Selbstbestimmtes Leben
zwischen Pflegeversicherung und Globalrichtlinien
Möglichkeiten und Schwierigkeiten mit persönlicher Assistenz
Seit Anfang der Achtziger Jahre verlangt das Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
eindeutig den Vorrang der ambulanten Hilfe vor der stationären. Auch
behinderte Menschen, die viel Hilfe- und Pflege benötigen, haben danach das
Recht und die Möglichkeit, selbstbestimmt in der eigenen Wohnung zu leben.
Dieses Recht und diese Möglichkeit werden aber vielfach eingeschränkt und in
letzter Zeit nicht selten ganz verwehrt:
- die Leistungen der Pflegeversicherung sind gedeckelt, viel zu gering und
berücksichtigen große Bereiche notwendiger Hilfe gar nicht;
- die Privatisierung der ambulanten Hilfe und ihre vereinbarte Vergütung hat
in weiten Teilen zu einer Verschlechterung der Pflege geführt und die
Möglichkeiten selbstbestimmter Assistenz erschwert oder ganz unmöglich
gemacht.
- das BSHG wurde so geändert, daß nun wieder Menschen mit umfangreichem
Assistenzbedarf auch gegen ihren Willen und aus reinen Kostengründen in
Pflegeanstalten eingewiesen werden können
- der Hamburger Senat plant Globalrichtlinien zu diesem Teil des BSHG, die
die Möglichkeiten persönlicher Assistenz und das Recht schwerstbehinderter
Menschen, die Form ihrer Hilfe und Pflege selbst zu wählen, noch weiter
einschränken.
Auf der Veranstaltung werden Betroffene über diese Einschränkungen, aber
auch darüber berichten, was dennoch an selbstbestimmter Assistenz zu
ermöglichen ist.
Unter anderem haben wir als RednerInnen eingeladen:
Elke Bartz: Vorsitzende des "Forums selbstbestimmte Assistenz"
Gerlef Gleiss: Mitarbeiter der "Beratungsstelle für behinderte Menschen" von Autonom Leben
am Mittwoch, 4. April 2001, 19.00 Uhr
bei Autonom Leben, Langenfelder Str. 35
Kontakt und nähere Information: Autonom Leben e.V.: Tel: 040/432 90 148
Veranstaltungsbericht
Unter dem Titel "Selbstbestimmtes Leben zwischen Pflegeversicherung und
Globalrichtlinien - Möglichkeiten und Schwierigkeiten mit
persönlicher Assistenz" hatte die Selbsthilfeorganisation Autonom Leben
Hamburg in ihr Zentrum eingeladen.
Mehr als die 30 Anwesenden hätten wohl nur schwerlich Platz
gefunden. So waren die Organisatoren mit der Anzahl der Gäste sehr
zufrieden.
Gerlef Gleiss von Autonom Leben begrüßte die Gäste sowie
Elke Bartz als Referentin. Diese berichtete über den Sinn und die
Hintergründe der, von der Aktion Mensch und weiteren Sponsoren
geförderten, Tour für Menschenwürde in der Pflege, auf der sie
sich gerade quer durch Deutschland befindet.
Da sie selbst mehrere behinderte HamburgerInnen mit Assistenzbedarf
kennt und im Rahmen des Peer counseling - der Beratung von Betroffenen für
Betroffene - berät, ist ihr die Situation vor Ort nicht völlig fremd.
Immer wieder wundert sie sich, dass bei Kontakten zu den jeweiligen Bezirken,
die für die Betroffenen zuständig sind, teilweise tiefe
Ahnungslosigkeit herrscht. So sind Änderungen im Bundessozialhilfegesetz
(BSHG), die schon 1996 vorgenommen wurden, bis heute nicht in alle Amtsstuben
gedrungen. Dies ist beispielsweise besonders fatal für diejenigen, die
nicht die Sach- sondern die Geldleistungen der Pflegeversicherung in Anspruch
nehmen wollen und weitergehende Leistungen nach dem BSHG benötigen.
Außerdem galt bis vor kurzem die Meinung, dass entweder alle
Leistungen nach Modulen oder nach Stundensätzen, aber nicht beides
ergänzend in Anspruch genommen werden könnte. Dabei ist es nicht
"Hamburg-spezifisch", dass große Wissenslücken bei vielen
SachbearbeiterInnen bestehen. Da nicht jeder behinderte Mensch mit der jeweils
aktuellen Gesetzgebung vertraut ist (und es wohl auch kaum sein kann) bekommen
sie die Folgen der Wissensdefizite häufig zu ihrem Nachteil zu
spüren. Um so wichtiger ist die Beratungsfunktion von Zentren wie Autonom
Leben.
Gerlef Gleiss berichtete, dass derzeit in Hamburg an sogenannten
Globalrichtlinien gearbeitet wird. Er befürchtet bei Inkrafttreten
Nachteile für assistenznehmende Menschen durch Leistungskürzungen
oder Deckelungen von Leistungen.
