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Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.


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Weihnachtsgeschichten » Weihnachten » 2014 Ãœber den Wolken und darunter - Teil 1 -

Ãœber den Wolken und darunter

Die ForseA-Weihnachtsgeschichte 2014

 

von Annette Hirt †

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannRudine holte die Plätzchen aus dem Ofen. Hmm, wie herrlich sie dufteten! Nur noch etwas Zimt drüber, dann waren sie ihr so gut gelungen wie jedes Jahr. Unumwunden musste sie sich eingestehen, dass sie ein bisschen stolz auf sich war. Das Essen würde auch gleich fertig sein. Deshalb rief sie ihrem Mann zu "Rudi! Rudi, könntest Du schon mal Rudichen aus seinem Zimmer holen und an den Küchentisch setzen? Ich fülle Eure Teller gerade mit Gemüseeintopf."

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannRudichen war der ganze Stolz seiner Eltern. Zwölf Jahre war er mittlerweile alt. Trotz seiner Gehbehinderung war ein munteres Kerlchen aus ihm geworden, der dieselben Flausen im Kopf hatte wie seine Freunde und Mitschüler. Rudine und ihr Mann  hatten stets nach besten Kräften für ihn gesorgt und alles Erdenkliche dafür getan, dass er so selbstständig wie nur möglich leben konnte. Trotzdem würde er immer auf Hilfe angewiesen sein. Sein rechter Hinterhuf war nicht richtig ausgebildet, sodass er für jeden Schritt Unterstützung brauchte. Die Tatsache bereitete ihrem Mann und ihr zunehmend Kopfzerbrechen, da es ihnen in letzter Zeit deutlich schwerer fiel, die notwendigen Hilfestellungen für Rudichen zu leisten. Sie waren nicht mehr die allerjüngsten Rentiere! Heute Abend, wenn Rudichen im Bett lag, wollten sie noch einmal über seine Zukunft sprechen.

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannSie saßen bei einem Glas Weihnachtspunsch auf dem Sofa und waren sich einig, dass sie bzw. Rudichen in irgendeiner Form Hilfe benötigten. Da kam Rudi auf einmal eine Idee in den Sinn. "Rudine, ich muss morgen doch sowieso zur Erde hinunter und eine erste Schlittenladung mit Geschenken abliefern, unter anderem auch in Deutschland. Da man immer wieder hört und liest, dass Deutschland ein Sozialstaat ist, könnte ich mich bei der Gelegenheit schlau machen und nach den dortigen Regelungen schauen." Rudine kuschelte sich an ihn und flüsterte: "Ach Schatz, wenn wir uns nicht hätten …"

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannAm nächsten Morgen stand Rudi extra früh auf. Eilig machte er sich fertig, gab Rudine einen Kuss und sagte: "Ich mache mich dann mal schnell auf die Hufe." Jedes Jahr erschien ihm der Schlitten ein klein wenig schwerer als im vorherigen. Aber Spaß machte es ihm allemal, sich ins Geschirr zu legen und durch die schneereiche Luft über den Himmel auf die Erde zu sausen. Oft nahm er so viel Fahrt auf, dass er schon ab der Wolkengrenze abbremsen musste. Er freute sich jedes Mal darauf, wenn unterhalb der Wolkendecke der Blick frei wurde. Was für ein Anblick! Es glitzerte, funkelte und strahlte… Allerorten geschmückte Weihnachtsbäume und Lichterbögen in den Fenstern, selbst die Vorgärten waren festlich dekoriert und hell erleuchtet. Dazu der verheißungsvolle Duft nach gebrannten Mandeln, frisch gebackenen Lebkuchen und Stollen.

