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Pflegeskandale oder der normale Wahnsinn?

Archiv - INFORUM 1/2001

Pflegeskandale oder der normale Wahnsinn...?

von Uwe Brucker, Fachgebietsleiter Pflege beim medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS)

wiedergegeben mit freundlicher Geniehmigung von Autor und Verlag aus der Fachzeitschrift „Betreuungsrechtliche Praxis", Oktober 2000

Medienberichte aus Pflegeheimen mit abschreckenden Bildern von wund gelegenen, von Austrocknung und Unterernährung gezeichneten alten Menschen erschüttern den Glauben, dass in Pflegeheimen das Altwerden in Würde gewährleistet ist. Tatsächlich gibt es genügend Gründe für Defizite im Bereich der Pflege wie bei ca. 4000 Qualitätsprüfungen des Medizinischen Dienstes (MDK) bis Ende 1999 festgestellt wurde.

Aspekte, die bisher in der öffentlichen Diskussion zu kurz kommen:
Das gesellschaftlich geduldete Niveau auf dem die Versorgung und Pflege alter und pflegebedürftiger Menschen erfolgen kann, bis eine Zeitung sich des Themas annimmt.

Nach jedem öffentlich gewordenen Missstand folgt eine Unschuldskampagne von Verantwortungsträgern, die nichts von alledem gewusst haben wollen; wenn das generelle Leugnen nicht mehr haltbar ist, wird beschönigt, verharmlost und bagatellisiert. Damit einher geht oft eine Medienschelte: der eigentliche Skandal seien verantwortungslose Journalisten, die aus billiger Effekthascherei alte Menschen verunsichern und verängstigen.

Bevor sich die Betroffenen an die Öffentlichkeit wenden, haben sie versucht, eine Lösung des Problems mit dem Heim herbeizuführen. Fehlende Resonanz, Einschüchterung, Drohungen mit Arbeitsplatzverlust, Rufmord und Strafanzeige scheinen zum gängigen Repertoire des Konfliktmanagements von vielen Heimen zu gehören.

Im Nachgang zu jedem ersten öffentlichen Bekannt werden von defizitären Zuständen im betroffenen Heim melden sich immer eine Anzahl von Personen. die entweder den geschilderten Sachverhalt als z. T. über Jahre hinweg bekannt und streitgegenständlich mit der Heimleitung bestätigen oder noch haarsträubendere hinzufügen. Fragt man diese Personen, warum sie sich nicht früher an Heimaufsicht, Pflegekasse o.a. gewandt haben, folgt der Hinweis auf Einschüchterung, Beschimpfung, Bedrohung und auf die bisher erlebte Gewissheit, dass das Kartell des Schweigens und der Scheinheiligkeit nicht zu durchbrechen sei.

Es sind vor allem zwei Personengruppen, die sich an die Öffentlichkeit trauen: Angehörige von (meist verstorbenen) Heimbewohnern und (ehemalige) Mitarbeiter des Heims. Fast nie gibt es Beschwerden von Personen, die aus beruflichen Gründen nahezu täglich im Pflegeheim ein- und ausgehen: Ärzte, gesetzliche Betreuer und Seelsorger.

Offensichtlich haben die für die Qualität in der Pflege zuständigen Bundesministerien Handlungsbedarf gesehen. Die Signale, die von deren Gesetzesvorhaben ausgehen lauten: mehr Qualität in die Pflegeeinrichtungen, damit Pflegebedürftigen mehr Sicherheit, Autonomie und Kundensouveränität zukommt. Heime und ambulante Dienste sollen demnach zu mehr internen Qualitätsanstrengungen verpflichtet werden und sich auch in größerem Umfang auf externe Überprüfungen durch MDK und Heimaufsicht einstellen müssen. Bei der Heimaufsicht bleibt zu hoffen, dass ihre Wirksamkeit vor Ort verbessert wird. Interessenkollisionen vor allem dort, wo Heimaufsicht kommunal tätig ist, verhindern oft mehr als sie für die Würde, die Interessen und Bedürfnisse alter und pflegebedürftiger Menschen bewirken.

Dass der Vormundschaftsgerichtstag im Oktober 2000 die Lebenslagen alter, gesetzlich betreuter Menschen thematisiert, bietet auch die Chance, den gesetzlichen Betreuer als rechtlichen Interessenwahrnehmer im Heim neu zu reflektieren.

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