Behinderte Menschen im Krankenhaus
die Erlebnisse des Erwin Hampel
Immer wieder schildern behinderte Menschen ihre schockierenden Erlebnisse im Krankenhaus. Häufig ist das Pflegepersonal nicht auf die besonderen Bedürfnisse eingestellt, so dass es zu Unterversorgungen, über gesundheitliche Folgen sogar bis zum Tod, wegen falscher oder mangelnder Pflegeleistungen kommt. Sterben musste Erwin Hampel nicht. Doch ins Krankenhaus wird er wohl nicht mehr so schnell gehen, selbst wenn das medizinisch notwendig würde. Nachfolgend berichtet er über seine Erlebnisse bei einem stationären Krankenhausaufenthalt. Seine Schilderungen werden durch die seiner Assistentin ergänzt.
Erwin Hampel:
Guten Tag, mein Name ist Erwin Hampel, geb. am 14. 2. 1948. Ich sitze seit einem Autounfall im Dezember 1995 im Rollstuhl und bin querschnittsgelähmt. Dennoch lebe ich allein in einer Wohnung und habe eine Assistentin, die mich pflegt, mich in meinen Aktivitäten unterstützt und die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten übernimmt. Ich mache mit Unterstützung den Transfer vom Bett in den Rollstuhl und zurück und fahre auch selbst Auto. Ich stehe morgens spätestens um 8.30 Uhr auf und gehe abends zwischen 23.00 Uhr und 1.00 Uhr ins Bett. Eventuell mache ich einen Mittagsschlaf.
Nun hatte meine Assistentin beim Katheterisieren festgestellt, dass der Urin nicht in Ordnung war und brachte eine Probe zu meinem Hausarzt, Dr Koch. Ich bekam Antibiotika und nachdem es zu keiner nennenswerten Besserung kam, ließ ich mir einen Termin beim Urologen, Dr. Stein, machen. Die erste Untersuchung am 28.1.3 ergab, dass die Nieren nicht gestaut waren. Bei einem folgenden Termin sollten Blase und Prostata durchgecheckt werden. Auf Grund dieser Untersuchung am 19.2.2003 bekam ich eine Einweisung ins Krankenhaus; es sollte ein kleiner Eingriff werden mit ein paar Tagen Krankenhausaufenthalt.
Am 4.3.2003 war es dann soweit: Bei der Eingangsuntersuchung in der Klinik stellte man in der Blase Steine fest, die am folgenden Tag entfernt wurden. Außerdem stellte man beim Röntgen in der linken Niere einen Tumor fest, der am Montag, den 10.3.2003 mitsamt der Niere entfernt werden sollte. Am Samstag, den 8.3. war mein Abführtag (alle 2 Tage) und da ich Raucher bin, schob man mich mit dem Toilettenstuhl in den Hausflur. Das Fenster zum Balkon war geöffnet; auf dem Schoß hatte ich eine Decke und da saß ich dann drei Stunden. Die Schwester kam kurz vor dem Austeilen des Abendbrots und setzte mich in den Rollstuhl. Zum Essen bekam ich sowieso nichts - wegen der bevorstehenden OP.
Zwei Tage nach der OP erlaubte mir der Arzt bei der Visite aufzustehen, das heißt in den Rollstuhl zu sitzen. Leider hatten die Schwestern keine Zeit und so musste ich bis gegen 16.30 Uhr im Bett bleiben. Da kam meine Assistentin, und nach Rücksprache mit dem Arzt half sie einer Schwester beim Raussetzen. Die Schwester schimpfte und erklärte uns, dass sie nur mit einer Lehrschwester auf dem Flur wäre und dass ich erst vor zwei Tagen operiert worden wäre und dass ich in diesem Zustand nicht aufstehen sollte. Es wäre ja auch eine schwere Operation gewesen.
Sie erkundigte sich bei meiner Assistentin, wie lange sie da wäre und diese meinte: Wenn sie sagen Herr Hampel muss um 18.30 Uhr ins Bett, dann werde ich um 18.30 Uhr da sein. Darauf die Schwester: Was glauben sie denn, er kann doch nicht zwei Stunden im Rollstuhl sitzen in seinem Zustand. Doch schließlich kam ich doch heraus - Gott sei Dank. Gegen 18.00 Uhr fuhr mich meine Assistentin wieder ins Zimmer zurück. Sie wollte mich rasieren und sagte das zu der Schwester im Vorbeigehen. Um 18.30 Uhr begegneten wir wieder dieser Schwester und sagten: wir sind jetzt da. Da bekamen wir zur Antwort: Ich habe jetzt keine Zeit; ich muss noch Patienten für die morgige OP vorbereiten. Sie kam dann gegen 19.15 Uhr und damit war ich fast drei Stunden im Rollstuhl gewesen.