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannRudi verteilte alle Pakete, Säcke und Truhen voll mit Geschenken und kehrte müde, aber überglücklich heim. Rudine sah ihm sofort an, dass er gute Nachrichten mitbrachte. "Nun sag schon", drängelte sie ihn, "ich seh's dir doch an deiner roten Nasenspitze an, dass du Positives zu berichten hast." Rudi war noch etwas außer Atem und musste sich erst mal setzen. Dann sprudelte es aus ihm heraus: "Du, es gibt die sogenannte Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die weltweit von vielen Staaten ratifiziert worden ist, auch von Deutschland. Bereits am 24. Februar 2009". Rudines Augen blitzten auf, "so lange schon", sagte sie erfreut. "Ja", bestätigte Rudi, "in dieser Konvention sind die Rechte behinderter Menschen Artikel für Artikel genau festgelegt. Niemand darf gezwungen werden, in einer Einrichtung zu leben. Beim Besuch einer Schule oder der Absolvierung einer Ausbildung bzw. eines Studiums wird Hilfe gewährt. Der Inklusionsgedanke spielt eine große Rolle. Behinderte wie auch Nichtbehinderte sollen durch dieselbe Tür ein Gebäude betreten können, Kinder auf dieselbe Schule gehen, die uneingeschränkte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft für jeden gleichermaßen gesichert sein." "Dann muss es den behinderten Menschen in Deutschland ja richtig gut gehen! Das klingt ja fast zu schön, um wahr zu sein", meinte Rudine. "Das denke ich auch. Deshalb will ich morgen noch einmal hinunter fliegen, um ein paar Menschen nach ihren Erfahrungen zu fragen", erwiderte Rudi. Mit großer Hoffnung schliefen sie an diesem Abend ein …

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannAm nächsten Abend kehrte Rudi aber keinesfalls fröhlich zurück. "Oh je, was ist passiert?", fragte Rudine. Niedergeschlagen ließ sich Rudi auf einen Küchenstuhl sinken. Mit trauriger Stimme erzählte er: "Den Menschen mit Behinderung in Deutschland geht es längst nicht so gut, wie wir dachten. Obwohl die Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention nun schon mehr als fünf Jahre zurückliegt, sind ihre verbindlichen Regeln nicht hinreichend in die bestehenden Gesetze eingearbeitet. Es kommt immer noch vor, dass einem behinderten Menschen die Mittel verweigert werden, aus einer Einrichtung auszuziehen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Behinderte Kinder werden immer noch auf Sonderschulen verwiesen. Anträge werden beim Sozialamt immer noch zögerlich oder nicht bearbeitet. Ich habe so viele Beispiele, die kann ich dir gar nicht so in Kürze erzählen." Rudine war gleichermaßen entsetzt wie auch ratlos: „Aber was machen wir denn nun?"

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannNachdem sie eine weitere Nacht über alles geschlafen hatten, wurde ihnen klar, dass sie dafür sorgen mussten, ähnliche Regeln zu formulieren und vor allem deren Umsetzung auf jeden Fall zu gewährleisten. Die Fehler, die in Deutschland passiert waren, sollten bei ihnen nicht vorkommen.

Figur am Absatzbeginn: WeihnachtsmannEin Jahr verging und wieder dufteten die Weihnachtsplätzchen im Ofen. Rudine sagte dem persönlichen Assistenten von Rudichen, er möge dem Kleinen in die Küche helfen. Sie hatten es tatsächlich geschafft, sich das Beste der Behindertenrechtskonvention abzuschauen und auch wirklich umzusetzen. Rudichen hatte nun einen persönlichen Assistenten, der sowohl in der Schule als auch im Alltag die Hilfe erbrachte, die Rudichen so dringend brauchte. Rudi und Rudine waren beruhigt. Sie wussten, dass ihr „Kleiner" trotz seiner Behinderung sein Leben nun unter seine eigenen Hufe nehmen konnte. Ihr Ziel war es jetzt, auch den Menschen weiterzuhelfen. In jedes Geschenk, das auf den Schlitten geladen wurde, steckte Rudichen ein selbstgemaltes Bild mit einer kurzen Geschichte seiner bisherigen Erfahrungen. Alle hofften, dass dies Anregung für die Menschen auf Erden sein könnte.

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