Bundesverband
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Tübingen (16. Mai 2001)

Internes Fachgespräch zum Thema "Persönliche Assistenz und das Arbeitgebermodell"

14.00 - 16.00 Uhr im CeBeeF Tübingen, Nauklerstr. 20, 72074 Tübingen
Veranstalter: Koordinationstreffen Tübinger Behindertengruppen und Club für Behinderte und ihrer Freunde Tübingen - CeBeeF e.V.
Kontakt: Elvira Martin, Tel. 07071/26969 E-Mail: koordinationstreffen.tuebingen@t-online.de

Podiumsdiskussion zum Thema "Assistenz für Menschen mit Behinderungen! Chance für ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft" mit Nachwirkungen.

Regelrecht Furore gemacht hatte die Podiumsdiskussion vom 20. Februar in Tübingen. Viele behinderte Menschen hörten dort erstmals vom Arbeitgebermodell. Es gab etliche Diskussionen, wer denn nun wirklich für die Umsetzung des Arbeitgebermodells geeignet ist und wo es Grenzen gibt.

Daher hatte das Koordinationstreffen Tübinger Behindertengruppen und der CeBeeF Tübingen Elke Bartz gebeten, auf der "Assistenztour" nochmals in Tübingen für ein Fachgespräch Station zu machen. Diese folgte der Einladung gerne, denn sie war der beste Beweis, dass die "Assistenztour" keine "Eintagsfliege" vor Ort ist, sondern zum Diskutieren, Nachdenken und Handeln angeregt hat. Mit gut zwanzig TeilnehmerInnen am Fachgespräch war dann der Veranstaltungsraum gut gefüllt.

In ganz Tübingen gibt es kein reguläres Arbeitgebermodell. Ein Teilnehmer sprach davon, das "falsche Arbeitgebermodell" zu praktizieren. Damit umschrieb er mit beschönigenden Worten, dass er vom örtlichen Träger der Sozialhilfe dazu gezwungen wird, seine AssistenInnen "schwarz" zu beschäftigen. Das heißt, er bekommt nur einen geringen Betrag zur Finanzierung seiner Hilfeleistungen bewilligt, der es unmöglich macht, wie vom Gesetzgeber vorgeschrieben Sozialversicherungsbeiträge und Steuern abzuführen. Da es hier um die Sicherung der Grundbedürfnisse geht, hat er dem Druck des Sozialhilfeträgers nachgeben müssen, obwohl er legale Arbeitsverhältnisse anstrebt.

Nach Meinung der Anwesenden liegt die Beratung in Tübingen mehr als im Argen. Es wird häufig gar nicht beraten, oder die Ratsuchenden werden mit Teil- oder gar Falschinformationen abgespeist. Dadurch erhalten Viele nicht die Leistungen, die ihnen vom Gesetz her zustünden.

Eine seltsame Praxis scheint es auch in Bezug auf Leistungskürzungen zu geben. So gab es vor einigen Jahren noch etliche behinderte Menschen, deren Rund-um-die-Uhr-Hilfebedarf anerkannt und gedeckt war. Dies geschah überwiegend durch den Einsatz von Zivildienstleistenden. Als diese in immer geringerer Anzahl zur Verfügung standen, wurden sie nicht etwa durch andere, wie festeingestellte Kräfte ersetzt. Vielmehr wurden die Helferstunden aus Kostengründen - und nicht weil sich der Bedarf verringert hatte -  willkürlich gekürzt. So leben heute einige behinderte Menschen unterversorgt mit bewilligten Stundenzahlen von sieben bis zwölf Stunden täglich. Die Drohung sonst ins Heim zu müssen, haben viele Proteste verstummen lassen. Lieber leben diese Menschen mit gravierenden Einschnitten in der Lebensqualität, als sich in eine Anstalt zu begeben. Sie können kaum glauben, dass es in anderen Städten wie München oder Mainz kaum Probleme bereitet, das Arbeitgebermodell zu angemessenen Entlohnungen für die Assistentinnen bewilligt zu bekommen.

Das Beispiel Tübingen beweist einmal mehr, wie unterschiedlich Bundesrecht in den einzelnen Kommunen angewandt wird. Dabei scheuen sich manche Behörden nicht, das Recht missbräuchlich anzuwenden und zustehende Leistungen zu verweigern, wenn es darum geht, Kosten zu sparen. Unterversorgungen werden dabei billigend in Kauf genommen.