Am nächsten Tag das gleiche Theater. Der Arzt sagte, ich darf in den Rollstuhl und von den Schwestern die Absage. Ich war böse und fragte die Schwester, warum man mich behandelt wie im Gefängnis. Daraufhin hatte ich schlechte Karten und ich entschuldigte mich. Bei der diensthabenden Ärztin wollte ich mich daraufhin beklagen. Doch diese gab mir zu verstehen, dass sie da nichts machen könne. Sie würde nichts gegen die Schwestern unternehmen, da die mehr Erfahrung hätten und sie letztendlich mit diesen zusammen arbeiten müsste.
Als ich am Abend ins Bett gebracht wurde, stellte meine Assistentin fest (sie hat mitgeholfen) dass an meinem Gesäß eine rote Stelle war und meinte, man müsse mich lagern. Die Antwort war eine abwehrende Handbewegung und die Worte: Das vergeht wieder. Dafür musste ich am nächsten Tag auf Anweisung des Arztes Mittagsruhe halten - auf der Seite liegend! - um die Druckstelle zu entlasten.
Am Sonntag, den 16.3. wurde ich in ein anderes Zimmer verlegt. Die Luft war zum Schneiden; alle Fenster zu und die Sonne schien direkt darauf. Am Abend konnte ich nicht einschlafen und sagte dies der Nachtschwester. Sie schob mich kurzerhand aus dem Zimmer; die Luft war nicht viel besser - aber es war kühler.
Dann hatte die Schwester Nachtwache mit der ich die Unstimmigkeiten hatte. Ich bat sie mir mein T-Shirt auszuziehen, als sie den Urinbeutel kontrollierte und sie entgegnete: Nein, ich will doch nicht Schuld sein, wenn Sie eine Lungenentzündung bekommen. Daraufhin habe ich mich selbst aus dem T-Shirt gequält.
Ich hatte gehofft, am 22.3. oder am 24.3. entlassen zu werden. Leider hatte ich erhöhte Temperatur und musste noch bleiben. Am Donnerstag, den 27.3. bekam ich eine „Luftmatratze" wegen einer Druckstelle am Gesäß. Meine Assistentin hatte extra zur Prophylaxe ein Öl mitgebracht, aber keiner hat mich damit eingerieben und nun das. Jetzt durfte ich deswegen nicht aus dem Krankenhaus. Der Doktor stöhnte, weil keine Krankenkasse für die Kosten eines Dekubitus bezahlt, weil keine Anschlussheilbehandlung oder eine Kur angetreten werden kann. Als meine Assistentin an diesem Nachmittag kam, hat sie den Verband gelöst und den Dekubitus fotografiert.
Am Samstag, den 29.3. war wieder einmal Abführtag. Nach dem Mittagessen bekam ich mein Zäpfchen und musste ca. 1/2 Stunde im Bett bleiben. Danach wurde ich auf den Toilettenstuhl gesetzt, in den Waschraum geschoben und dort saß ich ca. 1,5 Stunden bis wieder jemand kam. Als meine Assistentin kam, packte sie auf meinen Wunsch hin meine Sachen zusammen. Ich wollte nun nur noch so schnell wie möglich nach Hause. Ich bin solange eine Zigarette rauchen gegangen. Nachdem sie mit dem Koffer ins Raucherzimmer gekommen war, fuhr ich auf die Station zurück um mit einem Doktor zu sprechen, bzw. um die entsprechenden Papiere zu unterschreiben. Leider war niemand dort zu sehen - und so bin ich eben ohne Rücksprache zu halten nach Hause gefahren.
Um 17.30 Uhr hat dann Herr Doktor Wagner angerufen und ich habe ihm die Sachlage erklärt. Meine Assistentin hat mir dann den Katheter gezogen und meinen Dekubitus versorgt. Am Montag darauf sind wir dann zu meinem Hausarzt Dr. Koch gefahren, damit er sich mein Gesäß ansehen kann und entsprechendes Verbandsmaterial verordnet.
Roswitha Uhrig, die Assistentin:
Guten Tag, mein Name ist Roswitha Uhrig. Ich bin examinierte Altenpflegerin und habe in Altenheimen und Sozialstationen gearbeitet. Ich arbeite jetzt seit fünf Jahren für und mit Herrn Hampel als seine Assistentin nach dem Arbeitgebermodell. Meine Tätigkeit umfasst Pflege und Hauswirtschaft. Aus diesem Grund kann ich behaupten, dass ich meinen Chef sehr gut kenne. In der ganzen Zeit ist es mir nicht gelungen, ihm einen Dekubitus anzupflegen.
Nach etwa drei Wochen im Krankenhaus hatte Herr Hampel am Steiß eine gerötete Stelle in der längsten Ausdehnung (von rechts nach links) von ca. 10 cm. Aus der rechten Seite eine 2-Euro-Stück großes, ca. 2 mm tiefe, dunkelrote, nässende Wunde in einem ca. 5,5 cm großen geröteten Umfeld, auf der linken Seite eine etwa 6,5 cm große gerötete Stelle mit mehr oder weniger großen länglichen Verletzungen. Versorgt war das Ganze mit einem Gel-Wundverband und allem Anschein nach mit Fibrolan-Salbe. Oberhalb dieses Verbandes befand sich ein etwa 20 cm langes und etwa 4 cm breites Geschwulst. Darüber links und rechts zwei runde, blaue Flecken.