Da nicht jeder behinderte Mensch das Arbeitgebermodell praktizieren kann
und/oder will, hat sich in der Hansestadt vor einigen Jahren die Hamburger
Assistenzgenossenschaft (HAG) gegründet. Sie ermöglicht auch
schwerstbehinderten Menschen ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben. Die HAG
fungiert als Arbeitgeberin und tätigt im Auftrag der
Genossenschaftlerinnen die Personalverwaltung etc. Dies ist natürlich mit
Kosten verbunden, die die Assistenz teurer machen als beim Arbeitgebermodell.
Doch ist diese Alternative der Assistenzsicherung eine sinnvolle Ergänzung
und nicht mit höheren Kosten als z.B. die der ambulanten Dienste
verbunden. Doch schon heute monieren einige Bezirke die Kosten und verweisen
auf das Arbeitgebermodell oder gar auf Anstalten.
Dazu meinte Elke Bartz, dass zwar die Ausführungsrichtlinien von
den Ländern erarbeitet würden, das BSHG jedoch ein Bundesgesetz sei.
Bei tatsächlichen Benachteiligungen, die nicht (mehr) erfolgende
Bedarfsdeckungen zwangsläufig bedeuten, gilt es genau zu
überprüfen, ob die erwarteten Globalrichtlinien überhaupt
gesetzeskonform sind.
Große Empörung rief die Tatsache hervor, dass im geplanten
SGB IX lediglich die Assistenz am Arbeitsplatz, nicht aber im Privatbereich,
gesichert wird.
Der Jesteburger Jörg Schulz arbeitet bei der
Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte Beschäftigung (BAG UB). Er
berichtete, dass seit Schaffung des Rechtsanspruches im SGB III zum 1. Oktober
2000 bundesweit erst wenige Anträge auf Arbeitsassistenz gestellt wurden.
Viele Anträge werden jedoch erst gar nicht angenommen, da es noch keine
Ausführungsverordnungen dazu gibt. Und die sollen erst geschaffen werden,
wenn Erfahrungen mit der Arbeitsassistenz vorliegen.
Auch in dieser Runde wurde der Ruf nach einem eigenständigen
Leistungsgesetz laut, da es auch in Zukunft möglich sein muss, auch mit
Assistenzbedarf ein selbstbestimmtes, eigenständiges Leben außerhalb
von Anstalten zu führen.
Presseinformation
Kassel, den 25.3.01
Tour für Menschenwürde in der Pflege macht auch in Hamburg
Station
Mit einer "Tour für Menschenwürde in der Pflege" werben
behinderte Menschen seit Anfang Februar bis Ende Juni für mehr
Selbstbestimmung und Würde in der Pflege von behinderten und älteren
Menschen. Dabei führen sie eine Vielzahl von Informationsveranstaltungen
in mehr als 25 Städten Deutschlands durch. Am 4. April 2001 macht die
Rollstuhlfahrerin Elke Bartz auf ihrer Tour auch in Hamburg Stopp und
führt um 19.00 Uhr zusammen mit Gerlef Gleiss bei Autonom Leben,
Langenfelder Straße 35, in Hamburg eine Veranstaltung zum Thema
"Selbstbestimmtes Leben zwischen Pflegeversicherung und Globalrichtlinien -
Möglichkeiten und Schwierigkeiten mit persönlicher Assistenz"
durch.
"Wir haben uns zu dieser Tour entschlossen, weil viele behinderte
Menschen und deren Angehörige noch nicht wissen, welche praktischen und
rechtlichen Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen, um die Hilfen
und Pflege menschenwürdiger und selbstbestimmter zu gestalten. So leben
viele behinderte Menschen immer noch in menschenunwürdigen
Verhältnissen, erklärte Elke Bartz, Vorsitzende des Forums
selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen. Bartz, die von Anfang Februar
bis Ende Juni immer wieder auf Tour gehen wird, weiß wovon sie spricht.
Sie zeigt an ihrem eigenen Beispiel, was möglich ist. Die 45jährige
Elektrorollstuhlfahrerin aus Mulfingen in Baden Württemberg ist seit ihrem
Unfall vor 25 Jahren selbst auf umfassende Unterstützung im Alltag
angewiesen und hat es durchgesetzt, dass sie im Rahmen des Arbeitgebermodells
ihre Hilfen selbst organisieren und dadurch wesentlich flexibler leben kann.
Die bisher geplanten Veranstaltungen im Rahmen der Tour reichen von
Podiumsdiskussionen, über Ausstellungseröffnungen, einer Hotline zu
Fragen zur Pflegeversicherung und Beratungsangeboten, bis zu Schulungskursen
und Informationsveranstaltungen wie in Hamburg.
"Mit dieser Tour wollen wir aber nicht nur beraten, sondern auch
Beispiele sammeln, die deutlich machen, welche Ausgrenzungen behinderte
Menschen, die auf Hilfen im Alltag angewiesen sind, im Deutschland des 21.
Jahrhunderts noch erleben und welche Lücken die bestehenden Gesetze bzw.
deren Umsetzung noch aufweisen. Diese Ergebnisse dokumentieren wir und stellen
sie am Ende der Tour Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Berlin vor," so
Elke Bartz zum Ziel der von der Aktion Mensch und einer Reihe weiterer
Sponsoren geförderten Tour. Förderer der Tour
Elke Bartz steht auch gerne zu Pressegesprächen und Interviews zur
Verfügung - Tel. 07938/515 oder 0171-235 4411.