Als
wir im vergangenen Jahr planten, die Veranstaltungsreihe "Behinderte on Tour
- für Menschenwürde in der Pflege" quer durch Deutschland zu machen, hofften
wir auf Interesse in rund zwanzig Städten zu treffen. So formulierten wir damals
auch den Förderantrag bei der Aktion Mensch. Wie erfolgreich die geförderte
Tour war, konnte bzw. kann jede/r sowohl in der Dokumentation als auch auf unserer
Homepage nachlesen.
Bald
zeichnete sich ab, dass es nicht bei den Veranstaltungen im Rahmen der geförderten
Tour bleiben würde, denn es gingen immer mehr Terminwünsche ein. Folglich haben
wir die Tour fortgesetzt. Weitere Veranstaltungen unterschiedlichster Art fanden
statt. So gab es bereits am 6. Juli eine Podiumsveranstaltung zum Thema Assistenz,
die das ZSL Erlangen organisierte.
Nach
einer Sommerpause ging es am 6. September in Freiburg beim Selbsthilfeverein
Zugvogel, den wir mittlerweile zu unseren Mitgliedern zählen dürfen, weiter.
Dort ging es um den Schwerpunkt Assistenz und die Auswirkungen der Pflegeversicherung.
Es
folgte am 12. September eine mit dem ZSL Mainz durchgeführte Podiumsdiskussion
in Kaisersesch. Dort stellten wir das Arbeitgebermodell und den Lohnservice
des ZSL Mainz vor. Initiiert hatte unser Mitglied Erika Michels aus Illerich
diese Informationsveranstaltung.
Die
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen lud am 19. September zu einer
Schulungsveranstaltung für Sozialarbeiterinnen ein. Selbstbestimmte Assistenz
im Arbeitgebermodell und die rechtliche Situation war das Thema, das den Professionellen
vermittelt wurde.
Am 27. September organisierte unser Mitglied Max
Bleif für Bündnis 90/Die Grünen einen öffentlichen Informationsabend, an dem
die Chancen, ein selbstbestimmtes Leben mit persönlicher Assistenz zu führen,
vorgestellt wurden.
Parallel
zur REHACare fand in Düsseldorf ein Kongress der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation
(DVfR) statt. "Rehabilitation vor Pflege" lautete dort das Motto. Da selbst
die beste und umfassendste Rehabilitation nicht sämtliche Behinderungen und
den daraus resultierenden Assistenz/Pflegebedarf wegtherapieren kann, gilt es
Möglichkeiten der Selbstbestimmung und Menschenwürde in der Pflege zu kennen
und anzubieten. Am 4. Oktober stellte Elke Bartz daher das Arbeitgebermodell
im Rahmen eines Workshops vor.
Selbstbestimmung
auch für Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen? Ist das möglich?
Diese Fragen stellen sich immer häufiger die professionellen Mitarbeiterinnen
in (stationären) Einrichtungen für diese
Menschen. Auch Fragen nach Möglichkeiten der Deinstitutionalisierung
kommen dabei zwangsläufig auf. Um Wege in ein "normales" Leben sogenannter geistig
behinderter Menschen zu finden, bedienen sich Professionelle immer häufiger
den Erfahrungen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung.
Daher gab es am 8. Oktober zwei Veranstaltungen im Michaelisstift in Gefell
(Thüringen). Zunächst wurde mit den MitarbeiterInnen der Einrichtung über Wege
zur Selbstbestimmung und dem "Weg von der Betreuung zum Hin zur Unterstützung"
diskutiert. Anschließend fand eine Diskussionsrunde mit BewohnerInnen der Einrichtung
und von Außenwohngruppen statt, die sich sehr rege beteiligten und teilweise
sehr genaue Vorstellungen von Selbstbestimmung und ihrer Umsetzung hatten.
In
den kommenden Wochen werden noch einige weitere Veranstaltungen in Deutschland
stattfinden, so dass noch immer kein Ende der Tour absehbar ist.
Doch
nicht nur in Deutschland wollen auf personelle Hilfen angewiesene Menschen in
Würde leben. Auf die Assistenztour durch das Internet aufmerksam geworden, meldeten
sich behinderte Menschen und ihre Organisationen aus Innsbruck, Graz, Wien und
Linz und luden zu einer Tour durch Österreich ein. Diese fand vom 14. bis 23.
Oktober statt.
Foto: ca. 50 TeilnehmerInnen nahmen in der Wiener Donaucitykirche an der Veranstaltung teil, die von Domino und SLI Wien organisiert wurde |
Eigentlich
ist es nichts Besonderes, aber dennoch immer wieder faszinierend zu sehen, wie
sehr sich die Wünsche, Träume und Bedürfnisse nicht nur in Deutschland, sondern
überall auf der Welt gleichen. Nur die Bedingungen unterscheiden sich oft, je
nachdem welche Anerkennung als gleichberechtigte BürgerInnen behinderte Menschen
(aber auch andere "Randgruppen") in ihrem Heimatland erfahren. Während in Deutschland
- wenn auch unzulängliche - Rechtsansprüche bestehen und diese oft schwer umzusetzen
sind, fehlt es in Österreich sogar noch an einer entsprechenden Gesetzgebung.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Pflegebereich anders als in Deutschland nicht
bundeseinheitlich geregelt ist, sondern in die Zuständigkeitsbereiche der jeweiligen
neun Bundesländer fällt. Und auch hier gibt es das ebenso gefürchtete wie berühmte
"Todschlagargument" seitens der Behörden: "Entweder Sie geben sich mit dem zufrieden,
was wir bewilligen, oder Sie müssen ins Heim." Es ist erschütternd zu sehen,
unter welchen menschenunwürdigen Bedingungen viele behinderte Menschen leben,
weil Sie trotz vollkommener Unterversorgung diesen Zustand
immer noch in einem Heimaufenthalt vorziehen.
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Doch wie in Deutschland und zahlreichen
anderen Ländern der Welt, akzeptieren behinderte Menschen auch in Österreich
ihre fremdbestimmten Lebenssituationen nicht mehr. Sie solidarisieren sich in
Selbsthilfeorganisationen, leisten Basisarbeit in Form von Beratung, werden aber
auch politisch aktiv und fordern eine Gesetzgebung, die ihnen Chancengleichheit
gewährt. Internationale Erfahrungsaustausche in alle Richtungen sind dabei hilfreiche
Instrumente.