Forum 1
Umfang und Bereiche der Persönlichen Assistenz
Auf
dem Podium: Klaus Lachwitz, (Lebenshilfe) und Uwe Frevert (ISL)
Thesen zu diesem Forum
Bericht zum Forum 1
Berichterstatterin Irene Bazinger, freie Journalistin, Berlin
Allgemein:
Das Forum 1 trug den Titel „Umfang und Bereiche der Persönlichen
Assistenz" und wurde von Uwe Frevert, ISL e.V., und Klaus Lachwitz,
Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., geleitet. Es wurde von rund 30 TeilnehmerInnen
aus verschiedenen Zusammenhängen - Betroffenen wie Mitarbeitern
von sozialen Einrichtungen oder Krankenhäusern - besucht.
Inhaltlich präsentierte das Forum 1 unter den fünf in Mainz
tagenden Foren das weiteste thematische Spektrum. Denn als allgemeine
Einführung in die Materie „Persönliche Assistenz"
diente es sowohl der grundlegenden Bestandsaufnahme als auch der möglichst
breit gefassten Verständigung über die „Essentials".
So wurden einzelne, den TagungsteilnehmerInnen schriftlich vorgelegte
und dann verlesene Schlüsselbegriffe und Thesen gemeinsam diskutiert.
Diese lauteten: Ganzheitlichkeit, Qualität, Kompetenz, Teilhabe,
Verantwortung, Fürsorge, Arbeitgebermodell, Wettbewerb (siehe Thesenpapier).
Dabei sollte zweierlei kritisch besprochen werden: Ob diese Schlüsselbegriffe
in der ausformulierten Darlegung des Thesenpapiers praktisch, das heißt
im täglichen Leben, taugen, und ob sie dies theoretisch tun, nämlich
als Anregung für die Gesetzgeber respektive als Vorlage für
ein angestrebtes Assistenzsicherungsgesetz.
Im Gespräch tauchten neue Anstöße in Form zusätzlicher
Kriterien für den Themenkatalog auf, um ihn für alle behinderten
Personengruppen, zum Beispiel solche mit Lernschwierigkeiten, nutzbar
zu machen.
Als besondere Schwierigkeit bei der Schaffung eines einheitlichen Modells
zur persönlichen Assistenz für alle betroffenen Personen nannte
Klaus Lachwitz die fast unvereinbaren Anforderungen der äußerst
unterschiedlich zusammengesetzten Zielgruppe. Diese umfasse sowohl den
hochintelligenten Akademiker, der wegen einer körperlichen Behinderung
Assistenz benötigt, als auch den Demenzkranken, der nicht weiß,
was mit ihm geschieht.
Konkret:
Ausgehend von diesen überaus vielfältigen Bedürfnissen
und Ansprüchen musste bereits der Basisbegriff „Persönliche
Assistenz" diskutiert werden, da er für verschiedene Nutzer
natürlich jeweils andere Inhalte besitzt.
Im Prinzip lassen sich zwei Betrachtungsweisen zum Themenkomplex „Persönliche
Assistenz" unterscheiden:
1) Selbstbestimmung:
Der behinderte Mensch bestimmt seinen Assistenzbedarf nach Leistung
und Umfang selbst.
2) Fremdbestimmung:
Der Bedarf inklusive Leistung und Umfang wird ihm von Außenstehenden
diktiert.
Hierbei sind nochmals zwei konträre Verfahren zu erkennen:
2 a) „Die freundliche Übernahme":
Zum Teil hat die behinderte Person Mitsprache bei ihrer Betreuung, jedoch
keine verbrieften Rechte, das heißt, sie oder er ist vom jeweiligen
individuellen Wohlwollen des Assistenzgebers oder Kostenträgers
abhängig.
So wird etwa eine Begleitperson beim Aufenthalt im Krankenhaus geduldet,
einen rechtlichen Anspruch und eine Ãœbernahme der Kosten gibt es
allerdings nicht.
2 b) „Die weniger freundliche Übernahme":
Der behinderte Mensch wird nach Dienstplan des Assistenzgebers bzw.
Kostenträgers und nach Schema F bevormundet.
Von bevorzugtem Interesse für die Forumsteilnehmer war das Modell
der persönlichen Assistenz in der selbstbestimmten Variante.
