig einzusetzen sind auch eigenes
Einkommen und Vermögen der AntragstellerInnen. Dies hat zur Folge, dass die
Betroffenen nie über ihr Einkommen und Vermögen uneingeschränkt wie ihre
nicht behinderten MitbürgerInnen verfügen können. Um so wichtiger ist es,
unmittelbar nach Einführung des geplanten Gleichstellungsgesetzes ein
eigenständiges Leistungsgesetz zu schaffen, um die Benachteiligung auf Hilfe
Angewiesener endlich zu beseitigen.
Das Persönliche Budget kann, sofern es eingeführt wird, ein geeignetes
Mittel für eine selbstbestimmte Assistenz werden. Voraussetzung dafür ist
aber, wie Bartz betonte, dass es sich tatsächlich um persönliche, also am
Bedarf orientierte, Budgets und nicht um pauschalierte Leistungskürzungen
handelt.
Thilo Bösemann vom Helfer- und Assistenzdienst (HAD) in Jena schilderte die
Entwicklung vor allem in der Zeit nach der Wende. Immer mehr Menschen
entdecken zunehmend ihr Selbstbewusstsein. Sie wollen nicht mehr länger von
fremdbestimmenden Strukturen vieler Anbieter abhängig sein. Und manchmal
existieren - insbesondere im ländlichen Bereich - diese Angebote nicht
einmal. Die ständige und ausschließliche Abhängigkeit von Hilfe durch
Familienangehörige bedeutet für alle Beteiligten übergroße Rücksichtnahme
und häufig auch Überlastung der pflegenden Angerhörigen.
Thilo Bösemann selbst ist auf umfangreiche Assistenz angewiesen. Obwohl
seine Frau zufällig Krankenschwester ist, will er ihre Hilfe nach
Möglichkeit nicht beanspruchen. Zu schnell würde die Partnerschaft in ein
Pflegeverhältnis abdriften. Schon viele Beziehungen und Ehen sind an solchen
Situationen gescheitert.
Der HAD bietet Hilfe- und Assistenzleistungen an, bei denen er seinen
KundInnen die größtmögliche Entscheidungsfreiheit bietet. Gleichzeitig
bietet er Entlastungen, da die Verwaltungsaufgaben komplett übernommen
werden. Dies ist eine gute Unterstützung für alle, die selbstbestimmt leben
wollen, sich aber den Pflichten der ArbeitgeberInnen wie korrekte
Lohnabrechnungen erstellen zu müssen, (noch) nicht gewachsen fühlen.
Weiterhin betonte Bösemann, dass ein Arbeitsschwerpunkt der HAD wie schon
jetzt, so auch in Zukunft, die Beratung sein wird.
Dabei spielt das Peer Couseling - die Beratung von Betroffenen für
Betroffene - eine herausragende Rolle. Zwar haben unterschiedliche Arten der
Behinderungen auch unterschiedliche Folgen. Da behinderte Menschen als
Individuen selbstverständlich auch über individuelle Lebensplanungen
verfügen, können sich diese natürlich sehr von denen des Peer Counselors
unterscheiden. Dennoch schafft ein Rollstuhl oder der Blindenhund bei der
Beratung einen Vertrauensbonus. Verfügt der Peer Counselor nicht über
entsprechendes Fachwissen, ist dieser Bonus jedoch schnell aufgebraucht.
Bösemann verwies darauf, dass es wichtig ist, viele unterschiedliche
Hilfsangebote zu haben. So müssen etablierte, herkömmliche Leistungsanbieter
keine Konkurrenz fürchten, da es immer Menschen geben wird, die deren
Angebote nutzen. Es kann natürlich sein, dass die auf Assistenz Angewiesenen
den Anbietern Menschen künftig mehr als selbstbewusste KundInnen und nicht
als PatientInnen begegnen. Dadurch werden die Anbieter gezwungen sein, weit
mehr als seither Kunden orientiert zu arbeiten, um diese auch künftig zu
halten. Und dies ist gut so, da es für die behinderten Menschen eine
wesentlich bessere Lebensqualität bringen wird.