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Widerspruch gegen die "richtige" Einstufung in die Pflegeversicherung

Archiv - INFORUM 1/2002

Widerspruch gegen "richtige" Einstufung
in die Pflegeversicherung

Was sich beim ersten Hinsehen als paradox darstellt, macht dennoch Sinn. Wer überprüft schon das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), wenn die Einstufung in die richtige Pflegestufe erfolgte und man, frau natürlich auch, durchaus zufrieden ist? Vordergründig besteht also nicht der geringste Anlass, das Gutachten genau durchzusehen und trotz richtiger Einstufung Widerspruch einzulegen. Mehr Leistungen gibt es ja sowieso nicht. Stimmt, die Pflegeversicherung zahlt bekanntermaßen nur Leistungen der Pflegestufen I, II und II (sowie bei der III+ die höheren Sachleistungen).

Es kann sich jedoch als fatal erweisen, keinen Widerspruch einzulegen und Zeiten korrigieren zu lassen, wenn sich ohnehin an der Pflegestufe nichts ändert. Für diejenigen, die ergänzende Leistungen durch die Träger der Sozialhilfe benötigen, macht ein Widerspruch dennoch Sinn. Die Pflegestufe I beginnt zwar schon bei einem Hilfebedarf von 90 Minuten, endet aber erst bei 179 Minuten. Die Pflegestufe II beginnt bei 180 und endet bei 299 Minuten, die Pflegestufe III beginnt bei 300 Minuten und kann (theoretisch) bei 1440 Minuten enden, wo ab 420 Minuten in der Regel die Härteklausel der Pflegestufe 3+ gilt.

Die Träger der Sozialhilfe verweisen zunehmend auf die Bindungswirkung zur Pflegeversicherung und erkennen als Pflegebedarf oft nur die vom MDK anerkannten Zeiten an. Richtig ist, dass dieser anerkannte Bedarf lediglich den Mindestbedarf festlegt. Da die Leistungen der Pflegeversicherung nach Art (und natürlich auch nach Zeit) der Hilfen gedeckelt sind, müssen vom MDK auch nur die entsprechenden Hilfen im Gutachten berücksichtigt werden.

Die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) werden jedoch nach dem Bedarfsdeckungsprinzip gewährt. Das heißt, jeder tatsächlich vorhandene Bedarf muss gedeckt (finanziert) werden. Die Träger der Sozialhilfe dürfen also nicht unter dem vom MDK ermittelten Bedarf bescheiden. Darüber ist das jederzeit möglich, sofern der Bedarf besteht.

Alles klar? Nein?

Warum ein Widerspruch trotzdem Sinn machen kann, soll folgendes Fallbeispiel verdeutlichen:

Frau Meier wurde vom MDK in die Pflegestufe II eingestuft. Der MDK anerkannte einen Grundpflegebedarf von 130 Minuten täglich und einen Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung von 70 Minuten täglich (wohlgemerkt nur dem engen Leistungskatalog der Pflegeversicherung gemäß) also 200 Minuten insgesamt. Frau Meier benötigt jedoch weiter gehende Hilfen, die sowohl den Leistungen der Pflegeversicherung entsprechen, als auch solche, die in den Bereich der Eingliederungshilfen fallen. Mit den vom MDK anerkannten 70 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung kann sie nicht den kompletten Haushalt (Einkaufen, Kochen, Spülen, Putzen, Wäsche wachern, Bügeln usw.) organisieren. Als Teilkaskoversicherung deckt die Pflegeversicherung ja stets nur einen Teil der anerkannten Hilfen. Sofern keine ehrenamtlichen Hilfen zur Verfügung stehen, müssen die restlichen Kosten anderweitig finanziert werden!

Da sie nachts keinen Hilfebedarf – und damit keine Chance auf die Pflegestufe III hat – legt sie keinen Widerspruch gegen die Einstufung in die Pflegestufe II ein. Die nicht von der Pflegeversicherung gedeckten Kosten will sie beim Sozialhilfeträger geltend machen.

Dieser wiederum beruft sich auf das Gutachten des MDK und will nur die Kosten übernehmen, die im Rahmen der von der Pflegeversicherung anerkannten, jedoch nicht gedeckten Kosten entstehen. Frau Meier macht geltend, dass sie einen täglichen Bedarf von 210 Minuten im Bereich der Grundpflege hat und einen Bedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 120 Minuten, insgesamt also von 330 Minuten. Da sie jedoch keinen Widerspruch gegen den Bescheid der Pflegeversicherung eingelegt hat, anerkannte sie nach Meinung des Sozialhilfeträgers die Einstufung bzw. die Anerkennung von lediglich 200 Minuten täglich. Folglich meint dieser (der Sozialhilfeträger) auch nur bis zu dieser Grenze (ohne Eingliederungshilfe und ohne sonstige Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der Pflegeversicherung anerkannt sind) leisten zu müssen.
Hätte Frau Meier Widerspruch gegen das Gutachten des MDKs eingelegt und einen höheren Bedarf anerkannt bekommen, hätte dies zwar nichts an der Pflegestufe geändert, den höheren Bedarf jedoch schon dort manifestiert.

Nicht immer hat es negative Auswirkungen, keinen Widerspruch einzulegen, wenn die Pflegestufe ansonsten stimmt. Die Praxis beweist jedoch zunehmend, dass sich die Träger der Sozialhilfe derart eng an den Bedarfen, die der MDK anerkannt hat, orientieren, dass ein Widerspruch langwierigen Verhandlungen und Streiterei mit den Sozialhilfeträgern vorbeugen kann.

Wer Fragen zum obigen Text hat, kann sich gerne mit ForseA in Verbindung setzen. Eigene Erfahrungen, die wir (auch anonym) im INFORUM veröffentlichen können, interessieren uns sehr!

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