Die im Thesenpapier unter dem Begriff „Ganzheitlichkeit"
ausgeführte Definition der „Persönlichen Assistenz"
wurde als Diskussionsgrundlage für die weitere Beschäftigung
mit dem Thema akzeptiert und ergänzt:
„Die Persönliche Assistenz ist ein ganzheitliches
Hilfeprinzip im ambulanten Bereich und beinhaltet zum Beispiel die Gebiete
Grundpflege, Haushalt, Freizeit, Ausbildung, Beruf sowie die Hilfen
für behinderte Eltern, Assistenz auf Reisen, bei kürzeren
stationären Krankenhausaufenthalten, bei Kuraufenthalten und Reha-
Maßnahmen. Sie wird unabhängig von Ort und Zeit eingesetzt."
Anders gesagt: „Persönliche Assistenz umfasst Leistungen
für alle Aktivitäten des täglichen Lebens, graduell an
die Behinderung angepasst."
Da
persönliche Assistenz im ambulanten Bereich vorwiegend an das Arbeitgeber-Modell
gebunden ist (Anstellung von Assistenten in Privathaushalten), muss
der behinderte Mensch hochspezialisierte Kompetenzen bezüglich
Personalauswahl, Anleitung, Einsatzplanung und Finanzsteuerung erwerben.
Eine qualitätsvolle und effektive Assistenzleistung beruht auf
der kenntnisreichen Selbsteinschätzung des künftigen Assistenznehmers,
aufgrund derer die geeigneten Maßnahmen und der Zeitaufwand festgelegt
werden können.
Die Fragen der Forumsteilnehmer zu dieser Materie betrafen auch scheinbare
Kleinigkeiten und zeigten damit, wie viel Unsicherheit es bei der praktischen
Anwendung der persönlichen Assistenz gibt, etwa: Wie wichtig ist
Abgrenzung zwischen Arbeitgeber (Assistenznehmer) und Arbeitnehmer (Assistenzgeber)?
Wie kann Abgrenzung trotz der räumlichen Nähe, bei intimen
Dienstleistungen usw. aufrecht erhalten werden? Ist Siezen oder Duzen
zwischen den Vertragspartnern zweckmäßiger?
Außerdem, so die Erkundigung etlicher ziemlich ratloser Teilnehmer,
wo kann man all diese Fähigkeiten, die geradezu ein komplettes
Lebens- und Berufsprogramm bilden, eigentlich erlernen?
Aus den berichteten Problemen erwuchs in der Diskussion die Forderung
nach der Einrichtung von Beratungsstellen. Diese sollten sich jedoch,
um den diversen Bedürfnissen zu genügen, am speziellen Einzelfall
orientieren und keine generalisierten Lösungspakete verordnen.
Ãœberdies sollten sie die Interessen der behinderten Menschen vertreten
und nicht den Vorgaben irgendwelcher offizieller Dienste oder Einrichtungen
obliegen.
Angeregt wurde eine Art „Verbraucherschutz" für Assistenznehmer,
um sich hinsichtlich der Qualität, der Effizienz, der Leistungsstandards
und der Loyalität ihrer potentiellen Assistenzgeber vergewissern
zu können.
Das unabdingbare Fundament all dieser Maßnahmen zur Realisierung
persönlicher Assistenz ist es, die individuelle Freiheit der Assistenznehmer
sowie ihre Selbstbestimmung zu gewährleisten.
Fazit:
Unabhängig von der konkreten Finanzierung, die in den anderen
Foren ausgiebig behandelt wurde, bedeutet die oben skizzierte Form der
persönlichen Assistenz keineswegs einen Luxusbedarf. Im Gegenteil,
hierin drückt sich ein primäres demokratisches Prinzip aus,
nach dem behinderte Menschen mehr Rechte und mehr Verantwortung als
Bürgerinnen und Bürger einfordern. Dazu zählt auch der
Wunsch nach juristischer Klarheit: Die vorhandenen Gesetze müssen
überprüft und transparent gemacht werden, um herauszufinden,
wie weit sie Möglichkeiten zu selbstbestimmter persönlicher
Assistenz bieten. Gibt es rechtliche Lücken, müssen neue Gesetze
erlassen werden. Demokratie heißt schließlich insbesondere,
die Option zur Wahl zu haben - um nicht mehr, aber auch um nicht weniger
geht es hier. Ziel ist, so gab sich das Forum einstimmig sein Schlusswort,
ein Assistenzsicherungsgesetz mit dem Recht auf freie Wahl des betreuenden
Personals durchzusetzen. Das heißt, behinderten Menschen alle
nötigen Voraussetzungen zu verschaffen, damit sie sich vom Objekt
der Pflege zum Subjekt in Eigenverantwortung entwickeln können
- was ja nun wirklich nicht zu viel verlangt sein dürfte.