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Weihnachtsgeschichten » Weihnachten » 2003 Eine Weihnachtsgeschichte

Weihnachten 2003

Der WeihnachtsmannWie alle Jahre wieder am Heiligen Abend legt der Weihnachtsmann seinen zwölf Rentieren ihr bestes Geschirr an. Rot und golden ist es und viele kleine Glöckchen klingen daran. So festlich aufgeschirrt spannt er seine ungeduldig scharrenden Tiere vor den Schlitten, der unter riesigen Bergen von bunt verpackten, mit glänzenden Schleifen geschnürten Päckchen und Paketen kaum noch zu erkennen ist.

Der WeihnachtsmannDoch in diesem Jahr ist etwas anders. Diesmal wird der Weihnachtsmann seine Reise auf die Erde zu den Menschen nicht alleine antreten. Begleitet wird er von einem noch ganz jungen Weihnachtsmann namens Klaus, den er in die Bräuche des Geschenkeverteilens einweisen soll. Schließlich herrschen in jedem Land andere Bräuche und Sitten. Da gilt es, keine Fehler zu machen. Im nächsten Jahr soll der junge Weihnachtsmann dann sein eigenes Gespann und seinen eigenen Schlitten bekommen und selbständig zur Erde reisen, um die Menschen durch seine Gaben zu erfreuen. Doch nun heißt es erst einmal, aufpassen und schauen, wie es auf der Erde zugeht.

Der WeihnachtsmannEs ist soweit: Der Weihnachtsmann und sein Gehilfe springen auf den vollbepackten Schlitten und ab geht es in Richtung Erde. Die Hufe der Rentiere wirbeln. Sie haben kaum noch erwarten können, dass es endlich losgeht. Schließlich ist es für sie der wichtigste Tag des Jahres.

Der WeihnachtsmannÜber dem Nordpol ist es ganz schön kalt und dunkel. Für Weihnachtsmänner und Rentiere also genau das richtige Klima. In einem großen Bogen erreichen sie Schweden. Hier ist es auch nicht viel wärmer; und eine dicke Schneedecke dämpft alle Geräusche. Die Straßen und die Häuser sind festlich dekoriert. Überall leuchten Kerzen und leise klingen Weihnachtslieder durch die klare Nacht. Klaus, der noch nie zuvor auf der Erde war, fällt fast vom Schlitten, weil er sich zu weit nach außen lehnt um in die Fenster zu schauen. Was er sieht gefällt ihm. Da ist eine Familie mit drei Kindern, die gerade die Geschenke auspacken, die sie durch den Kamin geworfen haben. Im Nachbarhaus jubeln ebenfalls Kinder. Diesmal sind es nur zwei. Und irgend etwas ist anders. Klaus überlegt, was das wohl ist. Da fällt ihm auf, dass eines der Kinder im Rollstuhl sitzt. Das ist aber auch schon alles, was es von seinem Geschwisterchen unterscheidet. Seine Freude und sein Lachen sind die gleichen.

Der WeihnachtsmannSie fliegen weiter. Unter ihnen stapfen ein junger und ein etwas älterer Mann durch den Schnee. Wo die wohl hinwollen, wundert sich Klaus. Der Weihnachtsmann kennt die Antwort. „Der jüngere heißt Lars. Er ist mit seinem Assistenten wie jedes Jahr am Heiligen Abend unterwegs zu seinen Eltern. Sie wollen zusammen feiern". „Assistent?" fragt Klaus. „Was ist denn das?" „Lars hat das Down-Syndrom. Er lebt in seiner eigenen Wohnung, fünfzehn Minuten zu Fuß von seinen Eltern entfernt. Da er nicht ganz alleine zurecht kommt, hat er einen Assistenten. Der unterstützt ihn bei allem, was er nicht alleine kann", erklärt der Weihnachtsmann. Drei Straßen weiter sitzt eine ganze Familie in einem Raum zusammen und singt ein Weihnachtslied. Mitten zwischen ihnen liegt mit strahlenden Augen eine alte Frau. „Das ist Frau Petersen. Sie ist schon fast neunzig, sieht schlecht, hört nicht mehr besonders gut und lebt bei ihrer Enkeltochter, die sie pflegt", erklärt der Weihnachtsmann dem fragend schauenden Klaus.

Der WeihnachtsmannNachdem sie in Schweden ihre Geschenke, mal bei Familien mit oder ohne Kinder, mal bei Familien mit alten oder behinderten Angehörigen, mal bei allein lebenden behinderten oder nicht behinderten Menschen abgeliefert haben, geht es weiter in Richtung Deutschland.

Der WeihnachtsmannHier ist es nicht ganz so kalt wie in Schweden oder gar am Nordpol. Die Schneedecke ist auch viel dünner. Sie reicht gerade um die Häusern und die Landschaft weißglitzernd zu verzuckern. Aber geschmückt sind die Häuser, die Wohnungen und die Straßen genauso festlich wie in Schweden.

Der WeihnachtsmannSie beginnen, ihre Geschenke zu verteilen. Hier lebt ein junges Paar, das noch keine Kinder hat und frisch verliebt sein erstes gemeinsames Weihnachten allein feiern will. Dort ist eine Familie mit einer kleinen Tochter, die aufgeregt in ihrem Kinderzimmer herumhüpft und auf die Bescherung wartet. Der Weihnachtsmann und sein Gehilfe sputen sich, um die Geschenke so schnell als möglich an die ungeduldig wartenden Empfänger zu bringen. Plötzlich stutzt Klaus. „Seltsam, ob da wohl jemand einen Fehler gemacht hat. Hier sind ganz viele kleine Päckchen mit unterschiedlichen Namen, aber an dieselbe Anschrift. Da kann doch was nicht stimmen". Der alte Weihnachtsmann wird ernst. „Doch, das stimmt schon. Die Anschrift stimmt. Das ist ein Heim in dem über dreihundert behinderte Menschen leben und versorgt werden".