Deshalb sind wir am Montag nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zum Hausarzt, Dr. Koch gefahren, damit er sich das ansehen kann. Außerdem musste er noch diverse Hilfsmittel verordnen.
Gleich bei der Aufnahme im Krankenhaus haten wir nach einer Dekubitusmatratze gefragt. Herr Hampel bekam daraufhin eine Schaumstoffauflage ins Bett als sog. Superweichlagerung. Nach dem neuesten Stand ist man davon abgekommen, genauso wie von fönen und eisen. Und wenn man die Superweichlagerung noch mit einem straff gezogenen Leintuch, einem Stecklaken und einer Krankenunterlage versieht, hebt sich die Wirkung ganz auf. Die beste Prophylaxe ist immer noch regelmäßiges Umlagern (alle zwei Stunden) und intensive Hautpflege für eine intakte Haut.
Meine Hinweise auf die gerötete Hautpartie und auf Lagerung wurden mit einer abwehrenden Handbewegung abgetan. Statt dessen erklärte mir eine Krankenschwester, dass Herr Hampel im Krankenhaus sei und Kompromisse schließen müsse. Er könne nicht morgens und mittags aus dem Bett - zuhause könne man das machen. Daraufhin erklärte ich ihr, dass Herr Hampel morgens meistens um 8.30 Uhr im Rollstuhl sitzt und abends selten vor 24.00 Uhr ins Bett geht (Katheterisierzeiten). Er fühlt sich am Wohlsten im Rollstuhl, weil er aufrecht sitzend besser abhusten kann und besser Luft bekommt.
Wieviel Kompromisse muss denn ein einzelner Rollstuhlfahrer auf einer Krankenstation machen, der auf fremde Hilfe angewiesen ist? Abends muss er um 19.30 Uhr ins Bett. Am anderen Tag muss er bitten und betteln, dass er in den Rollstuhl kommt (Arzt hatte es erlaubt). Mit etwas Glück vor dem Mittagessen. Solange liegt er auf dem Rücken ohne umgelagert zu werden. Muss er noch abführen, liegt er bis gegen Mittag im Bett (abführen nicht auf dem Toilettenstuhl). Das Frühstück steht noch nachmittags auf dem Nachtschrank und wird zur Zwischenmahlzeit um 15.30 Uhr, da in der Zwischenzeit das Mittagessen ausgeteilt wurde. Oder er sitzt bei geöffneter Balkontür auf dem Flur, mit einer Decke über den Beinen, ohne Klingel auf dem Toilettenstuhl zur Besuchszeit von 14.00 - 17.00 Uhr. Erst kurz vor dem Abendbrot zeigt sich eine Schwester und er wird in seinen Rollstuhl umgesetzt. Am letzten Samstag seines Krankenhausaufenthalts hatte man ihm nach dem Mittagessen die Zäpfchen verabreicht und ihn ca. 1/2 Stunde im Bett liegen lassen. Danach wurde er auf den Toilettenstuhl gesetzt, in den Waschraum geschoben und dort durfte er dann 1 1/2 Stunden sitzen. Damit war für Herrn Hampel der Krankenhausaufenthalt erledigt und er hat sich auf eigene Gefahr nach Hause entlassen.
Ich habe Herrn Hampel während des Aufenthalts täglich rasiert und die Haare gewaschen. Mobile Patienten durften sogar duschen. Duschgel, Hautlotion und spezielles Öl zur Dekubitusprophylaxe waren am Ende noch genauso voll wie zu Beginn.
Auf Grund seines Dekubitus war an eine sogenannte Anschlussheilbehandlung, bzw. an eine Kur nicht zu denken. Der soziale Dienst wollte sich darum kümmern. Aus dem Bericht an den einweisenden Arzt (Urologe Dr. Stein) ging hervor, dass Herr Hampel die Klinik verlassen hat ohne Rücksprache mit dem Arzt. Und er sich weigerte einen suprabubischen Blasenkatheter legen zu lassen. Fakt ist, dass er zu diesem Zeitpunkt davon gar keine Kenntnis hatte. Die diensthabende Ärztin hatte dies mir gegenüber erwähnt in einem kurzen Gespräch, als sie mir mitteilte, dass man sich um eine Klinik bemüht, die sich mit Dekubiti auskennt.
Daraus ergibt sich, dass nicht mit den Patienten gesprochen wird, sondern über sie hinweg und dass Angehörige nicht mit einbezogen werden. Solch eine Behandlung kenne ich aus der Praxis. Sie wird hauptsächlich Heimbewohnern zuteil.
Im April 2003