Schwäbisches Tagblatt, Tübingen

23.05.2001

Elke Bartz

Das eigene Leben erkämpfen

Auf den ersten Blick lebt Elke Bartz ein typisch schwäbisches Leben. Sie wohnt mit ihrem Mann im eigenen Haus in einem kleinen Dorf im Hohenlohischen. Seit einem schweren Autounfall vor 20 Jahren ist die 45-Jährige vom Halswirbel an gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Die "Normalität" eines Privatlebens im eigenen Haus musste sie sich mühsam erkämpfen. Aus der Reha-Klinik kam sie sofort in ein Heim. In der ersten Zeit, als sie keine Perspektive sah, war es ihr ganz recht, dass ihr in der Einrichtung viel abgenommen wurde. "Aber dann wollte ich wieder selbst bestimmen, wann ich aufstehe und was ich esse."

Sie "kämpfte" sich heraus, lebte neun Jahre lang mit ihrem Mann; Zivildienstleistende halfen ihr, den Alltag zu bewältigen. Als im Jahr 1990 der Zivildienst verkürzt wurde, brach ihr Hilfsnetz binnen einer Woche auf einmal zusammen. "Ich wusste nicht, wie komme ich morgens aus dem Bett." Sie war Gefangene im eigenen Haus. "Stückchenweise" kaufte sie sich Hilfe von Sozialdiensten, außerdem sprangen ihre beiden Schwägerinnen ein.

Ein Jahr später erfuhr sie vom Assistenzmodell. Danach können behinderte Menschen wie Arbeitgeber ihre Hilfskräfte selbst einstellen, entlohnen und sozialversichern. Sie begegnete Gleichgesinnten und musste sich beim Peer Counselling (Beratung von Betroffenen für Betroffene) zum ersten Mal nicht dafür rechtfertigen, ",dass ich mit meinem Mann im eigenen Haus wohnen wollte".

Die zuständigen Sozialbehörden sahen das anders. Assistenz dürfe nicht mehr kosten als ein Heimplatz, sagte man ihr. Elke Bartz hatte das Gefühl, nicht als Mensch, sondern nur noch als Kostenfaktor wahrgenommen zu werden. Eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung folgte, die ein Stuttgarter Richter schließlich zu ihren Gunsten entschied: Kein Heim könne die Pflege in einer Familie aufwiegen. Der zuständige Sozialhilfeträger musste für die entsprechenden Kosten aufkommen.

Seither ist Elke Bartz in solchen Rechtsfragen überaus versiert. Als Vorsitzende des Forums selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA) teilt sie seit fünf Jahren ihre Kenntnisse mit anderen Behinderten - wie am Mittwoch im Tübinger Club für Behinderte und ihre Freunde. Die Fraktionen des Bundestages hörten sie im Februar als Sachverständige für Assistenz und für die Pflegeversicherung.

Rund 1500 behinderte Menschen in Deutschland beschäftigen Assistenten nach dem Arbeitgebermodell, sagte sie. "Das würden gerne mehr Menschen machen." 0berreden möchte sie indes niemanden: Wer einen bestimmten Sozialdienst schätzt oder die Sicherheit eines Heims vorzieht, soll dort bleiben. Aber behinderte Menschen sollten endlich die Wahl haben, wie sie ihr Leben führen möchten. Am Papierkram muss das nicht scheitern: Einzelne Behinderten-Zentren bieten bereits einen Lohnabrechnungs-Service an. Und: "Man kann auch einen Steuerberater nehmen." Zudem schaffe das Arbeitgebermodell Arbeitsplätze für Leute, die sonst nicht so einfach berufstätig wären. Freunde von ihr beschäftigen Künstler. Freigeister, sagt die 45-Jährige lächelnd, "die sich so ein Grundeinkommen sichern".

Derzeit tourt Elke Bartz durch 30 deutsche Städte, um Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen sowie Behörden und Politiker über das Assistenzmodell zu informieren - und um für Behinderte eine menschenwürdige Pflege zu fordern, die diesen eine gleichberechtigte Teilnahme am sozialen Leben ermöglicht. Sie selbst braucht drei Assistent(inn)en. Für die Körperpflege, für den Haushalt. Der Grundsatz, dass ausschließlich Frauen Frauen pflegen sollen, gilt für sie erst, seit sie von diesen Angestellten und nicht mehr von Zivildienstleistenden betreut wird. "Stellen Sie sich vor", sagte sie einmal im Bundestag, "Sie haben Ihre Periode, und dann kommt ein junger Mann und wechselt Ihren Tampon. Genauso ist unser Alltag und kein bisschen anders."

Dorothee Hermann

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