Der WeihnachtsmannTatsächlich, in dem riesigen Haus, das zu der Anschrift gehört, sitzen viele Menschen in einem großen, geschmückten Raum zusammen. Auch hier werden Weihnachtslieder gesungen. Und dennoch ist die Stimmung anders, irgendwie nicht so unbeschwert und fröhlich. Während sie so in den Saal schauen, sehen sie dass eine Frau einen Rollstuhl mit einem jungen Mann aus dem Raum schiebt. „Ob der schon müde ist? Dabei ist es doch noch gar nicht spät. Wer geht schon am Heiligen Abend zeitig ins Bett?" fragt Klaus. „Ach weißt du, das Pflegepersonal muss anfangen, die Heimbewohner ins Bett zu bringen, damit es pünktlich Feierabend bekommt und dann zuhause mit seiner Familie feiern kann", bekommt er zur Antwort.

Der WeihnachtsmannKlaus fragt betroffen: „Leben alle behinderten Menschen in Deutschland in solchen Heimen? Das kann doch nicht normal sein!" „Nicht alle, aber viele", erklärt ihm der ältere Weihnachtsmann. „Es gibt Menschen in der Verwaltung und der Politik, die meinen, das sei eine angemessene, vor allem aber billige Lebensform für diejenigen, die sich nicht alleine versorgen können".

Der WeihnachtsmannSie fliegen weiter und verteilen ihre Geschenke in kleine Einfamilienhäuser und große Wohnblocks. In den meisten Wohnungen feiern Familien und Freunde miteinander. Immer wieder sind auch behinderte und alte Menschen darunter. Aber es sind weniger als in Schweden.

Der WeihnachtsmannPlötzlich taucht wieder ein großes Haus unter ihnen auf. „Scheint wohl wieder ein Heim für behinderte Menschen zu sein", meint Klaus. „Nein, diesmal sind die Geschenke für die alten Menschen gedacht, die dort leben", sagt der Weihnachtsmann. „Viele von ihnen bekommen ihre Geschenke aber erst morgen, denn sie schlafen schon längst. Sie haben Medikamente bekommen, damit sie nachts nicht aufstehen und umherwandern. Manche werde sogar ans Bett gefesselt, angeblich, damit sie nicht herausfallen. Dabei geht es lediglich darum, Kosten für den Einsatz von Pflegepersonal zu sparen". Klaus ist entsetzt. Er kann nicht verstehen, dass man so mit Menschen umgehen kann.

Der WeihnachtsmannNach einigen Minuten kommen sie an ein Haus, durch dessen Fenster sie mehrere junge Menschen um einen Weihnachtsbaum sitzend sehen. Unter ihnen ist ein junger Mann im Rollstuhl. „Endlich mal wieder eine normale Situation", freut sich Klaus. Da feiert ein behinderter Mann zusammen mit seinen nicht behinderten Freunden. Er lauscht, was sich die Freunde erzählen und wird traurig. Der junge Mann ihm Rollstuhl sagt nämlich gerade zu seinen Freunden: „Hoffentlich ist das nicht das letzte Weihnachtsfest in meiner Wohnung. Ich habe Angst, dass das Gericht wie die Stadtverwaltung der Meinung ist, meine Assistenzkosten seien zu teuer und ich müsste ins betreute Wohnen ziehen. Ich könnte es nicht ertragen, mein ganzes bisheriges Leben aufgeben zu müssen. Hoffentlich wird mir das Recht zugebilligt, wie jeder andere Mensch frei und selbstbestimmt zu leben".

Der WeihnachtsmannKlaus ist wieder schockiert. Er kann nicht fassen, dass in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, Menschen aus Kostengründen ausgeschlossen und weggesperrt werden, während sie im viel ärmeren Schweden frei leben können. Während sie weiterfliegen, grübelt er nach. „Da muss sich doch was ändern und zwar schnell. Wenn wir zurück fliegen, machen wir nochmal einen Bogen nach Berlin und pflanzen in die Köpfe der Politikerinnen und Politiker den Gedanken, dass alle Menschen das Recht haben müssen, in einer selbst gewählten Wohnform mit den notwendigen Hilfen zu leben. Dann wird es im neuen Jahr sicher viel besser. Die Anstaltsmauern werden abgerissen und die behinderten und alten Menschen werden inmitten ihrer Gemeinden leben". Der Weihnachtsmann ist von der Idee sehr angetan und stimmt zu.

Der WeihnachtsmannAuf dem Rückweg fliegen sie mit ihrem nun leeren Schlitten schnell Richtung Berlin. Dort angekommen merken sie, dass sie eines nicht bedacht haben: Während junge behinderte Menschen im Behindertenheim früh ins Bett gebracht werden, damit die Pflegerinnen und Pfleger Feierabend bekommen, während im Altenheim die Bewohnerinnen und Bewohner mit Medikamenten „ruhiggestellt" werden und ein junger Mann um sein selbstbestimmtes Leben bangt, sind die Politikerinnen und Politiker daheim bei ihren Familien und feiern ein besinnliches Weihnachtsfest….

Elke Bartz (†)
Weihnachten 2003

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